Spurgeon, Charles Haddon - Die eingefallene Mauer.

Spurgeon, Charles Haddon - Die eingefallene Mauer.

Ich ging vor dem Acker des Faulen und vor dem Weinberge des Narren: Und siehe, da waren eitel Nesseln darauf, und stand voll Disteln, und die Mauer war eingefallen. Da ich das sahe, nahm ich es zu Herzen, und schaute und lernte daran.
Sprüche 24, 30-32.

Dieser träge Mann tat seinem Nächsten nichts Böses; er war kein Dieb, kein Raufbold, und mischte sich nicht in anderer Leute Sachen. Er kümmerte sich nicht um die Angelegenheiten Anderer, denn er besorgte nicht einmal seine eigenen - es kostete zu viel Mühe. Er war nicht grob, lasterhaft; dazu hatte er gewiss nicht Energie genug. Er war einer von Denen, welche die Sachen leicht nehmen. Er war mit dem Guten zufrieden, aber er war auch mit dem Bösen zufrieden, wie die Disteln auf seinem Acker deutlich zeigten. Warum sollte er sich aufregen? In hundert Jahren von jetzt war ja doch alles gleich, und darum nahm er die Sachen einfach, wie sie kamen. Er war kein böser Mann, so sagten wenigstens Manche; und doch mag das Ende zeigen, dass es keine böseren Menschen auf der Welt gibt, als diejenigen, welche nicht gut sind, denn manchmal sind gerade diese nicht gut genug, um böse zu sein; sie haben nicht Charakterstärke genug, um Gott oder Baal zu dienen. Der Faule dient nur sich selbst, verehrt seine Bequemlichkeit und Ruhe. Trotzdem hat er es immer gut gemeint. Ei, er hatte nicht im Sinne, viel länger zu schlafen, er wollte nur noch ein Stündchen schlummern und dann zeigen, was er tun könne. Eines schönen Tages wollte er mit gewaltigem Ernst an die Arbeit gehen und die verlorene Zeit wieder einholen. Die Zeit zum Anfang ist ihm nie wirklich gekommen, doch meinte er immer, sie sollte kommen. Er wollte immer Buße tun, fuhr aber fort, zu sündigen. Er wollte glauben, aber er starb ohne Glauben. Er wollte ein Christ werden, aber er lebte ohne Christum. Er hinkte auf beiden Seiten, denn es kostete ihm viel Mühe, einen Entschluss zu fassen. So ging er in Folge des Aufschubs verloren.

Dieses Bild eines trägen Mannes und seines Ackers, von Nesseln und Unkraut überwuchert, illustriert manchen Mann, der immer Christentum bekannte, aber träge war in Sachen des Reiches Gottes. Geistliches Leben ist in ihm verwelkt. Er ist zurückgekommen, heruntergefallen von seinem Glaubensleben in einen Zustand der Gleichgültigkeit gegenüber seinem Seelenheil, und während es in seinem Herzen verkehrt ging, ist des bösen Samens viel ausgestreuet worden und aufgewachsen; nun geht es eben in seinen äußeren Angelegenheiten auch verkehrt. Die Mauer, welche seinen Charakter schützte, ist eingefallen und dem Bösen ist Tor und Tür geöffnet. Diesen Gegenstand wollen wir näher betrachten. „Und die Mauer war eingefallen.“

So kommet denn, lasst uns mit Salomon gehen und schauen und lernen, während wir auf die eingefallene Mauer hinschauen. Wenn wir dieselbe untersucht haben, so lasst uns die Folgen des Einfallens der Mauer betrachten und dann schließlich versuchen, den Faulen aufzuwecken, damit seine Mauer noch wieder aufgerichtet werde.

Und wenn einer von uns diese träge Person wäre, möge Gott geben, dass die Mauer gebaut werde, ehe eine Herde verheerender Laster über dieselbe hereinbricht.

Zunächst betrachten wir also die eingefallene Mauer. Es war ein fester Zaun, denn es war eine steinerne Mauer. Manche Felder sind mit einem hölzernen Zaun umgeben, welcher bald fault, oder mit einer Hecke, welche leicht Lücken bekommt. Dies aber war eine Steinmauer. Solche Zäune findet man häufig im Morgenlande, hie und da auch bei uns, wo viele Steine sind. Es war ein dauerhafter Zaun, der den Acker, welcher in so üble Hände gefallen war, wohl schützte. Der Mann hatte ein Feld für Ackerbau und noch einen kleinen Strich Landes für einen Weinberg. Es war fruchtbarer Boden, denn er trug Disteln und Nesseln in Fülle, und wo diese wachsen, können auch bessere Dinge gedeihen; jedoch der Faule gab nicht Acht auf sein Gut, sondern vernachlässigte den Zaun, dass er an manchen Stellen schon ganz zerfallen war.

Lasst mich euch welche von den Mauern nennen, die vernachlässigt werden, wenn jemand träge wird. In manchen Fällen waren gute Grundsätze in der Jugend eingeprägt worden, aber sie sind vergessen. Welch ein Segen ist doch ein christlicher Unterricht. Unsere Eltern lehrten viele von uns mit Wort und Beispiel die Dinge, welche gut, edel und gottgefällig sind. Ihr Leben lehrte uns zu leben. Sie öffneten auch das Wort Gottes vor unseren Augen und lehrten uns unsere Pflichten gegen Gott und unsere Mitmenschen. Sie beteten für uns und mit uns, bis die Lehre von Gott uns umgab wie eine Mauer. Unsere ersten Eindrücke sind wir nie wieder los geworden. Selbst in den Tagen, da wir den Herrn im lebendigen Glauben noch nicht erkannt hatten, übten diese Eindrücke eine heilsame Kraft über uns aus; sie hielten uns zurück, wenn wir in Gefahr waren, den Weg des Lasters zu betreten, sie halfen uns, wenn wir strauchelten, auf dem Pfade christlicher Pflichten. Es ist sehr traurig, wenn Jemand diese heiligen Eindrücke sich rauben und dieselben wie Steine aus einer Schutzmauer herabfallen lässt. Junge Leute fangen an, geringschätzend von der altmodischen Weise der Eltern zu sprechen. Bald aber ist es nicht mehr das Altmodische, sondern die väterliche Weise selbst, was sie verachten. Sie suchen andere Gesellschaft, und von dieser lernen sie nur Böses. Sie suchen Vergnügen an solchen Plätzen, an die ihre Eltern mit Schaudern denken. Dieses führt zu Schlimmerem, und wenn sie die grauen Haare ihrer Väter nicht mit Kummer in die Grube bringen, so ist dies nicht ihr Verdienst. Ich habe junge Leute kennen lernen, die einmal wirklich Christen waren, die aber schrecklich zu Grunde gingen, weil sie diese ersten Grundsätze, in welchen sie erzogen waren, änderten oder verließen. Es ist ein Unglück, wenn Leute, welche bekennen, bekehrt zu sein, unbeständig werden und sich von jedem Wind der Lehre umtreiben lassen. Es zeigt große Schwächen des Verstandes und ein böses Herz, wenn man mit den großen und ernsten Wahrheiten, welche durch die Tränen einer Mutter und das fromme Leben eines Vaters geheiligt sind, leichtfertig umgehen kann. „Ich bin dein Knecht,“ sagte David, „und der Sohn deiner Magd“; er hielt es für eine hohe Ehre, und zu gleicher Zeit für ein heiliges Band, welches ihn an den Herrn fesselte, dass Diejenige, deren Sohn er war, die Magd des Herrn konnte genannt werden. Gebt Acht, ihr, die ihr christlichen Unterricht genossen habt, dass ihr nicht leichtfertig damit umgeht. „Mein Kind, gehorche der Zucht deines Vaters, und verlass nicht das Gebot deiner Mutter. Denn solches ist ein schöner Schmuck deinem Haupt und eine Kette an deinem Halse.“

Zum Schutz eines guten Charakters gehört ebenfalls, dass man richtig unterwiesen wurde. Das ist eine schöne Mauer. Viele von uns haben die klaren Lehren des Evangeliums gründlich gelernt, so dass sie im Stande sind, den Glauben, den wir mit allen Heiligen empfangen haben, erfolgreich zu vertheidigen. Glücklich sind die, deren Religion auf die klare Erkenntnis der ewigen Wahrheiten gegründet ist! Ein Christentum, welches in lauter Aufregung besteht und keine gründliche Lehre hat, ist nur vorübergehend; aber für den fortgesetzten Kampf des Lebens bedarf es eine Erkenntnis der großen Wahrheiten, welche als Grundlage des evangelischen Systems unumgänglich notwendig sind. Ich zittere, wenn ich höre, wie manche Leute von den großen Grundsätzen des Evangeliums einen nach dem andern drangeben und sich dann ihrer Weitherzigkeit rühmen. Ich höre sie sagen: „Das sind meine Ansichten, aber ein Anderer hat dasselbe Recht zu seiner Meinung.“ Das ist schon recht, wenn es sich um bloße Ansichten handelt, aber von der Wahrheit, wie sie uns Gott geoffenbart hat, dürfen wir nicht also reden; die ist ewig gleich und unwandelbar, und Alle sind unter der Verpflichtung, dieselbe anzunehmen. Es ist nicht deine Ansicht von der Wahrheit, denn die ist von wenig Bedeutung, sondern die Wahrheit selbst, welche dich selig macht, wenn du sie aufnimmst. Ich will gerne meine Ansicht von einer Lehre opfern, aber nie die Lehre selbst. Der Eine mag sich so ausdrücken, der Andere so, nie aber darf die Wahrheit selbst aufgegeben werden. Der Geist der „weitherzigen Schule“ nimmt uns am Ende alle Gewissheit weg. Ich möchte manche große Männer von dieser Richtung gerne fragen, ob sie glauben, dass die heilige Schrift Manches lehre, wofür zu sterben es sich der Mühe lohne, und ob die Märtyrer nicht große Toren waren, ihr Leben für Ansichten niederzulegen, welche vielleicht richtig, vielleicht aber auch falsch waren. Der weitherzige Kirchengeist bricht die Mauern nieder und lässt zuletzt den Teufel mit allen seinen Spießgesellen ein und tut der Kirche Gottes unberechenbaren Schaden, wenn ihm nicht Einhalt geboten wird. Lockere Glaubensansichten gereichen einem Christen zum großen Nachteil.

Wir sind nicht bigott, aber es wäre nicht schlimm für uns, wenn wir lebten, dass die Leute uns so heißen würden. Ich traf neulich mit Jemand zusammen, welchen man der Bigotterie beschuldigte, und ich sprach zu ihm: „Gib mir deine Hand, alter Freund!“ Ich treffe hie und da gern mit solchen Fanatikern zusammen, denn diese prächtigen Exemplare werden nachgerade rar, und das Material, aus welchem sie gemacht sind, ist so gut, dass wenn wir mehr davon hätten, wir auch mehr Glaubensmänner und weniger Krüppel in unserer Mitte besäßen. Wir haben in letzter Zeit nur wenige Männer von echter Entschiedenheit gesehen, die meisten sind von der Klasse der Schleimtiere. Ich habe in Zeiten gelebt, wo ich hätte sagen mögen: „Seid liberal und legt alle Bedenken beiseite.“ Jetzt aber muss ich meine Sprache ändern und rufen: „Stehet im Glauben!“ Ich bin der Liberalität, welche von zerfallenen Mauern herkommt, müde. Es gibt bestimmte Punkte der Wahrheit und Gewissheiten im Bekenntnis, und wehe euch, wenn ihr diese Steine fallen lasst. Ich befürchte, dass die Zahl der Faulen nicht gering ist, und dass die zukünftigen Geschlechter die Lauheit, welche unsere Generation beklatscht, zu beklagen haben werden.

Ein anderer Zaun, welcher leicht niedergebrochen wird, ist der der gottseligen Tugenden, welche man sich angewöhnt hat. Ich will einige wertvolle Wächter des Lebens und Charakters nennen. Der eine ist die Gewohnheit des verborgenen Gebets. Dieses sollte wenigstens Morgens und Abends stattfinden. Wir können ohne gewisse Zeiten, in denen wir uns zum Herrn nahen, nicht sein. Einem Menschen ins Gesicht zu schauen, ohne vorher in das Angesicht Gottes geblickt zu haben, ist sehr gefährlich. Hinaus zu geben in die Welt, ohne das Herz zuzuschließen und Gott den Schlüssel zu übergeben, lässt dasselbe für allerlei geistliche Schmarotzer offen stehen. Und am Abend sich auf sein Lager zu begeben, wie sich die Schweine in ihr Stroh wälzen - ohne dem Herrn für die Segnungen des Tages gedankt zu haben, ist schändlich. Es mag gesagt werden: „Man kann zu jeder Zeit beten.“ Ich weiß man kann; aber es ist zu befürchten, dass Diejenigen, welche nicht zu bestimmten Zeiten beten, gar nicht beten. Von Denen, welche „zur Zeit“ beten, ist es am ersten zu erwarten, dass sie allezeit betend sind. Das geistliche Leben fragt freilich nicht nach eisernen Formen; aber da das Leben sich immerhin in einer bestimmten Form offenbart, so habt ebensowohl Acht auf die äußere Form, wie auf die innere Kraft. Lasst niemals eine Lücke in der Mauer eures regelmäßigen verborgenen Gebets entstehen.

Ich gehe einen Schritt weiter; ich glaube es liegt eine große , bewahrende Kraft im Familiengebet, und es tut mir sehr leid zu wissen, dass dasselbe von vielen Christen vernachlässigt wird. Es gab eine Zeit, wo Rom in England nichts auszurichten vermochte, weil es nichts bieten konnte als den Schatten von dem, was die Christen im Wesen schon in ihren Familien hatten. „Hörst du die Morgenglocke?“ „Was bedeutet das Läuten?“ „Es ruft zum Morgengebet in der Kirche.“ „Ei,“ sagte der Puritaner, „ich brauche nicht dorthin zu gehen, um zu beten. Ich hatte meine Familie versammelt, wir lasen aus der Schrift, sangen und beteten mit einander, wir haben die Kirche im Hause.“ Und wieder läutet die Abendglocke. Was hat das zu bedeuten? Ei, es ist das Vespergeläut. Der gute Mann sagt, er habe nicht nötig einige Meilen weit zum Abendgebete zu gehen, denn er habe schon Vesper gehalten daheim, wobei die große alte Bibel die Hauptrolle spielte. Man sagte ihm, es könne doch kein Gottesdienst sein ohne Priester, worauf er erwiderte, dass jeder gottselige Mann Priester in seinem Hause sein solle. Auf diese Weise haben sich die Gläubigen von der Priesterherrschaft frei gehalten und den Glauben bewahret von Geschlecht zu Geschlecht. Familiengottesdienst und die Predigt sind unter Gottes Beistand die Mauern des Protestantismus, und mein Gebet ist, dass dieselben nicht zertrümmert werden möchten.

Ein anderer Zaun für Wahrung der Gottseligkeit sind die Erbauungsstunden an Wochenabenden. Ich beobachte, dass die Religion der Leute verduftet, so wie sie die Erbauungsstunden an Wochenabenden versäumen. Ich rede natürlich nicht von Solchen, welche im Dienst oder in Umständen sich befinden, die ihnen den Besuch solcher Gottesdienste nicht erlauben. Es gibt auch hier Ausnahmen; ich beziehe mich auf die, welche beiwohnen könnten, wenn sie wollten. Wenn jemand sagt: „Ich habe genug an den Predigten am Sonntage, ich mag nicht in die Betstunde oder Bibelstunde gehen,“ dann ist es klar, dass sie keinen Appetit haben für die Lehre der Schrift, und das ist ein böses Zeichen. Wenn ihr ein Stückchen Mauer habt, um den Sonntag zu schützen und dann eine Lücke sechs mal so groß, so werden die Herden des Teufels schon hereinbrechen und alles verwüsten.

Gebt ebenfalls Acht auf den Zaun des Bibellesens und des öfteren gegenseitigen Redens über die Dinge des Reiches Gottes. Haltet euch zu den Frommen, verkehrt viel mit dem Herrn, und so werdet ihr unter der Leitung des Heiligen Geistes einen guten Zaun gegen die Versuchungen aufrecht erhalten, widrigenfalls brechen die Feinde eurer Seele herein und zerstören alle guten Früchte.

Viele haben großen Schutz gegen die Feinde gefunden hinter dem Zaun des öffentlichen Glaubensbekenntnisses. Ich rede zu euch, die ihr im Glauben stehet, und ich weiß, dass ihr öfters dadurch seid bewahrt geblieben, dass man euch als Nachfolger des Heilandes erkannte. Nie werde ich den Tag bereuen, an welchem ich offen vor aller Welt meinen Glauben bekannte. Ich glaube, dass ein öffentliches Christenbekenntnis dem Feinde wie eine Dornhecke ist, dass er nicht zukommen kann, und auch Diejenigen, welche uns auf eine Seite ziehen wollen, fern hält. Freilich, es ist bloß ein Zaun, und es nützt nichts einen Acker, der uns Unkraut trägt, zu umzäunen; aber wenn Weizen darin wächst, so ist ein Zaun von großer Bedeutung. Ihr, die ihr euch einbildet, dem Herrn anzugehören, aber allem Verderben offen steht, ihr befindet euch in einem großen Irrtum; ihr solltet euch losreißen von der Welt und dem Worte gehorchen, welches euch zuruft: „Geht aus von ihnen, sondert euch ab!“ Die Verheißung der Seligkeit gehört Denen, welche von Herzen glauben und mit dem Munde bekennen. Saget offen und dreist: „Andere mögen tun, wie sie wollen; ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen.“ Dadurch stellst du dich offen auf die Seite des Herrn, du ergibst dich ihm als sein Eigentum, und er wird auf dich Acht geben. Dann wirst du oft sagen, wo du sonst gezaudert hättest: „Ich habe es dem Herrn gelobt, ich kann nicht zurück!“ Ich bitte euch deshalb, richtet die Mauer auf, und wenn sie hie und da zerfallen sein sollte, bauet sie wieder, und zeiget durch euren Wandel, dass ihr Nachfolger Jesu seid und euch nicht schämt, wenn es die Leute ausfinden.

Haltet männlich fest an euren religiösen Grundsätzen und lasst euch aus Vorteil oder Ansehen vor der Welt nicht davon abbringen. Lasset auch den Reichtum euren Zaun nicht zusammen brechen. Ich habe Leute kennen lernen, die eine große Lücke hinein machten, um ihre Kutschen und weltliche Gesellschaft herein zu lassen. Diejenigen, welche ihre Grundsätze verleugnen, um den Menschen zu gefallen, werden am Ende nicht viel Ruhm davon tragen, wer aber treu ist, der wird von Gott geehrt werden. Habt Acht auf diesen Zaun der Glaubensfestigkeit, und ihr werdet großen Segen darin finden.

Da ist noch eine andere Mauer, welche ich anführen möchte, nämlich Charakterfestigkeit. Unser heiliger Glaube lehrt uns, entschieden zu sein in den Wegen des Herrn und rückhaltslos aller Sünde zu entsagen. „Ärgert dich dein Auge“ - trag eine Brille? Nein; „reiß es aus und wirf es von dir!“ Ärgert dich deine Hand“ - hänge sie in eine Binde? Nein; haue sie ab und wirf sie von dir. Die wahre Religion verfährt sehr gründlich in den Dingen, welche sie empfiehlt. Sie sagt: „Rühret kein Unreines an.“ Aber viele Leute sind so träge in Gottes Wegen, dass sie keine eigene Ansicht haben. Böse Kameraden locken sie, und sie können nicht „Nein“ sagen. Sie sollten eine Mauer von lauter Neins um sich haben. Hier sind die Steine: „Nein, nein, nein!“ Und wenn man euch auch Sonderlinge nennt. Entschließt euch, nahe bei Jesu zu stehen. Fasst den unabänderlichen Vorsatz, in eurem Leben nichts vorzunehmen, wie vorteilhaft und genussreich es auch erscheinen mag, das den Namen Jesu verunehrt. Seid dogmatisch treu, eifersüchtig, heilig, unbeweglich redlich, aufopfernd in der Liebe, aufrichtig wie der Tag. Wenn Gottes Gnade einen solchen Zaun um sich zieht, so wird selbst der Satan fühlen, dass er nicht hinein kann und vor Gott klagen: „Hast du doch ihn, sein Haus und Alles, was er hat, rings umher verwahret.“

Ich habe euch nun lange genug von draußen über den Zaun schauen lassen. Treten wir ein und betrachten die Folgen der zerfallenen Mauer.

Da sehen wir zunächst, dass die Grenze verloren ist. Die scharfe Grenze der Absonderung, welche durch gute Grundsätze in religiösen Sitten, freudigen Bekenntnis und festem Wandel gehalten wurde, ist fort, und nun entsteht die Frage: Ist er ein Christ oder nicht? Der Zaun ist soweit fort, dass der Eigentümer nicht recht weiß, welches des Herrn Eigentum ist, und welches der Welt angehört; ja, er weiß nicht, ob er selbst sich im Reiche Gottes oder im Reiche der Welt befindet. Das kommt davon, wenn man den Zaun nicht aufrecht erhält. Hätte dieser Mann nahe bei dem Herrn gestanden, wenn er in Heiligkeit und Gerechtigkeit gewandelt hätte, so würde er leicht genug die Grenze sehen, und ob sein Acker im „heiligen Lande,“ in „Niemandes Lande“ oder in des Teufels Lande liege. Wenn der Zaun gut ist, so kann man dem Versucher widerstehen und ihm gebieten, die Grenzen des Herrn zu verlassen: „Hebe dich weg! Weiche von dannen! Ich gehöre dem Herrn an, nicht dir.“ Um dies aber tun zu können, musst du den Zaun in Ordnung halten, dass man die Grenze sieht und die Frevler warnen kann. Gib dem Bösen keinen Zoll breit nach, sondern je mehr er Eingang sucht, je höher mache deinen Zaun. Ach, dass er auch nirgends eine Lücke fände, wo er eindringen könne!

Wenn die Mauer niedergebrochen ist, so ist zum andern der 2 Schutz fort. Wenn die Mauer um ein Menschenherz zerfallen ist, so gehen seine Gedanken irre und wandern auf den Bergen der Eitelkeit. Wie die Schafe, so müssen auch die Gedanken vorsichtig gehütet werden. „Ich hasse eitle Gedanken,“ sagt David, aber lässige Menschen werden derselben die Menge haben, denn wenn man die Gedanken vor Eitelkeit wahren will, so muss jeder Ausgang wohl verwahret sein. Heilige Gedanken, erbauliche Betrachtungen sind hinweg, wenn wir die Mauer träge zerfallen lassen.

Aber das ist nicht Alles: sowie das Gute flieht, hält das 3) Böse seinen Einzug. Wenn die Mauer fort ist, so sieht darin jeder Vorübergehende sozusagen eine Einladung, einzutreten. Sind noch Früchte da, so werden sie natürlich herabgerissen. Ein Jeder geht darin umher, wie in einem öffentlichen Garten. Nirgends kein heimliches Plätzchen mehr für den Herrn. Satan und Welt treten ein. Kein Wunder. Jeder herumlaufende Ochs und Esel fällt über das wachsende Getreide her, zertritt mehr, als er frisst, und wer will es der hungrigen Kreatur verdenken, wenn die Tore alle weit offen stehen?

Böse Lüste und Leidenschaften kommen massenweise herangezogen. Es nützt nichts mehr, zu beten: „Führe uns nicht in Versuchung.“ Gott hört dein Gebet und leitet dich nicht dorthin, aber du führst dich selbst hinein, du versuchst den Teufel, dich zu versuchen. Wenn du dein Herz allen bösen Einflüssen öffnest, so wird der Geist Gottes betrübt und mag dich die Folgen deiner Torheit ernten lassen. Was meinst du, mein Freund, würdest du nicht besser sogleich die Mauern wieder bauen?

Noch ein Übel: Das Land selbst geht am Ende verloren. „Aber,“ sagst du, „wie kann das sein?“ Nun, in einem ebnen Lande, wo große Felder sind, ist das freilich nicht der Fall, aber in Palästina, wo die Felder klein und terrassenförmig zwischen den Hügeln angelegt waren, da wurde der Acker von den Mauern gehalten. Waren diese fort, so konnte der fallende Regen das Land hinwegwaschen, Reben und Bäume fielen um, Terrasse sank auf Terrasse, und es blieb nichts als eine öde Wüste, wo sich ein Sperling kaum sättigen konnte. So kann auch ein Mensch sich und die Sache Gottes vernachlässigen, dass er alle Lust und Kraft verliert zum Guten. Der Prophet sagt: „Ephraim ist wie eine verlockte Taube, die nichts merken will.“ Es gibt Schwärme solcher verlockter Tauben. Wer es mit dem Christentum und seinem Seelenheil leicht nimmt, der wird bald zu einem solchen Schwächling herabsinken, dass er nicht mehr im Stande ist, etwas Nennenswertes für den Herrn zu leisten. Ich beschwöre euch, meine Freunde, euch selbst und eurem Gotte unwandelbar treu zu sein. Haltet fest an euren Grundsätzen am bösen Tage. Jetzt, da alles in Sumpf und Kot verwandelt zu sein, da religiöses Denken wie ein schleimiger Strom in das tote Meer des Unglaubens zu fließen scheint, bauet feste Mauern um euer Leben, um euren Glauben, um euren Charakter. Stehet fest! Möge Gott der Heilige Geist euch helfen, gewurzelt und gegründet zu sein, niemals euer Vertrauen wegzuwerfen, welches eine große Belohnung hat.

Zuletzt möchte ich den Faulen aufwecken. Ich möchte eine Hand voll Sand gegen sein Fenster hinaufwerfen. Es ist Zeit, aufzustehen, denn die Sonne hat schon den Tau verzehret auf dem Felde. Er möchte noch ein wenig schlafen. Armer Freund, wenn du noch ein wenig schläfst, so wirst du nicht aufwachen, bis du deine Augen öffnest in einer anderen Welt. Wache jetzt auf! Springe aus deinem Bette, ehe du in demselben erstickest. Wache auf! Siehst du nicht, wo du dich befindest? Du hast dein Heil vernachlässigt, bis dein Herz mit Sünde bedeckt ist, wie mit Unkraut. Du hast Gott und Christum vernachlässigt, bis du weltlich, sündlich, gleichgültig und gottlos geworden bist. Ich meine Manche von euch, welche einst den heiligen Namen trugen. Ihr seid weltlich geworden und so weit vom rechten Ziel, wie Solche, welche gar kein Bekenntnis machen. Betrachtet euch und sehet, was aus den Mauern geworden ist. Dann betrachtet manche von euren Mitchristen und sehet, wie tätig sie sind. Manche sind arm und ungelehrt und tun viel mehr für den Herrn, als ihr. Trotz euren Talenten und Gelegenheiten seid ihr faule Knechte, die alles zu Grunde gehen lassen. Ist es nicht hohe Zeit, dass ihr euch aufrafft? Betrachtet wieder Andere, welche, wie ihr, einschliefen und bald wieder aufzuwachen meinten. Was ist aus ihnen geworben? Manche sind in große Sünde gefallen und von der Kirche getrennt worden. Und doch gingen sie nur ein wenig weiter, als ihr. Euer Herzenszustand ist wie der ihrige, und wenn ihr solltet in dieselben Versuchungen fallen, so würdet ihr Schiffbruch leiden, wie sie getan haben. O, bedenkt dies, ihr, die ihr schlafet, denn ein träger Bekenner ist in der größten Gefahr. Das Herz eines trägen Bekenners ist Zunder für des Teufels Zunderbüchse; seht, wie die Funken aller Versuchungen in euer Herz fliegen.

Zuletzt bedenkt das Kommen unseres Herrn Jesu Christi. Soll er euch, wenn er kommt, schlafend finden? Was wollt ihr sagen, um euch wegen der versäumten Gelegenheiten, der verlorenen Zeit, der im Schweißtuch gehaltenen Pfunde zu entschuldigen?

Und du, mein unbekehrter Freund, wenn du träumend durchs Leben gehst und dich um dein Heil und die Ewigkeit nicht kümmerst, du bist ohne alle Fragen verloren. Der Faule kann keine Hoffnung haben, denn so „der Gerechte kaum erhalten wird,“ der doch versucht, dem Herrn zu dienen, wo will Der erscheinen, welcher trotz der göttlichen Weckrufe unbekümmert fortschlummert? Die Seligkeit ist einzig aus freier Gnade; aber die Gnade veranlasst Niemand zum Schlafe und zur Gleichgültigkeit, sondern weckt zur Tätigkeit, zum Ernst, zur Entschiedenheit und Selbstverleugnung. Gott gebe uns seinen Geist, dass alles zurecht gemacht werde, die Sünden bei der Wurzel ausgerissen, und wir durch die schützende Gnade bewahret werden vor dem Verderber, welcher uns in tausendfachen Gestalten umlauert, um da einzubrechen, wo die Mauer niedrig ist. O Herr, gedenke unser in Gnaden, umgib uns mit deiner Kraft und bewahre uns vor den Trägen, die uns dem Verderben preisgeben möchten, um Jesu willen. Amen.

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