Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 121

Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 121

- Ein Lied im hohem Chor. Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. - Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. - Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen; und der dich behütet, schläft nicht. - Sieh, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht. - Der Herr behütet dich; der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand, - dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts. - Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele; - der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.

Überschrift und Inhalt

„Ein Stufenlied.“ Der Psalm spricht vom Frieden des Hauses Gottes und von der wachsamen Fürsorge des Herrn. Weil das Wort „behüten“ so häufig gebraucht wird, nennen wir dieses Lied auch „Gott, der treue Menschenhüter.“ Auslegung

V. 1 „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt.“ Wer in Niederungen und Tälern wohnt, leidet oft an Krankheiten, die nur durch einen Aufenthalt in der Höhenluft der Berge geheilt werden können. In den Tälern fielen die Menschen häufig Plünderern zum Opfer; sie konnten den Räubern nur dadurch entgehen, dass sie in die festen Burgen auf die Berge flüchteten. Der Gottesmann, der diesen Psalm geschrieben hat, schaute auf zu den Bergen. Er schaute zum Herrn, der von seiner großen Höhe alles sieht und bereit ist, seinen Knechten Hilfe zu senden. Hilfe erhalten die Kinder Gottes nur von oben. Anderswo suchen sie umsonst nach Hilfe. Lasst uns unseren Blick voll Vertrauen, Erwartung und Hoffnung zum Herrn erheben. Der Teufel versucht, unsere Augen auf die Sorgen zu richten, um uns zu beunruhigen und zu entmutigen. Es muss unser fester Entschluss sein, aufzuschauen.

Wer seinen Blick zu den ewigen Bergen erhebt, wird auch mit seinem Herzen emporgehoben. Die ewigen Gedanken Gottes, seine göttlichen Vollkommenheiten, seine unveränderlichen Verheißungen, sein Bund, seine Vorsehung, seine Vorherbestimmung und seine erprobte Treue - das sind die Berge, zu denen wir aufschauen sollen. Von daher muss unsere Hilfe kommen. Wir lassen uns die Augen nicht zubinden, sondern schauen auf zum Herrn.

V. 2 „Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Was wir brauchen, ist Hilfe - mächtige, wirksame und ständige Hilfe. Welch eine Gnade, dass wir diese Hilfe in unserem Gott haben! Wir hoffen auf den Herrn, weil er uns hilft. Die Hilfe ist schon unterwegs und wird uns zur rechten Zeit erreichen. Gott ist noch nie zu spät gekommen. Der Herr, der alle Dinge geschaffen hat, ist jeder Not gewachsen. Himmel und Erde stehen dem zur Verfügung, der sie gemacht hat. Wir wollen uns deshalb über unseren allmächtigen Helfer von ganzem Herzen freuen. Er würde eher Himmel und Erde vernichten, als zuzulassen, dass sein Volk vernichtet wird. Wir müssen über Himmel und Erde hinwegschauen auf den, der beides geschaffen hat. Es ist umsonst, Geschöpfen zu vertrauen; es ist weise, dem Schöpfer zu vertrauen.

V. 3 „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen.“ Die Wege des Lebens sind gefährlich und beschwerlich. Aber wir werden feststehen, denn der Herr wird nicht zugeben, dass unser Fuß gleitet. Wenn unser Fuß so bewahrt wird, können wir uns auch darauf verlassen, dass unser Haupt und unser Herz bewahrt wird. Im Hebräischen bedeuten die Worte einen Wunsch oder ein Gebet: „Möge er deinen Fuß nicht gleiten lassen.“ Wir sollten auch die festen Verheißungen Gottes in unser Gebet einschließen. Wir dürfen im Glauben bitten, denn wer Gott als seinen Beschützer hat, ist vor allen Gefahren des Weges sicher. In den Bergen und Schluchten Palästinas ist solche Bewährung sehr nötig; und auf den schlüpfrigen Wegen unseres Lebens in Versuchung und Leid ist diese Bewahrung von unschätzbarem Wert. Ein einziger falscher Schritt kann zu einem lebensgefährlichen Sturz führen. Nur Gott selbst kann uns helfen, festzustehen und mit festen Schritten unsern Weg weiterzugehen. „Und der dich behütet, schläft nicht.“ Wenn unser Hüter schlafen würde, könnten wir uns nicht einen Augenblick auf den Füßen halten. Wir brauchen ihn Tag und Nacht. Wir könnten nicht einen einzigen sicheren Schritt tun, wenn er nicht darüber wachen würde. Gott ist der große Schutz seiner Heiligen. Keine Müdigkeit oder Erschöpfung lässt Gott in den Schlaf sinken; seine wachsamen Augen sind immer offen.

V. 4 „Sieh, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht.“ Diese tröstliche Wahrheit muss noch einmal gesagt werden. Wieviel liegt in diesem Ausdruck, den der Psalmist für Gott gebraucht: „Der Hüter Israels.“ Keine Bewusstlosigkeit irgendwelcher Art kann ihn beschleichen, weder der tiefe Schlaf noch der leichte Schlummer. Er wird nie zulassen, dass ein Dieb heimlich ins Haus einbricht. Er ist immer wach und ständig auf Wache. Er entdeckt sofort jeden Eindringling. Israel schlief ein, aber Gott wachte. Jakob hatte keine Mauern um sich; er hatte keine Leibwächter bei sich; aber der Herr war gegenwärtig und bewachte ihn. Als wehrloser Mann war er so sicher wie in einer festen Burg (1. Mose 28, 18-2o). Das Wort „behüten“ hat tiefe Bedeutung. Gott behütet uns, wie ein reicher Mann seinen Schatz hütet, wie ein Feldherr mit seinen Soldaten eine Stadt bewacht und wie eine Leibwache ihren König schützt. Wenn der vorhergehende Vers ein Gebet war, so ist hier die Antwort darauf. In Vers 5 ist der Herr der Beschützer des einzelnen Menschen, und hier wird er als Hüter des ganzen Volkes geschildert. Die Gnade, die einem einzelnen geschenkt wird, ist ein Pfand des Segens für alle. Glücklich können die Pilger sein, die diesen Psalm als Geleitbrief haben. Sie pilgern den langen Weg zur himmlischen Stadt ohne Angst und Furcht.

V. 5 „Der Herr behütet dich.“ Hier liegt ein ganzer Barren Gold vor uns. Wenn er zur Münze geprägt und mit dem Namen des Königs versehen ist, reicht das aus, alle Kosten unseres Lebens zwischen Geburt und Tod zu bestreiten. Hier ist eine herrliche Persönlichkeit: „Der Herr.“ Er ist der Gott der Gnade. Hier ist ein wichtiges Amt: „Der Herr behütet.“ Er tut das selbst. Und alles für dich: „Der Herr behütet dich.“ Können wir uns dieses Wort aneignen? Dann können wir ohne Furcht leben. Wir wandern durch das Tal des Todesschattens und fürchten kein Unglück (Psalm 25, 4). „Der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand.“ Schatten schützt vor brennender Hitze und gleißendem Licht. Wir können auch von der strahlenden Güte Gottes nicht zuviel vertragen; sie muss sozusagen abgeblendet werden, unserer Schwachheit angepasst werden. Das will der Herr selbst für uns tun. Das Glied unseres Körpers, das am meisten Arbeit leistet, wird am besten geschützt: unsere rechte Hand. Wenn eine sengende Sonne heiße Strahlen auf uns schickt, will der Herr selber unser Schatten sein. Gott ist uns so nahe wie unser eigener Schatten. Wir sind so beschützt und sicher wie die Engel.

V. 6 „Dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts.“ Niemand anders als der Herr selbst kann uns vor diesen mächtigen Gewalten schützen. Die beiden großen Lichter beherrschen den Tag und die Nacht. Wir leben unter ihnen in Sicherheit, ob wir arbeiten oder ruhen. Licht und Finsternis haben ihre Gefahren, aber vor beiden„ sollen wir bewahrt bleiben. Im wörtlichen Sinn werden wir vor über“ mäßiger Hitze oder schrecklicher Kälte bewahrt; im übertragenen Sinn bedeuten diese Worte, dass wir vor allen schädlichen Wirkungen falscher Lehren bewahrt werden sollen, ob sie glanzvoll oder finster sind. Und im geistlichen Sinn werden wir vor den Gefahren des Reichtums und des Unglücks bewahrt; am Ende der Welt werden wir sowohl vor der überwältigenden Herrlichkeit Gottes wie vor dem vernichtenden Gericht geschützt. Aus Tag und Nacht besteht die ganze Zeit; so wird auch der Schutz des Herrn kein Ende haben. Gott hat für seine Auserwählten keine andere Sonne und keinen anderen Mond geschaffen; seine Kinder leben und arbeiten unter den gleichen Verhältnissen und Bedingungen wie andere Menschen auch. Aber diesen zeitlichen Mächten und Gewalten ist die Macht genommen, den Kindern Gottes Schaden zuzufügen.

V. 7 „Der Herr behüte dich vor allem Übel.“ Das ist eine weitreichende Zusage; sie schließt alles ein, und nichts ist ausgenommen. Der Herr schützt die Seinen vor großen und kleinen Unglücksfällen, vor zeitlichen und ewigen Übeln. Der Vers enthält eine zweifache persönliche Bezeichnung: Es ist der Herr selbst, der behütet, und auch der Beschützte wird ganz persönlich bestimmt: „Der Herr behüte dich.“ Nicht unser Besitz oder unser Name wird beschützt, sondern wir selbst. „Der Herr behüte deine Seele.“ Wenn die Seele beschützt wird, ist alles beschützt. Die Bewahrung des Höheren schließt die Bewahrung des Geringeren ein. Alles, was zum Wesentlichen gehört, soll erhalten bleiben. Und damit der Kern erhalten bleibt, wird auch die Schale geschützt. Unsere Seele wird behütet vor der Herrschaft der Sünde, vor der Ansteckung durch den Irrtum, vor dem Sturz in Verzweiflung und vor dem Stolz. Sie wird behütet vor der Welt, dem Fleisch und dem Teufel. Sie wird behütet für große und heilige Dinge. Sie wird behütet in der Liebe Gottes und bewahrt für das Reich Gottes. Sie wird behütet für die Ewigkeit und für die Herrlichkeit. Wer kann eine Seele zerstören, die vom Herrn behütet wird?

V. 8 „Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.“ Wir werden vom Herrn behütet, wenn wir morgens zur Arbeit gehen und am Abend nach Hause kommen. Wir werden vom Herrn behütet, wenn wir jung ins Leben hinaustreten und am Lebensabend uns zum Sterben niederlegen. Ausgang und Eingang stehen unter seinem Schutz. Dreimal haben wir hier den Ausdruck: „Der Herr behütet.“ Müssen nicht alle unsere Befürchtungen verschwinden? Welche Angst kann dieser dreifachen Verheißung standhalten? Gott bewahrt uns für immer. Die ganze Gemeinde des Herrn weiß, dass sie diese ewige Sicherheit besitzt. Gott hat versprochen, seine Heiligen zu retten. Die herrliche Unsterblichkeit der Gläubigen ist damit garantiert. Unter einer solchen Verheißung können wir ohne Furcht unsere Pilgerreise fortsetzen und ohne Angst in den Kampf gehen. Niemand ist so sicher wie der, den Gott behütet; niemand ist so in Gefahr wie der, der sich selbst beschützen will. Gerade beim Aus- und Eingehen gibt es besondere Gefahren; bei jedem Stellungswechsel wenden wir dem Feind eine neue Seite zu. Aber gerade für diese schwachen Punkte ist eine besondere Sicherung da. Der Herr bewacht die Tür, wenn sie sich öffnet und schließt. Er wird das tun, solange es noch Gefahren gibt, ja, solange die Zeit währt. Gelobt sei der Hüter Israels! Unter diesem Namen ist er uns besonders lieb geworden, weil wir unsere Schwachheit fühlen und wissen, dass nur er uns wirklich behüten kann.

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