Spurgeon, Charles Haddon - Frost und Tau.
„Er gibt Schnee wie Wolle; er streuet Reif wie Asche. Er wirft seine Schlossen wie Bissen; wer kann bleiben vor seinem Frost? Er spricht, so zerschmilzet es; er lässt seinen Wind wehen, so tauet es auf.„
Psalm 147,16-18.
Als wir eines Morgens zum Fenster hinaus schauten, sahen wir die Erde in einen weißen Mantel gehüllt, denn seit einigen kurzen Stunden fielen die Flocken dicht aus den Wolken und bedeckten die Erde mit einer ziemlich tiefen Schneedecke. Als wir aber nach einiger Zeit wieder hinaus schauten, war alles so grün als am Tage vorher, die frischgepflügten. Felder lagen so kahl da, als ob es gar nicht geschneit hätte. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass auf einen starken Schneefall plötzlich Tauwetter eintritt.
Diese interessante Wechsel sind das Werk Gottes und haben nicht nur Bezug auf die äußere, sondern in einem gewissen Sinne auch auf die geistliche Welt. Gott ist immer ein Lehrer. Mit jeder Handlung, welche er vollzieht, unterrichtet er seine Kinder und öffnet ihnen den Weg zu inneren Geheimnissen. Glücklich sind Die, welche in den Werken der göttlichen Meisterhand sowohl Nahrung für ihre Seele als für ihren Verstand finden.
Ich will eure Aufmerksamkeit zunächst auf die Wirkungen der Natur, welche der Text behandelt, lenken, und dann auf das Werk der Gnade, welches durch jene vorgebildet wird.
1. Ich halte es nicht für verlorene Zeit, wenn wir der Betrachtung der göttlichen Wunderwirkung in Frost und Tau einige Minuten widmen.
Seht zunächst die Bestimmtheit der göttlichen Wirkungen. Ich freue mich, wenn ich diese Worte lese, wie allgegenwärtig der Herr ist in dieser Welt. Es heißt nicht, „die Gesetze der Natur erzeugen Schnee,“ sondern ,er gibt Schnee;“ als ob jedes Flöckchen direkt aus der Hand Gottes käme. Es wird uns nicht gesagt, dass gewisse natürliche Wirkungen die Feuchtigkeit zu Reif umbilden, nein, sondern wie Moses die Asche aus dem Ofen nahm und dieselbe über Ägypten ausstreute, so heißt es von dem Herrn „er streuet Reif wie Asche.“ Es wird nicht gesagt, dass der Ewige die Welt in Gang setzte, und durch die Wirkung der Maschinerie Hagel produziert wird; ach nein, sondern jedes fallende Eiskörnlein kommt vom Herrn. „Er wirft seine Schlossen wie Bissen.“ Wie der Schleuderer vorsichtig den Stein mit seiner Schleuder dahin wirft, so ist der Weg eines jeden Hagelkorns durch die Kraft des Allmächtigen bezeichnet. Ihr merkt, der Psalmist nennt den Hagel seine Schlossen und gleich darauf den Frost seinen Frost. Diese Worte geben der Natur eine seltsame Erhabenheit. Wenn wir jedes Hagelkorn als Gottes Schlossen und jedes Stückchen Eis als sein Eis betrachten, wie kostbar werden uns dann diese Wasser-Diamanten. Wenn wir den Frost fühlen, wie er unsere Glieder durchzittert, so ist es ein beherzigenswerter Gedanke, dass es sein Frost ist. Wenn es anfängt zu tauen, seht wie unser Text davon spricht: „Er spricht, so zerschmilzet es.“ Er überlässt es nicht gewissen Naturkräften, sondern, einem Könige gleich, „er spricht, so zerschmilzet es; er lässt seinen Wind wehen.“ Er gebietet dem Winde, ob derselbe vom Norden weht, um Frost zu erzeugen oder vom Süden, um zu schmelzen, es ist sein Wind. Seht wie im Tempel Gottes Alles seine Herrlichkeit predigt. Lernt den Herrn schauen in jedem Wechsel in dem sichtbaren Weltall, denn er ist es, der alle Dinge wirket.
Diese direkte Wirksamkeit des Herrn muss man in die Vorsehung übertragen. Wahrlich es ist ein großer Trost, wenn man in jedem Kreuz und jedem Verlust die Hand des Herrn erkennt. Gewiss, gegen die direkte Wirkung des Herrn werdet ihr nicht murren. Dieses gibt auch den Wohltaten, die wir täglich aus Gotteshand empfangen doppelte Süßigkeit und macht die Segnungen des Lebens noch segensreicher, weil sie aus der Hand eines liebenden Vaters kommen. Ist eure Tafel ärmlich besetzt, so genügt es eurem zufriedenen Herzen zu wissen, dass sie euer Vater für euch in Weisheit und Liebe deckte. Dieses Bewusstsein legt einen Segen in euer Brot und Wasser; es stattet die kahlen Wände eurer Hütte aus wie einen Palast und verwandelt das harte Lager in Eiderdaunen; es ist unser Vater, der Alles tut. Wir sehen das Lächeln seiner Liebe, wo Andere nur die schwarze Hand des Todes schauen, welche ihre Lieben von ihrer Seite rafft. Wir sehen eines Vaters Hand, wenn die Pest unser Vieh auf der Weide sterben lässt. Wir schauen die Hand göttlicher Barmherzigkeit, wenn wir hilflos auf das Schmerzenslager gelegt werden. Es ist immerfort die Hand und das Werk unseres Vaters. Darüber lasst uns nicht hinaus gehen, und bedenken, dass sich dies sowohl auf kleine wie auf große Dinge bezieht.
„Der Herr ist in den Höhen,
Auch in den Tiefen ist der Herr,
Wo Menschen zu ihm flehen,
Wo ihn die Engel schaun, ist er.
Selbst Wünschen und Gedanken
Und Sorgen ist er nah,
Für ihn sind keine Schranken
Im ganzen Weltall da.
Er fasst in seinen Händen
Die Welten und umspannt
An allen ihren Enden
Sie mit allmächt'ger Hand.“
2. Betrachtet zum andern die Leichtigkeit der göttlichen Wirkung. Diese Verse lesen sich, als sei das Hervorbringen von Frost und Schnee die leichteste Sache von der Welt. Es steckt ein Mann seine Hand in einen Wollsack und wirft die Flocken umher. So leicht ist es dem Herrn, Schnee zu geben. „Er gibt Schnee wie Wolle.“ Es nimmt Jemand eine Hand voll Asche und wirft sie in die Luft, so dass sie ums herfliegt. „Er streuet Reif wie Asche.“ Reif und Schnee sind Wunder der Natur; Derjenige, welcher sie genau beobachtet, wird von der wunderbaren Schönheit der Eiscrystalle in Erstaunen gesetzt. Und doch ist es dem Herrn ein Leichtes, sie zu formieren. „Er wirft seine Schlossen wie Bissen“ - so leicht, wie wir den hungrigen Vögeln Krümchen Brot durchs Fenster zuwerfen. Wenn die Flüsse gefroren sind und die Erde in eisigen Fesseln gehalten wird, wie geht es dann zu, dass das Ganze schmilzt? Nicht durch unzählige Feuer oder elektrische Feuer, die aus der Erde Tiefen emporflammen, nein; „er spricht, so zerschmilzt es; er lässt seinen Wind wehen, so tauet es auf.“ Die ganze Sache ist mit einem Wort abgemacht. Wenn ihr und ich etwas Großes vorhaben, welch ein Wesen und Aufsehen wird davon gemacht!
Selbst die großen Ingenieure, die mit ihren Maschinen fast Wunderdinge verrichten, machen einen großen Lärm um die Sache. Nicht so der Allmächtige. Unsere Welt dreht sich um ihre Achse in vierundzwanzig Stunden und macht nicht so großen Lärm dabei, wie der Kreisel eines Knaben, und dort ziehen unzählige Welten in aller Stille ihre vorgeschriebene Bahn. Wenn ich in eine Fabrik eintrete, so tönt mir ein ohrenzerreißender Lärm entgegen; oder wenn ich bei der Dorfmühle stehe, welche vom Wasser getrieben wird, welch ein Geklapper ist das! Aber Gottes große Räder bewegen sich ohne Geräusch und Reibung; die göttliche Maschinerie arbeitet ruhig. Diese Ruhe findet man sowohl in der Vorsehung, wie in der Natur. Euer himmlischer Vater ist sowohl im Stande, euch zu retten, als er mächtig ist, den Schnee zu schmelzen, und er wird dasselbe auf eine ebenso einfache Weise tun, wenn ihr ihm fest vertrauet. Er öffnet seine Hand und versorget Alles, was da lebet, so pünktlich, als er in der Natur wirkt. Seht die Leichtigkeit der göttlichen Wirkung - er öffnet nur seine Hand, und es ist geschehen.
3. Zum andern beobachtet die Mannigfaltigkeit seiner Wirkung in der Natur. Wenn der Herr den Frost als Werkzeug gebraucht, so bringt er Schnee zum Vorschein, eine merkwürdige Erscheinung, wovon ein jedes Körnlein ein Wunder der Kunst ist; und von demselben Wasser macht er ein anderes Kunstwerk, welches wir Reif nennen, und dann noch eine dritte durchsichtige crystallene Masse, nämlich Eis. Welch eine Mannigfaltigkeit der Formen kann ein geübtes Auge in gefrorenem Wasser entdecken. Derselbe Gott, welcher durch Kälte die Flut in Fesseln schlägt, schmilzt sie wieder durch Wärme; und selbst im Tauwetter ist es keine einförmige Entwickelung. Zu einer Zeit entströmen die Wasser jauchzend ihrer Haft, und die Flüsse bedecken das Tal, und zu einer andern Zeit erlangen die gefrorenen Wasser nur langsam ihre Freiheit. Dieselbe Mannigfaltigkeit offenbart sich in jeder Abteilung der Naturerscheinungen. So hat der Herr auch in seiner Vorsehung tausend Formen von harten Prüfungen, womit er seine Kinder prüft, und zehntausend Sonnenstrahlen der Gnade, dieselben zu erfreuen und zu trösten. Er kann euch mit Schnee-, Reif- oder Eisprüfungen läutern, wenn es ihm gefällt, und kann durch sein Wort die Banden der Widerwärtigkeiten auf unzählige Wege wieder lösen. Wo die Menschen meistens auf zwei oder drei Wege eingeschränkt sind, um ihren Willen auszuführen, da hat die ewige Weisheit derselben eine ungezählte Menge, welche unser schwacher Verstand nicht fassen kann.
4. Dann betrachtet auch die Schnelligkeit der göttlichen Wirkungen in der Natur. Es war schon viel, dass in den Tagen des Königs Ahasverus Briefe durch Reiter auf flüchtigen Kamelen über das ganze Land versandt wurden. Und in unseren Tagen glaubt man das Zeitalter der Wunder erreicht zu haben, da die Achsen unserer Eisenbahnwagen glühen im schnellen Dahineilen von Ort zu Ort und der Telegraph die Nachrichten mit Blitzeseile in entfernte Länder trägt. Aber was ist alle diese Schnelligkeit im Vergleich mit den göttlichen Wirkungen? Wohl sagt unser Psalm: „Er sendet seine Rede auf Erden; sein Wort läuft schnell.“ Sein Wort erschallt: „Oeffne die Vorratskammer des Schnees!“ und in ungezählten Millionen fallen die Flocken herab; und dann heißt es: „Schließe zu,“ und kein Flöcklein lässt sich mehr sehen. Dann heißt es wieder: „Lass den Südwind wehen, dass er den Schnee schmelze, und siehe, derselbe verschwindet vor der Stimme seines Wortes. Gläubige Seele, du kannst nicht wissen, wie bald der Herr sich aufmachen wird, um dir zu helfen. „Er fährt einher auf den Fittigen des Windes,“ sagt David. Er wird herabkommen, um seinen Geliebten zu retten. Er wird den Himmel zerreißen und herabfahren; mit solcher Eile wird er herabkommen, dass er die Vorhänge des Himmels nicht zur Seite schlägt, sondern zerreißt, und die Berge weichen vor seinen Füßen, damit er die Seinen errette, welche zu ihm rufen in der Stunde der Trübsal. Derselbe Gott, welcher das Eis schmilzt im Augenblick, der kann auch, schneller als auf Adlersflügeln, zu euch hereilen und all euer Elend wenden. Mache dich auf, Herr, und errette dein Volk; hilf uns frühe!
5. Und wieder: Betrachtet die Güte des Herrn in allen seinen Wirkungen im Reich der Natur und in seiner Vorsehung. Denkt einmal nach über seine Güte im negativen Sinne. „Wer kann stehen vor seinem Frost?“ Wenn man im harten Winter den Schnee auf der Erde liegen sieht, so muss es ein verhärtetes Herz sein, welches der Armen vergessen kann. Aber denkt einmal, wenn dieser Schnee nun beständig fortfallen sollte. Wer wollte dies dem Herrn wehren, wenn es ihm gefiele? Derselbe Gott, der einen Tag schneien lässt, könnte ebensowohl fünfzig Tage nach einander schneien lassen. Warum nicht? Und wenn wir den Zahn des Frostes an unsern Gliedern fühlen, warum könnte das nicht so fortgehen? Wir müssen die Güte Gottes preisen, dass er „seinen Frost“ nicht in solchem Grade sendet, dass wir unseren Geist aufgeben müssten. Die Reisenden nach dem Nordpol zittern, wenn sie an die Frage denken: „Wer kann stehen vor deinem Frost?“ Denn der Frost hat eine Art der Allgegenwart, wenn es Gott gefällt, denselben zu entfesseln. Lasset uns Gott dafür danken, dass er den Frost in Schranken hält nach seiner Gnade.
Nicht bloß negativ, sondern im positiven Sinne betrachtet, ist der Schnee eine Wohltat. Denkt nur an das bedeutungsvolle Bild: „Er gibt Schnee wie Wolle.“ Es wird gesagt, der Schnee wärme die Erde. Er schützt die kleinen Pflänzlein, welche ihre Köpfchen hervorstrecken und in Gefahr stehen, vom Frost getötet zu werden; wie mit einem warmen Kleide deckt er sie vor der bitteren Kälte. Es war die Ansicht der Alten, dass der Schnee die Erde fruchtbar mache, und deshalb dankten sie Gott dafür. Gewiss liegt auch im Frost ein Segen. Die Pest möchte viel weiter laufen, wenn ihr der Frost nicht zuriefe: „Bis hierher und nicht weiter!“ Verderbliche Insekten würden so zahlreich werden, dass sie die köstlichen Früchte zerstörten, wenn die kalten Nächte nicht Millionen töteten. Wenn Mancher auch glaubt, der Winter sei ein teurer Gast, so ist es doch ein großer Vorteil für uns, dass Gott den Winter verordnet hat. Die eigentümliche Bemerkung eines alten Schreibers, dass „Schnee Wolle, der Frost Feuer, das Eis Brot, und Regen Trank“ sei, ist wahr, wenn sie auch widersprechend klingt. Es ist kein Zweifel daran, dass der Frost die Erde aufbricht und fruchtbar macht, und so wird das Eis Brot. Auf diese Weise offenbart sich Gottes Güte sowohl im Frost wie im Tau, der das Werk des Minters zerstört.
Mein lieber Christ, bedenke die Güte Gottes im Frost der Widerwärtigkeiten. Sei versichert, dass wenn der Herr die scharfen Winde der Trübsal wehen lässt, so offenbart sich seine Liebe darin eben so wohl, als wenn der sanfte Südwind der Freude dich umfächelt. Sieh die Güte Gottes in jedem Werke seiner Hand! Preise ihn, - er macht Sommer und Winter. Lass deinen Lobgesang das ganze Jahr erschallen! Preise ihn, er sendet Tag und Nacht. Danke ihm zu jeder Stunde! Wie David Regen und Schnee und Sturmwind in seine Gesänge einflocht, so fasse auch du deine Leiden, Prüfungen und Widerwärtigkeiten zusammen in einen süßen Psalm und sage beständig:
„Lasset uns mit frohen Weisen
Unsres Vaters Güte preisen!“
II. Nun lasst uns die Wirkungen der Gnade betrachten, wovon Frost und Tau die äußeren Bilder sind.
Es gibt eine Zeit bei den Kindern Gottes, wenn der Herr mit dem Frost des Gesetzes zu ihnen kommt. Das Gesetz ist der Seele wie der schneidende Nordwind. Der Glaube zwar kann Liebe darin sehen, aber dem fleischlichen Auge ist dies verborgen. Der vollen Schärfe des göttlichen Gesetzes preisgegeben zu sein, hieße in den Armen der ewigen Verdammnis sich befinden; und selbst diese Schärfe nur einen Augenblick zu fühlen, macht Einem das Blut in den Ackern gerinnen. „Wer kann bleiben vor seinem Frost?“ Wenn das Gesetz vom Sinai herabdonnert, wer kann vor demselben bestehen? Der Einfluss der Gesetzesarbeit auf die Seele ist, alle Ströme menschlicher Freude zu verstopfen. Niemand kann sich freuen, wenn des Gewissens Schrecken ihn ängstigen. Wenn das Gesetz Gottes die Seele durchbraust, so verstummen Musik und Lust, und der Becher irdischer Freuden hat seinen Reiz verloren. Die Bäche der Freude gefrieren in eisige Verzweiflung. Die Knospen der Hoffnung werden plötzlich zerstört, und die Seele findet keinen Trost. Einst schwelgte man in den Verlangen, reich zu werden, aber nun klebt Rost und Blut an allem Gold und Silber. Der Geist ist im Winter der Verzweiflung gefangen. Diese Kälte lässt den Sünder fühlen, wie löchricht seine Kleider sind. Er konnte stolzieren im Sommer und seine Lumpen für königliche Gewänder halten, aber der kalte Frost durchbebt jeden Riß seines Kleides, und in der Hand des Gesetzes zittert er wie Espenlaub. Der Nordwind des Gerichts geht durch und durch. Er wusste nicht, was in seinem Inneren war, aber nun sieht er sein Herz voller Gräuel und Verderben.
Der Frost und die Schrecken des Gesetzes verhärten aber nur. Nichts spaltet den Felsen leichter, als der Tau, welcher auf den Frost folgt; aber der Frost allein macht die Erde wie eine steinerne Masse, an welcher die Pflugschar des Ackermannes zerbricht, wenn er sie zu durchschneiden suchte. Ein Sünder unter dem Einflusse des Gesetzes ohne das Evangelium wird verhärtet und schreit: „Es ist keine Hoffnung, und darum will ich meinen Lüsten folgen. Weil es für mich nach diesem Leben doch keinen Himmel gibt, so will ich mir meinen Himmel auf der Erde machen; und weil mich jenseit doch die Hölle erwartet, so will ich mich auf Erden der Genüsse freuen welche die Sünde mir gewährt.“ Dies ist jedoch nicht die Schuld des Gesetzes; die Schuld liegt an dem verdorbenen Herzen, welches durch das Gesetz verhärtet wird. Jedoch, dieses sind die Folgen.
Wenn der Herr durch den Frost des Gesetzes seinen Zweck erreicht hat, so sendet er den Tau des Evangeliums. Wenn der Südwind aus dem Lande der Verheißung weht und auf seinen Fittigen köstliche Erinnerungen an Gottes Gnade und väterliche Liebe herüberträgt, so wird das Herz alsbald erweicht, und ein Gefühl von Erlösung und Friede löst dasselbe auf. Die Augen füllen sich mit Tränen, das Herze schmilzt in Zärtlichkeit, die Ströme der Freude fließen, und die Knospen der Hoffnung entfalten sich in der Frühlingsluft. Ein himmlischer Lenz flüstert den Blumen zu, welche in der kalten Erde schlafen; sie hören seine Stimme und heben ihre Häupter empor, denn der Regen ist weg und dahin, die Blumen sind hervorgekommen im Lande, der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube lässt sich hören in unserem Lande.“ Gott sendet sein Wort und spricht: „Dein Streit ist zu Ende, und deine Sünden sind dir vergeben.“ Und wenn diese köstliche Rede mit Kraft in die Seele fällt, und der sanfte Hauch des Heiligen Geistes wie ein warmer Südwind durch das Herz fährt, dann fließen die Wasser, und der Geist wird mit heiliger Freude, Licht und Freiheit erfüllt.
„Ja, wie der Winter von starrenden schneeigen Höhen
Spurlos zerrinnt, wenn sie Lüfte des Frühlings umwehen,
Also entfliehn,
Gibst du dem Herzen dich hin,
All seine starrenden Wehen.“
Nachdem ich euch die Parallele zwischen Frost und Tau in der Natur und Gesetz und Evangelium im Reich Gottes gezeigt habe, möchte ich dieselben Gedanken bezüglich der Gnade aussprechen, die ich über die Natur äußerte.
1. Wir begannen mit der Bestimmtheit der Werke Gottes. Nun, Geliebte, betrachtet die Bestimmtheit der göttlichen Gnadenwirkung. Wenn das Herz vom Gesetze Gottes ergriffen ist, wenn ihm die Sünde überaus sündig erscheint, wenn die fleischlichen Hoffnungen durch das Gesetz getötet sind, wenn die Seele ihre Unfruchtbarkeit, ihren Tod und Ruin einsieht - das ist der Finger Gottes. Rede nicht vom Prediger. Es war gut, dass er ernstlich predigte; der Herr benützte ihn als Werkzeug, aber die Wirkung war vom Herrn. Wenn der Tau der Gnade kommt, so könnt ihr die Hand Gottes in jedem Strahl des Trostes, mit welchem das beschwerte Gewissen getröstet wird, deutlich wahrnehmen. Denn es ist der Herr allein, welcher alle Wunden verbindet und heilet. Wir sind allzusehr geneigt, uns bei den Werkzeugen aufzuhalten. Die Torheit weist manche Leute auf das Sakrament hin, um sie zu erwecken und zu bekehren, aber das Sakrament sagt: „Ich vermag es nicht.“ Manche von euch schauen auf die Predigt und nicht höher. Aber jeder wahre Prediger wird euch sagen: „Ich vermag es nicht.“ Beredsamkeit und Ernst im höchsten Sinne des Worts können das Herz weder zerbrechen, noch heilen. Das ist Gottes Werk. Er recket seine Hand aus, und durch seine direkte Wirkung wird das Herz ergriffen, verwundet und geheilt.
Ich hätte gerne, dass dieser Gedanke euch recht klar würde, denn ihr werdet sonst den Herrn nicht würdig preisen und auch nicht gesund in der Lehre sein können. Alles Abweichen von der rechten Lehre über die Bekehrung kommt daher, wenn man vergisst, dass die Sache von Anfang bis zu Ende Gottes Werk ist; dass das erste Verlangen nach Christumsowohl Gottes Sache ist, als auch die Gabe des teuren Sohnes Gottes selbst, und dass durch unsere ganze geistliche Geschichte von Anfang bis zu Ende der Geist in uns wirket „beides das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“
2. Der zweite Punkt bei unserer Betrachtung der Natur war die Leichtigkeit der göttlichen Wirkung. Da findet man weder Anstrengung noch Zerstörung. Wendet das auf die Wirkung der Gnade an. Betrachte den halsstarrigen Sünder. Du kannst ihn nicht rühren, und selbst die Vorsehung hat ihn nicht zu erwecken vermocht. Er ist tot - tot in Übertretung und Sünden. Aber der Herr lässt in Gnaden den Wind seines Geistes das Herz durchwehen, und es zerschmilzt. Der verkommene Flucher, dessen Lippen von Unflat übergehen, lernt den Heiligen in Israel zu preisen. Sucht nicht die Wirkung des ewigen Königs zu beschränken. Der schnaubende Saulus wurde zu einem liebenden Paulus, und warumsollte nicht auch noch jene Person gerettet werden, an deren Bekehrung ihr fast verzweifelt? Dein Gatte mag viele Neigungen und Verbindungen haben, welche seine Rettung schwierig machen, aber kein Fall ist hoffnungslos bei Gott. Dein Sohn mag „in dem Himmel“ und vor dir gesündigt haben; aber Gott kann auch den Verhärtetsten retten. Der härteste Frost der Halsstarrigkeit muss dem Tau der Gnade weichen. Selbst ganze Eisberge des Verbrechens müssen in dem Golfstrom der unendlichen Gottesliebe schmelzen.
Armer Sünder! Ich kann diesen Punkt nicht lassen, ohne ein Wort an dich zu richten. Vielleicht hat der Herr den Frost zu dir gesandt, und du meinst, er werde nie aufhören. Lass mich dich ermahnen zu hoffen, und noch mehr, zu beten um die Erscheinung der göttlichen Gnade. Es ist ihm ein Leichtes, dich zu retten. Er spricht: „Ich vertilge deine Missetat wie eine Wolke.“ Ich stand neulich Abends vor meinem Hause und betrachtete eine dunkle Wolke, welche den ganzen Himmel bedeckte. Ich dachte, es würde sicher regnen und trat in das Haus zurück. Als ich aber nach kurzer Zeit wieder heraustrat, war der Himmel wieder blau, der Wind hatte die Wolke vertrieben. So mag es mit deiner Seele sein. Es ist dem Herrn leicht, dem bußfertigen Sünder seine Last abzunehmen. Alle Hindernisse, welche unserer Begnadigung im Wege standen, wurden beseitigt, als Christus für uns am Kreuze starb. Und wenn du an ihn glaubst, so wirst du finden, dass er deine Sünden in das Meer der Vergessenheit geworfen hat. Wenn du nur glauben kannst; alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.
3. Der nächste Gedanke von den Werken Gottes ist die Mannigfaltigkeit derselben. Der Frost bildet sozusagen eine Dreieinigkeit: Schnee, Reif, Eis; und wenn der Tau kommt, so ist das auf mannigfaltige Weise. So wirkt Gott an den Herzen. Alle werden nicht auf die gleiche Art erweckt. Bei Manchen ist es wie der Schnee, der vom Himmel fällt. Man hört die weichen Flocken nicht fallen. So gibt es stille, geräuschlose Erweckungen, man fühlt dieselben, aber man weiß kaum, wann man sie zuerst gefühlt hat. Bei Andern aber ist es das Gegenteil. „Er wirft seine Schlossen wie Bissen,“ der Hagel rasselt gegen die Fenster, und man glaubt, sie dringen ins Zimmer. Laut und aufregend sind die Äußerungen und Gefühle solcher Leute, dass man meint, ein Hagelwetter ziehe vorüber. Es ist derselbe Herr, welcher den sanften Schnee und den scharfen Hagel sendet. Danke dem Herrn, dass er dich besucht hat durch seinen Geist, aber mache ihm keine Vorschriften, wie er an dir und in dir wirken soll - oft geht es plötzlich, oft auch nach und nach.
Das Auftauen ist allgemein, aber nicht immer merkt man, wenn es anfängt. Die Ketten des Winters lösen sich nicht auf einmal. Zuerst schmilzt der Schnee und das Eis auf der Oberfläche, dann durchdringt die Wärme die Erde, bis endlich jedes Zeichen des Frostes verschwunden ist. Aber während dieses Tauen allgemein und sichtbar ist, so kann man doch die Kraft nicht sehen, welche alles dies bewirkt. So kann man auch den Geist Gottes nicht schauen. Aber man merkt es bald, wie er auf den ganzen Menschen einwirkt. Er erleuchtet den Verstand, befreit den Willen, vertreibt die Furcht des Herzens, belebt die Hoffnung, weckt alle Kräfte des Geistes und bringt Trost, Hoffnung und Frieden in die Seele. Aber du kannst den Geist Gottes ebenso wenig sehen, als man den Wind sehen kann. Die Wirkung des göttlichen Geistes muss gefühlt werden, und wenn du dieselbe fühlst, so wundere dich nicht, wenn deine Gefühle von denen Anderer mehr oder weniger verschieden sind. Nach Allem ist eine besondere Ähnlichkeit zwischen Schnee, Reif und Eis, und so ist auch Ähnlichkeit in den Erfahrungen der verschiedenen Kinder Gottes; aber nichtsdestoweniger ist eine große Verschiedenheit in den inneren Wirkungen der Gnade Gottes.
4. Dann müssen wir die Geschwindigkeit der Wirkungen Gottes betrachten. „Sein Wort läuft schnell.“ Es dauerte nicht viele Tage, bis der letzte Schnee fort war. Wie lange würde es Menschen nehmen, denselben fortzuschaffen. Aber der Herr sendet sein Wort, und plötzlich sind Schnee und Eis verschwunden. So ist es auch mit seinen Wirkungen in der Seele. Der Herr kann plötzlich das Menschenherz aufmuntern. Ihr mögt schon lange unter den Fesseln des frostigen Gesetzes gelegen sein, aber es ist keine Nothwendigkeit vorhanden, dass ihr noch eine Stunde in solchem Zustande verharren solltet. Wenn der Geist euch hilft, euer Vertrauen auf das völlige Heil in Christo zu setzen, so könnt ihr euch in diesem Augenblick der Vergebung eurer Sünden erfreuen. Arme Seele, denke nicht, dass du Zoll bei Zoll aus der grausamen Grube herausklettern musst. Ach nein! Jesus kann deine Füße auf den Felsen stellen noch vor dem nächsten Glockenschlag. In einem Augenblick kann er dich vom Tode zum Leben, von der Verdammlichkeit zur Rechtfertigung führen. Heute wirst du mit mir in Paradiese sein,“ hieß es zu dem mit Sünden schwarz bedeckten Schächer. Glaube nur an das Versöhnopfer Christi, und du sollst leben.
5. Unser letzter Gedanke diesen Punkt betreffend, war seine Güte in diesem allen. Welch ein Segen, dass der Herr uns nicht mehr Gesetzeswerk gesandt hat. „Wer kann bleiben vor seinem Frost?“ O meine Lieben! Wenn der Herr einem Sünder allen Menschenfrost genommen und ihn seinen göttlichen Zorn fühlen lässt, so ist das ein entsetzlicher Zustand. Was Schlimmeres kann Jemand verfolgen als der Gedanke an begangene Sünden? Eine einzige Sünde schon stößt ihn von allen seinen stolzen Höhen, die er zu erklimmen meint, herab. Unter ihrer Last sinkt er hinab bis in die Tiefen der Hölle. Die Sünde lässt sich tragen, bis man auf dem „Fels der Ewigkeit“ steht, und auch dort freut man sich nicht, dass wir die Sünde getragen haben, sondern dass Christus sie für uns Alle trug. Wo wollten wir hin, wenn das Gesetz seine ganze Schärfe an uns ausführte? Gott sei Dank! der Herr gebietet dem Nordwind, dass er schweigen muss. Und doch, wie dankbar sollten wir sein, dass wir den Gesetzesfrost jemals an unseren Seelen erfahren durften. Die Torheit der Selbstgerechtigkeit wird durch den Winter der Selbsterkenntnis getötet. Wir wären noch tausend Mal hochmütiger, törichter und weltlicher gewesen, hätte der Frost des Gesetzes diese Saat des Fleisches nicht im Keime erstickt.
Aber wie sollen wir ihm jemals genug danken für den Tauwind seiner Gnade und Liebe? Wie groß war die Veränderung, sobald die Strahlen seiner Barmherzigkeit unsere Seele durchleuchteten. Die Herzenshärtigkeit war gewichen, die Kälte schwand, Leben und Wärme durchfluteten in heiligen Wogen unser Inneres. Der Herr besuchte uns, und wir standen aus dem Grabe unserer Verzweiflung auf, wie die Pflanzen sich im Frühling aus dem Erdreich erheben. Wie die Blumen ihre zarten Kelche öffnen und das Sonnenlicht trinken, so öffnet sich unser Glaube, unsere Hoffnung, den Strahlen seiner herrlichen Verheißungen. Gottlob! dass bei Manchen von uns der Frühling bereits dem Sommer Platz gemacht hat, aber der Winter ist dahin, um nie wieder zu kehren. O Ihr, die ihr noch unter den kalten Schauern des Gesetzes zittert, glaubt an Jesum, und ein Sonnenfrühling wird eure Herzen durchtauen, und Friede und Freude werden die Seele erfüllen. So sei es. Amen.