Spurgeon, Charles Haddon - Jonas Entschluss, oder: Blicket wiederum!
„Dass ich gedachte, ich wäre vor Deinen Augen verstoßen, ich würde Deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen.„
Jona 2, 5.
Nach der engl. Üb. : „Da sprach ich, ich bin vor Deinen Augen verstoßen; dennoch will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel.“
Was für ein kompliziertes Geschöpf ist der Mensch! Die, welche sich einbilden, ihn völlig beschreiben zu können, verstehen ihn nicht. Er ist ein Rätsel und ein Widerspruch. Wie ein Dichter gesagt hat: „In meinen und in andrer Augen bin ich ein Labyrinth nur von Geheimnissen.„ Hier ist z. B. das Bekenntnis Davids: „So närrisch war ich und unwissend: ich war wie ein Tier vor Dir. Dennoch bleibe ich stets an Dir, denn Du hältst mich bei meiner rechten Hand.“ (Ps. 73, 22. 23.) Paulus sagt: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? Ich danke Gott durch Jesum Christ, unsren Herrn.„ (Röm. 7, 24. 25.) Er ist mit aller Kraft durch den Geist Gottes in dem inwendigen Menschen gestärkt, und doch ist er die Schwachheit selber. In dem Text scheint Jona in einem verzweifelnden Zustande zu sein: „Ich bin vor Deinen Augen verstoßen;“ und doch hat er Hoffnung, denn er fasst den Entschluss: „dennoch will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel.„ Alles scheint verloren, und dennoch ist nichts verloren, so lange der Mensch noch zu Gott aufblicken kann. Gott kann ihn nicht sehen, so denkt er; doch redet er davon, auf Gott zu blicken, — dies ist sonderbar, nicht wahr? Es ist, als wenn er sagte: „Ich bin vor Deinen Augen verstoßen, und Du bist doch der, den meine Augen sehen.“ Ich kenne kein trüberes Wort, das menschliche Lippen sprechen können, als dieses: „Ich bin vor Deinen Augen verstoßen;„ ich kenne keinen hoffnungsvolleren Entschluss, den das menschliche Herz fassen kann, als diesen: „Doch will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel.“ O, ungeprüfter und unerfahrener Bruder, sei nicht aus der Fassung gebracht, wenn du dich selbst nicht begreifen kannst; im Gegenteil, nimm es als eins der Zeugnisse an, dass göttliches Leben in dir ist, wenn du dir selbst ein Geheimnis wirst. Wenn du wie ein Schulknabe dein eigenes Bild auf der Tafel mit einem Griffel zeichnen und sagen kannst: „Dies bin ich ganz und gar,„ nun, dann wirst du ausgewischt werden und dein Bild wird vergessen sein; aber ein unsterblicher Geist, in dem Gott wohnt, und der Sonne, Mond und Sterne überleben soll, ist nicht so schnell gezeichnet. Obwohl du ein Bruder des Wurms, und der Verwesung verwandt bist, so bist du dennoch Ihm nahe anverwandt, der auf dem ewigen Thron sitzt. Weite Regionen eines Wunderlandes liegen zwischen deinem Zustande als der elenden Beute des Todes und deinem Teil als Erbe Gottes durch Christum Jesum. Die Menschheit ist eine große Tiefe. Ich setze sie nicht dem bodenlosen Abgrund der Gottheit an die Seite, aber ich weiß nichts andres, was sie übertrifft.
Unser Text führt mich ferner dahin, zu bemerken, dass der Glaube in einem Kinde Gottes, wie auch die Umstände sein mögen, doch in den Vordergrund tritt. Hier ist Jona in einer so elenden Lage, dass er sagt: „Ich bin vor Deinen Augen verstoßen;“ und doch, trotz dessen, erklärt er: „Dennoch will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel.„ Die große atlantische Woge kommt herangerollt, sie geht nicht nur über Füße und Brust des Glaubens, sondern erhebt sich weit über sein Haupt, und für den Augenblick scheint der Glaube ertränkt. Wartet einen Moment und, das Antlitz rötlich von der Welle und die Locken triefend von der Flut, hebt der Glaube sein Haupt wieder empor und ruft: „Dennoch will ich blicken nach Deinem heiligen Tempel.“ Schreibt als Wahlspruch des Glaubens, Invicta; er reitet immer auf dem weißen Pferde, „siegend und um zu siegen.„ Der Glaube ist das Kind des Allmächtigen und hat teil an seiner Allmacht; er ist von dem Ewigen geboren und er besitzt seine Unsterblichkeit. Ihr mögt ihn zertreten und zermalmen, aber jedes Stückchen lebt; ihr mögt ihn ins Feuer werfen, aber er kann nicht verbrennen, und es kann auch kein Geruch des Brandes an ihm haften; ihr könnt ihn in die große Tiefe schleudern, aber er muss wiederum in die Höhe kommen. Der Glaube hat ein Auge, das gemacht war, um das Sonnenlicht einzusaugen, und so lange Gott eine Sonne ist, werden Glaubens' äugen da sein, sich seiner zu freuen. Wenn wir Glauben haben, so ist das in uns, was die Welt überwindet, Satans Pläne vereitelt, die Sünde besiegt, das Leben regelt und den Tod aufhebt. Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubet. Der Glaube triumphiert überall, obgleich sein Leben eins der fortgesetzten Prüfung ist. Der menschliche Verstand wird zerbrochen wie des Töpfers Gefäß, und die Vernunft ist schwach wie ein Spinngewebe; aber der Glaube bleibt und wachset und herrscht in der Kraft des Höchsten.
Bitte, beachtet, denn es mag zum Trost einiger der hier Anwesenden sein, dass Jona in einer ganz eigenartigen Lage war, und doch kam ihm der Glaube sehr zu statten. Ihr habt von Joseph im Kerker gelesen; aber seine Gefangenschaft war nichts im Vergleich mit dem Begräbnis Jonas im Bauch des Fisches. Ihr habt von Hiob auf einem Aschhaufen im äußersten Elend gelesen, — es ist ein trauriger Zustand; aber es sind viele Hiob in einem Jona, wenn wir nach diesem Elend und Unglück rechnen. Als lebendiger Mensch in einem lebendigen Grab zu liegen, war schrecklich. Jona litt ohne Zweifel von jenen Unannehmlichkeiten, die ohne ein Wunder seinem Leben rasch ein Ende gemacht hätten. Eine dunkle, drückende, pestilenzialische Zelle wäre besser gewesen als der Magen eines Haifisches, oder was es sonst für ein Fisch gewesen sein mag, der ihn verschlungen hatte. Das Sonderbare dabei ist, dass er seine Lage kannte und wusste, wann das Ungeheuer in den Grund des Meeres tauchte, wann es durch eine Wiese von Meergras ging, wann es sich einem großen Berge näherte, und wann es wieder an die Oberfläche stieg. Dies macht das Wunder umso auffallender, denn man ist geneigt, zu denken, dass er im Schlaf gelegen oder wenigstens halb bewusstlos gewesen sei in diesem sonderbaren Versteck. Seine Lage war so, wie nie ein sterblicher Mensch sie vorher oder nachher gekannt hat. Nun, zuweilen geschieht es, dass Einzigartigkeit dem Schmerz einen Stachel verleiht. Wenn ein Mensch glaubt, dass niemand je so gelitten, wie er es tut, so hält er dafür, dass sein Fall fast ein hoffnungsloser sei. Lieber geprüfter Freund, du kannst dies nicht mit irgend einer Gewissheit sagen, des bin ich sicher; denn du hast Gefährten in jedem Kummer; aber Jona konnte es mit völliger Wahrheit sagen: er war, wo nie ein Mensch zuvor gewesen und nie ein lebender Mensch seitdem gewesen ist. Seine Prüfung war ganz ihm eigen: kein Fremder kam dazwischen: in seiner Trübsal halte er keinen Vorgänger und keinen Nachfolger; er war der Erste und der Letzte, der drei Tage und Nächte im Bauch eines Fisches zugebracht hat. Er war einzigartig im höchsten Grade, und doch — hier ist der Segen dabei — war sein Glaube in seiner Lage gewachsen. Ihr könnt den Glauben nicht verbannen, seine Heimat ist überall. Ihr habt auf dem Pfennig von der Isle of Man jene drei Beine gesehen, die immer aufrecht stehen, wie ihr die Münze auch dreht: so ist der Glaube — werft ihn, wohin ihr wollt, er fällt immer auf seine Füße. Wenn der Glaube in einem kleinen Kinde ist, so gibt er dem Kinde Weisheit über seine Jahre hinaus; wenn er in einem von Alter gebeugten Greis ist, so macht er ihn stark in seiner Schwäche; wenn der Glaube in dem Einsamen ist, so beglückt er ihn mit der besten Gesellschaft; wenn der Glaube in der Mitte von Gegnern ist, bringt er dem Menschen die besten der Freunde. Der Glaube macht uns in Schwachheit stark, in Armut reich und im Tode lebendig. Habt ein festes Vertrauen auf Gott, und ihr braucht nicht zu fragen, was geschehen wird, — alles muss gut mit euch sein. Krumm oder gerade, bergauf oder bergab, durch Feuer oder durch Wasser, wenn du glaubst, so ist dein Pfad des Königs Hochweg. Wenn der Glaube nicht fehlt, so fehlt nichts. Der Glaube wappnet einen Mann von Kopf zu Fuß mit Erz, durch das weder Schwert noch Speer noch vergifteter Pfeil je dringen kann. Keine Waffe, ob sie gleich auf dem Amboss der größten, List des Teufels geschmiedet wäre, kann dir schaden, o Gläubiger! Du bist so sicher wie Er, an den du glaubst; denn „Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild.“
Wenn ich jetzt einem Kinde Gottes, das in Not ist, zu einer festen Ruhe in Gott verhelfen könnte, so würde ich mich in der Tat freuen. O. dass der Heilige Geist mir dabei helfen möchte!
Beachtet zuerst sorgfältig das Urteil des Verstandes. „Ich bin vor Deinen Augen verstoßen;„ und zweitens den Entschluss des Glaubens: „Dennoch will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel.“ Dieses beides fand sich, gedenkt daran, in einem Menschen zu gleicher Zeit.
I.
Zuerst ist hier das Urteil des Verstandes.
Beachtet, bitte, dass es im Texte zuerst kommt. Der Verstand entscheidet hastig: „Ich bin vor Deinen Augen verstoßen.„ Es ist bemerkenswert, dass der Unglaube stets der erste im Sprechen ist. Wenn David sagt: „Ich sprach in meiner Hast,“ so werdet ihr wahrnehmen, dass etwas zu bekennen ist, was unweise und unwahr war. Unglaube kann nicht warten; er muss das Wort haben; er plappert seine einfältige Seele bei der ersten Gelegenheit aus. Wenn ihr ruhig und geduldig sein könnt, so werdet ihr zu Gottes Ehre sprechen; aber wenn ihr hastig und ungeduldig seid und notwendig schwatzen müsst, sobald das Leiden über euch kommt, so ist es fast eine absolute Gewissheit, dass ihr etwas sagt, was ihr gern später zurücknehmen würdet. Unsre hastigen Worte werden oft in Wermut getaucht und uns zurückgegeben, dass wir sie hinunterschlucken müssen. Schweige eine Weile still, mein Bruder, oder wenn du sprechen musst, sprich zu deinem Gott, und nicht gegen Ihn; sprich mit deinem Gott, und nicht mit dir selber. Selbstgespräche sind häufig eine Vermehrung des Wehes. Das Herz bringt sich selbst in Gährung und Hitze und erzeugt ein inneres Fieber, das die Seele austrocknet. Wenn ein Gefäß eines Ventils bedarf, so wird ihm nicht dadurch geholfen, dass man im Innern herumrührt; doch ist dies der Fall, wenn wir mit David sagen: „Ich schütte mein Herz aus bei mir selbst.„ Besser ist das Wort: „Schüttet das Herz vor Ihn, aus,“ vor dem lebendigen Gott. Bruder, sprich nicht zu dir selbst, damit du nicht wie ein Wahnwitziger erscheinst; du magst deine Seele außerordentlich quälen durch dieses einsame Murren; sprich du zu deinem Gott. Selbst wenn du hastige Worte äußerst und Worte des Unglaubens, so werden sie besser in seiner Gegenwart gesprochen, als in deinem Herzen gemurmelt; hören wird Er sie jedenfalls; aber wenn Er sieht, dass in deinem Herzen kein Falsch ist, obgleich viel Ungeduld, so will Er dir frei allen kindischen Irrtum der zu hastigen Rede vergeben und dir helfen, dich unter deinem Weh aufrecht zu erhalten. Sprich, denn Schweigen tötet; aber sprich zu Gott, denn Er ist voll Mitleid. Beherzige die Warnung des Textes indes, und sei langsam zum Murren in der Erinnerung daran, dass die fleischliche Natur immer rasch zum Reden ist, und sicher, Verkehrtes zu reden.
Dieses Urteil des Verstandes war ferner scheinbar sehr richtig. „Ich sagte, ich bin vor Deinen Augen verstoßen.„ Schien es nicht so? Jona hat versucht, vor Gott zu fliehen, und Gott hatte ihn mit einem Sturm verfolgt und fast das Schiff in Stücke zerbrochen um seinetwillen. Das Resultat des Sturmes war, dass er ins Meer geworfen wurde, und im Meer hatte ein großer Fisch ihn verschlungen, und ward hinabgetragen, bis die Fluten ihn umringten. Bestätigte nicht seine ganze Umgebung den Argwohn, dass er ein Verstoßener sei? Konnte er erwarten, dass das Wort des Herrn je wieder zu Jona, dem Sohne Amithais, kommen würde? Konnte er hoffen, je wiederum in der fröhlichen Menge zu stehen, die den heiligen Tag im Hause des Herrn feierte, oder sein Dankopfer auf Jehovahs Altar darzubringen? Nein; wenn er nach seinem Gefühl urteilte, so blieb ihm nichts übrig, als der Schluss, zu dem er hier kam. Er hatte nichts mehr als das bloße Leben, und das, in einer solchen Lage, dass er kaum wünschen konnte, es verlängert zu haben. Er hielt mit sehr viel anscheinendem Grunde dafür, dass er vor Gottes Augen verstoßen sein müsse. Doch war es nicht so; und deshalb fordere ich diejenigen von euch auf, die begonnen haben, ihren Gott nach dem zu beurteilen, was sie fühlen und sehen, ihre Meinung zu berichtigen und in Zukunft sehr misstrauisch zu sein betreffs ihrer Fähigkeit, gerechtes Urteil über Gottes Handeln mit ihnen zu fällen. Gott sei Dank, ihr werdet unrecht haben, wenn ihr verzweifelt. Es ist viel besser, euren Glauben zu zeigen dadurch, dass ihr auf Gott vertraut, als eure Torheit zur Schau zu stellen, indem ihr sprecht: „Ich bin verstoßen.“
Da dies Urteil des Verstandes richtig zu sein schien, muss Jona gefühlt haben, dass es sicherlich verdient sei. Wenn der Herr mit Jona nach seinen Sünden gehandelt hätte, so wäre er ein Verstoßener gewesen. Er war nach Joppe geeilt und hatte das Fährgeld bezahlt, um nach Tarsis oder anderswohin zu gehen, weil er vor Gott fliehen wollte. Nun, was für eine Strafe war passender für ihn, als dass er vor den Augen Gottes verstoßen würde? War es nicht in Joppe seine Frage gewesen.- „Wo soll ich hinfliehen vor Deinem Geist?„ War dies nicht sein Verlangen: „Wo soll ich hinfliehen vor Deinen! Angesicht?“ Nun, er hatte seine Antwort — er wurde hinabgetragen, bis die Tiefe ihn rund umher einschloss. Seine Verkehrtheit ward ihm heimgegeben: er war in seiner eignen Münze bezahlt worden; und was konnte Jona anders fühlen, als dass er „mit seinen eignen Wegen gefüllt„ war? Wäre er im Meer gestorben, so hätte er nicht des Herrn Gerechtigkeit bezweifeln können. Wenn er als ein Verstoßener Hinweggetrieben worden, so wäre es nur eine gerechte Vergeltung für einen Ausreißer gewesen, der sich weigerte, seinem Herrn zu dienen. Dies muss ihn doppelt traurig gemacht haben; ein schuldiges Gewissen ist die bitterste Zutat von allem. Als jede Welle in Jonas Ohr heulte: „Du verdienst es,“ da war er in der Tat in einer bösen Lage.
Ein scharfer Stachel in seinem Elende war der, dass Gottes Hand so augenscheinlich dabei war. Er sieht es und zittert. Beachtet, wie er alles Gott zuschreibt: „Du warfst mich in die Tiefe mitten im Meer, dass die Fluten mich umgaben; alle Deine Wogen und Wellen gingen über mich.„ Wir können einen Schlag von einem Feind ertragen, aber eine Wunde von unsrem besten Freund ist hart. Wenn der Herr selbst wider uns auszieht, ist der Krieg einer, vor dem man Zittern muss. Wenn der Bote des Schmerzes von Jehovah selber beauftragt ist, und wir das wissen, so schließt die bloß fleischliche Vernunft, dass alles auf immer vorbei ist, und dass wir hinfort nichts tun können, als niedersitzen und sterben. Der Glaube denkt nicht so; aber dies ist die Art des Fleisches und des Verstandes.
Beachtet, dass dies Urteil des Verstandes: „Ich bin verstoßen von Gott,“ sehr bitter für Jona war. Ihr könnt an der Art, wie er davon spricht, sehen, dass es ihm eine schwere Bürde war, und doch scheint es sonderbar, dass dies der Fall. Hier ist ein Mann, der, als sein Herz nicht war, wie es sein sollte, vor dem Herrn zu fliehen suchte, und deshalb absichtlich an die Meeresküste ging, sich freute, ein Schiff zu finden, das nach einem fernen und fast unbekannten Lande bestimmt war, und der das Fährgeld bezahlte mit dem festen Vorsatz, von Gott hinweg zu kommen; und nun, da er denkt, dass er von Gott hinweg ist, da ist er voll Gram und Traurigkeit. Hierbei erkennen wir die Kinder Gottes selbst in ihrem schlimmsten Zustande. O ihr, die ihr das Volk Gottes seid, ihr mögt zuweilen in eurem Eigensinn wünschen, dass ihr von dem allerforschenden Auge hinweg könntet; aber wenn ihr es vermöchtet, so würde es Hölle für euch sein. Wenn du ein Kind Gottes bist, so musst du vor dem Angesichte Gottes weilen; es ist dein Leben, und du kannst nicht glücklich anderswo sein. O, erlöster, wiedergeborner Mensch, es ist jetzt unmöglich für deinen einmal erneuerten Geist, je in den armseligen Elementen deines früheren Zustandes glücklich zu sein: außerhalb der göttlichen Atmosphäre himmlischer Liebe ist keine Ruhe für dich. Du bist für diese Welt verdorben, o Erbe der künftigen Welt! Es gab eine Zeit, wo ihre Leckerbissen deinem Geschmack süß waren und deine Seele hätte davon satt werden können; aber dieser Tag ist jetzt vorüber: du musst das Himmelsbrot essen oder hungern. Wenn on nicht glücklich in deinem Gott bist, so bist du verurteilt, nirgends glücklich zu sein. Es ist dir keine Wahl gelassen. Deine eigenste Natur ist jetzt so beschaffen, dass, wie die Magnetnadel nicht ruhen kann, wenn sie nicht nach ihrem Pol zeigt, so dein Herz niemals ruhig sein kann außer in Jesu. Das Licht seines Angesichtes muss Licht für dich sein oder du musst in Finsternis wandeln; deine Melodie muss von Jesu Lippen kommen, sollst ist nichts für dich da als Heulen und Zähneknirschen; dein Himmel muss in seiner Umarmung sein, denn es ist nirgends anders ein Himmel für dich. Auch wünschten wir nicht, dass es anders wäre. Ich bin gewiss, ich kann aus tiefster Seele sagen, dass, wenn Gott mich verließe, es für mich eine Hölle sein würde, schlimmer als Dante oder Milton sie sich vorstellen konnten. Wie, wenn ich noch meinen heiligen Beruf zu erfüllen und zu predigen hätte! Welches Wehe, ohne Ihn zu predigen! Was für ein hohles Blendwerk! Wenn ich genötigt wäre, die äußere Form des Gebets und eines moralischen Wandels aufrecht zu halten, welche Eitelkeit der Eitelkeiten wäre das alles ohne meinen Herrn! Ohne Gott! Brüder, Schwestern, könnt ihr den Gedanken tragen? Weder die Qual der Hölle, noch ihr Feuer, noch ihr nicht sterbender Wurm, noch irgend etwas Schreckenvolles, das man darstellen kann, verursacht solches Entsetzen, als der bloße Gedanke, von Gott getrennt zu sein. Vor seinen Augen verstoßen werden, wäre Hölle in der Tat! Nun, ich sollte denken, wäre Jona in einem ruhigen Gemütszustände gewesen und fähig, die Dinge im Lichte der Wahrheit zu betrachten, so hätte er etwas Grund zu der Hoffnung gefunden, dass er nicht von Gott verstoßen sei, eben weil ihn die Vorstellung von dem Verstoßensein so unglücklich machte. Will der Herr eine Seele verlassen, die über solches Verlassen tief traurig ist? Kein Geist ist völlig von Gott verstoßen, so lange er sich nach Gott sehnt. Wenn du ohne Gott zufrieden sein kannst, so bist du m der Tat ein Verlorner; aber wenn in dir eine brennende, tiefe Unzufriedenheit ist bei dem bloßen Gedanken, von deinem Gott getrennt zu werden, dann bist du sein, und Er ist dein, und keine ewige Scheidung soll zwischen dir und- Ihm stattfinden. So habe ich etwas von der Kraft dieses Urteils des Verstandes dargetan: „Ich bin vor Deinen Augen verstoßen;„ aber ich möchte auch ferner zeigen, dass es nicht wahr war. Es war Grund vorhanden zur Traurigkeit, aber nicht zu diesem verzweifelnden Schlüsse. Das Urteil war nicht von genügenden Beweisen unterstützt. Es war sehr viel mehr, als Jona hätte sagen sollen. Was, lebendig im Meere, Jona; lebendig in der Tiefe! Lebendig in dem Bauch eines Fisches! Und dabei sagen, dass du vor Gottes Augen verstoßen wärest! Gewiss, wenn Gott irgendwo in der Welt war, so war es in jenem großen Fische. Wo hätten bessere Beweise seiner gegenwärtigen Macht und Gottheit sich finden können, als da, wo Er einen Mann lebendig erhielt in einem lebendigen Beinhause? Hier war ein fortwährendes, stehendes Wunder, drei Tage und drei Nächte lang; und wo ein Wunder ist, wird Gott sehr sichtbar gesehen. Wenn Jona die Meere und die tiefen Orte der Erde hätte fragen können, so würden sie ihm gesagt haben, dass der Herr nicht weit entfernt sei. Wenn er den Fisch selbst hätte fragen können, so würde dieser anerkannt haben, dass Gott da sei. Wenn die, welche in Schiffen auf das Meer gehen, die Werke des Herrn und seine Wunder in der Tiefe sehen, so hätte der sie noch viel mehr sehen können, der in eines Fisches Bauch in das Meer hinabging. Es gibt einen Spruch, den Jona nie gehört haben konnte, den ich euch für die Zeit empfehle, wo ihr dahin kommt, wo Jona war. Ich nehme nicht an, dass ihr jemals buchstäblich in einem Fisch begraben sein werdet; aber ihr mögt geistlich ebenso tief sinken, wie der Prophet es tat. Was für ein Spruch ist es: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen!“ Jona sagte: „Ich bin verstoßen,„ aber das war nicht wahr. Armer Jona! Die Schiffsleute stießen ihn aus, aber Gott tat es nicht; er ward aus dem Schiff gestoßen, aber nicht aus den Augen Gottes. Der Herr war stets treu, und es ist seine Regel, niemals sein Volk zu verstoßen; wie David sprach: „Denn der Herr wird nicht ewiglich verstoßen, sondern Er betrübet wohl und erbarmet sich wieder nach seiner großen Güte.“ Merkt euch den Spruch, den ich von unsres Herrn eignen Lippen allführte: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen.„ zweifelt nie an diesem heiligen Wort. Er will nie, nie einen einzigen hinausstoßen, der Ihm vertraut. So dass, wenn du je in einer Lage sein solltest, die ebenso hoffnungslos scheint als die des Propheten in der Mitte des Meeres, du doch gewiss sein kannst, dass du nicht verstoßen, noch hinausgestoßen bist. Wer sagt, dass er hinausgestoßen sei, sagt mehr, als wahr sein kann; denn die unfehlbare Verheißung lautet: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen.“ Es gebührt uns nicht, eine Lüge gegen den Gott der ganzen Erde zu schmieden. Er spricht nicht das, was falsch ist, sondern aus seinem Munde geht Wahrheit hervor. Selbst wenn alle Dinge in der Erde und Hölle schwören, dass der Herr einen aus seinem gläubigen Volk verstoßen hätte, so wäre es unsre Pflicht, ihnen allen nicht zu glauben; denn es ist unmöglich, dass Er irgend einen Gläubigen hinausstoßen sollte, aus welchem Grund oder welcher Ursache es auch sei.
II.
Folgt mir, lieben Freunde, und möge der Herr es euch zum Nutzen sein lassen, wenn ich während der noch übrigen Zeit bei dem Entschluss des Glaubens verweile. O, dass der Heilige Geist „denselben teuren Glauben„ wie in Jona wirken möge. „Dennoch,“ spricht Jona, „selbst wenn ich verstoßen bin, dennoch will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel.„
Jona war ein Mann Gottes, als er in seinem schlimmsten Gemütszustande sich befand; zu keiner Zeit war das ewige Leben ganz in ihm er- loschen. Eine hässliche Art von Heiligen, dieser Jona, wenn er in seiner üblen Laune war! Ein stolzes, selbstbewusstes, eigensinniges und mürrisches Wesen, schwer zu lieben! Doch, wie eine Muschel eine köstliche Perle in ihrer rauen Schale tragen kann, so barg dieser harte Prophet in seinem Innern ein unschätzbares Kleinod des Glaubens: außerordentlichen, mächtigen, triumphierenden Glauben, einen Glauben höchsten Grades.
Dieser Glaube trieb ihn zum Gebet. Das Kapitel beginnt: „Und Jona betete zu dem Herrn, seinem Gott, im Leibe des Fisches.“ Jona hatte nicht gebetet, als er nach Joppe hinabging. Er hatte sein Schicksal in seine eigne Hand genommen und überließ Gott nichts bei dieser raschen Seereise. Wie konnte er das in solcher Gemütsstimmung? Er bezahlte sein Fährgeld nach Tarsis; er betete nicht um Gottes Segen für diese Ausgabe, dessen bin ich ganz gewiss. Als das Meer sich zu rühren begann und stürmisch ward, war er unten im Schiff, aber er betete nicht; nein, er schlief ein. Sein Ge- wissen war betäubt und wie mit einem heißen Eisen versiegelt worden; es war kein Gebet in ihm, sondern eine gewisse Erstarrung der Seele und Lethargie des Herzens. Und nun kommt er in den Bauch des Fisches, einen sehr engen, toten Platz, wo man denken sollte, er würde in einem Zustand der Schlafsucht oder Ohnmacht liegen, wenn es überhaupt für ihn möglich wäre, zu leben; doch da beginnt er zu beten. Ihr werdet Gottes Kinder betend finden, wo ihr denkt, sie würden verzweifeln; und auf der andren Seite mögt ihr finden, dass sie nicht beten, wo ihr denkt, sie würden sehr viel im Gebet sein. „O,„ sagt jemand, „wenn ich alle meine Zeit für mich haben könnte und nicht die Sorge für die Familie und das Geschäft hätte, wieviel Zeit würde ich im Gebet zubringen!“ Würdest du das? Ich möchte nicht Gewähr leisten für deine große Andacht. Einige von denen, die am wenigsten Zeit zum Gebet haben, beten am meisten, und die, welche die meiste Gelegenheit haben und in einer entsprechenden Umgebung leben, werden zu oft träge in ihrem Flehen gefunden. Jonas Betkapelle war eng, und das presste das Gebet aus ihm heraus. Er betete nicht unten im Schiff, wo er Raum genug und überflüssig hatte; aber er betete, wo er nicht auf seine Knie fallen oder seine eigne Stimme hören konnte. In einen lebendigen Sarg gelegt, begann er sein Flehen. Man könnte es für schwer halten, den Bauch der Hölle zur Pforte des Himmels zu machen, aber Jona tat das. Er betet, und einer der sichersten Beweise des lebendigen Glaubens ist das Gebet. Wenn du nichts andres tun kannst, so kannst du beten, und wenn du ein Kind Gottes bist, wirst du beten, so gewiss wie ein Mensch atmet oder ein Kindlein schreit: du kannst nicht anders. Gebet ist dein Lebensodem, deine Heimatsluft. Ob auf dem Lande oder auf der See, Gebet ist dein Leben, und du kannst nicht ohne dasselbe sein, wenn du in der Tat von oben geboren bist. Antworte, lieber Hörer, ist es nicht so? Es ist nicht das Gebetbuch, sondern der Gebetsglaube, den wir haben müssen. Hast du solchen Glauben?
Ich bitte euch indes, zu beachten, dass dieser Glaube Jonas sich nicht durch Gebet zu Gott im allgemeinen zeigte, sondern dass die Stelle lautet: „Und Jona betete zu dem Herrn, seinem Gott.„ Wie ungemein bedeutsam ist das! Wenn ihr in euer Zimmer geht und zu Gott betet, als jedermanns Gott, so habt ihr getan, was jeder Haus, Peter und Heinrich tun kann, aber in euer Kämmerlein gehen und zum Herrn schreien als zu eurem Gott, das ist etwas, was nur ein Erbe der Gnade tun kann. O, zu rufen: „Mein Vater und mein Freund! Mein Bundesgott. Mein Gott, zu dem ich vor Jahren gesprochen habe und den ich so manches Mal gehört habe. Du, den ich liebe. Du, der Du mich liebst, Jehovah, mein Gott.“ Dies Ergreifen Gottes als unsres Gottes ist etwas, wovon der Vorhof-Verehrer Gottes nichts weiß. Haben einige von euch überhaupt einen Gott? „O,„ sagst du, „ich weiß, dass es einen Gott gibt.“ Ja, ich weiß, dass es eine Bank gibt, aber das macht mich nicht reich. Was ist euer Gott für mich? Ich muss sagen: „mein Gott,„ sonst kann ich nicht glücklich sein. Hast du einen Gott für dich selbst, ganz für dich selbst; wenn das, so wirst du das Gebet des Glaubens beten, wenn du dich Ihm nahst, und dies wird beweisen, dass, wie auch dein Zustand sein mag, du nicht vor den Augen des Höchsten verstoßen bist.
Es ist eins an dem Jona, wovon ich besonders wünsche, dass ihr es beachtet: wie sein Glaube ihn beten machte und ihn zu dem Herrn, seinem Gott, beten machte, so hatte sein Glaube ihn auch vertraut mit der Heiligen Schrift gemacht. „Was!“ sagt ihr: „wie weißt du das?„ Er hatte nur eine kleine Bibel im Vergleich mit der unsren, aber er hatte viel davon in seinem Gedächtnis aufbewahrt. Augenscheinlich liebte er das Buch der Psalmen, denn sein Gebet ist voll von Davids Ausdrücken. Seid so gut, Jonas Gebet anzusehen. Ich denke, ich habe recht, wenn ich sage, dass nicht weniger als sieben Auszüge aus den Psalmen in diesem Gebet und seiner Vorrede sind. Es war Jonas eigenes Gebet, und kein Mensch setzte es für ihn zusammen, denn er war weit weg von den Wohnungen der Menschen; doch führte ihn sein Herz zu dem, was er früher gelesen und sein Gedächtnis kam ihm mit sehr passenden und kräftigen Worten zu Hilfe, die von einem früheren, sehr geprüften Knecht des Herrn geborgt waren. Eine tiefe Erfahrung ist genötigt, ihre Zuflucht zur Schrift zu nehmen, um Ausdrücke zu finden. Menschliche Aussprüche genügen für oberflächliches Werk, aber wenn alle Wellen und Wogen Gottes über uns gehen, so sprechen wir mit Psalmenworten. Wenn unsre Seele in uns ermattet, so werden wir nicht durch menschliche Lieder belebt, sondern wir wenden uns zu den ernsten, lieblichen Melodien des von Gott eingegebenen Wortes. Wenn ein wahres Kind Gottes in Not ist, so ist es wunderbar, wie teuer ihm die Bibel wird, — ja selbst ihre Worte. Ich sage, selbst ihre Worte; denn ich kümmere mich nicht um den Hohn, mit dem man einen Glauben an „Wörtliche Inspiration“ behandelt. Wenn die Worte nicht inspiriert sind, so ist es der Sinn auch nicht, weil kein Sinn da sein kann, ohne Worte. Meine Seele weiß, was es ist, ihre Hoffnung an ein einziges Wort Gottes zu hängen; und ihr Vertrauen angenommen zu finden. Ich möchte nicht einmal den Ausdruck unserer Übersetzung an manchen Stellen ändern; nicht dass ich durch eine Übersetzung gebunden bin, denn Gottes Original ist das, was wir als unfehlbar annehmen; aber doch gibt es Übersetzungen, die augenscheinlich richtig sind, denn des Herrn eigner Geist hat sie seinen Heiligen unaussprechlich teuer gemacht. Es gibt Umstände, die mit den Worten manches Textes verbunden sind und mit der Art, wie Gott durch diese Worte auf uns gewirkt, und in solchen Fällen hängen wir selbst an unserer Übersetzung mit aller Kraft. Ich denke, ihr werdet finden, dass geprüfte Heilige die bibelfestesten Heiligen sind. Im Sommerwetter freuen wir uns all Gefällgen, aber in Winterstürmen fliehen wir zu den Psalmen. Leere Namenchristen zitieren Dickens oder George Eliot, aber leidende Gotteskinder zitieren David oder Hiob. Diese Psalmen sind wunderbar. David scheint für uns alle gelebt zu haben; er war nicht so sehr ein Mensch, als alle Menschen in ei ne in. Auf die eine oder andre Weise berührt der große Kreis seiner Erfahrung den eurigen und den meinigen, und der Heilige Geist hat uns durch David mit den besten Ausdrücken versehen, die wir vor dem Herrn im Gebet brauchen können. Gebt mir den Glauben, der die Schrift liebt. Der Glaube kommt durchs Hören, und Hören durch das Wort Gottes, und wahrer Glaube liebt immer das Wort, aus dem er entsprang; er nährt sich davon und wächst dadurch. In dem Verhältnis, wie die Leute anfangen, die Schrift zu kritisieren und die Echtheit von diesem und jenem zu bezweifeln, in demselben Verhältnis rücken sie aus der Zone des Glaubens heraus: die Region der Kritik ist kalt wie das Polarmeer; der Glaube liebt eine wärmere Atmosphäre. Der Glaube der Erwählten Gottes hängt an Gott und hat Ehrfurcht vor seinem Wort. Von jeglichem Wort, das aus dem Munde Gottes geht, lebet der Mensch, und von solcher Speise lebte Jona, wo andre gestorben wären.
Ich wünsche recht in meinen Text hineinzugehen, wenn ich euch bitte, zu bemerken, dass der Glaube es wagt, zu Gott mit einem „dennoch„ zu kommen. Jona sprach: „Dennoch will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel.“ Der Glaube traut in seinen schlimmsten Umständen auf Gott. Hängt ihm ein Gewicht an, legt ihm eine Last auf, schließt ihn ein, dennoch blickt er allein auf Gott. O Gott, ich vertraute Dir einst, als ich jung war und fühlte, dass ich einen Heiland nötig halte; ich kam damals zu Dir und blickte auf Jesum und fand sogleich Frieden; aber damals kannte ich nicht das Übel der Sünde, wie ich es jetzt kenne. Was dann? Nun mit dieser neuen Kenntnis will ich dennoch auf Jesum blicken. Ich kannte damals nicht das Verderben meines Herzens, wie ich es jetzt kenne, aber doch will ich mit diesem neuen Gefühl der Schuld blicken, wie ich es zuerst tat. Ich kannte damals Deinen großen und schrecklichen Zorn wider die Sünde nicht, wie ich ihn jetzt kenne; aber doch will ich mit dieser volleren Erkenntnis auf Dich blicken. Ich kannte nicht die Last des Lebens damals, wie ich sie jetzt kenne; ich kannte nicht die Macht des Satans über mich, wie ich sie jetzt kenne; dennoch will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel. Mit all diesen neuen Lasten und frischen Hindernissen tue ich heute, was ich vor vielen Jahren tat; ich werfe mich auf Dich, mein Herr, und vertraue auf Deinen unvergleichlichen Rat des Heils durch das teure Blut Christi. Er war einst meine Wonne, Er ist noch meine Wonne. Dies ist die Beharrlichkeit und Entschlossenheit des Glaubens. Er springt über alle Mauern und kriecht durch alle Hecken mit seinem: „Dennoch.„ Komme, was da wolle, er hat auf Christum geblickt, und ist entschlossen, dies zu tun, was auch geschehen und auf einen andren Weg hindeuten möge.
Nach dem Hebräischen sollte das Wort durch „nur“ statt durch „dennoch„ wiedergegeben werden: „nur will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel.“ Der Glaube blickt nur auf Gott. Der Glaube kommt allein zu seinem Gott und sucht keine Gesellschaft, ihn aufzumuntern. Als wir zuerst errettet wurden, war es durch den Glauben allein, und wir müssen immer noch in derselben Weise errettet werden. Bei Jona waren alle Stützen hinweggenommen; er hatte nichts, worauf er blicken konnte im Bauch des Fisches auf dem Grunde des Meeres; aber er vertraute Gott, und das war alles. Er konnte nicht sehr klar denken, noch vor Menschen bekennen, oder irgend etwas sein oder tun; denn er war in einem Quartier eingeschlossen, das zu eng zum Handeln war; aber er konnte wiederum nach dem Tempel Gottes blicken, und dies allein tat er. Er konnte den Glaubensblick geben, wenn alles Blicken mit den Augen außer Frage gestellt war. Wie konnte er wissen, in welcher Richtung er nach dem Tempel blicken müsse, wenn rund um ihn her die dunkle See rollte? Sein Blicken war innerlich und geistlich, und er war zufrieden, dies zu tun, und dies allein. Sein Thun war blicken, blicken, nur blicken. Sei es unser: zu glauben, zu glauben und wiederum zu glauben. Jona blickte wiederum nach dem Ort, wo Gott sich offenbarte, und wir blicken auf die Person des Herrn Jesu Christi, m dem alle Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt. Er blickte nach dem mit dem Opferblut besprengten Gnadenstuhl, wo der Herr gewohnt war, zu vergeben und alle flehenden Sünder zu segnen, und wir blicken auf Jesum als die große Sühne. Zu diesem Blick wollen wir als Grund unsres Vertrauens nichts hinzufügend Nur Jesus ist unsre Hoffnung, und nur zu Ihm wollen wir blicken. Wir wollen nichts zu unsrem Blick, unsrem Blick auf Christum, hinzutun; Er allein ist unsre Stütze und Trost. Es ist eine gesegnete Sache, von allen untergeordneten Hoffnungen frei zu werden, und durch den Glauben allein zu leben. Mischungen genügen nicht in der Stunde der Versuchung. Ein einfältiges Auge ist das, was nötig ist: die geringste Teilung unsres Vertrauens ist schmerzhaft und gefährlich. Wenn ihr etwas von eurem ersten Lichte verloren habt, so blickt wiederum; blickt nach seinem heiligen Tempel, und das Licht wird euch sicher zurückkehren.
Bemerkt ihr hier, dass der Glaube dahin getrieben wird, sein erstes Thun zu wiederholen: „Dennoch will ich wiederum blicken.„ Ihr wisst, der Glaube wird auch noch auf andre Weise beschrieben; er ist ein Nehmen, Ergreifen, Besitzen, Sich-Nähren: aber der Glaube ist zu allererst ein Blicken; und so wird es, wann immer ihr in große Not geratet, weise sein, zum Anfang eures Vertrauens eure Zuflucht zu nehmen und daran bis zum Ende festzuhalten. Wenn ihr nicht ergreifen könnt, so blickt doch. Es gibt mehrere Grade des Glaubens; und wenn ihr nicht den höheren Grad er- reichen könnt, so wird es weise sein, euch den niederen völlig anzueignen. Erinnert euch, die niedrigste Form des Glaubens wird erretten, und selbst das kleinste Maß von Glauben genügt zur Errettung, wenn auch nicht zur Tröstung. Blickt! Blickt auf Jesum! „Es ist Leben in einem Blick.“ Es ist Himmel in einem Blick. „Blicket auf mich, und werdet errettet, alle Enden der Erde.„ Blicke! Wenn du nicht ausziehen kannst zum Kampf im Glauben, so stehe still und blicke im Glauben. Wenn du die Herrlichkeit des Herrn nicht verkünden kannst, so blicke doch. Wenn du nicht erzählen kannst, was Gott für dich getan hat, so fahre fort, im Glauben zu blicken, um zu sehen, was Gott für dich tun wird. Tue du dein erstes Werk, und da dein erstes Werk ein einfacher Blick auf den Gekreuzigten war, so blicke wiederum auf Ihn.
Hiermit will ich schließen und die lieben, hier gegenwärtigen Freunde bitten, selbst wenn sie alles übrige meines Textes vergessen, doch dieser zwei Worte zu gedenken: „Blickt wiederum.“ Wenn einige von euch in großer Not sind, so heiße ich euch heimgehen mit diesen zwei Worten, die in ihrem Herzen erklingen: „Blickt wiederum!„ Wenn ihr einmal geblickt habt, aber in neue Finsternis gefallen seid, blickt wiederum. Ich beabsichtige heute morgen, und ich möchte euch bitten, mir darin zu folgen, zu meinem Herrn Jesu Christo wiederum zu blicken, wie ich es zuerst getan. Es ist häufig etwas sehr Wohltätiges, die Grundlagen von neuem zu untersuchen, und wieder beim Anfang anzufangen. Ich blickte auf Christum vor dreiunddreißig Jahren oder mehr; einige von euch taten dasselbe. Aber der Teufel mag sagen: „Dein Glaube war Einbildung; deine Bekehrung war eine Täuschung.“ Sei es so, o Satan; wir wollen nicht mit dir streiten; aber wir wollen von diesem Augenblick an wieder beginnen. Es ist eine solche Gnade, dass der Glaube nicht alt zu werden braucht, ehe er uns errettet: der in diesem Augenblick geborne Glaube errettet die Seele schon bei seiner Geburt. Ist es so, dass dein Glaube nicht mehr als fünf Minuten alt ist, mein Bruder? Hast du eben erst begonnen, Christo zu vertrauen? Nun, dein Glaube hat dich ebenso wirksam errettet, als der Glaube eines Mannes, der seit fünfzig Jahren an Christum geglaubt hat. Wir müssen jeden Tag von neuem glauben; der gestrige Glaube nützt für heute nicht. Lasst uns jetzt auf Jesum Christum am Kreuze blicken und Ihm heute morgen vertrauen, wie wir Ihm nie zuvor vertraut haben. Es wird jedem gut tun, aufs neue zu dem Kreuze zu blicken, das die einzige Hoffnung seiner Seele ist. Es ist nichts besänftigender für den Geist, als die Sünde zu bekennen und die Gnade anzunehmen in der ursprünglichen Weise und zu Jesu zu gehen, gerade wie wir zuerst zu Ihm gingen. Lasst uns das diesen Augenblick tun.
Jemand sagte neulich stolz, dass er nicht länger sündigen könne: „Ein armer Sünder bin ich, und nichts, Mein all' in allem ist Jesus Christ.„ Er war darüber hinaus! Hals über Kopf, das ist ein Mann! Er ist eben vom Dunghaufen aufgestanden, und nun auf einmal ein großer Herr geworden! Nichts genügt für ihn als: „Sieh', er kommt mit Sieg gekrönt. Blast Posaunen, schlagt die Trommeln!“
Ach, der hochmütige Heuchler! Schande über den stolzen Selbstverherrlicher! Wenn er sich nur selbst kennte, würde er sein Nichts bekennen mit größerem Nachdruck als je, und würde wie der Zöllner rufen: „Gott sei mir Sünder gnädig.„ Ich glaube, in dem Maße wie ein Kind Gottes in der Heiligung wächst, wird seine Demut tiefer, und in dem Maße wie es zur Vollkommenheit fortschreitet, sinkt es in seiner eignen Achtung. O, dass die Menschen das Seifenblasenmachen aufgeben wollten, was in gewissen Kreisen so sehr bewundert scheint! Wir haben viel Anlass gehabt, über das niedere Leben mancher Bekenner zu trauern, aber das „höhere Leben“ andrer ist nicht ein bisschen besser; es ist falsch, stolz, tadelsüchtig und unpraktisch. Die, welche mit Vollkommenheit prahlen, werden viel zu betrauern haben, wenn sie einmal zur Besinnung kommen und in Wahrheit vor dem lebendigen Gott stehen. Kein Mensch redet davon, dass er ohne Sünde lebe, bis er in dem Netz der Selbsttäuschung gefangen ist. Ich bin manches Jahr mit Gott gewandelt, und habe das Licht seines Angesichtes genossen, aber meine Erfahrung ist, dass ich heute einen viel niedrigeren Platz einzunehmen habe, als ich je zuvor einnahm, während: „Nichts ist, des ich mich rühmen kann.„ Brüder, ob ihr es tun wollt oder nicht, ich fliehe zu dem Kreuze wiederum. In den Fels des Heils verberge ich mich wiederum. Wer unter uns wagt aus dieser göttlichen Freistätte herauszugehen? „Jesus, unserer Seele Freund, lass uns fliehen an Dein Herz.“ Wir alle wollen singen, als wenn es zum erstenmal wäre:
„Gerad' wie ich bin — ohn' andres Gut,
Als Dein für mich vergoss'nes Blut
Und Dein Gebot: Komm her zu mir.
So komm ich, Gottes Lamm, zu Dir.„
Lieben Freunde, wir sind es Gott schuldig, wir sind es Christo schuldig, wir sind es dem Evangelium schuldig, dass wir jeden Tag mit gleicher Einfalt ungeteilten Vertrauens glauben. Fahrt fort, an Christum zu glauben, „zu welchen! ihr gekommen seid, als zu dem lebendigen Stein.“ Wir sollen durch den Glauben leben. Ihr mögt ganz sicher sein, dass es euch gestattet ist, dies zu tun, denn Christus ist immer der Sünderheiland. Wenn ihr nicht als Heilige zu Ihm kommen könnt, so kommt als Sünder. Wenn deine Untauglichkeit zur Gemeinschaft mit Ihm als sein Diener dir vor die Seele tritt und dein Herz bricht, so gedenke daran, dass du stets als ein verlorner Sohn zurückkehren kannst. Wenn ihr nicht auf den grünen Auen weiden könnt wie die Schafe der Herde, so übergebt euch der starken Hand Dessen, der das verlorne Schaf sucht. Wenn ihr nicht zu Jesu kommen könnt wie ihr solltet, so kommt gerade wie ihr seid. Wenn eure Kleider nicht rein sind, wie sie es sein müssten, so kommt und waschet sie weiß in dem Blute des Lammes.
Dies sollte jeden Tag bereitwilliger von uns getan werden, denn es sollte immer leichter werden, unsrem Gott zu glauben, je mehr die Erfahrung seine Treue beweist. Wenn es mit uns am schlimmsten steht, so lasst uns mit unerschüttertem Glauben vertrauen. Denkt daran, dass dies die Zeit ist, wo wir Gott am meisten durch den Glauben verherrlichen können. Christo vertrauen, wenn du ein leichtes Gefühl der Sünde hast, wenn dein Herz froh und dein Antlitz hell ist, ist nur ein geringes Vertrauen auf Ihn, aber glauben, dass Er dich reinigen kann, wenn dein Herz schwarz ist wie die Hölle, wenn du keinen einzigen guten Zug in deinem ganzen Charakter sehen kannst, wenn du nichts als Fehler und Unvollkommenheit in deinem Leben siehst, wenn all deine äußeren Umstände von einem zornigen Gott zu sprechen scheinen, und alle Gefühle deines Innern dir mit Gericht von seiner Rechten drohen, — dies heißt in der Tat glauben. Solchen Glauben verdient der Herr von dir. O, wenn du nur ein kleiner Sünder bist, so mag ein kleiner Heiland und ein kleiner Glaube für dich hinreichen; wenn du nur wenig Furcht, wenig Bürden, wenig Sorge hast, und wenig bedarfst, nun, dann kannst du deinen Herrn nicht viel erproben oder Ihm viel trauen. Aber wenn du bis an den Hals in Leiden bist, ja, wenn sie dir über den Kopf gehen wie bei Jona, und du fast zur Verzweiflung getrieben bist, dann hast du einen großen Gott und solltest Ihn verherrlichen durch großes Vertrauen. Wenn du versucht bist, gewaltsam Hand an dich zu legen oder eine andre rasche und böse Tat zu tun, tue nichts dergleichen, sondern vertraue dich deinem Gott an, und dies wird Ihm mehr Ehre bringen, als Seraphim und Cherubim Ihm geben können. Der Verheißung Gottes glauben, wie du sie in seinem Worte liest, ist etwas Großes. Ihr glauben, ob du krank oder traurig bist oder dem Tode nahe, dies heißt: den Herrn verherrlichen. Brüder, wenn ich lebe, will ich der Verheißung glauben, wenn ich sterbe, will ich der Verheißung glauben, und wenn ich auferstehe, will ich der Verheißung glauben. Lasst uns entschlossen sein, zu glauben, ob die Welt in Flammen wäre und ihre Säulen sich bewegten. Lasst uns glauben, ob die Sonne in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt würde. Lasst uns glauben, ob alle Mächte der Erde zum Kampfe aufgestellt wären, und Gog und Magog sich zum Streit versammelten. Lasst uns glauben, ob die Posaune zum Gerichte bliese, und der große weiße Thron im offenen Himmel stände! Weshalb sollten wir zweifeln? Der Bund, der mit der Verheißung und dem Eide bestätigt und mit dem Blute Jesu bekräftigt ist, stellt jeden Gläubigen unter den breiten Schild der göttlichen Wahrheit; und was für Ursache kann zur Furcht da sein? O, mein Hörer, glaubst du an Christum? Traust du deinem Gott? Wenn du das versichern kannst, so bist du nicht nur ein Erretteter, sondern du bringst schon Gott Ehre. Möge Er dir helfen, so zu tun. Amen.