Spurgeon, Charles Haddon - Kennzeichen des Glaubens
„Und Jesus sprach zu ihm, wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht.“
(Joh. 4, 48)
Ihr erinnert euch, dass Lukas in seinem Brief an Theophilus von alledem sprach, das Jesus anfing, beides, zu tun und zu lehren (Apg. 1, 1), wie wenn zwischen seinen Taten und seinen Lehren ein inniger Zusammenhang wäre. Und in der Tat, es war eine solche Beziehung der innigsten Art. Seine Lehren waren die Erklärung seiner Taten, - sein Tun die Bekräftigung seiner Lehren. Der Herr Jesus hatte nie Anlass zu sagen: „Tut nach meine Worten, und nicht nach meine Werken.“ Seine Worte und seine Handlungen waren in vollkommenster Übereinstimmung miteinander. Ihr hättet überzeugt sein müssen, dass er aufrichtig war in dem, was er sprach, weil das, was er tat, diese Überzeugung eurem Geiste aufzwang. Überdies hättet ihr sehen müssen, dass, was er euch lehrte, wahr sein müsse, weil er mit einem durch Zeichen und Wunder beglaubigten Ansehen sprachen. O teure Brüder in Christus! wenn einst eure Lebensbeschreibungen aufgezeichnet werden soll, so möge Gott verhüten, dass sie nicht nur Redensarten enthalten, sondern eine Geschichte eurer Reden und Taten! Und möge der gute Geist so in euch wohnen, dass es sich zuletzt zeigt, wie eure Taten nicht eueren Worten widersprachen! Etwas anders ists, zu lehren, und wieder etwas anders, zu handeln, Wenn nicht Lehre und Wandel Hand in Hand gehen, so ist der Prediger selbst verdammt, und sein böser Wandel bringt vielleicht durch sein Irreleiten viele zur Verdammnis. Wenn ihr euch als Diener Gottes bekennt, so lebt nach diesem Bekenntnis, und wenn euch Ermahnung zur Tugend nötig scheint, so sorgt, dass ihr ein gutes Beispiel gebt. Ihr könnt kein Recht ansprechen zum Lehren, wenn ihr die Aufgabe nicht selber gelernt habt, die ihr andere lehren wollt.
So viel zur Einleitung; gehen wir nun zum Gegenstand selbst über. Die vorliegende Erzählung scheint mir dreierlei anzudeuten, und jeder der drei Punkte enthält ein Dreifaches. Ich will aus dieser Erzählung zuerst zeigen: drei Stufen des Glaubens, zweitens: drei Missstände des Glaubens; und drittens will ich euch drei Fragen über euren Glauben vorlegen.
I. Wir beginnen mit dem ersten Punkt. Mir scheint, es liegt hier vor uns der Glaube in drei Stufen.
Ohne Zweifel könnte die Geschichte des Glaubens ganz passend eben so gut in fünf oder sechs verschiedene Stufen des Wachstums abgeteilt werden; aber unsre Erzählung deutet eine dreifache Einteilung an, und so bleiben wir für heute dabei.
Es lebt ein dem König Unterstehender in Kapernaum; er hört ein Gerücht, dass ein berühmter Prophet beständig die Städte Galiläas und Judäas durchziehe, und es wird ihm zu verstehen gegeben, dass dieser gewaltige Prediger nicht nur jeden Zuhörer durch seine Beredsamkeit erschüttert, sondern die Herzen der Menschen durch ganz besondere Wunder gewinnt, die er zur Bekräftigung seiner Sendung wirkt. Er bewegt diese Dinge in seinem Herzen, denkt aber kaum daran, dass sie ihm je nützlich werden könnten. Da geschieht es eines Tages, dass sein Sohn erkrankt, - vielleicht sein einziger Sohn, der seinem Vater sehr ans Herz gewachsen ist, - die Krankheit, statt nachzulassen, nimmt immer zu. Das Fieber haucht seinen heißen Atem auf das Kind, und scheint alle Kraft seines Körpers aufzuzehren, die Rosen seiner Wangen verwelken. Der Vater sucht bei allen Ärzten, die er auftreiben kann, Hilfe; sie betrachten das Kind und erklären es geradezu für hoffnungslos. Es ist gar keine Hilfe mehr möglich. Das Kind ist am Sterben; der Pfeil des Todes ist schon in sein Fleisch versenkt; er hat es fast ins Herz getroffen; es ist nicht bloß dem Tode nahe, es liegt wirklich im Sterben; es ist vom Stachel der gefiederten Pfeile des unersättlichen Bogenschützen überwunden worden. Jetzt besinnt sich der Vater und ruft sich die Geschichten, die er von den Heilungen des Jesus von Nazareth gehört hat, ins Gedächtnis zurück. Es ist ein klein wenig Glauben in seiner Seele; und obgleich so wenig, ists doch genug, um ihn zu veranlassen, die Wahrheit dessen, was er hörte, mit aller Macht sich anzueignen. Der Herr Jesus ist wieder nach Kana gekommen; er ist etwa vier oder fünf Meilen entfernt. Der Vater reist schleunig dahin ab; er kommt an den Ort, wo Jesus ist: sein Glaube ist zu einer solchen Höhe gestiegen, dass sobald er den Meister sieht, er anfängt zurufen: „Herr komm hinab, ehe denn mein Kind stirbt.“ Der Meister, anstatt ihm eine Antwort zu geben, die ihn beruhigen könnte, schilt ihn um seines Kleinglaubens willen, und spricht zu ihm: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht.“ Der Mann aber achtet des Vorwurfs nicht, denn ein Verlangen hat alle Kräfte seiner Seele in Anspruch genommen. Sein Gemüt ist so von dieser einen Sorge überwältigt, dass er alles Andere nichts achtet. „Herr,“ spricht er, „komm herab, ehe denn mein Kind stirbt.“ Sein Glaube ist nun auf einer solchen Stufe angelangt, dass er betend anhält, und den Herrn bestürmt, zu kommen und seinen Sohn zu heilen. Der Meister schaut ihn an mit einem Blick voll unaussprechlichen Wohlwollens und spricht zu ihm: „Gehe hin, dein Sohn lebet.“ Der Vater geht hin, hocherfreut, eilig, verlangend, im Vertrauen auf das Wort, das ihm der Herr gesagt hatte; und doch hat er noch keinen Beweis für die Erfüllung dieses Worts. Er ist nun auf der zweiten Stufe des Glaubens angelangt; er ist aus dem Zustand des Suchens in den des unbedingten Vertrauens eingetreten. Nun bittet und fleht er nicht mehr um etwas, was er noch nicht hat; er traut und glaubt, dass das Verlangte ihm gewährt ist, obgleich er das Geschenk noch nicht gewahr geworden. Auf seinem Heimwege begegnen ihm seine Diener in freudiger Hast; sie sagen: „Herr, dein Sohn lebet.“ Er erkundigt sich sogleich, zu welcher Stunde ihn das Fieber verließ. Es wird ihm zur Antwort, - um die siebente Stunde ließ das Fieber nach; noch mehr, da hörte es auf. Nun gelangt er zur dritten Stufe. Er geht heim; er sieht sein Kind vollständig genesen. Das Kind hüpft in seine Arme, bedeckt ihn mit Küssen; und wenn er es oft und öfter auf die Arme gehoben hat, um sich zu überzeugen, dass es wirklich der Kleine sei, der so matt und bleich und krank war, da frohlockt er in noch höherer Weise. Sein Glaube hat sich vom Vertrauen erhoben zur völligen Zuversicht; und nun glaubte mit ihm auch sein ganzes Haus.
Ich habe euch gerade deswegen diese Umrisse der Erzählung vorgeführt, damit ihr daran die drei Stufen des Glaubens erkennt. Wir wollen nun eine jede derselben genauer betrachten.
Wenn der Glaube in der Seele Wurzel fast, so ist er nur ein Senfkorn. Gottes Kinder werden nicht als Riesen geboren. Zuerst sind sie Säuglinge; und wie sie Kindlein sind in der Gnade, so sind auch ihre Gnadenerfahrungen gleichsam noch in der Kindheit. Der Glaube ist wie ein kleines Kind, wenn ihn Gott zuerst verleiht; oder um ein anderes Bild zu gebrauchen, er ist kein Feuer, sondern ein Funke, ein Funke, der zu erlöschen scheint, der aber nichtsdestoweniger angefacht und lebendig erhalten wird, bis er in hellen Flammen ausbricht, ja bis er zur fürchterlichen Glut des feurigen Ofens Nebukadnezars entbrennt. Als der bedauernswerte Mann in unserer Erzählung Glauben fasste, besaß er ihn in sehr geringem Grade. Es war suchender Glaube. Das ist die erste Glaubensstufe. Beachtet nun wohl, dass dieser suchende Glaube ihn zur Tätigkeit anspornte. Sobald Gott einem Menschen den suchenden Glauben verleiht, ist er nicht mehr sorglos in religiösen Dingen; er schlägt nicht seine Arme in einander, wie der gottlose Antinomer, und ruft: „Wenn ich selig werden soll, so werde ich selig, und will nichts tun; ist mir aber Verdammnis zugedacht, so werde ich verdammt.“ Er ist nicht sorglos und gleichgültig wie früher, als ob es einerlei wäre, ins Haus Gottes zu gehen oder nicht. Er hat suchenden, verlangenden Glauben erlangt, und dieser Glaube treibt ihn, die Gnadenmittel zu gebrauchen, muntert ihn auf, im Worte Gottes zu forschen, führt ihn zur fleißigen Anwendung der zum Heil seiner Seele verordneten Mittel. Hier könnt ihr etwas lernen; was tut es auch, wenn man eine Meile weit gehen muss, der verlangende Glaube verleiht dem Fuße Flügel. Hier ist eine Versammlung, wo Gott Seelen segnet; wenn dann der Mensch hereinkommt, muss er wahrscheinlich in der dicht gedrängten Menge stehen bleiben; aber was hat das zu sagen, der suchende Glaube gibt ihm Kraft, in dieser ermüdenden Stellung auszuharren, denn, sagt er, „Wenn ich nur das Wort Gottes hören kann.“ Sieh, wie er sich vorbeugt, damit ihm auch nicht eine Silbe entgehe, denn: „Vielleicht,“ spricht er, „ist gerade der Satz, den ich verlöre, das, was ich nötig habe.“ Wir sehr ist ihm daran gelegen, dass er nicht nur einige Mal ins Haus Gottes komme, sondern so oft als möglich. Er wird einer der eifrigsten Zuhörer, einer der ernstesten Menschen, welche die Stätte der Anbetung besuchen. Der suchende Glaube treibt einen Menschen zum Handeln.
Ja noch mehr, der suchende Glaube, obgleich noch in manchen Dingen schwach, gibt einem Menschen große Gebetskraft. Wie ernst war es jenem Königischen - „Herr, komm herab, ehe denn mein Kind stirbt.“ O, wenn der suchende Glaube in der Seele einkehrt, dann treibt er einen Menschen ins Gebet. Er begnügt sich nun nicht damit, Morgens beim Aufstehen ein paar Worte herzusagen, und dann Abends schlaftrunken die nämliche Leier zu wieder holen, wenn er zu Bette geht; sondern er geht beiseite, er stiehlt eine Viertelstunde seinem Geschäft ab, wenns ihm möglich ist, damit er zu Gott rufen könne. Noch hat er jenen Glauben nicht, durch den er sprechen kann: „Meine Sünden sind mir vergeben;“ aber er hat Glauben genug, um zu wissen, dass ihm Christus seine Sünden vergeben kann, und er verlangt nur zur Überzeugung zu gelangen, dass Jehova seine Sünden wirklich hinter sich geworfen habe. Zuweilen hat dieser Mensch keine Gelegenheit zum Gebet, aber der suchende Glaube betet in einer Dachkammer, auf einem Heuboden, in einer Sandgrube, hinter einem Zaun oder unterwegs auf der Straße. Der Satan mag tausend Hindernisse in den Weg legen, aber dennoch treibt der suchende Glaube einen Menschen, an der Gnadenpforte anzuklopfen. Dieser Glaube, den ihr empfangen habt, gibt euch noch keinen Frieden, er bringt euch noch nicht dahin, wo kein Verdammen mehr ist; aber dennoch ists ein solcher Glaube, dass wenn er wächst, es dazu kommt. Er muss nur genährt, gepflegt, geübt werden, so wird der geringe mächtig, der suchende Glaube erhebt sich zu einer höheren Entwicklungsstufe, und ihr, die ihr an der Gnadenpforte angeklopft habt, werdet eingehen und am Tische des Herrn Jesu willkommen sein.
Ich möchte euch ferner aufmerksam machen, dass der suchende Glaube jenen Mann nicht nur zum ernstlichen, sondern zum dringlichen Gebete trieb. Er hat einmal, und die einzige Antwort, die ihm wurde, war scheinbar ein Vorwurf. Er wandte sich nicht beleidigt weg und sprach: „Er macht mir Vorwürfe.“ Nein. Er spricht: „Herr, komm herab, ehe denn mein Kind stirbt.“ Ich kann euch nicht sagen, wie er es aussprach, aber ich zweifle nicht daran, dass es in herzbeweglichen Ausdrücken geschah, mit Tränen in den Augen, mit gefalteten Händen in der Stellung eines Flehenden. Er schien zu sagen. „Ich lasse dich nicht gehen, du kommest denn und errettest mein Kind. Ach, komm doch. Was soll ich nur sagen, um dich zu bewegen? Eines Vaters Liebe sein meine Beste Fürsprachen; und wenn meine Zunge nicht beredt genug ist, so lass die Tränen meiner Augen gelten statt meiner Lippen Rede. Komm herab, ehe denn mein Kind stirbt!“ Ach, wie mächtig sind doch die Bitten und Worte, welche der suchende Glaube einem Menschen in den Mund legt! Ich habe Heilsbegierige mit Gott ringen hören, wie einst Jakob an der Furt Gabok. Ich habe gesehen, wie der Sünder unter dem Druck seiner Seele die Türpfosten der Gnadenpforte gleichsam zu ergreifen und hin- und herzuwiegen schien, als würde er sie eher aus ihren tiefen Fundamenten reißen, als dass er ohne Eingang gefunden zu haben heimginge. Ich habe ihn gesehen ziehen und zerren, sich abmähen und kämpfen und ringen, und das Alles lieber, als nicht ins Himmelreich zu kommen; denn er wusste, dass das Himmelreich Gewalt leidet, und dass, die Gewalt tun, es an sich reißen. (Mat. 11, 12) Was Wunder, dass ihr gar keinen Frieden findet, wenn ihr eure kalten Gebete vor Gott bringt? Erhitzt sie bis zum Rotglühen im Feuerofen des Verlangens, sonst aber denkt nicht, dass sie gen Himmel auflodern. Ihr, die ihr in der kalten Form der Rechtgläubigkeit sprecht: „Gott sei mir Sünder gnädig,“ ihr werdet nie Gnade finden. Es ist der Mensch, der in der heißen Bangigkeit einer im innersten Herzen empfundenen Gemütsbewegung ausruft: „Gott, sei mir Sünder gnädig; errette mich, denn ich verderbe,“ welcher seinen Zweck erreicht. Der, der seine ganze Seele in seine Worte legt und alle Kraft seines Wesens in jedem Ausspruch zusammendrängt, der bricht sich Bahn durch die Pforten des Himmels. Dazu kann der suchende Glaube, wem er einmal gewährt ist, einen Menschen bringen. Es ist keine Frage, es sind gewiss etliche hier, die schon so weit gekommen sind. Ich meine fast, ich sah so eben in manchen Augen Tränen glänzen, die gerade jetzt schnell weggewischt wurden, aber ich konnte sie als ein Anzeichen betrachten, dass einige in ihrem Herzen sprachen: „Ach, ich weiß, was das sagen will, und ich hoffe zu Gott, dass er mich so weit gebracht habe.“
Ein Wort muss ich hier in Beziehung auf die Schwachheit des suchenden Glaubens sagen. Er vermag vieles, aber er tut manchen Missgriff. Der Fehler des suchenden Glaubens liegt darin, dass er zu wenig weiß, denn ihr bemerkt, dass jener bedauernswerte Vater sagte: „Herr, komm herab, komm herab.“ Wohl, aber es bedurfte des Herabkommens nicht. Der Herr kann das Wunder ausrichten, ohne herabzukommen. Aber unser armer Freund meinte, der Meister könne seinen Sohn nicht retten, wenn er nicht komme und ihn besuche und seine Hand auf ihn lege, und vielleicht sich auf ihn niederlege, wie Elias. „O, komm herab,“ sagte er. So stehts auch mit euch. Ihr habt Gott vorgeschrieben, wie er euch erretten soll. Ihr verlangt von ihm, er solle euch einen schweren Sündenkampf bereiten, und dann, meint ihr, könntet ihr glauben, oder aber ihr verlangt einen Traum oder eine Erscheinung oder eine Stimme, die ihr sprechen hört: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Da steckt der Fehler, wie ihr seht. Euer suchender Glaube ist stark genug, euch ins Gebet zu treiben, aber er ist nicht kräftig genug, eure eigenen törichten Einbildungen aus eurem Gemüt zu verscheuchen. Ihr wollet Wunder und Zeichen sehen, oder ihr glaubet nicht. O, du Königischer, wenn Jesus erwählt, ein Wort zu sagen und damit deinen Sohn zu heilen, ist dir das nicht ebenso lieb, wie wenn er herabkommt? „Ach,“ spricht er, „daran dachte ich nie!“ und gerade so, armer Sünder, wenn Jesus sich vornimmt, dir heute an dieser Stätte Frieden zu geben, kann dir das nicht ebenso lieb sein, als wenn du einen Monat lang unter der Zuchtrute des Gesetzes bleiben müsstest? Wenn ihr beim Hinausgehen durch diese Türen einfältig auf Christus vertrauen könnt, und Frieden findet, ist das nicht ebenso gut eine Erlösung, wie wenn ihr durchs Feuer und durchs Wasser gehen müsstet, und euch eure Sünden alle drohend ob dem Haupte schwebten? Seht, dass ist die Schwachheit eures Glaubens. Obgleich viel Vortreffliches daran ist, weil er euch ins Gebet treibt, so ist doch auch etwas Mangelhaftes daran, weil er euch verleitet, dem Allmächtigen törichterweise vorzuschreiben, wie er euch segnen solle - und euch in Wahrheit veranlasst, seine Unumschränktheit anzutasten, euch verführt in Unwissenheit, ihm zu befehlen, in welcher Gestalt die verheißenen Güter kommen sollen.
Wir gehen nun zur zweiten Glaubensstufe über. Der Meister streckte seine Hand aus und sprach: „Gehe hin, dein Sohn lebet.“ Seht ihr das Antlitz jenes Königischen? Jene Furchen des Kummers auf demselben scheinen augenblicklich geglättet, ja ganz verschwunden. Jene Augen sind voller Tränen, aber sie sind nun andrer Art - Tränen der Freude sind es. Er schlägt seine Hände zusammen, zieht sich still zurück, sein Herz zerspringt fast vor Dankbarkeit, seine ganze Seele ist voll Vertrauen. „Was macht Sie so glücklich, lieber Herr?“ - „Ach, mein Kind ist geheilt,“ spricht er. - „Ja, aber Sie haben es noch nicht gesund wiedergesehen?“ - „Mein Herr und Heiland hats aber gesagt, und ich glaube ihm.“ - „Aber es kann geschehen, dass wenn Sie nach Hause kommen, Sie Ihren Glauben getäuscht sehen und Ihr Kind als eine Leiche wiederfinden?“ - „Nein,“ spricht er, „ich glaube an diesen Mann. Einst glaubt ich an ihn und suchte ihn, jetzt glaube ich an ihn und habe ihn gefunden.“ - „Aber Sie haben gar keine Beweis, dass Ihr Kind geheilt ist?“ - „Nein,“ sagt er, „ich bedarfs auch nicht. Das einfache Wort dieses göttlichen Propheten genügt mir. Er sprach es und ich weiß, es ist wahr. Er sagte mir, ich solle hingehen, mein Sohn lebe; und ich gehe hin, ruhig und freudig.“ Merket nun, wenn euer Glaube zu einer zweiten Stufe gelangt, auf welcher ihr im Stande seid, Christum beim Wort zu nehmen, dann werdet ihr anfangen das Glück des Glaubens zu erfahren, und dann macht euer Glaube euch selig. Nimm Christum beim Wort, armer Sünder. „Wer an den Herrn Jesum Christum glaubt, der wird selig werden“ (Mark. 16, 16). „Aber ich fühle mich nicht überzeugt,“ spricht Einer. Glaube es dennoch. „Aber,“ spricht ein Anderer, „ich empfinde keine Freudigkeit im Herzen.“ Glaube es, und wäre dein Herz auch noch so düster; die Freude kommt noch. Ein heldenmütiger Glaube ist das, wenn man unter den knirschenden Zähnen von tausend Widersprüchen an Christum glaubt. Wenn der Herr euch diesen Glauben verleiht, dann könnt ihr sprechen: „Ich befrage mich nicht mit Fleisch und Blut“ (Gal. 1, 16). Der zu mir gesagt hat: „Glaube, so wirst du Selig,“ gab mir Gnade zu glauben, und darum habe ich das feste Vertrauen, dass ich selig werde, Wenn ich einmal meine Seele, gehe es wie es wolle, auf die Liebe und das Blut und die Macht Jesu Christi gesetzt habe, und wenn mir auch das Gewissen kein Zeugnis gibt, wenn auch Zweifel mich ängstigen und Furcht mich quält; so ists doch an mir, meinen Herrn und Meister zu ehren, dadurch, dass ich seinem Wort glaube, und widerspreche es noch so sehr dem Verstande, und erhebe sich die Vernunft noch so sehr dagegen, und strafen es meine Gefühle noch so sehr Lügen. Ach, es ist eine herrliche Sache, wenn ein Mann einen Jünger hat, und dieser Jünger dem Manne unbedingt glaubt. Der Mann behauptet eine Ansicht, welche mit der ganzen Welt im Widerspruch steht; er steht auf und trägt sie dem Volk vor, und sie zischen und schreien, und verhöhnen ihn; aber der Mann hat einen Schüler und dieser sagt: „Ich glaube meinem Meister; was er gesprochen hat, glaube ich wahrhaftig.“ Es ist etwas Erhabenes um einen Mann, dem eine solche Huldigung zu Teil wird. Er scheint zu sagen: „Nun bin ich wenigstens eines Herzens Meister;“ und wenn ihr, von jeglichem Widerstand angefochten, zu Christo steht und seinen Worten glaubt, so erweist ihr ihm eine stärkere Huldigung, als die Cherubim und Seraphim vor seinem Throne. Wagts und glaubt; trauet auf Christus; ich sage euch, dann werdet ihr selig.
Auf dieser Stufe des Glaubens fängt der Mensch an, Ruhe und Seelenfrieden zu genießen. Ich weiß die Entfernung zwischen Kana und Kapernaum nicht genau, aber verschiedene zuverlässige Schriftsteller nennen drei oder vier geographische Meilen. Es hatte jedenfalls der gute Mann keinen weiten Weg zu seinem Lieblinge daheim. Um die siebente Stunde hatte der Meister gesagt: „Dein Sohn lebet.“ Es geht aus den Textesworten deutlich hervor, dass er seinen Dienern erst am folgenden Tage begegnete, weil sie sagen: „Gestern um die siebente Stunde verließ ihn das Fieber.“ Was schließt ihr daraus? Nun, ich meine, der Königische war so versichert von dem Wohlbefinden seines Sohnes, dass er keine große Eile zur Heimkehr hatte. Er ging nicht unmittelbar nach Hause, als ob er sich bei Zeiten nach einem andern Arzt umsehen müsste, wenn etwa der Herr Jesus nichts ausgerichtet hätte; sondern er zog ruhig und langsam seine Straße, voll Vertrauen auf die Wahrheit dessen, was ihm Jesus gesagt hatte. Ganz richtig sagt ein alter Kirchenvater: „Wer da glaubt, braucht nicht zu eilen.“ In diesem Falle wars so. Der Mann nahm sich Zeit. Es war vielleicht Mitternacht oder darüber, als er nach Hause kam, obgleich er wahrscheinlich nur fünf Stunden gebraucht hätte. (Die siebente Stunde war Nachmittags Ein Uhr, und von Abend um sechs Uhr fing man den folgenden Tag zu zählen an.) Wer das einfache Wort Christi zur Grundlage seiner Hoffnung macht, steht auf einem Felsen, während der Boden ringsum nur fliegender, lockerer Sand ist. Liebe Brüder und Schwestern, Einige unter euch sind so weit gekommen. Ihr fasset nun Christum beim Wort; in Kurzem werdet ihr die dritte und höchste Stufe des Glaubens erklommen haben. Aber wenn ihr noch so lange hier ausharren müsset, so hört nicht auf, eurem Herrn und Meister zu glauben; vertrauet ihm dennoch. Wenn er euch auch nicht in seinen Festsaal (Hohe Lied 2, 4) aufnimmt, so vertrauet ihm dennoch. Und wenn er euch auch in Kerker und Bande führt, so vertrauet ihm dennoch. Sprechet: „Und wenn er mich auch verwundet, dennoch traue ich auf ihn.“ Und sollte er euch die Pfeile der Anfechtung noch so tief ins Fleisch einsenken, vertrauet ihm dennoch; und wenn seine Rechte euch in Stücke zermalmte, vertrauet ihm dennoch; bis dass eure Gerechtigkeit aufgeht wie ein Glanz, und euer Heil entbrennet wie ein Fackel (Jes. 62, 1).
Wir müssen nun zur dritten vollkommensten Stufe des Glaubens eilen. Die Diener begegnen dem Königischen - sein Sohn ist genesen. Er kommt heim, umarmt sein Kind und sieht es vollkommen gesund. Und nun, sagt die Erzählung, „glaubte er mit seinem ganzen Hause“ (V. 53). Und doch werdet ihr bemerkt haben, dass es im fünfzigsten Verse heißt: er glaubte. „Der Mensch glaubete dem Wort, das Jesus zu ihm sagte.“ Hier sind manche Ausleger in eine große Verlegenheit geraten; denn sie wussten nicht recht, was dieser Mensch anfing zu glauben. Der teure Calvin sagt, und seine Bemerkungen sind stets von Bedeutung und immer treffend - (ich stehe nicht an, zu sagen, dass Calvin der großartigste Ausleger ist, der es je unternommen hat, das Wort Gottes zu erklären; ich habe gefunden, dass er dabei oft seine eigenen Einrichtungen in Fetzen zerhauen hat, weil er nie versuchte, einer Bibelstelle einen Calvinistischen Sinn unterzuschieben, sondern allezeit trachtete, Gottes Wort zu geben, wie er es fand) - Calvin sagt, dieser Mensch habe zunächst nur einen solchen Glauben gehabt, welcher um Eines Anliegens willen sich auf Christum stützte. Er glaubte dem Wort, das Christus gesprochen hatte. Nachher hatte er einen Glauben, welcher Christum in seine Seele aufnahm, damit er sein Jünger werde, und als auf seinen Messias auf ihn traue. Ich denke, ich habe nicht Unrecht, wenn ich dies als eine Erläuterung für die höchste Stufe des Glaubens gebrauche. Er fand, dass sein Sohn zur nämlichen Stunde gesund geworden war, so Jesus gesagt hatte, es sollte geschehen. „Und nun,“ sagt er, „glaube ich;“ das heißt bekennen, er habe mit voller Glaubenszuversicht geglaubt. Seine Seele war von allen ihren Zweifeln losgemacht; er glaubte an Jesum von Nazareth als den Gesalbten Gottes: derselbe war sicher ein gottgesandter Prophet, und Zweifel und Missverständnisse beherrschten sein Herz nicht länger. Ach, ich kenne viele arme Geschöpfe, welche gerne diese Stufe erreichen möchten, aber sie verlangen dieselbe schon gleich von Anfang an. Sie gleichen einem Menschen, der eine Leiter ersteigen möchte, aber doch die untersten Sprossen nicht unter die Füße nehmen will. „O,“ sagen Sie, „wenn ich die volle Zuversicht des Glaubens hätte, dann würde ich nicht zweifeln, dass ich ein Kind Gottes sei.“ Nein, nein, erst musst du glauben, erst bauen und trauen auf Christi bloßes Wort, so wirst du nachher auch dahin kommen, das Zeugnis des Geistes in deinem Innern zu spüren, dass du aus Gott geboren seist. Die Zuversicht ist eine Blume - erst müsst ihr die Zwiebel pflegen, die nackte, vielleicht unansehnliche Zwiebel des Glaubens - pflanzt sie, dass sie keime, so werdet ihr nach und nach die Blume sprossen sehen. Der formlose Same eines kleinen Glaubens geht auf, und dann habt ihr das reife Korn in der Ähre voller Glaubenszuversicht. Hier aber möchte ich euch bemerken, dass, als dieser Mensch zu völligen Glaubenszuversicht kam, es heißt, sein ganzes Haus mit glaubte. Dieser Ausdruck kommt öfter vor, aber ich glaube nicht, dass ich ihn je im richtigen Sinne anführen hörte. Nebenbei gesagt, es gibt manche Personen, welche von Schriftstellern nicht mehr wissen, als was sie vom Hörensagen kennen, und so gibts auch Manche, welche von der Bibel nicht mehr wissen, als was sie eben auch davon gehört haben. Nun heißt eine Stelle: „Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du … selig.“ - Was haben aber die drei übrigen Wörtlein verschuldet, dass sie sollten weggelassen werden? - „und dein Haus“ (Apg. 16, 31); diese drei Wörtlein scheinen mir so wichtig wie das Andere. „Glaube, so wirst du und dein Haus selig.“ Macht des Hausvaters Glaube denn seine Angehörigen selig? Ja! und Nein! - Ja, in gewissem Sinne; nämlich weil des Vaters Glaube ihn ins Gebet für die Seinen treibt, und Gott sein Gebet erhört, und die Seinen selig werden. Nein dagegen, weil des Vaters Glaube den Glauben seiner Kinder nicht ersetzt, sie müssen eben auch glauben. In diesem zweifachen Sinne sage ich „Ja, und Nein: „Wenn ein Mensch gläubig geworden ist, so darf man hoffen, dass seine Kinder selig werden. Ja, hier ist eine Verheißung; und der Vater darf sich nicht zufrieden geben, bis er sieht, dass alle seine Kinder gerettet sind. Gibt er sich ohne das zufrieden, so hat er noch nicht recht geglaubt. Es gibt viele Menschen, die nur für ihre eigene Person glauben. Wenn ich aber eine Verheißung habe, so glaube ich so umfassend als möglich. Warum sollt denn mein Glaube nicht auch so weit gehen, wie die Verheißung? Sieh, so steht geschrieben: „Glaube, so wirst du und dein Haus selig!“ Ich habe eine Forderung an Gott zu machen für meine Kleinen. Wenn ich im Gebet vor Gott trete, so darf ich flehen: „Herr, ich glaube, und du hast gesagt, ich und mein Haus sollen selig werden; mich hast du selig gemacht, aber du hast deine Verheißung nicht erfüllt, bis du mein Haus auch selig gemacht hast.“
II. Und nun kommen wir zum zweiten Teil unserer Betrachtung, den drei Missständen, welchen der Glaube so sehr unterworfen ist, und diese drei Missstände zeigen sich auf verschiedenen Stufen.
Erstlich in Bezug auf den suchenden Glauben. Die Macht des suchenden Glaubens liegt darin, dass er einen Menschen ins Gebet treibt. Und hier zeigt sich der Übelstand; denn wenn wir anfangen wollen, so setzen wir das Beten gar zu gerne aus. Wie oft flüstert der Teufel einem Menschen ins Ohr: „Bete nicht, es nützt nichts. Du weißt ja doch, dass du nicht in den Himmel kommst!“ Oder wenn der Mensch glaubt, er sei erhört worden, so sagt der Satan: „Du brauchst nicht mehr zu beten, du hast jetzt, was du gewollt hast.“ oder wenn er nach monatelangem Seufzen und Flehen keine Segen empfangen hat, so flüstert der Satan: „Wie töricht bist du, dass du so lange vor der Gnadentüre stehst! Mach doch hinweg! Mach' dich fort! Jene Türe ist vernagelt und verrammelt, und du wirst nie Erhörung finden.“ Ach, teure Freunde! Wenn ihr diesem Übelstande ausgesetzt seid, während ihr Christum sucht, so bitte ich euch, seufzt dagegen, kämpfet dagegen; hört nicht auf mit Beten. Ein Mensch kann nie im Strom des göttlichen Zorns versinken, so lange er noch seufzen und flehen kann. So lange ihr noch zu Gott um Gnade schreien könnt, wird sich die Gnade nie entziehen.
O, lasst euch den Satan nicht von der verschlossenen Pforte verscheuchen, sondern dringet hinein, ob er will oder nicht. Gebt nur euer Gebet auf, so besiegelt ihr eure eigenen Verdammnis; verzichtet auf das Gebet im Kämmerlein, so verzichtet ihr dann auf Christum und den Himmel. Haltet ihr aber am Gebet fest, so muss euch der Segen zu Teil werden, ob es sich auch verzieht; wenn die Zeit erfüllet ist, muss er euch werden.
Derjenige Missstand, der am ehesten die Gläubigen der zweiten Stufe trifft, - nämlich die, welche völlig auf Christum vertrauen, ist das Verlangen nach Zeichen und Wundern, ohne die sie nicht glauben wollen. In der ersten Zeit meines Predigeramts mitten unter einer ländlichen Bevölkerung besuchte ich besonders solche Personen, welche sich für wahre Christen hielten, weil sie Zeichen und Wunder gesehen hätten; und damals wurden mir von ersten und achtungswerten Leuten die lächerlichsten Geschichten erzählt, um damit zu bekräftigen, dass sie glaubten, sie werden selig. Man erzählte mir etwa Folgendes: „Ich glaube, dass mir meine Sünden vergeben sind.“ Warum? „Sehen Sie, ich war unten im Hinterhofe und sah eine große Wolke und dachte, Gott kann machen, dass diese Wolke sich verzieht, wenn es ihm wohlgefällt; und die Wolke verzog sich; und ich dachte, mit der Wolke seien auch meine Sünden hinweggenommen worden, und bin seitdem von jedem Zweifel befreit.“ Ich aber dacht: Ja, da haben Sie erst recht Ursache zum Zweifeln, weil das so närrisch und unvernünftig ist. Sollte ich euch alle die Torheiten und Einbildungen erzählten, welche einige Leute in ihren Köpfen herumtrugen, so würdet ihr lächeln, aber es würde euch zu nichts dienen. Gewiss jedoch ists, dass viele Menschen eine grundlose Geschichte, irgend eine sonderbare Vorstellung begierig ergreifen, um dann daraus zu schließen, dass sie auf Christum trauen. Ach, meine lieben Freunde! Wenn ihr keinen bessern Grund habt eures Glaubens, Christo anzugehören, als einen Traum oder eine Erscheinung, dann ists hohe Zeit, noch einmal von vorne anzufangen. Ich gebe euch zu, es hat welche gegeben, die erweckt, erleuchtet, ja vielleicht bekehrt worden waren durch merkwürdige Bilder ihrer Phantasie; wenn ich euch aber auf dergleichen verlassen wollt, als auf Gnadenpfänder Gottes, wenn ihr sie als Beweise eurer Seligkeit betrachtet, dann, sage ich euch, verlasset ihr euch auf einen leeren Traum, auf eine Täuschung. Ebenso gut mögt ihr ein Schloss in die Luft, oder ein Haus auf Sand bauen, Nein, wer an Christum glaubt, glaubt an ihn, weil er es sagt, und weil es hier im Worte Gottes geschrieben steht; er glaubt nicht, weil er so und so geträumt hat, oder weil er eine Stimme hörte (es war vielleicht der Gesang einer Amsel), oder weil er meinte, am Himmel einen Engel zu erblicken, während, was er sah, nur eine Staubwolke von besonderer Form sein mochte. Nein, wir müssen mit diesem Verlangen nach Wundern und Zeichen brechen. Wenn sie eintreffen, dann seien wir dafür dankbar, haben wir sie nicht, so trauet einfach auf die Schrift, welche spricht: „Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben“ (Mat. 12, 31). Ich möchte damit nicht irgend ein zartes Gewissen verletzten, das vielleicht in solch besonderen Wundern einen kleinen Trost gefunden hat; aber ich sage es einfach und aufrichtig, und wenn sich auch Einer oder der Andere dadurch sollte verletzt fühlen: Ich warne euch ernstlich davor, euch nicht auf irgend etwas zu verlassen, was ihr geträumt, gesehen oder gehört. Dies Buch ist das feste Wort des Zeugnisses, „darauf ihr wohl tut zu achten, als auf eine Leuchte, die scheint als an einem dunkeln Ort“ (2. Petr. 1, 19). Vertraue auf den Herrn; harre geduldig auf ihn; wirf all dein Vertrauen auf den, auf welchen er all deine Sünden gelegt hat, nämlich, auf Christus Jesus allein, so wirst du selig werden, mit oder ohne irgendeines dieser Wunder.
Es hat mich betrübt und erschreckt, dass etliche Christen dieser Stadt in eben diesen Irrtum verfallen sind, Zeichen und Wunder sehen zu wollen. Sie sind zu besonderen Gebetsversammlungen zusammengekommen, um eine Erweckung zu veranlassen; und weil die Leute nicht ohnmächtig niedergefallen sind und nicht geächzt und gestöhnt und geschrien haben, so haben sie vielleicht gemeint, es habe keine Erweckung stattgefunden. O, dass wir doch Augen hätten, Gottes Gaben so anzusehen, wie es Gott wohlgefällt, sie zu gewähren! Wir bedürfen nicht jener Erweckung des irischen Nordens; wie bedürfen der Erweckung in ihrer ganzen Kraft, aber nicht unter jener besonderen Gestalt. Wenn der Herr sie unter einer andern sendet, so sollen wir uns nur umso mehr darüber freuen, dass jene außerordentlichen Wirkungen auf den Körper sich nicht zeigen. Wo der Heilige Geist an einer Seele arbeitet, freuen wir uns immer über eine wahrhafte Bekehrung, und wenn er auch in der Gemeinde unserer Stadt wirksam ist, so freuen wir uns, dessen Zeuge sein zu dürfen. Wenn der Menschen Herzen erneuert werden, was tut es, wenn es im Stillen geschieht? Wenn die Gewissen der Menschen aufgeweckt werden, was tut es, wenn diese dabei nicht in Ohnmacht fallen? Wenn sie nur Christum finden; wen verdrießt es dann, dass sie nicht fünf oder sechs Wochen lang bewegungs- und bewusstlos daliegen? Gebt euch zufrieden ohne Zeichen und Wunder. Was mich betrifft, so gräme ich mich nicht darum. Ich möchte so gerne Gottes Werk auf Gottes eigene Weiße vor sich gehen sehen - eine wahrhafte und durchgreifende Erweckung; aber ohne die Zeichen und Wunder können wir wohl sein, denn sie werden vom Gläubigen gewiss nicht verlangt, sie werden aber nur das Gelächter der Ungläubigen sein.
Nachdem wir von diesen zwei Missständen gesprochen haben, wollen wir den dritten nur andeuten. Es ist also ein dritter, welcher uns auf dem Wege nach der höchsten Stufe des Glaubens, der Zuversicht, aufstößt, und der ist Mangel an Achtsamkeit. Der Königische in unserem Text erkundigte sich genau nach dem Tag und der Stunde der Genesung seine Sohnes. Dadurch gewann er Zuversicht des Glaubens. Wir aber achten nicht so sehr, als wir sollten, auf das Walten Gottes. Unsere teuren puritanischen Voreltern pflegten bei regnerischer Witterung zu sagen, Gott habe die Schleusen des Himmels geöffnet. Wenn es heutzutage regnet, so denken wir, die Dünste der Wolken hätten sich verdichtet. Wenn sie das Heu ihrer Wiesen gemäht hatten, so pflegten sie den Herrn anzuflehen, er wolle der Sonne gebieten zu scheinen. Wir denken uns vielleicht klüger, und wir achten es kaum der Mühe wert, um solche Dinge zu bitten, weil wir denken, sie kommen von selbst im Gang der Natur. Sie glaubten, Gott sei in jedem Sturm, ja in jeder Staubwolke. Sie sprachen bei allen Dingen von Gottes Gegenwart, wir aber sprechen von ihnen als von Naturgesetzen, als ob Gesetze etwas wären, ohne dass einer vorhanden ist, der sie vollzieht; als ob eine geheime Kraft die ganze Einrichtung der Natur in Bewegung setzte. Wir erlangen unsere Zuversicht darum nicht, weil wir nicht fleißig genug aufmerken. Wenn ihr die Macht der Vorsehung Tag für Tag wolltet beobachten, wenn ihr Acht hättet auf die Erhörung eurer Gebete, wenn ihr irgend etwas davon in das Buch eurer Erinnerung niederlegen würdet, Gottes beständige Gnadenerweisungen gegen euch, so meine ich, ihr würdet werden wie jener Vater, der zur völligen Glaubenszuversicht geführt ward, weil er darauf achtete, dass dieselbe Stunde, wo Jesus mit ihm sprach, auch die Stunde der Genesung war. Sei wachsam, o Christ. Wer auf die Vorsehung achtet, wird nie einer Vorsehung mangeln, die auch auf ihn achtet.
Darum hütet euch vor diesen drei Missständen; vor dem Laschwerden im Gebet, vor dem Verlangen nach Zeichen und Wundern und vor der Gleichgültigkeit gegen die Offenbarung der Wege Gottes.
III. Und nun komme ich zu meinem dritten letzten Teil, in welchem ich euch erst, aber kurz drei Fragen über euren Glauben ans Herz lege.
Erstens sagst du: „Ich habe Glauben.“ Ist dem also? Es gibt manchen Menschen, der da spricht, er besitze Gold, und hat es nicht; Viele sind, die da meinen, sie seine reich und hätten gar satt, und bedürfen nichts, und wissen nicht dass sie sind elend und jämmerlich, arm, blind und bloß (Off. 3, 17). Darum frage ich dich vor allem: Treibt dich dein Glaube ins Gebet? - aber nicht das Gebet eines Menschen, der schwatzt wie ein Papagei, und betet, was er auswendig gelernt hat; sondern flehest und rufest du, wie ein lebendiges Kind ruft und fleht? Erzählst du Gott deine Bedürfnisse und deine Wünsche? Und suchst du sein Angesicht, und verlangst du nach seiner Gnade? Mensch, wenn du ohne Gebet lebst, so bist du eine heilandsleere Seele; dein Glaube ist eine Täuschung, und dein Vertrauen, das du daraus schöpfst, ist ein Traum der dich in den Abgrund des Verderbens stürzt. Erwache! erwache aus deinem Todesschlummer; denn so lange du stumm bist zum Gebet, so lange kann Gott dich nicht erhören. Du kannst für Gott nicht leben, wenn du nicht selbst in deinem Gebetskämmerlein; wer auf Erden nie auf die Knie fällt, wird im Himmel nie auf seinen Füßen stehen; wer hier unten nie mit dem Engel ringt, wird von diesem Engel auch nie in den Himmel dort oben eingelassen werden. Ich weiß, dass ich heute zu Etlichen spreche, die gebetsscheu sind. Ihr habt Zeit genug für euer Geschäftszimmer, aber ihr habt keine Zeit für euer Kämmerlein. Familienandacht ist euch ein unbekanntes Ding; aber ich will nicht lange mit euch darüber rechten. Das Herzensgebet habt ihr vernachlässigt. Steht ihr nicht manchmal Morgens ungefähr um die Zeit auf, wo ihre eure Anordnungen treffen müsst, und - faltet die Hände? freilich; aber wo bleibt das Gebet? Und sogar bei besonderen Gebets-Gelegenheiten nehmt ihr euch nie die rechte Muße dazu. Das Gebet ist für euch eine Art von Überfluss, der euch zu hoch zu stehen kommt, als dass ihr euch demselben oft hingebt. O, wer dagegen wahren Glauben im Herzen hat, betet den ganzen Tag über. Ich meine nicht, dass er die Hände faltet; aber jeder Zeit, wenn er einkauft, wenn er den Laden besorgt, wenn er auf dem Geschäftszimmer ist, findet sein Herz einen freien Augenblick und erhebt sich zum Herzen seines Gottes, und kommt wieder hernieder, erfrischt und gestärkt zu seinem Geschäft und zum Umgang mit seine Nebenmenschen. Ach, diese Stoßseufzer - nicht bloß das Füllen des Rauchaltars mit Räuchwerk am Morgen, sondern das Hinzuwerfen kleiner Stücke von Einrammte und Weihrauch den Tag über, um es allezeit frisch zu erhalten, das ist die Lebensweise, und das ist das Treiben eines wahrhaften, echten Gläubigen. Wenn euer Glaube euch nicht zum Beten anspornt, so habt nichts damit zu schaffen; macht euch los davon, und Gott stehe euch bei, noch einmal von vorn anfangen zu können.
Aber du sprichst: „ich habe Glauben.“ Ich will dich ein Zweites fragen. Macht dich dieser Glaube gehorsam? Jesus sprach zu dem Königischen: „Gehe hin,“ und er ging ohne Widerrede; wie viel mehr möchte er gewünscht haben zu bleiben, und dem Meister zuzuhören - er gehorchte. Macht dich dein Glaube folgsam? In unsern Tagen haben wir Beispiele von Christen der ernstesten, allerernstesten Art; Menschen von nicht gewöhnlicher Ehrbarkeit. Ich habe von Handelsleuten die Beobachtung aussprechen hören, dass sie viele Menschen kennen, welche Gott nicht fürchten und nicht vor Augen haben, welche dabei äußerst rechtschaffen und aufrichtig in ihrem Wandel sind; und auf der andern Seite einige, die sich zu den Christen zählen, die zwar nicht gerade unehrlich sind, aber ein wenig sich schmiegen und biegen können; sie sind keine stättigen Pferde, aber alle Augenblicke machen sie Seitensprünge; sie scheinen den Zeitpunkt nicht zu beobachten, wo sie eine Zahlung zu machen haben; sie sind nicht regelmäßig, sie sind nicht genau; wahrlich manchmal - und warumsoll man verbergen, was wahr ist? - ertappt ihr solche Christen ob recht schmutzigen Handlung, und findet Bekenner der Religion, die sich auf eine Weise schändlich machen, dass Weltleute darüber spotten würden. Nun, ihr Herren, ich gebe heute mein Zeugnis als Diener Gottes, zu ehrlich um ein Wort zu verdrehen irgend einem Lebenden zu Gefallen: ihr seid keine Christen, wenn ihr euch in Geschäftssachen unter der Würde eines ehrlichen Menschen benehmt. Wenn Gott euch nicht ehrlich gemacht hat, so hat er eure Seele nicht errettet. Seid versichert, dass wenn ihr dahingehen könnt, ungehorsam den Sittengeboten Gottes, wenn euer Leben unordentlich und liederlich ist, wenn in eure Unterhaltungen Reden einfließen, deren sich sogar ein Weltkind schämen würde, dann wohnt die Liebe Gottes nicht in euren Herzen. Ich verlange keine Vollkommenheit, aber Rechtschaffenheit; und wenn euch eure Religion im täglichen Leben nicht zum Gebet und zum Eifer angespornt hat; wenn ihr nicht in Wahrheit eine neue Kreatur in Christo Jesu geworden seid, so ist euer Glaube ein leeres Wort, ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle (1. Kor. 13, 1).
Ich will euch noch eine Frage über euren Glauben vorlegen, dann will ich schließen. Du sprichst: „Ich habe Glauben.“ Hat dich dein Glaube zu einem Segen für dein Haus gemacht? Der teure Rowland Hill sagte einmal in seiner eigentümlichen Weise, wenn ein Mensch ein Christ würde, so würden dadurch sein Hund und seine Katze besser; und ein anderer teurer Mann pflegte zu sagen, dass ein Mensch, der ein Christ würde, in jeder Beziehung sich besserte. Er wäre ein besserer Gatte, ein besserer Dienstherr, ein besserer Vater als vorher, oder seine Gottesfurcht sei nicht echt. Nun, teure christliche Brüder und Schwestern, habt ihr je daran gedacht, eurem Hause zum Segen zu werden? Wird mir wohl Einer mit den Worten entgegentreten: „Ich behalte meine Religion für meine eigene Person?“ Seid nicht so ängstlich, sie möchte euch etwa gestohlen werden; ihr braucht sie nicht hinter Schloss und Riegel zu verwahren; das treibt den Teufel noch nicht, selbst zu kommen und sie euch zu rauben. Ein Mensch, der seine Gottesfurcht für sich selbst behalten kann, besitzt davon so wenig, dass ich fürchte, sie nützt ihm selber nichts und ist Andern nicht zum Segen. Aber ihr begegnet manchmal, es klingt sonderbar, solchen Vätern, die sich gar nicht um ihrer Kinder Seligkeit zu kümmern scheinen. Sie möchten gern, dass ihr Knabe wohl versorgt sie, und möchten gern, dass sich ihre Tochter anständig verheirate; aber ob sie bekehrt seien, das macht ihnen den Kopf nicht schwer. Freilich ist der Vater ein regelmäßiger Kirchgänger und hält sich zur Gemeinschaft der Christen; und er hofft, seine Kinder werden gut ausfallen. Sie haben den Segen seiner Hoffnung - wahrlich, ein großes Vermächtnis? - wenn er stirbt, hinterlässt er ihnen ohne Zweifel seine besten Wünsche, mögen sie denn davon reich werden! Aber nie scheint es ihm eine Seelenangelegenheit gewesen zu sein, ob sie selig werden oder nicht. Hinweg mit einer solchen Religion! werft sie auf den Mist; gebt sie den Hunden, lasst sie, wie Konia, beim Begräbnis eines Esels verbrennen; fort damit aus dem Lager, denn das ist ein unreines Ding. Es ist nicht die Religion Gottes. „So aber Jemand die Seinen, namentlich seine Hausgenossen, nicht versorget, der hat den Glauben verleugnet und ist ärger denn ein Heide und ein Zöllner“ (1. Tim. 5, 8).
Gebt euch nimmer zufrieden, meine lieben Brüder in Christo, bis alle eure Kinder selig sind. haltet Gott seine Verheißung vor. Euer und eurer Kinder ist die Verheißung (Apg. 2, 39). Das griechische Wort bezeichnet nicht bloß die Kinder, sondern Kinder, Enkel und alle eure Nachkommen, erwachsen oder nicht. Lasset nicht ab mit Flehen, bis dass nicht nur eure Kinder, sondern auch eure Großkinder, wenn ihr solche habt, selig werden. Heute stehe ich hier als ein Beweis, dass Gott seiner Verheißung nicht untreu ist. Ich kann auf vier und fünf Geschlechtsalter zurückblicken und nehme wahr, dass es Gott gefallen hat, die Gebete des Großvaters meines Großvaters zu erhören, welcher Gott beständig darum anflehte, dass seine Nachkommen bis ins letzte Glied vor Ihm wandeln möchten, und Gott hat das Haus nie veröden lassen, sondern es ist ein Wohlgefallen gewesen, einen um den andern zur Furcht und Liebe seines Namens zu bekehren. Seis bei euch auch also: und wenn ihr darum bittet, so bittet ihr nicht mehr, als was Gott durch seine Verheißung euch zu geben sich verpflichtet hat. Er kann es nicht versagen, wenn er nicht seine Verheißung bricht. Er kann euch eure und eurer Kinder Seelen nicht vorenthalten, sondern muss das Gebet eures Glaubens erhören. „Ach,“ spricht Jemand, „aber Sie wissen nicht, was ich für Kinder habe. „Nein, teurer Freund, aber das weiß ich, dass wenn du ein Christ bist, dass es Kinder sind, welche Gott zu segnen verheißen hat. „Aber sie sind so unartig, dass es mir das Herz bricht.“ Dann bitte Gott, dass er ihre Herzen breche, so werden sie mit ihrem Treiben dir das Herz nicht mehr brechen. „Aber sie bringen meine grauen Haare mit Jammer hinunter in das Grab.“ Dann bitte Gott, dass er ihre Augen mit Tränen erfülle zum Gebet und Flehen, und zum Kreuz, so werden sie dich nicht in die Grube hinunterbringen. „Aber,“ sprecht ihr, „meine Kinder haben so verstockte Herzen.“ Blick in dein eigenes Herz. Du meinst, sie können nicht selig werden: schau auf dich selber zurück; der dich selig gemacht hat, kann auch sie selig machen. Gehe hin und bete und sprich: „Herr, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“ (1. Mose 32, 26); und wenn dein Kind am Sterben ist, und, wie du glaubst, auf dem Punkt, um seiner Sünde willen verdammt zu werden, so flehe dennoch wie der Königische: „Herr, komm herab, ehe denn mein Kind stirbt, und errette es um deiner Gnade willen.“ Und ja, Du, der Du im höchsten Himmel wohnst, Du wirst Dein Volk nicht verschmähen. Fern sei es von uns, dass wir uns träumen lassen, Du werdest Deine Verheißung vergessen. Im Namen Deines ganzen Volkes legen wir feierlich die Hand auf Dein Wort, und erinnern Dich an Deinen Bund. Du hast gesagt, Deine Gnade währet von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so Dich fürchten; und Deine Gerechtigkeit auf Kindeskind bei denen, die Deinen Bund halten (Ps. 103, 17. 18) Du hast gesagt, die Verheißung sei unser und unserer Kinder (Apg. 2, 39). Herr, Du wirst Deinen Bund nicht verlassen; wir berufen uns heute in heiligem Glauben auf Dein Wort: „Tue, wie Du gesagt hast“ (1. Mose 18, 5).