Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 25
Ein Psalm Davids. - Nach dir, Herr, verlangt mich, - Mein Gott, ich hoffe auf dich; lass mich nicht zu Schanden werden, dass sich meine Feinde nicht freuen über mich. - Denn keiner wird zu Schanden, der dein harrt; aber zu Schanden müssen sie werden, die leichtfertigen Verächter. - Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige; - leite mich in deiner Wahrheit und lehre mich! Denn du bist der Gott, der mir hilft; täglich harre ich dein. - Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von der Welt her gewesen ist. - Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretungen; gedenke aber mein nach deiner Barmherzigkeit um deiner Güte willen! - Der Herr ist gut und fromm; darum unterweist er die Sünder auf dem Wege. - Er leitet die Elenden recht und lehrt die Elenden seinen Weg. - Die Wege des Herrn sind eitel Güte und Wahrheit denen, die seinen Bund und seine Zeugnisse halten. - Um deines Namens willen, Herr, sei gnädig meiner Missetat, die da groß ist. - Wer ist der, der den Herrn fürchtet? Er wird ihn unterweisen den besten Weg. - Seine Seele wird im Guten wohnen, und sein Same wird das Land besitzen. - Das Geheimnis des Herrn ist unter denen, die ihn fürchten; und seinen Bund lässt er sie wissen. - Meine Augen sehen stets zu dem Herrn; denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen. - Wende dich zu mir und sei mir gnädig; denn ich bin einsam und elend. - Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten! - Sieh an meinen Jammer und mein Elend und vergib mir alle meine Sünden! - Sieh, dass meiner Feinde so viel sind und hassen mich aus Frevel. - Bewahre meine Seele und errette mich; lass mich nicht zu Schanden werden, denn ich traue auf dich, - Schlecht und Recht, das behüte mich; denn ich harre dein, - Gott, erlöse Israel aus aller seiner Not!
Allgemeines
Überschrift
Ein Psalm Davids. David wird in diesem Psalm wie in einem naturgetreuen Miniaturbild dargestellt. Alles finden wir hier, sein festes Vertrauen, seine vielen Kämpfe, seine schweren Übertretungen, seine bittere Reue und seine tiefe Niedergeschlagenheit. Offensichtlich handelt es sich um ein Lied, das David in späteren Jahren gedichtet hat, denn er erwähnt die Sünden seiner Jugend. Wahrscheinlich bezieht sich der Psalm auch auf die Zeit, als Absalom den großen Aufruhr gegen ihn anzettelte. David spricht hier schmerzerfüllt von der Verschlagenheit und Grausamkeit seiner vielen Feinde. Dieser Psalm ist der zweite von sieben Bußpsalmen. Das Zeichen des wahren Gläubigen ist, dass seine Sünden ihn bekümmern und diese innere Not ihn immer wieder zu Gott treibt.
Einteilung
Die zweiundzwanzig Verse dieses Psalms beginnen im Grundtext mit den hebräischen Buchstaben in alphabetischer Reihenfolge. Vielleicht hat der Verfasser diese Methode angewendet, um dem Gedächtnis eine Hilfe zu geben. Außerdem will uns der Heilige Geist sicherlich damit zeigen, dass Schönheit des Stils und Kunst der Ausdrucksform im Dienste Gottes durchaus ihre Verwendung finden können. Gehört nicht auch der Scharfsinn und die reiche Erfindungsgabe des Menschen auf den Altar Gottes? Unser Psalm hat eine eigenartige Struktur. Es ist deshalb nicht leicht, eine genaue Einteilung vorzunehmen. Aber das Thema ist immer dasselbe, wenn die Gedanken auch sehr schnell wechseln. Der Verfasser schreibt in der Form des Gebets und in der Form der Meditation. Gebet (V. 1-7); Meditation. (V. 8-10); Gebet (V. 11); Meditation (V. 12-15); Gebet (V. 16-22).
Auslegung
Gebet (Vers 1-7).
V. 1 „Zu dir, o Herr, erhebe ich meine Seele„ (Elberfelder Übersetzung). Wenn der Sturm tobt, begibt sich das Schiff des Glaubens in den wohlbekannten Zufluchtshafen. Wie barmherzig ist der Herr, dass er uns hört, wenn wir in Zeiten der Not zu ihm rufen, obwohl wir ihn in Zeiten des vermeintlichen Wohlstands fast vergessen haben! „Zu dir, Herr, erbebe ich meine Seele.“ Es ist Hohn, wenn man nur die Hände und Augen zu Gott erhebt. Das Herz muss am Gebet beteiligt sein! Wir können das mit einem Aufstieg auf der Jakobsleiter vergleichen: Alle Sorgen und Ängste lassen wir am Fuß der Leiter zurück, und oben an der Spitze treffen wir mit Gott zusammen. Sehr oft allerdings kann das Herz sich nicht einfach so aufschwingen. Es hat sozusagen die Flügel verloren, ist schwer und erdgebunden. Es gleicht dann eher einem Maulwurf, der in der Erde wühlt, als einem aufsteigenden Adler! In solchen niederdrückenden Zeiten geht es darum, das Gebet auf keinen Fall aufzugeben. Mit Gottes Hilfe sollten wir unsere ganze Kraft aufwenden, um in Verbindung mit Gott zu bleiben. Dein Glaube als Hebel und Gottes Gnade als Arm, der den Hebel in Bewegung setzt und der schwere, tote Stein muss sich doch bewegen! Aber was ist oft genug daraus geworden? Wir haben uns mächtig angestrengt und wurden schließlich doch vollständig besiegt. Gerade an dieser Stelle, in diesem Augenblick möchte die Liebe des Heilands die überwindende Kraft sein, die unser Herz zu ihm emporzieht.
V. 2 „Mein Gott„ Diese Anrede ist uns lieber und vertrauter als der Name „Herr der Heerscharen“, der im ersten Satz gebraucht wird. Der Sänger ist seinem himmlischen Helfer näher gekommen. Er wird so kühn, Gott wie einen Besitz zu ergreifen. „Mein Gott.„ Der Psalmist scheut sich nicht, offen seine Empfindungen auszusprechen. In seinem Herzen ist der Wunsch, den Herrn zu suchen, und so spricht er ihn aus; er glaubt, dass er einen rechtmäßigen Anspruch an den Herrn hat, und er äußert ihn; er vertraut seinem Gott, und so bekennt er: „Mein Gott, ich hoffe auf dich.“ Glaube ist wie ein Tau, das unser Boot ans Ufer bindet. Wenn wir daran ziehen, bringen wir uns selbst ans Land. Glaube verbindet uns mit Gott und bringt uns ihm dann immer näher. Solange der Anker des Glaubens hält, brauchen wir uns selbst im schlimmsten Sturm nicht zu fürchten. Reißt er aber los, ist keine Hoffnung mehr! Unser Glaube muss gesund und stark sein, sonst nützen uns Gebete nichts. „Lass mich nicht zu Schanden werden.„ Enttäusche jetzt meine Hoffnungen nicht. Sonst könnte es sein, dass ich mich schämen müsste, jemals von deiner Treue geredet zu haben. Darauf lauern ja viele! Auch die Besten haben Feinde und sollten darum beten, dass die bösen Pläne ihrer Feinde nicht gelingen. „Dass sich meine Feinde nicht freuen über mich.“ Die Gläubigen eifern um die Ehre Gottes. Sie können nicht dulden, dass die Ungläubigen sie verhöhnen, weil angeblich Gott ihre Hoffnungen nicht erfüllt hat. Alle anderen Hoffnungen werden einmal in Enttäuschung und Schande enden aber unser Vertrauen wird niemals enttäuscht werden!
V. 3 „Denn keiner wird zu Schanden, der dein harrt„ (nach der englischen Übersetzung: Lass niemanden, der dir vertraut, zuschanden werden). Leiden macht das Herz weit. Die neue Fähigkeit wird geweckt, Mitgefühl zu haben. Wenn wir für uns selbst beten, können wir unsere Leidensgenossen doch nicht vergessen! Niemand hat so viel Mitleid mit den Armen wie der, der selber arm ist; niemand hat so viel Liebe zu den Kranken wie der, der selber lange krank gewesen ist. Wir sollten dankbar für solche gelegentlichen Nöte sein, weil sie uns vor chronischer Herzenshärte bewahren wollen, denn das schlimmste Übel ist ein gefühlloses Herz!“ Das Gebet, das der Heilige Geist lehrt, ist niemals selbstsüchtig. Der Gläubige möchte, dass alle, die in der gleichen schweren Lage sind wie er, an der gleichen göttlichen Barmherzigkeit teilhaben. Wir können dieses Gebet auch wie eine Verheißung ansehen (vgl. Luther).„Der Vater im Himmel wird alle, die ihm vertrauen, niemals enttäuschen. „Aber zu Schanden müssen sie werden, die leichtfertigen Verächter!“ David hat seine Feinde nicht herausgefordert. Ihr Hass war grundlos. Sünder haben für ihre Übertretungen keinen rechtmäßigen Grund und können sich nicht entschuldigen. Außerdem hat niemand einen Nutzen von ihrem Sündigen, nicht einmal sie selbst. Das Gesetz, das sie übertreten, ist nicht hart oder ungerecht. Gott ist kein tyrannischer Herrscher, und die Vorsehung ist kein sklavisches Joch. Menschen sündigen, weil sie sündigen wollen. Sie sündigen nicht deshalb, weil es etwa nützlich oder vernünftig ist. Aus diesem Grund ist Schande der ganz angemessene Lohn! Solche Menschen sollten lieber noch heute in der Scham der Buße erröten, um nicht einmal Verachtung und bittere Schande in der zukünftigen Welt erleiden zu müssen!
V. 4 „Herr, zeige mir deine Wege.„ Ungeheiligte Naturen wollen ihre eigenen Wege gehen; begnadigte Menschen aber rufen: „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe!“ Nicht immer können wir den richtigen Weg erkennen. Dann ist es klug, den Herrn um Rat zu fragen. Manchmal ist es auch so, dass Gott auf sehr geheimnisvolle Weise mit uns handelt. Dann aber dürfen wir ihn auch bitten, uns seine Führung zu erklären. Zu gegebener Zeit wird er es tun. Sittliche, praktische und geistige Führung sind wunderbare Gaben Gottes, wenn wir lernwillig sind! „Und lehre mich deine Steige.„ Diese zweite Bitte scheint mehr zu bedeuten als die erste. Am besten kann man das an einem Beispiel erläutern: Ein kleines Kind sagt zu seinem Vater: „Vater, zuerst zeige mir den Weg, und dann hilf mir, dass meine kleinen, schwachen Füße darauf gehen können!“
V. 5 „Leite mich in deiner Wahrheit und lehre mich.„ Das ist die gleiche Bitte wie im vorhergehenden Vers. Das kleine Kind hat gerade gehen gelernt. Es möchte aber noch weiter an der helfenden Hand der Eltern geführt werden. So wollen auch wir weiterhin im ABC der Wahrheit unterrichtet werden. Dieses Gebet ist die Bitte um „Erfahrungsunterricht“. David wusste 2war viel, aber er erkannte auch, dass ihm noch viel fehlte. Deshalb wollte er weiterhin in der Schule des Herrn bleiben. Viermal bittet er in diesen zwei Versen um einen Platz in der Schule Gottes! „Denn du bist der Gott, der mir hilft„ (Elberfelder Übers.: Du bist der Gott meines Heils). Der drei einige Gott ist der Anfänger und Vollender des Heils. Lieber Leser, ist er auch der Gott deines Heils? Es ist etwas Herrliches, wenn wir Gott mit solchem Vertrauen anreden können, wie David es hier tut. Dann haben wir große Kraft im Gebet und viel Trost in den Prüfungen. täglich harre ich dein.“ Geduld ist die Tochter des Glaubens. Wir warten mit Freuden, wenn wir wissen, dass wir nicht vergeblich warten. Unser Glaube soll erprobt werden, und wenn er echt ist, wird er selbst fortgesetzte Prüfungen ertragen können. Wenn wir daran denken, wie geduldig und gnädig Gott einmal auf uns gewartet hat, werden wir so schnell nicht müde, auch auf ihn zu warten!
V. 6 „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte.„ In Zeiten der Anfechtung beschleicht uns leicht die Furcht, dass Gott uns oder zumindest seine Güte vergessen hat. Deshalb meint hier der Beter, er müsse Gott erinnern an alles, was er früher einmal in Liebe getan hat. Es gibt ein unheiliges Misstrauen, das uns Furcht einflößen will. Dagegen müssen wir mit aller Kraft angehen! Wir wollen zufrieden sein, wenn der Herr in der Zukunft so an uns handeln wird, wie er es in der Vergangenheit getan hat. „Die von der Welt her gewesen sind.“ Die genauere Übersetzung lautet: „Von Ewigkeit her.„ David hatte einen festen Glauben an die ewige Liebe Gottes. Liebe und Güte Gottes sind keine neuen Erfindungen. Wenn wir um Erweise seiner Liebe beten, können wir uns auf alle bisher dagewesenen Fälle berufen. Vor Gericht wird ja viel Wert auf Präzedenzfälle gelegt; auch vor dem Thron der Gnade können wir uns darauf berufen! Gerade dem unwandelbaren Gott gegenüber ist es ein äußerst wirksames Argument, wenn wir ihm seine Gnadentaten und ewige Liebe vorhalten.
V. 7 „Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend.“ Die Sünde ist ein schwerer Stein, der unbedingt beseitigt werden muss. Herr, erlasse mir alle meine Sünden, besonders die heißblütigen Torheiten meiner Jugendjahre. Die Übertretungen, an die wir uns in Reue erinnern, will Gott vergessen; aber wenn wir sie leichtfertig vergessen, wird Gott sich an sie erinnern und uns bestrafen. Bei den Sünden junger Menschen drückt die Welt gern ein Auge zu. Trotzdem wiegen sie schwer! Wer in seiner Jugend hemmungslos sündigt, vergiftet sich sein Alter. Wie manche Träne ist bei diesem Wort geweint worden in Erinnerung an die Vergangenheit! „Und meiner Übertretungen.„ Ein anderes Wort für die gleiche Not. Wer ehrlich Buße tut, leiert sein Bekenntnis nicht leichtfertig herunter. Ehrliche Buße zwingt uns manchen Klagelaut ab, denn es sind viele Sünden, die das Gewissen belasten. Die schmerzvolle Erkenntnis einer einzigen Sünde treibt den Gläubigen gleich zur Buße für die ganze Menge seiner bösen Taten, Nichts als eine vollständige und klare Vergebung befriedigt das erwachte Gewissen. David wollte seine Sünden nicht nur vergeben, sondern auch Vergessen haben! „Gedenke aber mein nach deiner Barmherzigkeit um deiner Güte willen!“ David und der Schacher am Kreuz beten das gleiche Gebet. Und beide stützen sich dabei auf die freie und unverdiente Güte Gottes. Wir beten nicht nur darum, dass Gott uns nicht nach den Maßstäben der Gerechtigkeit beurteilt. Vielmehr wagen wir es, darum zu beten, dass Gott nach seiner Barmherzigkeit an uns handeln möge!
2. Meditation (Vers 8-10)
Diese drei Verse sind eine Betrachtung über die Eigenschaften und Handlungen des Herrn. Wer viel betet, sollte sich ab und zu eine Pause gönnen, um sich durch eine geistliche Betrachtung zu erfrischen.
V. 8 „Der Herr ist gut und fromm; darum unterweist er die Sünder auf dem Wege„ (Heuge: Der Herr ist gut und aufrichtig). Hier werden Güte und Aufrichtigkeit im Wesen Gottes in wunderbarem Einklang gesehen. Wer sie in vollkommener Einheit sehen will, muss sich an den Fuß des Kreuzes stellen. Im Opfer Jesu Christi sind Güte und Gerechtigkeit vollkommen vereinigt. In der Versöhnung am Kreuz wirken sowohl die Gerechtigkeit Gottes als auch seine Gnade zum Heil der Sünder zusammen. Gute Menschen bemühen sich gern darum, auch andere zum Guten zu beeinflussen. Genauso will der gute Gott Sünder auf den Weg der Heiligkeit bringen und sie seinem Bild gleichgestalten. Selbstverständlich erwarten wir auf Grund der Güte Gottes, dass er sündige Menschen retten will. Wir können aber nicht von der Güte Gottes her den Rückschluss ziehen, dass er auch die Sünder retten will, die ihre eigenen Wege weiter gehen wollen. Wir vertrauen jedoch darauf, dass er die Herzen der Übertreter erneuern will und sie in den Weg der Heiligkeit hineinführt. Alle, die von ihrer Sünde befreit werden wollen, können sich damit trösten! Gott selbst will herabsteigen, um die Sünder zu unterrichten. Und sein Unterricht ist sehr praktisch.
V. 9 „Er leitet die Elenden recht.“ Demütige Menschen stehen hoch in der Gunst des Vaters Jesu Christi. Er sieht in ihnen das Ebenbild seines demütigen und bescheidenen Sohnes. Solche Menschen wissen, wie sehr sie es nötig haben, geführt zu werden. Sie ordnen ihre Vernunft gern dem Willen Gottes unter, und deshalb will der Herr ihr Führer sein. Sie haben zarte und empfindsame Herzen; ihre Klugheit ist schnell zu Ende, wenn sie in eine ernste Schwierigkeit geraten. Notlagen können sie deshalb auch leicht zu unüberlegten Handlungen treiben. In solchen Augenblicken will ihnen die Gnade zu Hilfe kommen und ihren Geist erleuchten, damit sie unterscheiden können, was das Rechte ist und welchen Weg sie gehen sollen. Die Toren sind zu stolz auf ihre eigene Weisheit, um noch zu lernen. Deshalb verfehlen sie auch den Weg zum Himmel. Die Demütigen aber sitzen zu Jesu Füßen, und sie finden das Tor zur Herrlichkeit, denn: „Die Demütigen wird er unterweisen den rechten Weg.„
V. 10 „Die Wege des Herrn sind eitel Güte und Wahrheit denen, die seinen Bund und seine Zeugnisse halten.“ Dies ist einmal eine Regel ohne Ausnahme! Gott ist gut für die, die gut sind. Gnade und Treue soll bei denen überfließen, die durch Gnade treu geworden sind. Wenn die Gnade uns befähigt, dem Willen des Herrn zu gehorchen, brauchen wir uns auch bei bedrohlichen Ereignissen nicht davor zu fürchten, dass wir einen Verlust erleiden. Gnade soll in jedem sauren Bissen sein, Treue in jedem bitteren Tropfen. Wir wollen uns nicht bekümmern, sondern ruhen im Glauben an den unveränderlichen Bund Gottes. Er ist in allen Dingen gut und absolut zuverlässig. Aber das ist keine allgemeine Wahrheit. Man kann den Bund Gottes nicht missbrauchen. Schweine dürfen diese kostbare Wahrheit nicht in den Schmutz treten. Das Versprechen der Güte und Wahrheit ist eine Perle für das Halsband eines Kindes (Sprüche i, 9). Wahrhaft begnadigte Menschen halten den Bund des Herrn; sie ruhen im Glauben an das vollendete Werk Jesu Christi; sie werden geheiligt durch den Heiligen Geist. Nur solche Menschen merken, wie alle Dinge zu ihrem Besten dienen, aber für die Sünder gilt diese Verheißung natürlich nicht! Wer den Bund hält, wird durch den Bund gehalten; wer die Gebote des Herrn erfüllt, der wird von der Güte des Herrn erfüllt.
3. Gebet (Vers 11)
V. 11 „Um deines Namens willen, Herr, sei gnädig meiner Missetat, die da groß ist!„ Dieses Gebet scheint hier gar nicht am richtigen Platz zu sein. Aber Beten ist immer richtig, zur Zeit oder Unzeit. Durch die Betrachtung des Herrn ist der Psalmist ermuntert worden, und nun geht er wieder an das Werk des Gebets. Er ringt mit Gott um die Vergebung seiner Sünden. „Um deines Namens willen, Herr.“ Hier ist eine Anrufung Gottes, die niemals fehlgeht. Nicht um unsertwillen, um unserer Verdienste willen, sondern allein zur Verherrlichung der Barmherzigkeit, zur Offenbarung der Barmherzigkeit, zur Offenbarung der Herrlichkeit Gottes. „Sei gnädig meiner Missetat.„ Meine Missetat liegt schwer auf mir; nimm sie doch bitte weg. Die Größe meiner Schuld macht dir doch keine Schwierigkeiten, denn du bist ein großer Gott. Ich werde durch meine Sünde so unglücklich, dass du mir schnell verzeihen musst. Einem großen Sünder Vergebung zu schenken, wird dir große Ehre einbringen, deshalb: Um deines Namens willen, Herr, vergib mir. Dieser Vers illustriert die Logik des Glaubens. Glaube sucht nicht Verdienst des Menschen vor Gott, sondern richtet sich auf die Güte des Herrn; anstatt mit der Schuld zu verzweifeln, schaut der Glaube auf das Blut Christi. Und gerade weil der Fall so dringlich ist, betet der Glaube umso intensiver.
4. Meditation (Vers 12-15)
V. 12 „Wer ist der, der den Herrn fürchtet?“ Diese Frage will zur Selbstprüfung führen. Die Vorrechte des Evangeliums können nicht von irgendwelchen Leuten in Anspruch genommen werden. Gehörst du zum königlichen Geschlecht oder nicht? „Er wird ihn unterweisen den besten Weg.„ Wenn das Herz aufrichtig ist, wird die richtige Wegführung auch nicht fehlen. Wenn Gott das Herz heiligt, erleuchtet er auch den Verstand. Wir wählen zwar gern unsere eigenen Wege. Aber wie groß ist Gottes Barmherzigkeit, wenn er diese Wahl überwacht und den freien Willen des Menschen zum guten Willen macht! Wenn unser Wille zum Willen Gottes wird, lässt Gott uns unsern Willen. Gott vergewaltigt uns nicht, sondern lässt uns die freie Wahl. Zugleich aber unterweist er unsern Willen, und deshalb wählen wir das, was ihm wohlgefällt. Das Gesetz Gottes sollte unsern Willen beherrschen und leiten, so dass wir genau wüssten, welcher Weg zu wählen ist. Aber wir sind so unwissend, dass wir trotzdem unterrichtet werden müssen! Wir sind so eigenwillig, dass nichts außer Gott selbst uns wirklich unterweisen kann!
V. 13 Wer Gott fürchtet, hat nichts anderes zu fürchten. „Seine Seele wird im Guten wohnen.“ Schon auf dieser Erde wohnt der Gläubige „im Guten„, weil er beides gelernt hat: Überfluss haben und Mangel leiden. Nicht Überfluss, sondern innerste Zufriedenheit vermittelt innere Ruhe. Und eine noch viel tiefere Ruhe erwartet den Gläubigen, wenn er diese irdische Zeit hinter sich lässt. Wie ein Soldat, für den alle Kämpfe vorüber sind, wie ein Bauer, der seine Scheunen gefüllt hat so soll der Gläubige in die Ruhe zu seinem Herrn eingehen und für immer fröhlich sein! „Sein Same wird das Land besitzen.“ Gott erinnert sich an Isaak um Abrahams willen, und er denkt an Jakob um Isaaks willen. Die Söhne frommer Eltern beginnen ihren Lebensweg mit guten Voraussetzungen. Aber wieviele haben den Segen des Vaters in einen Fluch verwandelt! Die Verheißung wird jedoch nicht ungültig gemacht, weil einige Menschen in einigen Fällen sie nicht annehmen wollen. Gerade in unserer Zeit ist der geistliche Gehalt dieses Verses wahr. Unser geistlicher Same ist der Erbe all dessen, was mit „Land„ gemeint ist. Er empfängt den Segen des Neuen Bundes. Der Herr schenke uns noch viel geistliche Söhne und Töchter! Wir brauchen uns über ihr Leben keine Sorgen zu machen. Der Herr wird jeden von ihnen zu königlichen Ehren erheben.
V. 14 „Das Geheimnis des Herrn ist unter denen, die ihn fürchten.“ Einige übersetzen: „Die Freundschaft . . .„ Das Wort bezeichnet die familiäre Beziehung, den vertrauensvollen Umgang und die enge Gemeinschaft. Das ist ein großes Geheimnis. Irdisch gesinnte Menschen ahnen überhaupt nicht, was damit gemeint ist, und selbst Gläubige können dieses Geheimnis nicht in Worten ausdrücken. Man muss es erleben, um es zu kennen. Weder menschliche Weisheit noch eigene Anstrengung können die Tür zu dieser innersten Kammer aufbrechen. Nur die Heiligen haben den Schlüssel zu der Geheimschrift Gottes; nur sie können die himmlischen Rätsel lösen. Und sie haben Worte gehört, die sie nicht wiedergeben können! „Und seinen Bund lässt er sie wissen.“ Sie sollen die Gerechtigkeit, Fülle, Gnade und Herrlichkeit des Bundes kennenlernen. Sie sollen sogar daran teilhaben. Der Heilige Geist bestätigt es in ihren Herzen. Gott zeigt den Gläubigen in der Bibel, welche Ratschlüsse der Liebe im Bund der Gnade liegen. Sein Geist führt uns in diese Geheimnisse ein, sogar in das verborgene Geheimnis der Erlösung. Wer die Bedeutung dieses Verses nicht innerlich selbst erfasst, wird sie auch nie durch eine Auslegung verstehen können. Das Geheimnis liegt im Kreuz Jesu Christi!
V. 15 „Meine Augen sehen stets zu dem Herrn.„ David blickt in festem Vertrauen und erwartungsvoller Hoffnung auf den Herrn. Diesem Blick des Glaubens und der Hoffnung können wir noch mehr hinzufügen: den gehorsamen Blick des Dienstes, den demütigen Blick der Verehrung, den staunenden Blick der Bewunderung, den eifrigen Blick der Meditation und den herzlichen Blick der Liebe. Glücklich sind die Menschen, die ihren Blick niemals von ihrem Gott abwenden! Salomo sagt: „Das Auge sieht sich nimmer satt.“ Aber dieser Blick auf den Herrn befriedigt vollkommen! „Denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen.„ Beachte, in welch widerspruchsvolle Situation ein begnadigter Mensch geraten kann: Seine Augen sind im Himmel und seine Füße im Netz. Sein Herz hört nicht auf, die Herrlichkeit Gottes anzuschauen, während er doch sonst im Elend dieser Welt steckt. Ein Netz ist das Bild für Versuchung. Oft bewahrt uns der Herr davor, ins Netz zu fallen. Aber wenn wir hineingefallen sind, rettet er uns. Das englische Wort „pluck = herausreißen“ ist ein starkes Wort; Gläubige, die in Sünde gefallen sind, haben erfahren, dass die Rettung nicht immer angenehm ist! Der Herr reißt uns manchmal mit ziemlich hartem Griff heraus. Wir sollen einmal merken, was für eine bittere Sache die Sünde ist. Aber darin liegt auch große Barmherzigkeit, für die wir dankbar sein sollten. Der Herr will uns von den heimtückischen Anschlägen unseres grausamen Feindes befreien. Wenn wir auch durch unsere Schwachheit in die Sünde geraten sind, will er uns doch nicht dem Untergang überlassen. Er reißt uns aus der gefährlichen Lage heraus. Vielleicht sind unsere Füße im Netz; aber wenn unsere Augen auf Gott gerichtet sind, wird seine Gnade uns ganz bestimmt retten.
5. Gebet (Vers 16-22)
V. 16 Davids Augen waren auf Gott gerichtet. Aber nun fürchtet er, dass der Herr sein Angesicht im Zorn von ihm abgewendet hat. Oft flüstert uns der Unglaube ein, dass Gott uns den Rücken zukehrt. Aber wenn wir uns zu Gott wenden, brauchen wir niemals zu fürchten, dass er sich von uns abwendet! Wir dürfen kühn rufen: „Wende dich zu mir!„ Die Ursache eines Zweifels liegt immer in uns selbst. Wenn sie beseitigt ist, kann nichts mehr unsere Freude an der vollkommenen Gemeinschaft mit Gott stören. „Und sei mir gnädig.“ Auch die Heiligen brauchen immer wieder Gnade. Trotz all ihrer Erfahrung kommen sie nie über das Gebet des Zöllners hinaus: „Herr, sei mir Sünder gnädig.„ „Denn ich bin einsam und elend.“ David fühlte sich einsam und bedrückt. Jesus war in seinem Erdenleben in genau derselben Situation; niemand konnte die großen Tiefen seiner Leiden miterleben. Aber deshalb kann er heute alle die wunderbar trösten, die diesen einsamen, schweren Weg gehen müssen.
V. 17 „Die Angst meines Herzens ist groß„ (Elberfelder: Die Ängste meines Herzens haben sich vermehrt). Es ist in diesem Fall so, als würde das Herz des Psalmisten mit Kummer überschwemmt, wie ein See von einer ungeheuren Wassermenge anschwillt und über die Ufer tritt. David benutzt diese Tatsache als Argument dafür, dass seine Rettung äußerst dringend ist. Wenn die dunkelste Stunde der Nacht da ist, erwarten wir die Morgendämmerung. Und wenn unsere Leiden den Höhepunkt erreicht haben, dürfen wir hoffnungsvoll beten: „Führe mich aus allen meinen Nöten!“
V. 18 „Sieh an meinen Jammer und mein Elend.„ Beachte die mannigfachen Prüfungen, die über die Gläubigen kommen können. Wir haben hier sechs verschiedene Ausdrücke dafür: einsam und elend, Angst und Not, Jammer und Elend. Beachte aber auch die demütige und gläubige Gesinnung des wahren Gläubigen; alles, um was er bittet, ist: „Herr, siehe an!“ Er diktiert Gott nichts und beschwert sich nicht bei ihm. Ein Blick Gottes genügt ihm. Mehr will er nicht. Aber noch bemerkenswerter ist, wie der Gläubige die wahre Quelle seines ganzen Unglücks entdeckt und die Axt an die Wurzel legt: „Vergib mir alle meine Sünden!„ Das ist der Schrei eines Herzens, das mehr durch die Sünde krank ist als durch irgend einen anderen Schmerz. Es möchte eher Vergebung haben, als von irgend einer anderen Not befreit werden. Gesegnet ist der Mensch, dem Sünde unerträglicher ist als Krankheit! Es wird nicht lange dauern, bis der Herr ihm beides schenkt: Vergebung seiner Schuld und Heilung seiner Leiden.
V. 19 „Sieh an meine Feinde.“ Beobachte sie, prüfe sie, halte sie im Zaum, besiege sie. „Es sind ihrer sehr viel„ (nach dem engl. Text). Man müsste Argusaugen haben, um sie beobachten zu können. Man müsste die Kraft eines Herkules haben, um mit ihnen kämpfen zu können. Aber dem Herrn ist es ein Leichtes, sie zu besiegen. Die Teufel der Hölle und alle Bösen der Welt sind ohnmächtig, wenn sich der Herr zum Streit rüstet. „Sie hassen mich aus Frevel.“ Kein Hass ist so grausam wie der grundlose und ungerechte! „Sieh, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe.„
V. 20 „Bewahre meine Seele“ vor dem Bösen, „und er-, rette mich„ wenn ich mich in Sünden verstricke. Es ist dies eine andere Form der Bitte aus dem Vaterunser: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.“ „Lass mich nicht zu Schanden werden.„ Dies ist die große Furcht, die den Psalmisten wie ein Gespenst verfolgt. Er zittert davor, dass sein Glaube schließlich doch zum Gespött wird, weil seine Trübsal so gewaltig ist. Edle Herzen können alles verwinden, nur nicht die Schande. „Denn ich traue auf dich.“ Der Name Gottes würde entehrt; wenn seine Knechte der Verzweiflung überlassen würden. Das kann der Gläubige aber niemals dulden!
V. 21 „Schlecht und Recht, das behüte mich„ (Elberfelder: Lauterkeit und Geradheit mögen mich behüten). Kann man bessere und praktischere Wachen verlangen? Wenn wir mit solchen Führern nicht vorwärtskommen, dann ist es besser, Feindschaft und Unglück zu ertragen. Selbst die gottlose Welt gesteht: „Ehrlich währt am längsten.“ Aber der Himmelsbürger sichert sich doppelt, einmal durch die Lauterkeit seines öffentlichen Wandels, dann durch das Gebet um den Beistand Gottes: „Täglich harre ich dein„ (engl. Text). Harren auf Gott ohne Heiligung des Lebens ist religiöse Heuchelei; und Vertrauen auf die eigene Ehrlichkeit ohne Anrufung Gottes ist vermessene Gottesleugnung.
V. 22 „Gott, erlöse Israel aus aller seiner Not.“ Das ist ein sehr umfassendes Gebet. Es schließt alle Treuen und ihre Prüfungen ein. Eigenes Leid lehrte den Psalmisten Mitleid. Es führte ihn in die Gemeinschaft mit dem angefochtenen Volk Gottes. Deshalb betet er für sie alle. Israel, der geprüfte, kämpfende und siegende Held, ist ein treffendes Bild für alle Heiligen. Israel, das Volk in Ägypten, in der Wüste, im Krieg mit den Kanaanitern, in Gefangenschaft, ist ein treffendes Bild für die kämpfende Gemeinde auf Erden. Jesus erlöst uns von allen Kümmernissen und Sünden. Er ist der vollkommene Erlöser, und deshalb wird er jeden Gläubigen von allen Übeln befreien. Die Erlösung durch das Blut ist vollbracht: O Herr, jetzt erlöse uns durch deine Macht!