Spurgeon, Charles Haddon - Predigt-Entwürfe - 55. Die Menschenfurcht verscheucht durch Vertrauen auf Gott.
„Vor Menschen sich scheuen, bringt zum Fall; wer sich aber auf den Herrn verlässt, wird beschützt.“ Spr. 29,25.
Hier haben wir ein doppeltes Sprichwort; beide Hälften sind an sich wahr, und zusammen gestellt, ist das Ganze kräftig und belehrend. Wer sich vor Menschen fürchtet, ist aus diesem Grunde in großer Gefahr; wer den Herrn vertraut, ist in keiner Gefahr. Vertrauen auf den Herrn ist das große Gegenmittel gegen alle Menschenfurcht.
I. Hier ist ein sehr allgemeines Übel.
„Sich vor Menschen scheuen, bringt zum Fall.“
- Manche halten es für etwas Gutes; aber es ist im besten Falle zweifelhaft. Selbst die Tugend, die wir aus Furcht vor Menschen üben, verliert ihre halbe Schönheit, wenn nicht mehr.
- Sie führt die Menschen zuweilen in große Sünden, verstrickt sie und hält sie gleich Vögeln, die vom Vogelsteller gefangen sind. Aaron gab dem Verlangen des Volkes nach und machte das goldne Kalb. Saul trachtete mehr danach, von dem Volk geehrt zu werden, als dem Herrn zu gefallen. Pilatus fürchtete, bei dem Kaiser verklagt zu werden, und so verletzte er sein Gewissen. Petrus verleugnete seinen Meister aus Furcht vor einer einfältigen Magd.
- Sie hält viele von der Bekehrung zurück; ihre Bekannten könnten spotten, ihre Freunde könnten ihnen zürnen, sie könnten verfolgt werden, und so werden sie zu den Furchtsamen und Ungläubigen gezählt.
- Sie hindert andere daran, ihren Glauben zu bekennen. Sie versuchen durch eine Hintertür in den Himmel zu kommen. Beachte: „So man mit dem Munde bekennt, wird man selig.“ Röm. 10, 10.
- Sie erniedrigt selbst gute Menschen in ihrer Würde. David war vor Achis ein erbärmliches Geschöpf, und selbst Vater Abraham spielte eine klägliche Rolle, als er sein Weib verleugnete.
- Sie versetzt Gläubige in zweideutige Lagen. An Beispielen fehlt es nicht. Aus Menschenfurcht handeln sie nicht nach ihren Grundsätzen.
- Sie beeinträchtigt die Nützlichkeit vieler; sie wagen es nicht, zu sprechen oder anderen den Weg zu weisen, obgleich ihre Hilfe so sehr nötig wäre.
- Sie hindert manche in der Erfüllung von Pflichten, die Mut erfordern. Jona will nicht nach Ninive gehen, weil er für einen falschen Propheten gehalten werden könnte, wenn Gott der Stadt vergibt. Galatische Prediger wandten sich falscher Lehre zu, um für weise gehalten zu werden rc.
- Sie ist die Ursache der Schwäche in der Gemeinde. Es ist Feigheit, schwachvoll für Jesum. Niemand sollte dieser Sünde Raum geben.
II. Hier ist ein sehr köstliches Schutzmittel.
„Wer sich aber auf den Herrn verlässt, wird beschützt.“
Nicht sklavische Menschenfurcht, sondern kindliches Vertrauen auf den Herrn ist der Schutz des Gläubigen.
- Der sich auf den Herrn Verlassende ist sicher vor der Menschenfurcht. Gott ist mit uns, darum sind wir stark und haben nichts zu fürchten. Wir sind entschlossen und wollen uns nicht fürchten. Wir beten und verlieren unsere Furcht. Wir machen uns auf das schlimmste gefasst und die Furcht verschwindet.
- Der auf Gott Vertrauende ist vor dem Resultat des Zornes der Menschen gesichert. Gott hält den Verfolger zurück. Der Verlust, welchen solcher Zorn wirklich nach sich zieht, ist geringer, als der, welcher durch Feigheit verursacht worden wäre. Wenn wir Gott vertrauen, wird solcher Verlust gern und mit Freuden getragen. Was haben wir überhaupt zu fürchten? Was können Menschen uns tun? Ist Gott mit uns, so ist unsere Sicherheit vollkommen, dauernd, ewig, obgleich uns das ganze menschliche Geschlecht beklagen sollte.
III. Hier ist eine sehr herrliche Lehre.
Wir dürfen die Lehre des zweiten Satzes in seiner umfassendsten Bedeutung nehmen: „Wer sich auf den Herrn verlässt, wird beschützt“ -: vor der verdammenden und überwindenden Macht der Sünde; vor der überwältigenden Macht der Versuchung; vor der betäubenden Wirkung der Trübsal; vor der vernichtenden Macht des Satans; vor dem Tode, der Hölle und allen Übeln; vor allem Leid und Schaden, den uns Menschen zufügen können.
Willst du einen Wurm fürchten, oder deinem Gott vertrauen?
Zerreiße die Schlinge, in welcher die Furcht dich verwickelt hat. Gehe ein in die Burg der Sicherheit durch das Tor des Vertrauens.
Warnungen.
Die Seele, die Gott nicht völlig vertrauen kann, ob man nun den Menschen gefalle oder missfalle, kann Ihm nie lange treu bleiben; denn während ihr auf Menschen blickt, verliert ihr Gott und stoßt dem Christentum den Dolch ins Herz. Manton.
„Menschenfurcht.“ Grausamer, blutdürstiger Götze - wie viele Seelen hat er schon verschlungen und in die Hölle gestürzt! Seine Augen sind voll Hasses gegen Christi Jünger. Hohn und Spott lagern auf seinem Angesicht. Das Gelächter des Verächters erschallt aus seinem Halse. Wirf diesen Götzen nieder. Er hält einige von euch ab vom verborgenen Gebet, von der Anbetung Gottes in der Familie, von dem öffentlichen Bekenntnis Christi. Ihr, die ihr Gottes Liebe und Gottes Geist verspürt habt, zermalmt diesen Götzen. Wer bist du, dass du dich vor Menschen fürchtest, die doch sterben? „Fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob. Was sollen mir weiter die Götzen?“ McCheyne.
Die Schwierigkeiten, die ein offenes Bekenntnis von Christo begleiten, sind die Veranlassung gewesen, dass viele Schiffbruch an ihrer Seele erlitten haben. Bei vielen hoffnungsvollen Charakteren hat sich das Schriftwort: „Vor Menschen sich scheuen, bringt zum Fall“ bewahrheitet. Cato und die Philosophen Roms ehrten die Götter ihres Landes, obgleich sie den Aberglauben der Bevölkerung nicht teilten. Plato war von der Einheit Gottes überzeugt, wagte es aber nicht, seine Überzeugungen kund zu tun, sondern sagte: „Es ist eine Wahrheit, die nicht leicht zu finden und ohne Gefahr nicht kund zu geben ist.“ Selbst Seneca, der berühmte Moralist, glaubte sich durch die Umstände genötigt, seine Überzeugung zu verbergen. Von ihm sagte Augustus: „Er betete an, was er selbst verachtete, und tat, was er selbst tadelte.“ So ist Überzeugung noch nicht Bekehrung, wenn kein Bekenntnis von Christo abgelegt wird. Salter.
Ein Feuer löscht das andere aus. Nichts tötet so wirksam die Menschenfurcht, als ein großes Maß an Gottesfurcht. Glaube ist der Seele ein Harnisch, und da mit angetan können Menschen ins dichteste Schlachtgetümmel gehen ohne Furcht, verwundet zu werden. Menschenfurcht stumpft das Gewissen ab, stört unsere Andacht, hindert die heilige Tätigkeit, verstopft den Mund gegen das Zeugnis und lähmt des Christen Kraft. Sie ist eine schlau gelegte Schlinge, welche manche nicht gewahren, obgleich sie bereits darin gefangen sind.