Spurgeon, Charles Haddon - Predigt-Entwürfe - 48. Vieles ist nicht, wie es zu sein scheint.
„Einem jeglichen dünken seine Wege rein zu sein; aber der Herr wägt die Geister.“ Spr. 16,2.
In Zeiten der Geschäftsstockungen und Fallissements1) gibt es gelegentliche Entdeckungen. Es stellt sich heraus, dass manche Geschäfte, die als „fein“ galten, äußerst faul waren. Die finanziellen Verhältnisse werden genau besehen, und es zeigt sich, dass, was Geschäftsführer und Direktoren als richtig bezeichnet hatten, auf Schwindel und Betrug beruhte. Alles sah sehr solide und wesentlich aus, bis der unvermeidliche Krach kam und nun ein Mensch dem anderen nicht mehr trauen zu dürfen meinte. Zweifellos dünkten den Spekulanten seine Wege rein, aber die Ereignisse deckten seine schmutzigen Hände auf.
Ähnliches geschieht zuweilen geistlicherweise in der Gemeinde. Großes Ansehen verpufft, hochfahrende Bekenntnisse lösen sich auf. Menschen reden sich ein, dass es richtig mit ihnen steht und dass sie recht tun. Sie wen den die Schrift falsch an, legen die Vorsehung unrichtig aus und kehren im allgemeinen die Dinge um; aber das unerbittliche Gericht ereilt sie, es kommt eine Wägezeit und ihr Bekenntnis wird bloßgelegt und der selbstzufriedene, anmaßende Mensch sinkt hinab ins sichere Verderben.
Lasst uns praktisch „einige Wege“ betrachten, welche „rein“ scheinen, sich aber doch nicht so erweisen, wenn der Herr kommt, die Geister zu wägen.
I. Die Wege der offenbar schlechten Menschen.
Viele davon sind „rein“ in ihren Augen.
Um den Selbstbetrug zu bewirken, geben sie der Sünde hochklingende Namen; denken sie schlecht von anderen und lassen sie viel schlechter erscheinen, als sie selbst sind, und finden darin eine Entschuldigung für sich; sodann erheben sie Anspruch darauf, viel wunderbare Eigenschaften und gute Zwecke zu haben; endlich machen sie geltend, dass, wenn sie unvollkommen sind, sie nicht dafür können, und entschließen sich ernstlich, sich zu bessern, tun es aber nie.
Die Menschen machen es mit sich selbst, wie etwa Gründer von Gesellschaften, indem sie zweifelhafte Habe als gewisses Eigentum verzeichnen, Erwartetes als Empfangenes betrachten, Blätter aus den Büchern entfernen, nachteilige Umstände und Verwickelungen verbergen, die Rechnungen und Berichte auf alle mögliche Weise fälschen und grundlose Versprechungen machen.
Die Prüfung, die der Herr vornimmt, wird eine gründliche und entscheidende sein. Er wägt auf genauer Waage, mit genauen Gewichten, und blickt nicht nur auf den öffentlichen Weg, sondern auf den inneren Zustand.
II. Die Wege der Gottlosen und Atheisten.
Diese rühmen sich oft, dass sie besser sind, als die Religiösen. Sie geben vor, dass ihr reiferer Verstand es nicht zulasse, dass sie die Dinge glauben; sie müssen zweifeln, weil sie so tiefe Denker sind. Sie stellen die zweite Tafel des Gesetzes viel höher und bezeichnen sie viel wichtiger als irgendeinen Dienst, der Gott erwiesen wird.
Aber diese alle werden in einer Waage gewogen und zu leicht erfunden werden.
III. Die Wege der äußerlichen Formalisten.
Diese scheinen „rein“ zu sein.
Ihre Beobachtung der Zeremonien. Ihr regelmäßiger Besuch des Gottesdienstes. Ihr öffentliches Religionsbekenntnis. Ihre Freigebigkeit für die Sache und ihr allgemeines Interesse an guten Zwecken.
So mögen Prediger, Diakonen, Mitglieder prahlen und mögen doch verwerflich sein, wenn der Herr die Geister wägt.
IV. Die Wege des geizigen Bekenners.
Die sind ganz besonders „rein.“ Seine Gier hält ihn von kostspieligen Sünden zurück, und darum lobt er sich wegen seiner Selbstverleugnung. Er hemmt die Sache Gottes und der Armen. Er vorenthält seinen Arbeitern ihren gebührenden Lohn. Er macht harte Geschäfte, treibt die Schuldner in die größte Not, nimmt ungebührliche Zinsen und ist als Filz in seiner Umgebung bekannt.
Der Herr sagt von ihm: „Geiz, welcher ist Abgötterei.“
V. Die Wege des weltlich gesinnten Bekenners.
Er dünkt sich „rein.“ Möchte er ehrlich erwägen, ob er „rein“ ist: in seinem verborgenen Leben in seinen privaten und geheimen Genüssen in seinen Vergnügungen in seinen Gesellschaften und Unterredungen und Gesprächen -in seinem aufgegebenen Kämmerlein, seiner vergessenen Bibel, seinem lauen Christentum rc.
Welche Offenbarungen wird es geben, wenn das Wägen seines Geistes vor sich geht!
VI. Die Wege des sicheren Abtrünnigen.
Er träumt, dass sein Weg „rein“ ist, während ein wenig Nachdenken ihm viele schmutzige Stellen zeigen würde.
Verfall in privatem Gebet. Hiob 15,4. Die Sünde hat nach und nach die Oberhand gewonnen. Jer. 14,10. Seine Gespräche kaum nach geistlicher Art. Eph. 4,4. Die Heilige Schrift wenig gelesen. Hos. 8,12. Das Herz hart geworden. Hebr. 3,13. Der Stolz nach vielen Richtungen hin hervortretend. 5 Mose 8,14.
Der Herr wägt ihn durch Trübsale und Prüfungen; dann aber folgt das Bloßlegen des Betrugs und der Heuchelei.
VII. Die Wege des betrogenen Menschen.
Er stellt sich alles sehr an. genehm vor, und doch ist er wirklich ein geistlicher Bankrottierer.
Ihm fehlt der wahre Glaube an Jesum. Ihm fehlt die wirkliche Wiedergeburt. Ihm fehlt der Seelendienst für den Herrn. Ihm fehlt alles auf ewig.
Ist das bei unseren Zuhörern der Fall?
Vergleiche.
Wie schön erscheinen alle Dinge, wenn der Winter sie gebleicht hat! Welch ein königliches Bett zeigt sich in jener Ecke! Die Decke ist so weiß, dass kein Färber auf Erden sie weißer machen könnte. Hier könnte ein Engel ausruhen und sich so rein wieder erheben, wie er sich niedergelegt hat. Puh! Es ist ein Dunghaufen und nichts anderes.
Alle Schiffe, die in den Hafen einliefen, wurden von einem Mann in der Stadt als sein Eigentum beansprucht. Er wandelte am Kai daher und gab sich ein königliches Ansehen; er sprach davon, dass er eine Flotte besitze und renommierte ganz gewaltig. Wie kam er dazu, so reich zu werden? Höre, er ist ein Wahnsinniger. Er hat sich so in diese Torheit hinein geredet, aber in Wahrheit hat er nicht einen Kübel, den er sein eigen nennen könnte. Wie absurd! Aber sind nicht viele die Opfer eines noch schlimmeren Selbstbetruges? Nach ihrer Idee sind sie reich und haben gar satt, und doch sind sie elend und jämmerlich, arm, blind und bloß.
Dies muss der rechte Weg sein, sieh' nur, wie eben er ist! Wie viele Füße haben ihn betreten!“ Ach, das ist gerade das Merkzeichen des breiten Weges, der zum Verderben führt.
Aber sieh', wie er sich wendet, und welche verschiedenen Richtungen er einschlägt! Das ist gewiss keines Frömmlers unbeugsame Linie.“ So ist es; darin erweist er sich als der unrichtige Weg, denn die Wahrheit ist dieselbe und sie ist unveränderlich. „Aber er gefällt mir so sehr.“ Das ist ebenso verdächtig, denn was ein unwiedergeborner Mensch so gern mag, ist sehr wahrscheinlich etwas Böses. Die Herzen gehen dem nach, was ihnen gleicht, und ein gnadeleerer Mensch liebt gnadeleere Wege. „Wünschest du, dass ich jenen engen und rauen Pfad gehe?“ Ja, das möchten wir, denn er führt zum Leben, und obgleich ihrer wenige sind, die ihn finden, so erkläre diese doch, dass es ein lieblicher Weg ist. Besser einem rauen Pfad zum Himmel, als einem ebenen Weg zur Hölle folgen.