Spurgeon, Charles Haddon - Predigt-Entwürfe - 29. Die, welche begehren.
„Ach, Herr, lass Deine Ohren aufmerken auf das Gebet Deines Knechtes und auf das Gebet Deiner Knechte, die da begehren, Deinen Namen zu fürchten.“ Neh. 1,11.
Nehemia glaubte, dass außer ihm auch noch andere beteten. Er sah nicht so schwarz und war nicht so eingebildet oder so lieblos, zu meinen, dass er allein das Haus des Herrn liebte und dafür betete. In dieser Beziehung war er hoffnungsvoller als Elias. 1 Kön. 19,10.18.
Nehemia schätzte die Gebete seiner Mitknechte und fühlte sich in seinem eigenen Flehen gestärkt durch die Tatsache, dass er einer von vielen Betern war.
Selbst die Schwächeren, welche nur begehrten, Gottes Namen zu fürchten, wurden, wenn sie ihre Gebete hinaufsandten, von diesem heiligen Mann geschätzt. Welches sind die Personen, die diese Klasse bilden „die da begehren, Deinen Namen zu fürchten“? Wir wollen versuchen, sie aufzufinden.
I. Diese Klasse umfasst alle, welche irgend welche wahre Religion haben.
- Wahre Gottseligkeit ist stets Sache des Begehrens. Nicht der Sitte, der Gewohnheit, der Mode, der Erregung, der Leidenschaft oder des Zufalles. Nicht des unwilligen Schreckens, oder des Zwanges, oder der Bestechung. Auch nicht der prahlerischen völligen Erreichung und eingebildeten Selbstzufriedenheit.
- Jeder Teil derselben ist Sache des Begehrens. Buße, Glaube, Liebe rc. Nichts davon ist in einem Menschen zu finden, der nicht begehrt, es zu haben. Gebet, Lob, Dienst, Almosen und alle gute Taten sind Dinge, danach das Herz sich sehnt. Fortschritt und Reife in der Gnade ist nie in solchem Maß erreicht, dass wir zufrieden sein könnten. Es bleibt Sache des Begehrens. Ebenso unsere Nützlichkeit unter unseren Mitmenschen, die Verbreitung der Wahrheit, das Wohlergehen der Gemeinde und die Ausbreitung des Reiches Christi: es bleibt Sache des Begehrens. Dasselbe kann gesagt werden vom Himmel, von der Auferstehung und von den zukünftigen Herrlichkeiten der Herrschaft Christi auf Erden. Sehnsucht und Begehren ist das Lebensblut der Frömmigkeit, der Anfang der Heiligkeit, die Dämmerung der Gnade, die Verheißung der Vollkommenheit.
- Wo nicht mehr sein kann, ist dieses Begehren angenehm vor Gott. Im Geben, im Wirken rc. nimmt der Herr den Willen für die Tat an, wo die Kraft zur Ausführung fehlt. Er findet das Wesen selbst der aufopferndsten Taten in dem Sehnen nach Gottes Verheißung.
- Aber ohne dieses Begehren befindet sich der Mensch in einem Zustand des geistlichen Todes, und alles, was er tut, ist so tot wie er selbst.
II. Sie schließt viele Grade der Gnade in sich.
Nicht die nur zeitweise Begehrenden und Entschlossenen, denn diese sind nur Blüten, die nie zur Frucht gelangen; von solchen können wir mit Salomo sagen: „Der Faule begehrt und kriegt es doch nicht.“ (Spr. 13, 4). Sondern die,
- Welche ernstlich und herzlich begehren, vor Gott richtig zu stehen, obgleich sie sich fürchten, sich für Gerettete zu halten. Diese begehren immerfort.
- Welche gläubig sind, dabei aber fürchten, dass es Vermessenheit sein könnte, sich zu Gottes Volk zu zählen. Ihr Glaube zeigt sich mehr im Verlangen als in dem Bewusstsein, das Ziel ihres Forschens erlangt zu haben.
- Welche wissen, dass sie Gott fürchten, sich aber sehnen, Ihn mehr zu fürchten. Manche von den besten Menschen gehören zu dieser Klasse.
- Welche wünschen, dem Herrn mit größerer Freiheit, Beständigkeit, Lust und Kraft zu dienen. Was möchten sie nicht tun, wenn sie ihres Herzens Verlangen gestillt sähen!
- Welche ihre Wonne an Gottes Wegen haben und sich sehnen, ihr leben lang darauf zu bleiben. Kein Mensch beharrt in der Heiligkeit, wenn er sich nicht danach sehnt. Zärtliches Verlangen erzeugt ein wachsames Wandeln und führt durch Gottes Gnade zu einem beständigen Leben. Alle diese Leute nun können erhörlich beten; sie beten eigentlich stets, denn Wünsche sind wahre Gebete.
Wir bedürfen der Gebete sowohl dieser Leute als der vorgeschrittenen Heiligen. Wenn niemand anders betete, als nur die hervorragenden Gläubigen, würde es mit unserem Schatz der Gebete dürftig bestellt sein.
Wir sollten dankbar solche Anfänger mit uns zum Gebet um das Gedeihen der Sache Gottes vereinigen; ihre ringenden Seufzer werden uns alle anregen, um so besser zu beten, und die Übung wird ihre eigne Gebetskraft vermehren.
Schließlich lasst uns jetzt alle beten, groß und klein. Lasst uns beten im Heiligen Geist und dadurch unsere Prediger, Missionare und andere Arbeiter unterstützen.
Gewürz.
Diese Beschreibung der Knechte Gottes: „die da begehren, Deinen Namen zu fürchten,“ erinnert uns daran, dass ihre Religion in dieser Welt zum großen Teil im „Begehren“ besteht. Sie haben wirkliche Frömmigkeit, sind aber so unzufrieden mit dem, was sie erreicht haben, dass sie sich nach Besserem sehnen. Ihr Wünschen ist jedoch sorgfältig zu unterscheiden von dem Wünschen vieler, welche gelegentlich gute Wünsche an die Stelle tatsächlicher Frömmigkeit stellen. Des wahren Christen Verlangen veranlasst ihn, alle Mittel fleißig zu gebrauchen, durch welche ein höheres Leben erreicht wird. Er „übt sich an der Gottseligkeit,“ und was er erreicht, verwendet er zum geistlichen und moralischen Leben.
Das, was wir begehren, wenn wir es nicht haben, bereitet uns Wonne, wenn wir es erlangen. Wenigstens ist dies der Fall bei den Dingen, die wirklich des Begehrens wert sind. Die nie schmachten nach Gnade, werden die Gnade nie zu schätzen wissen.
Als Napoleon von Elba zurückkehrte, erkannte ein in einem Garten arbeitender Mann den Kaiser und folgte ihm sogleich nach. Napoleon hieß ihn freudig willkommen und sagte: „Hier haben wir unseren ersten Rekruten!“ Wenn auch nur eine Person anfängt, für uns zu beten wie schwach ihre Gebete auch sein mögen müssen wir sie mit Freuden begrüßen. Wer für mich betet, bereichert mich. Der Dienst des Evangeliums ist so abhängig von der Kraft des Gebets, dass es eines Predigers hauptsächliches Bestreben sein sollte, das Gebetsleben seiner Gemeinde zu fördern. Es sollte zahlreiche Gebetsversammlungen geben, und diese sollten mannigfaltig sein, so dass Frauen, Jünglinge, Kinder und ungeschulte Personen sich zu dieser heiligen Übung verbinden. Alles Kleine hilft. Sandkörner und Regentropfen verbinden sich zu den größten Zwecken und führen sie aus. In einer kleinen Versammlung unbekannter Begehrender kann mehr wirkliches Gebet vorhanden sein, als in einer großen Versammlung, wo alles mehr mit ausgesuchten Kräften als mit sehnlichem Verlangen getan wird.
Lasst euren Prediger nie sein Gebetbuch verlieren. Es sollte in den Herzen seines Volkes geschrieben stehen. Wenn du nicht predigen, nicht viel geben oder ein Beamter der Gemeinde werden kannst, so kannst du wenigstens ohne Unterlass; beten.