Spurgeon, Charles Haddon - Nach der Verheißung - Die Trennung.
„Aber was spricht die Schrift? Stoß die Magd hinaus mit ihrem Sohne; denn der Magd Sohn soll nicht erben mit dem Sohne der Freien.“ Gal. 4, 30.
Isaak und Ismael lebten eine Zeitlang zusammen. Der, welcher eine selbstgemachte Religion hat, und der, welcher an die Verheißung glaubt, können jahrelang Mitglieder derselben Gemeinde sein, aber sie stimmen nicht mit einander überein und können nicht glücklich zusammen leben, denn ihre Grundsätze sind sich im wesentlichen entgegengesetzt. In dem Maße, wie der Gläubige in der Gnade wächst und in das geistliche Mannesalter eintritt, wird er dem, der auf seine eignen Werke baut, immer unangenehmer werden, und zuletzt wird man sehen, dass die zwei keine Gemeinschaft mit einander haben. Sie müssen sich trennen, und das Wort, das an dem Ismaeliten in Erfüllung gehen wird, lautet: „Stoß die Magd hinaus mit ihrem Sohne; denn dieser Magd Sohn soll nicht erben mit meinem Sohne, mit Isaak.“ Schmerzlich, wie die Trennung sein mag, ist sie doch dem göttlichen Willen und der Notwendigkeit gemäß. Öl und Wasser lassen sich nicht mischen, und ebenso wenig stimmt die Religion des natürlichen Menschen mit derjenigen überein, die von der Verheißung geboren und von der Verheißung getragen wird. Ihre Trennung ist nur die äußere Folge einer ernsthaften Verschiedenheit, die immer bestand.
Ismael wurde fortgesandt, aber er hörte bald auf, dies zu bedauern; denn er fand größere Freiheit bei den wilden Stämmen des Landes, unter denen er bald ein großer Mann wurde. Es gelang ihm vieles, und er wurde der Vater von Fürsten. Er war so recht eigentlich in seinem Element in der weiten Welt; da genoss er Ehre und gewann einen Namen unter ihren Großen. Häufig ist es der Fall, dass der fleischlich Religiöse viele treffliche Gewohnheiten und Sitten hat; und da er zu glänzen wünscht, begibt er sich in die Gesellschaft, wird gewürdigt und erlangt Ruhm. Die Welt wird sicherlich das Ihre lieben. Ein religiöser Mann, der empor zu kommen strebt, verlässt gewöhnlich seine alten Freunde und erklärt offen: „Ich habe die altmodische Religion aufgegeben. Die Heiligen waren gut genug, solange ich arm war, aber nun ich Vermögen erlangt habe, muss ich mich unter Leuten von feinem Ton bewegen.“ Er tut dies und hat seinen Lohn. Ismael hatte seinen Teil in diesem Leben, und drückte nie den Wunsch aus, an dem himmlischen Bunde und seinen geheimnisvollen Segnungen Anteil zu haben. Wenn mein Leser sich freier und heimischer in weltlicher Gesellschaft, als in der Gemeinde Gottes fühlt, so kann er sicher sein, dass er zur Welt gehört und möge sich nicht täuschen. Wie sein Herz ist, so ist er. Keine erzwungene Arbeit, sei deren auch noch so viel, kann Ismael in Isaak, oder einen Weltmenschen in einen Himmelserben umwandeln.
Äußerlich und in diesem gegenwärtigen Leben schien der Erbe der Verheißung nicht den besten Teil erwählt zu haben. Und dies sollte in der Tat auch gar nicht erwartet werden, da die, welche ihr Erbteil in der Zukunft wählen, sich in Wirklichkeit damit einverstanden erklären, in der Gegenwart Prüfungen zu erdulden.
Isaak erfuhr gewisse Trübsale, die Ismael nie kennen lernte er wurde verspottet und wurde zuletzt auf den Altar gelegt; aber nichts Derartiges betraf den Ismael. Ihr, die ihr wie Isaak Kinder der Verheißung seid, müsst nicht diejenigen beneiden, welche die Erben des gegenwärtigen Lebens sind, obgleich ihr Los leichter scheint als das eure. Ihr werdet in Versuchung sein, dies zu tun; wie der Psalmist es war, als es ihn verdross, dass es den Gottlosen so wohl ging. In diesem Ärger liegt ein gewisses Abweichen von unsrer Wahl geistlicher Dinge: sind wir nicht damit einverstanden gewesen, unsern Teil lieber in der Zukunft als in der Gegenwart zu haben? Reut uns der Handel? Überdies, wie abgeschmackt ist es, die zu beneiden, die so sehr zu bemitleiden sind! Die Verheißung verlieren, das heißt in der Tat alles verlieren; und die Selbstgerechten haben es verloren. Diese weltlichen Namenschristen haben weder geistliches Licht noch Leben, und sie wünschen auch gar keins. Welch einen Nachteil, im Dunkeln zu sitzen und es nicht einmal zu wissen! Sie haben Religion genug, um von Menschen respektiert und von ihrem eignen Gewissen nicht beunruhigt zu werden; aber das ist ein trauriger Gewinn, wenn sie vor den Augen Gottes gräuelhaft sind. Sie fühlen kein inneres Kämpfen und Ringen; sie kennen keinen Streit des alten Menschen mit dem neuen; und so gehen sie durch die Welt mit heiterer Miene und wissen von nichts, bis ihr Ende kommt. Was für ein Elend, so betört zu sein! Drum sage ich's noch einmal, beneidet sie nicht. Weit besser ist das Leben Isaaks mit seinem Opfer, als das Ismaels mit seiner Herrschermacht und wilden Freiheit; denn alle Größe des Weltmenschen wird bald ein Ende nehmen und nichts zurücklassen als das, was die ewige Welt um so elender machen wird.
Wähnt aber nicht, dass die Gläubigen unglücklich sind. Wenn wir nur für dieses Leben Hoffnung hätten, so würden wir in der Tat elend sein; aber die Verheißung erleuchtet unsre ganze Laufbahn und macht uns wahrhaft gesegnet. Das Wohlgefallen Gottes, das wir im Glauben sehen, gibt uns Freude die Fülle. Stellt das Leben des Gläubigen so ungünstig wie möglich dar, malt es in den dunkelsten Farben, nehmt nicht nur das Angenehme, sondern auch das Notwendige daraus hinweg, und selbst dann ist der Christ, wenn es ihm am schlimmsten geht, besser daran als der Weltmensch, wenn's ihm am besten geht. Lasst Ismael die ganze Welt haben: ja, gebt ihm so viele Welten, als Sterne am Mitternachtshimmel stehen, und wir wollen ihn nicht beneiden. An uns ist es, unser Kreuz auf uns zu nehmen und Fremdlinge und Pilgrime mit Gott in diesem Lande zu sein, wie alle unsre Väter es waren; denn obwohl die Verheißung andren weit entfernt scheinen mag, so wird sie uns doch durch den Glauben zur Wirklichkeit, die wir ergreifen und in der wir einen Himmel schon hienieden finden. Wir bleiben bei Gott und bei seinem Volk, und halten unser Los für viel besser, als das der größten und geehrtesten Kinder dieser Welt. Die Aussicht auf unsres Herrn zweite Zukunft und unsre eigne ewige Herrlichkeit in Gemeinschaft mit Ihm genügt, uns mit Zufriedenheit zu erfüllen, während wir auf seine Erscheinung warten.
Diese Verschiedenheit auf Erden wird zu einer traurigen Scheidung im Tode führen. Das Kind der Magd muss in der Ewigkeit ebenso ausgestoßen werden, wie in der Zeit. Keiner kann in den Himmel kommen, der ihn durch sein eigenes Tun beansprucht, oder prahlt, dass er ihn durch seine eigne Kraft gewonnen habe. Die Seligkeit ist für diejenigen aufbehalten, die durch die Gnade errettet sind, und keiner, der auf sich selbst vertraut, kann in sie eingehen. Wie schrecklich wird es sein, wenn die, welche sich bemühten, ihre eigne Gerechtigkeit aufzurichten und sich nicht der Gerechtigkeit Christi unterwerfen wollten, hinaus getrieben werden! Wie werden sie jene Geringen beneiden, die gern die Vergebung durch das Blut Jesu annahmen! Wie werden sie ihre Torheit und Gottlosigkeit erkennen, dass sie die Gabe Gottes verachtet haben, indem sie ihre eigne Gerechtigkeit der des Sohnes Gottes vorzogen!
Ebenso wie die Personen, die Ismael und Isaak uns darstellen, schließlich geschieden werden, müssen auch die Grundlehren, die sie vertreten, nie vermischt werden, denn sie lassen sich auf keine Weise vereinbaren. Wir können nicht zum Teil durch uns selbst und zum Teil durch die Verheißung Gottes errettet werden. Die Lehre und die Vorstellung, dass wir das Heil zu verdienen imstande seien, müssen aus der Seele ausgetrieben werden. In jedem Maße und in jeder Form müssen sie „hinausgestoßen“ werden. Wenn wir so unweise sind, unser Vertrauen teilweise auf die Gnade und teilweise auf unser Verdienst zu sehen, so stehen wir mit einem Fuße auf dem Felsen und mit dem andern auf dem Meer, und unser Fall ist gewiss. Es kann keine Teilung des Werkes oder des Ruhmes der Errettung geben. Sie muss ganz aus Gnaden oder ganz aus Werken, ganz von Gott oder ganz von dem Menschen sein; aber sie kann nicht halb das eine und halb das andre sein. Höre auf mit dem vergeblichen Versuch, zwei Grundlehren zu vereinen, die einander so entgegengesetzt sind wie Feuer und Wasser. Die Verheißung, und die Verheißung allein, muss die Grundlage unsrer Hoffnung sein, und alle gesetzlichen Vorstellungen müssen strenge beiseite geschoben werden als unvereinbar mit der Errettung aus Gnaden. Wir dürfen nicht im Geiste beginnen und hoffen, im Fleisch zu vollenden.
Unsere Religion muss ganz aus einem Stück sein. Gemischten Samen zu säen oder ein Kleid aus Leinen und Wolle gemischt zu tragen, war dem alten Volke Gottes verboten, und uns ist es nicht gestattet, Barmherzigkeit und Verdienst, Gnade und Verpflichtung zu vermischen. Wenn je die Vorstellung der Errettung durch Verdienst oder Gefühle oder Zeremonien sich eindrängt, so müssen wir sie ohne Verzug hinauswerfen, wenn sie uns auch so lieb ist, wie Ismael dem Abraham war. Glaube ist nicht Schauen; Geist ist nicht Fleisch, Gnade ist nicht Verdienst; und wir dürfen nie diesen Unterschied vergessen, sonst fallen wir in schweren Irrtum, und gehen des Erbteils verlustig, der nur den Erben nach der Verheißung gehört.
Hier ist unser Glaubensbekenntnis: „Doch, weil wir wissen, dass der Mensch durch des Gesetzes Werke nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesum Christum, so glauben wir auch an Christum Jesum, auf dass wir gerecht werden durch den Glauben an Christum, und nicht durch des Gesetzes Werke; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Fleisch gerecht.“ Gal. 2, 16.
Hier ist auch die klare Unterscheidungslinie betreffs der Art unsrer Errettung, und wir wünschen, sie klar und deutlich zu halten: Also geht es auch jetzt zu dieser Zeit mit diesen Übergebliebenen nach der Wahl der Gnaden. Ist es aber aus Gnaden, so ist es nicht aus Verdienst der Werke; sonst würde Gnade nicht Gnade sein. Ist es aber aus Verdienst der Werke, so ist die Gnade nichts; sonst wäre Verdienst nicht Verdienst.“ Röm. 11,5.6. Leser, siehst du dies ein?