Spurgeon, Charles Haddon - Das erste Aufrichten der ehernen Schlange.
„Da zogen sie von Hur am Gebirge … so sähe er die eherne Schlange an und blieb leben.“
4. Mose 21,4—9.
Ich habe euch häufig den Typus der ehernen Schlange erklärt, wie unser Herr ihn im dritten Kapitel des Johannes auslegt. Ich hielt es für angemessen, heute abend dieses Vorbild in seinem Zusammenhange zu nehmen und die Umstände zu betrachten, welche ursprünglich zur Errichtung desselben führten: denn während die allgemeine Lehre, dass wir zu unsrem Heile auf Christum als die eherne Schlange schauen müssen, stets zu predigen ist und mit großem Nutzen in der Mitte Unbekehrter verkündigt wird, so halte ich doch dafür, dass die ursprüngliche Anordnung desselben uns vieles lehrt, was nicht übersehen werden sollte. Es ist sehr klar, dass dieses Vorbild zuerst seine Stimme an das Volk Gottes richtete, denn es war Israel — das Volk, das dem Namen nach Gottes Volk war — unter dem diese eherne Schlange zuerst nötig tat und zuerst aufgerichtet ward; und wenn auch die Lehre, die sie gibt, so weit ist, wie das Weltall, denn wer das Zeichen ansieht, soll leben, so ist dennoch ein innerer Kreis da, an den sie zunächst sich wendet, und dieser besteht aus denen, die sich als Glieder der Gemeinde Gottes bekennen.
Das vierte Buch Mose könnte passend „Mose Pilgerreise“ genannt werden. Es enthält einen vollen Bericht von der Reise der Pilger durch die Wüste, bis sie zu dem verheißenen Lande kamen. Und wie Bunyans „Pilgerreise“ ist es nicht nur die Geschichte einer Person oder Nation, sondern ein Bild von dem Leben des ganzen Volkes Gottes. Wahrscheinlich wird keiner von uns durch alle Leiden der Israeliten hindurchzugehen haben, so dass er in einer Person ein ganzer Inbegriff der Wüsten-Erfahrung würde; und doch mag selbst dieses stattfinden, denn so war es mit David, und so ist es mit andern gewesen, durch welche der Herr eine Gemeinde lehren wollte. Dies ist indes ausnahmsweise; aber wenn wir uns alle als die Gemeinde Gottes zusammenfassen, so finden wir, dass unser Leben abgespiegelt, abgebildet und vorhergesehen ist in dem Zuge des auserwählten Volkes Gottes von Ägypten nach Kanaan. Ich fürchte, dass viele von uns sich selber in der vorliegenden Stelle sehen können, ja, nicht nur die unter uns, welche jung und unreif in geistlichen Dingen sind, sondern manche, die viele Jahre lang der göttlichen Leitung gefolgt und hoffen, bald ihr Teil in dem besseren Lande zu genießen. Wenn sogar Mose und Aaron auf dem Wege irrten, so fürchte ich, dass wenige von uns sind, welche die Erzählung lesen können, ohne auszurufen: „Ich gedenke heute an meine Sünde.“
Das vorliegende Ereignis fand fast am Ende der Wanderungen Israels statt. Sie waren nun vierzig Jahre lang in der Wüste gewesen und waren jetzt im Angesichte des Landes. Sie brauchten nur über die Berge Edoms hinüberzugehen und durch die Pässe von Seir zu ziehen, dann wären sie sogleich in dem Lande gewesen, darin Milch und Honig floss. Aber die Edomiter wollten ihnen nicht das Vorrecht gewähren, die Landstraße zu ziehen, und da Israel wider seinen Bruder Esau nicht kämpfen durfte, mussten sie um seine Grenze herumziehen und an einem Arm des Roten Meeres herunter geheim in einem langen und ermüdenden Marsche, als sie an der Grenze ihres Bundeslandes zu sein schienen. Wenn dies am Ende ihres Zuges geschah, so sollte keiner von uns sich auf seine Erfahrung und Erkenntnis verlassen. Möchte der Heilige Geist uns helfen, dass wir Vorsicht aus dieser Geschichte lernen, denn dies alles geschah ihnen zu unserer Unterweisung.
I.
Ich lenke zuerst eure Aufmerksamkeit auf ihre Entmutigung. „Die Seele des Volkes ward sehr entmutigt auf dem Wege.“ Gewiss, es gibt Zeiten, wo Gottes Diener entmutigt werden. Zu ihrer Schande lasst uns es sagen. Zu unserer Schande lasst uns es bekennen. Der Glaube ist es, durch den wir leben, aber da Entmutigung das Gegenteil vom Glauben ist, so hilft sie unsrem Leben nicht. Gewöhnlich ist sie die Frucht des Unglaubens; wir hören dadurch auf, ein gesundes und kräftiges Leben zu führen und beginnen, schwach zu werden. Dennoch geben selbst diejenigen von Gottes Kindern, die viel Erfahrung in göttlichen Wegen haben, sich zuzeiten der Entmutigung hin.
Der Grund kann in verschiedenen Dingen liegen. Zuweilen entspringt sie aus getäuschter Hoffnung. Es war eine harte Enttäuschung für die Israeliten, das Land dort drüben einen Tagemarsch oder weniger entfernt zu sehen, und doch Edom sprechen zu hören: „Du sollst nicht durch mich ziehen oder ich will dir mit dem Schwert entgegenziehen.“ Es war, als wenn man den Becher an den Lippen hat und doch nicht trinken darf. Es war eine schwere Prüfung, nach all diesen Jahren so nahe zu kommen und dann gezwungen zu sein, zurück zum Roten Meer zu ziehen. Welche Tantalusqual, das Land wie durch eine kristallene Mauer zu sehen, und doch nicht im Stande zu sein, den Fuß darauf zu setzen! Es war eine bittere Enttäuschung; und es mögen uns gleiche Prüfungen aufbehalten sein. Möglicherweise haben einige Diener meines Herrn die Vorstellung gehabt, dass sie erstaunlichen Fortschritt im göttlichen Leben gemacht, und gerade dann hat sich etwas ereignet, was ihnen ihre eigne Schwachheit zeigte und sie zwang, im Verborgenen zu weinen, sich selbst zu tadeln und zu sprechen: „Bin ich nach all diesem nicht besser, so dass eine Kleinigkeit mich danieder schlägt? Habe ich so viel gelitten und ist mein Fortschritt noch so gering? Ich glaubte, der Herr würde in einer Gnadenstunde meine Bitte gewähren, meine Sünden töten und mir Ruhe geben. Anstatt dessen lässt Er mich das verborgene Böse in meinem Herzen fühlen und die Mächte der Hölle mich angreifen.“ Wir bitten, dass unsre Wasser gereinigt werden mögen, und siehe, wir werden bewegt, bis aller Schlamm, der ruhig auf dem Grunde unserer Seele lag, sichtbar wird und die Unreinigkeit überall zum Vorschein kommt. Dürfte dies indes nicht der nächste und sicherste Weg zur Reinigkeit sein? Diese Enthüllung der geheimen Verdorbenheit unserer Herzen? Doch welche Enttäuschung; ich dachte, ich wäre etwas, und nun nehme ich wahr, dass ich nichts bin. Ich hatte halbwegs gehofft, vollkommen zu sein und nun sehe ich meine geheimen Unvollkommenheiten und Lüste klarer denn je. Wir glaubten, hinan in die volle Zuversicht zu klimmen, und siehe, wir steigen hinab in das Tal der Demütigung. Ja, wir schmeckten den Honig eines kühnen Vertrauens und sprachen: „Ich weiß, an wen ich glaube und bin gewiss, dass Er kann mir meine Beilage bewahren bis an jenen Tag;“ und jetzt wissen wir kaum, ob wir überhaupt zu den Kindern Gottes gehören. Wir haben mit Zittern unsren ersten Schritt zu wiederholen und unser Auge auf den blutenden Heiland zu wenden in der Hoffnung, als arme Sünder Heil in Ihm zu finden. Dieser Mangel an Fortschritt ist etwas Schreckliches, und doch ist es vielen so ergangen, bis sie jeden Gedanken an Rühmen aufgegeben und mit dem Apostel gesprochen haben: „Nicht, dass ichs schon ergriffen hätte.“ Sie hatten ein Gefühl wie Menschen, die einen Wettlauf beginnen, obgleich sie diesen Lauf schon manches geduldige Jahr gelaufen waren. Eine solche getäuschte Hoffnung verursacht dem Kinde Gottes oft viel Entmutigung auf dem Wege.
Es war indes nicht bloß getäuschte Hoffnung; es war viel mehr. Es war die Unfreundlichkeit derjenigen, die brüderlich hätten sein sollen. Gewiss, Edom hätte seinem Bruder Israel das kleine Vorrecht gönnen sollen, durch sein Land zu ziehen, da es der nächste Weg nach Kanaan war. Es würde Esau nichts gekostet haben. Die Israeliten versprachen zu bezahlen, wenn sie auch nur aus dem Wasser seiner Brunnen tränken. Aber nein, sie mussten diese Unfreundlichkeit dulden. Ich habe Kinder Gottes sehr entmutigt gesehen durch die Unfreundlichkeit derer, die sie für ihre Brüder und Schwestern in Christo hielten. Sie gingen zu ihnen in Hoffnung auf Teilnahme, und ihnen wurde Abweisung zu teil. Sie hofften Hilfe von ihnen in Zeiten der Niedergeschlagenheit, und diese ward ihnen verweigert. Sie sagten: „Gewiss, meine Brüder werden mich trösten;“ aber sie riefen zuletzt wie Hiob: „Ihr seid allzumal leidige Tröster.“ Dann seufzten sie: „Es war nicht ein Feind, das hätte ich ertragen können; aber es war einer meinesgleichen, meiner Bekannten. Wir gingen zum Hause Gottes zusammen.“ Ihr kennt die Erzählung, wie David von seinem Freunde verlassen, wie unser Herr von Judas verraten ward, und es ist euch genugsam bekannt, wie oft das Herz der besten Menschen gebrochen wurde durch die Unfreundlichkeit derer, von denen sie zuversichtlich Freundlichkeit erwarteten. Das Volk ward sehr entmutigt auf dem Wege, denn dieser war durch einen unbrüderlichen Bruder versperrt. Mögen die Kinder Gottes große Milde gegeneinander lernen, denn zuweilen können wir gedankenlos etwas sagen, das eine tiefe Wunde beibringt. Lasst uns liebevoll und zart wie eine Wärterin mit einem Kinde sein und der Milde des Vaters gedenken, der Zartheit Jesu und der Erbarmung des Heiligen Geistes. Ach! dass es so oft wahr ist, dass die Seelen des Volkes Gottes sehr entmutigt werden durch das Fehlen der christlichen Liebe. Nehmt euch vor, dass an euch die Schuld nicht liegen soll.
Unzweifelhaft indessen war die Seele des Volks sehr entmutigt durch die Länge des Weges. Sie waren vierzig Jahre lang auf dem Marsch gewesen. Sie waren beträchtlich lange Perioden an verschiedenen Lagerplätzen geblieben, aber sie wussten doch nie, wie lange sie an einer Stelle bleiben würden. Sie waren wie Schwalben, immer im Fluge. Es ist wahr, ihr Leben war voller Gaben, aber zu der Zeit, die in unsrem Text erwähnt wird, waren sie nicht in der Stimmung, Gaben zu beachten, sie waren geneigter, an Unbequemlichkeiten zu denken und zu klagen, dass der Weg so lang sei und sie desselben ganz überdrüssig wären. Sie hatten schon jahrelang gehofft, das gute Land zu erreichen, und nun mussten sie ihre Richtung ändern und ganz um das Land der Edomiter herumgehen; dies war lästig und prüfte ihre Geduld, bis sie gar ausging.
Manchen von Gottes Kindern hat das Alter viel Schweres gebracht durch seine Gebrechen und Leiden. Sie seufzen oft: „Warum verziehet sein Wagen, dass er nicht kommt?“ Sie sind im Geiste willig, auf ihres Herrn Willen zu warten, aber das Fleisch ist schwach, und sie fürchten, dass der Herr sie ganz vergessen hat. Warum hat Er sie nicht heimgenommen? Warum lässt Er sie in dieser Verbannung schmachten, so weit weg von des lieben Vaters Hause? Hört ihr sie nicht trauervoll singen:
„Herr, wie lange soll ich weinen?
Soll denn Deine Hilfe mir,
O, mein Gott! noch nicht erscheinen?
Ach, wie lange soll ich hier
Also gar verlassen sein?
Ach, erbarme Dich doch mein;
Eile Dich mit meinem Ende,
Und nimm mich in Deine Hände!“
O, mein lieber Bruder, wenn die Länge deiner Jahre dir eine Bürde geworden ist, so gebe Gott, dass du nicht entmutigt werdest. Mögest du „ein solcher sein, nämlich ein alter Paulus,“ und dich unter allen zunehmenden Schwachheiten deiner Jahre aufrecht halten und Frucht in deinem Alter noch bringen. Sei nicht niedergeschlagen, denn der Meister wird kommen und wird nicht verziehen. Er hat nicht seine Knechte vergessen. Er wird ihnen ihren Groschen beim Sonnenuntergang geben. Die reife Garbe soll nicht zu lange im Felde gelassen werden. Dein Herr wird kommen und dich zu sich nehmen, dass, wo Er ist, du auch seiest. Hoffe still und warte geduldig auf das Heil Gottes. Und doch hat, ohne Zweifel, die Länge des Weges gar manchen Pilgrim entmutigt.
Dann war auch die Mühseligkeit des Weges da, denn die Reise durch jene Wüste war keineswegs etwas Leichtes, besonders am Ufer jenes Golfes. Sehr rau ist bis auf diesen Tag der Pfad dort. Die Straße ist voll Hügel und Täler und rauer Schluchten und scharfer Steine und ermüdenden Sandes. Das Reisen dort ist so schlimm, wie das Reisen wohl nur sein kann. Für einige von Gottes Kindern ist das Leben keine Parade aus ebenem Rasen, sondern hartes Marschieren und tiefes Waten. Sie haben die raue Seite des Hügels hinanzuklimmen; der Wind bläst um sie und der Schnee wird ihnen in die Augen getrieben, und ihr Heim ist nur eine kalte Herberge. Selbst ihr Bett scheint einen Stein zum Kopfkissen zu haben. Wir kennen einige von dem Volk Gottes, die bei Armut und schlechter Gesundheit, unfreundlichen Verwandten, Verfolgung, schwerer Arbeit und körperlichem Verdienst von Tag zu Tag finden, dass der Pfad zum Himmel durch Dornen und Disteln, über dunkle Berge und durch schwarze Wälder geht. Wundert ihr euch sehr, dass ihre Seelen auf dem Wege entmutigt werden?
Ich meine, ich höre jemand sagen: „Wohl, mir gefällt dies alles nicht. Ich werde nicht entmutigt und ich finde nicht den Weg zu rau.“ Lieber Bruder, sei dankbar, dass du es nicht tust; aber lass mich dich warnen, nicht andre zu richten. Wenn ihr, wie große Stiere, voller Kraft seid, so stoßt nicht mit Hörnern und Schultern die, welche schwächere Tiere sind; denn der Herr bemerkt hochmütige Blicke und stolze Worte. Wenn seine Heiligen so stark und trotzig werden, dass sie die Leidenden verachten, so werden sie wahrscheinlich selbst dafür zu leiden haben. Die Regel unsres Gottes und Königs ist diese: „Die Hungrigen füllet Er mit Gütern und lässt die Reichen leer.“ Dies weiß ich, sowohl durch Beobachtung als durch Erfahrung — dass es viele echte Pilgrime gibt, die triumphierend zuletzt in des Königs Reich eingehen werden, die nichtsdestoweniger zuweilen auf dem Wege entmutigt sind.
Und doch, Brüder, will ich keine Entschuldigung vorbringen für Entmutigung in mir selber und will auch nicht versuchen, eine für euch zu bringen. Ihr wollt keine Entschuldigung für euch, nicht wahr? Im Grunde waren doch diese Israeliten ein hoch begünstigtes Volk. Was wars denn, wenn sie gezwungen waren, um das Land Edom sich herum zu winden? Ging doch der Herr vor ihnen her, und ist der nicht glücklich, der geht, wohin Jehovah führt? Sagt uns, dass Gott den Weg erwählt hat, und wir brauchen nicht mehr davon zu wissen. Er führte sie einen richtigen Weg. Verlasst euch darauf. Es konnte kein Irrtum stattfinden, wo die Weisheit des Unendlichen den Weg führte.
Nun, Bruder, du bist entmutigt, sagst du, durch den Weg; aber wessen Weg ist es? Hast du deinen eignen Weg erwählt und bist ihn eigenwillig gelaufen gegen deine Pflicht und gegen die Vorsehung Gottes? Wohlan, ich sage nichts über die Folgen solchen Verhaltens, denn sie müssen furchtbar sein. Aber wenn ihr euch bemüht habt, dem Herrn völlig zu folgen, und wenn ihr versucht habt, auf dem Pfad seiner Gebote zu wandeln, dann muss es gut mit euch stehen. Warum seid ihr entmutigt? Richtet nicht nach dem, was das Auge stehet, oder das Ohr hört, lasst den Glauben auf dem Richterstuhl sitzen, und ich bin gewiss, er wird das Urteil ergehen lassen: „Wenn der Herr es will, so ist es gut. Wenn Jehovah den Weg führt, so muss die Straße die richtige sein.“
Außerdem, Gott führte sie nicht bloß, Er trug sie. Er sagte selbst, dass Er sie auf Adlersflügeln getragen: denn obgleich die Wege oft rau waren, so ist es doch wundervoll, daran zu denken, dass ihre Füße nicht schwollen und ihre Kleider nicht alt wurden, diese ganzen vierzig Jahre lang. Obgleich es eine Wüste war, so wurde ihr Brot ihnen täglich gegeben; und obgleich es ein dürres Land war, so folgte ihnen doch der Fels mit Wasser, und sie wussten nichts von Dürre. Wie konnten sie besser daran sein, als wenn sie den Himmel zur Kornkammer hatten, die Felsen zum Weinkeller, und Gott selbst zu ihrem Versorger? Sie waren Pensionäre des Königs der Könige. Was konnten sie wünschen, wofür Er nicht gesorgt hätte? Welche Stadt war bei Nacht von einer Feuersäule erleuchtet, wie ihre große Leinwandstadt es war? Bei welchem andren Volk wohnte Gott? Wo anders wandelte Er mitten unter ihren Wohnungen und offenbarte sich, wie Er es bei Israel tat? Anstatt entmutigt zu sein, hatten sie alle Ursache, doppelt dankbar und froh zu sein. Geführt von Gott, genährt von Gott, gelehrt von Gott, bewacht von Gott — was für ein besseres Los konnten sie sich vorstellen?
Außerdem, lieben Freunde, obgleich es so lange dauerte, bis sie nach Kanaan kamen, so sollten sie doch dahin kommen, wenn sie nur an ihren Gott glauben wollten. Gott wollte sie sicher dahin bringen. Zu jedem Gläubigen wollte Er sprechen: „Du sollst aufstehen an deinem Teil am Ende der Tage.“ Obgleich die Ungläubigen unter ihnen umkamen und ihre Leichname in der Wüste blieben, so war doch für die unter ihnen, die Buße taten, der süße Gedanke da, dass, wenn auch seinen Knechten nur Gottes Werk gezeigt würde, ihre Kinder doch seine Herrlichkeit sehen sollten und die nächste Generation in das Land eingehen würde. Kommt, lasst uns also getrost sein aus denselben Gründen. Wir sollen auch seiner Zeit unsres Vaters Haus erreichen. Wir sollen heimkommen, und unsre Heimkehr soll nicht zu spät für das Hochzeitsmahl des Lammes sein. Der Herr kennt den Weg der Gerechten. Er steuert uns. von Tag zu Tag mit unfehlbarer Weisheit, und trotz dieser stürmischen Meere sollen wir noch Anker werfen in dem schönen Hafen, wohin unser Herr gegangen ist. „Wir werden also bei dem Herrn sein allezeit.“ So tröstet euch nun untereinander mit diesen Worten. Der Herr tut uns keinen Schaden. Der Herr versagt uns nichts Gutes. Er lässt uns selbst Böses zum Besten dienen; und wir haben keinen triftigen Grund zur Entmutigung. Scheinbarer Grund zur Furcht ist genug da, aber wirklicher nicht.
„Die ihr sonst die Harfen hinget
An die Weiden Babylons,
Nehmt sie wieder ab und singet
Zions Lied im Siegeston.“
II.
Bei den Israeliten ging es mit dieser Entmutigung sehr weit, denn sie führte zur Klage - und das ist unser zweiter Punkt. „Und das Volk redete wider Gott und wider Mose. Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und unserer Seele ekelt vor dieser losen Speise.“ Dies war eine bittere und böse Klage.
Wir sind in einem traurigen Zustand, lieben Brüder, wenn unsre Entmutigung zuletzt einen solchen Punkt erreicht, dass wir beginnen, über unsren Gott zu klagen, denn die Klagen, die zu diesen Zeiten kommen, sind solche, die Gott wahrscheinlich nicht ertragen wird. Wenn Gottes Kinder in wirklicher Not sind, so ist Er langmütig und milde gegen seine Betrübten, aber „bei den Verkehrten ist Er verkehrt.“ Als das Volk über Durst klagte, versüßte der Herr das Wasser von Mara für sie; als sie hungrig waren, gab Er ihnen Brot vom Himmel; aber als sie, da sie nichts hatten, worüber sie gerechterweise klagen konnten, murrten, weil sie entmutigt waren, handelte Er strenge mit ihnen und sandte feurige Schlangen unter sie, die viele von ihnen bissen, so dass viel Volks starb. Hütet euch vor einem murrenden Geiste. Gott will Mitleid haben mit unsren Leiden, aber unsre Launen wird Er strafen. Einige von uns haben es nötig, davor gewarnt zu werden, dass der Geist der Entmutigung sie nicht zum Hadern mit Gott und zum Zweifel an seiner Liebe treibt. Es ist schlimm für einen Heiligen, mit seinem Heiland zu zanken. Als diese Leute ihre erste Klage vorbrachten, war es eine sonderbare. Es war eine Klage darüber, dass sie aus Ägypten geführt waren. „Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste?“
Wohl, aber zu allererst, sie hätten nicht klagen sollen, dass sie aus Ägypten geführt waren, denn das war ein Land der Sklaverei, wo ihre Söhne im Fluss ertränkt wurden, und wo sie selber sich sehnten zu sterben, weil das Leben unerträglich geworden war; und doch klagten sie, wie ihr sehet, darüber, dass sie aus Ägypten geführt seien, um in der Wüste zu sterben. Ist es nicht möglich, dass unsre aufrührerischen Herzen selbst über Gottes Barmherzigkeit klagen? Aus Mangel an etwas, worüber sie murren können, werden Entmutigte selbst an Gottes Güte etwas auszusehen haben. Wie schlimm, dass es dahinkommt! Brüder, wenn wir an Christum glauben, sind wir aus der Knechtschaft erlöst; wir sind in eine abgesonderte Stellung geführt und zum Volk Gottes gemacht. Sollen wir je darüber klagen? Gesetzt, es dringt uns Spott, Einsamkeit, Unfreundlichkeit; gesetzt, es verwickelt uns in viele Schwierigkeiten: sollen wir davor zurückweichen? Gott verhüte! Überschlugen wir nicht die Kosten, als wir zuerst aus Ägypten herauszogen? Und nachdem wir die Kosten überschlagen, wollen wir da vom Kampf uns zurückziehen? Nein, sondern im Namen Gottes wollen wir streiten, bis nur den Sieg gewonnen haben und nie die Klage gegen Gott vorbringen, dass Er uns aus Ägypten geführt hat. Er wird uns nicht in der Wüste sterben lassen. Wir können das nicht glauben und wir wollen unsre Seele dies nicht sagen lassen.
„Hat Er uns Gnade zugesagt.
So bleibt Er fest dabei;
Und wenn uns Furcht und Zweifel plagt,
So bleibt Er doch getreu.“
Ich will es glauben. Leg' dich nieder, du Hund des Zweifels! Leg' dich nieder, du Beller des Unglaubens! Wenn du nichts andres anbellen kannst, sei ruhig. O, dass Gottes Gnade unsre Klage gleich zum Schweigen brächte! Unser Gott begnadigte nie eine Seele, um sie nachher aus der Gnade fallen zu lassen. Christus taufte nie eine Seele mit seinem Blut, um sie zu seinem Eigentum zu machen und sie dann durch seine Finger ins Verderben gleiten zu lassen. Der Herr hat uns nicht durch so viele Leiden und Versuchungen hindurchgeführt, um uns zuletzt schiffbrüchig werden und umkommen zu lassen. Wenn Er uns hätte verderben wollen, so „hätte Er uns nicht solches alles erzeiget.“ Lasst uns nicht so verdrießlich werden, dass wir vom Sterben in der Wüste reden, wenn Gott in Wahrheit uns zu Zeichen und Wundern macht, dadurch, dass Er in der Wüste unser Leben erhält.
Dann seht ihre Klage an, dass sie keine Speise hätten: „es ist kein Brot noch Wasser hier.“ Es war eine große Lüge. Es war Brot da, sie mussten diese Tatsachen mit dem nächsten Atemzuge zugeben: aber sie nannten das Manna nicht „Brot.“ Sie nannten es mit einem hässlichen Namen. Auch das Wasser war nicht schlammig und dick wie das des Nils; es war Helles, klares, reines Wasser aus dem Felsen; und deshalb wollten sie es nicht Wasser nennen. Sie wollten Wasser mit etwas Festem darin, das Kies zwischen ihren Zähnen zurückließe, und da der Strom, der aus dem harten Felsen floss, reiner Kristall war, so wollten sie ihn nicht Wasser nennen. Habt ihr nicht Leute gekannt, denen Gott große Gnade, gegeben und die doch redeten, als wären sie ganz verlassen? Der Unglaube ist blind, ebenso gewiss wie der Glaube weitsehend ist. Unglaube freut sich an nichts, wie der Glaube sich an allem freut. Wer glaubet, findet Süßigkeit im Manna: „es hatte einen Geschmack wie Semmel mit Honig;“ aber wer keinen Glauben hat, der findet nichts Angenehmes selbst in dem „Korn des Himmels,“ sondern spricht: „es ist kein Brot da.“
Denkt nur daran, dass sie sprachen: „unserer Seele ekelt vor dieser losen Speise!“ Es war eine sehr leicht verdauliche Nahrung, die in guter Gesundheit erhielt; und doch schmachteten sie nach schwerer, klumpiger Speise. Sie wünschten Lauch und Knoblauch und Zwiebeln — etwas Scharfes und Starkes, und weniger fein als „Engelspeise.“ Sie seufzten nach dem Fleisch, das sie in Ägypten aßen; sie verlangten nach grober und gefährlicher Nahrung. Gott wusste, dass dies keine passende Speise für sie in der heißen Wüste war und gab ihnen statt dessen die Beste, nur mögliche Nahrung; und nun schreien sie: „O, es ist nichts Solides darin. Es gibt nicht das Gefühl des Sattseins.“ Sie tadelten das, was sie hätten loben sollen. Die Menschen haben in Wahrheit das nötig, was genügend ist, das, was den Körper nährt, das, was sie in Gesundheit und Kraft erhält; aber diese Murrenden gedachten der rohen Nahrung, die sie unter den Ziegelhütten zu essen pflegten, und die wünschten sich voll und satt zu fühlen, wie sie es dann und wann in Ägypten getan. So fingen sie an wider Gott zu klagen ohne irgend eine Entschuldigung.
Sind einige hier in diesem Zustande? Seid ihr so entmutigt, dass ihr nicht länger im Glauben leben wollt, — es scheint zu wenig solide? Seid ihr es müde zu beten: „Unser täglich Brot gib uns heute?“ Ihr möchtet statt dessen eine nette runde Summe in der Bank und viele von den Sorgen und Schlingen des Reichtums. Oder ist es so, dass ihr nicht länger mit dem alten Evangelium zufrieden seid? Es ist so leicht zu verdauen, dass ihr nach einem harten Bissen verlangt — einem Stück gusseiserner Philosophie, das euch jahrelang auf dem Verstande liegt? Ihr wollt ein bisschen von dem unverdaulichen neuem Denken, das in euch bleiben wird wie die Reben Ägyptens, die nicht so rasch verschwunden waren wie das Manna des Himmels. Ihr verlangt Lauch, Knoblauch und Zwiebeln — etwas Aufregendes, Merkwürdiges, wenn es sich auch mit dem reinen Geschmack der vom Geiste Geborenen nicht verträgt. Ist es nicht sonderbar, wie Menschen, die sich Christen nennen, dieser Art Speise nachlaufen: und von dem wirklichen guten Evangelium, das die Seele retten und sie stärken kann, beginnen sie zu sprechen: „Es ist abgenützt; wir haben dies eine so oft gehört. Ihr seht, es ist gerade dasselbe altmodische Manna; wir wollen mehr Mannigfaltigkeit. Wir verlangen das, was neu ist, was sich unserer fortgeschrittenen, intellektuellen Bildung durch metaphysische Stabilität empfiehlt.“ Das ist der Ton. Ich sehe diesen Geist überall, und wir alle treffen ihn in der einen oder der andren Form an; er klagt über das, was Gott in der Vorsehung bereitet hat, er klagt über das, was Gott in der Bibel bereitet hat, er klagt über das, was der Heilige Geist in seinen göttlichen Wirkungen bereitet hat. Wir sehen, wie die Athener, nach etwas Neuem aus: wir wissen nicht, was wir wünschen. Wenn die murrende Laune über uns kommt, so murren wir über alles und jedes, wie diese Israeliten; sie klagten über Gott, sie klagten über Mose, sie klagten über das Manna. Sie würden bereit gewesen sein, über Aaron zu klagen; aber, zum Glück für ihn, war er schon einen Monat oder so vorher gestorben, und so gossen sie desto mehr Galle über Mose aus. Den Menschen in dieser Stimmung ist nichts recht: nichts kann recht sein. Die ganze Welt ist auf den Kopf gestellt und wenn sie wieder umgekehrt würde, so würde sie gerade ebenso verkehrt sein; vielleicht mehr als je. Ihr lächelt, wie ich sehe, hierüber. Wohl, ihr möget lächeln, wenn ihr wollt, Brüder, aber es ist etwas, worüber man weinen sollte; denn ich erinnere mich eines Spruches, der sagt: „Der Herr hört ihr Murren.“ Das ist der ernste Punkt in der Sache. Wir freuen uns, wenn Gott unsre Gebete hört: es ist das, wonach wir uns sehnen; aber ist es nicht furchtbar, dass Gott unser Murren hört? Es sind zwei Dinge, die Gott immer hört. Merkt euch dies! Das erste ist die Stimme des Glaubens und das zweite ist die Stimme des Unglaubens; denn so sehr Gott den Glauben liebt, so sehr verabscheut er den Unglauben. Wenn wir stark im Glauben sind, kann Gott alles mit uns und für uns tun, und Er kann uns Stärke bei allen Schwierigkeiten geben, so dass wir mit dem Apostel sagen können: „Ich vermag alles durch Den, der mich mächtig macht, Christus.“ Aber wenn wir in Unglauben sinken, so kann Christus selber nichts mit uns tun, wie es geschrieben steht: „Er konnte daselbst nicht viele Zeichen tun um ihres Unglaubens willen.“
Seid ihr denn nicht traurig, dass ihr je murrtet und klagtet, da Gott es alles hörte? Was noch mehr ist, wie der Herr gewöhnlich die Gebete des Glaubens erhört, so erhört Er auch oft die Gebete des Unglaubens. Ich habe einen Bruder über ein kleines und erträgliches Leiden laut klagen hören und gesehen, dass der Herr seine Ungeduld mit großen Trübsalen beantwortete. Wenn Kinder über nichts schreien, so sollten sie etwas haben, worüber sie schreien könnten; und wenn wir entmutigt werden, wo in Wirklichkeit kein Grund dafür vorhanden ist, so werden wir wahrscheinlich durch erstaunlich große Trübsale eine Antwort bekommen. Wenn wir zu lachen beginnen, wo wir singen sollten, so ists wahrscheinlich genug, dass wir ernste Ursache zum Schreien bekommen werden; denn steht es nicht vom Herrn geschrieben: „Bei den Verkehrten bist Du verkehrt?“ Wenn wir ergeben, ruhig und gelassen wandeln, und mit David sagen: „Meine Seele ist wie ein entwöhntes Kind,“ dann handelt der Herr sehr sanft und tröstlich mit uns, und unser Pfad wird durch seine Liebe geebnet; aber der Herr hat gesagt: „Wenn ihr mir entgegenwandelt, so will ich euch auch entgegenwandeln.“ Deshalb, Brüder, wenn wir irgendwie entmutigt sind, so lasst uns beten, dass wir nicht weiter auf diesem bösen Wege fortgehen mögen, und nicht beginnen, den Herrn und seine Vorsehung zu schmähen. Lasst uns zur Zuversicht, zur Freude und zum Glauben zurückkehren, nicht aber vorwärts gehen, bis wir in den Graben des Murrens fallen und dort liegen und auf noch Schlimmeres warten.
III.
Der Herr sendet binnen kurzem den Murrenden Strafe. Dies ist unser dritter Teil. Wir lesen, sobald das Volk anfing, wider Mose, wider Gott und wider das Manna zu sprechen, „sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk, die bissen das Volk, dass ein großes Volk in Israel starb.“ Feurige Schlangen waren bereit auf den göttlichen Ruf; dem Herrn fehlt es nie an Züchtigungsmitteln. Es war keine Zwischenzeit zwischen der Sünde und dem Leiden, denn das Vergehen war übermütig und unentschuldbar.
Wird Gott feurige Schlangen unter sein eigenes Volk senden? Dies waren die Stämme, die von dem Manna aßen und das Volk, das „von dem geistlichen Fels trank, der mit folgte, welcher war Christus.“ Sie waren des Herrn sichtbare Gemeinde in der Wüste, und obgleich nicht alle geistlich seine Kinder, waren sie doch Vorbilder seiner Erwählten, Typen der ganzen gläubigen Familie.
Wohl, Brüder, der Herr kann in väterlichem Zorn feurige Schlangen unter ein zweifelndes und zankendes Volk senden, und dann mögen die, welche durch Tadeln beißen, selber gebissen werden.
Diese feurigen Schlangen kommen in verschiedenen Formen. Zuweilen mögen es neue Leiden sein. Die Israeliten hatten, soviel ich weiß, nie vorher die Seraphs oder Brennenden gesehen. Sie schienen aus dem Sand herauszufliegen und zu beißen, ehe sie sich dessen versahen, und dann drang das Gift in ihr Blut ein und machte es sieden, bis sie von Kopf zu Fuß eine Feuermasse schienen, in heftigen Schmerzen brannten und dem Tode nahe waren. Es war schrecklich, mitten durch feurige, fliegende Schlangen zu gehen. Der Herr befreie uns davon. Aber Er kann uns, wenn wir mürrisch werden, eine frische und neue Trübsal senden, ein sich windendes Leiden, das sich um uns flechtet und schlängelt — einen plötzlichen Kummer, der die Quelle unsres Lebens vergiftet, und dies mag schnell auf uns zufliegen, als eine Züchtigung dafür, dass wir unter viel glücklicheren Umständen Gott nicht geglaubt haben.
Bei einigen Christen mögen diese feurigen Schlangen ihre eignen, verderbten Neigungen sein, die sich erheben. Ich habe es gesehen, dass die verderbten Neigungen eines Kindes Gottes lange Zeit sich ruhig und still verhielten. Sie waren vorhanden, aber gezwungen, sich zu verbergen gleich Dieben, die sich nicht ans Tageslicht wagen; und das Kind Gottes genoss Ruhe. Aber es ward entmutigt und fing an zu klagen, und dann brachen diese inneren Verdorbenheiten auf dasselbe ein und umgaben es wie Bienen, unzählbar und rasch im Stechen. Einige von uns wissen, was dies heißt: wir hielten unsre innewohnenden Sünden für tot; plötzlich wurden sie in uns wieder lebendig und wir hatten einen Kampf auf Tod und Leben mit ihnen.
Oder es mag sein, dass Gott den Satan auf uns loslassen wird, wenn wir ungläubig sind. Gewiss, es gibt keine schlimmeren feurigen Schlangen, als die Eingebungen und Einflüsterungen des Teufels. O, Bruder, wenn du je dem Satan begegnet bist und mit ihm Mann gegen Mann gekämpft hast, so weißt du an deinen Narben, was für ein furchtbarer Gegner er ist. Er gibt unsrem Herzen Gedanken ein, die nie aus unsrem eignen Geiste kamen und nie gekommen wären — lästerliche Gedanken von höllischer Art; und er will, dass wir diese als unsre eignen annehmen sollen. Er wirft seine Bomben in unsre Seele und sagt uns dann, dass wir sie selbst gemacht haben. Er macht uns zweifeln an dem Dasein Gottes, der Inspiration der Schrift, der Gottheit Christi, der Wahrheit des Evangeliums, der Tatsache der Auferstehung — in der Tat, er macht, dass wir an Lehren zweifeln, für die wir unser Leben hingeben könnten. Dies sind Ruchlosigkeiten und durchaus nicht unsre Gedanken; aber wie feurige Schlangen stechen sie entsetzlich. Und die ganze Zeit über schlägt der Feind die große Höllentrommel unserer vergangenen Sünden und versucht, wenn er kann, die Stimme der Gnade und jenes kostbaren Blutes, „das da besser redet denn Abels,“ zu ersticken. So möchte er uns zur Verzweiflung treiben.
Ah, diese feurigen Schlangen! Brüder, es ist viel besser, durch Armut und Schmerz geprüft zu sein, als durch die infernalischen Gedanken, die vom Satan kommen, belästigt zu werden. Es wäre besser für uns, zertreten zu liegen, wie der Staub unter unsren Füßen und jeder Atom ein Schmerz, als mit den verzweifelten Gedanken gefüllt zu werden, die Satan der Seele eingeben kann. Hütet euch, ich bitte euch, vor den Klagen, ihr, die ihr entmutigt zu werden beginnt. Kehrt zu eurem kindlichen Glauben zurück. „Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat,“ damit ihr nicht durch euren Unglauben ins Klagen hinein gleitet und dann durch euer Klagen feurige Schlangen aus dem Boden ausheckt, auf den ihr tretet.
IV.
Aber nun viertens, hier kommt das Heilmittel. Was ist zu tun, wenn Israel von feurigen Schlangen gebissen wird?
Nun, das Erste ist Bekenntnis. Sie gingen zu Mose und sprachen: „Wir haben gesündigt.“ O, das ist eine liebliche Kunst — die Kunst des Bekennens: sie leert den Busen von dem gefährlichen Stoff aus! Nichts scheint mir grässlicher, als eure Sünden einem Menschen wie ihr selber zu bekennen. Ich denke, vor dem Ohr eines Priesters niederzusitzen und allen Schmutz eurer Seele da hinein zu gießen und jede Frage zu beantworten, die es ihm belieben mag, euch vorzulegen, muss eine der furchtbarsten Feuerproben sein, durch die eine menschliche Seele hindurch gehen kann. Ich weiß, Satan ist sehr erfinderisch in den Mitteln, durch welche er Menschen herabwürdigen und ihnen den letzten Rest von Scham rauben kann, um sie jedes Verbrechens fähig zu machen; aber ich dachte, dass die Ohrenbeichte seine letzte und schwärzeste Erfindung ist, um die Seele noch über alle gewöhnliche Befleckung hinaus zu verderben. Das Gemüt muss dadurch mit Bösem gesättigt werden in einer Art, wie sie furchtbarer nicht sein kann. Aber Sünde in das Ohr Christi bekennen, ist etwas ganz andres. Mit Ihm allein sein und Ihm all unsre Übertretungen und Versuchungen sagen, das ist ein ebenso großer Segen, als das andre ein Fluch ist. Es ist nicht zu fürchten, dass wir Ihn beflecken können, und jeder Segen kommt, wenn wir unser Herz vor Ihm ausschütten, der all unsre Sünde durch sein kostbares Blut hinwegnehmen kann. Unsre erste Pflicht ist, zu unsrem großen Hohenpriester zu eilen und Ihn: zu sagen, dass wir gesündigt haben.
Die zweite Hilfe war, dass Mose für das Volk betete. So ist für feurige Schlangen, entsetzliche Gedanken und Versuchungen die Fürbitte unsre Heilung. „Und ob jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesum Christum, der gerecht ist.“ Wenn wir niedergeschlagen und entmutigt worden sind und durch ungläubige Worte gesündigt haben, lasst uns mit unsrem armen, kleinen, zitternden Glauben hingehen und den göttlichen Mittler bitten, vor Gott in unserer Sache zu stehen und für uns zu bitten, dass unsre Übertretungen getilgt werden. O, wie süß ist es, diesen Fürsprecher zu haben! Kommt ihr, die ihr des Herrn Volk und dennoch Übertreter seid, kommt und freut euch hierin — dass Er für die Übertreter bittet und dass Er deshalb fähig ist, bis zum äußersten zu erretten.
Aber nun kommt das große Heilmittel. Nach ihrem Bekenntnis und dem Gebet ihres Mittlers befahl der Herr Mose, eine eherne Schlange zu machen und sie aufzurichten, damit sie diese ansähen und lebendig blieben. Geliebte, als ich zuerst zu Christo als ein armer Sünder kam und Ihn ansah, da dachte ich, Er sei das Köstlichste, worauf meine Augen sich je geheftet; aber heute abend habe ich auf Ihn gesehen, während ich euch predigte, in Erinnerung an meine eignen Entmutigungen und meine eignen Klagen, und ich finde meinen Herrn Jesum Christum teurer denn je. Ich bin ernstlich krank und sehr niedergedrückt gewesen, und ich fürchte, ich habe mich aufgelehnt, und deshalb sehe ich von neuem auf Ihn und sage euch, dass Er in meinen Augen heute abend schöner ist, als Er zuerst war. Es ist ein Gutes, dass ein Born da ist, in dem Sünder gewaschen werden können, aber ich will euch etwas noch Besseres sagen; es ist ein Born da für das Haus Davids und die Bürger zu Jerusalem wider die Sünde und Unreinigkeit. Dieser Born ist nicht nur für Ausgestoßene, sondern für die Heiligen, für die Bürger Jerusalems, für das Haus Davids. „So wir aber im Lichte wandeln, wie Er im Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander,“ — sündigen wir dann noch? Ja, das tun wir, sogar dann, aber „das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde.“ In unsrem niedrigsten Zustande ist dies unsre Reinigung. In unsrem höchsten Zustande ist dies immer noch unsre Reinigung. Das erste Mal, wenn ein armer Sünder aus dem Graben kommt und seine eignen Kleider ihn verabscheuen (Hiob 9, 31), wird er weiß gemacht durch das Blut Christi in dem Augenblick, wo er an Jesum glaubt; und merkt darauf, wenn er in den Himmel kommt und vor dem Glanz der höchsten Herrlichkeit steht, soll es immer noch von ihm und seinen Mitgenossen gesagt werden: „Sie haben ihre Kleider gewaschen und haben sie helle gemacht im Blute des Lammes.“ Die eherne Schlange heilte mich, als ich zuerst den Herrn sah und die eherne Schlange heilt mich heute und wird es tun, bis ich sterbe. „Sieh' und lebe,“ ist für Heilige sowohl wie für Sünder. Für euch, ihr Ungöttlichen, ist Leben: „In einem Blick auf den Gekreuzigten.“
Doch ebenso wahr ist dies für euch, die ihr Jesu angehört, aber seinen Heiligen Geist betrübt habt. Ihr, die ihr vom Glauben abgewichen seid und angefangen, mit eurem Gott zu hadern und über seine Vorsehung zu klagen, es ist auch für euch Leben in dem erhöhten Heiland. Es gibt nicht zwei Wege des Heils — einen für Sünder und einen andren für Heilige. Es ist nicht zweierlei Grund, worauf wir stehen — der Grund des erretteten Sünders und der Grund des erretteten Heiligen. Nein, dieselbe Grundlage ist unter jedem Fuß; wir singen jeder:
„Fels des Heils, gespalten mir,
Lass mich bergen mich in dir.“
Dies ist die Sprache des Mannes, der seinem Gott ein halbes Jahrhundert gedient hat, und das Evangelium gepredigt wie Luther oder Calvin, ebenso gewiss, wie es die Sprache des zitternden Sünders, der schuldig und verurteilt vor dem lebendigen Gott steht, sein muss.
Seht ihr nicht, wo die eherne Schlange nach der Schrift so passend zum Vorschein kommt? Am Ende der Pilgerschaft, gerade ehe es über den Jordan geht, da sieht Israel die Schlange von Erz. Da sündigt das Volk, und da wird in seinem vollen Glänze jenes gesegnete Vorbild Christi enthüllt: „Und wie Mose in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muss des Menschen Sohn erhöht werden: auf dass alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ „Nicht verloren werden!“ als wenn selbst Gläubige das an sich hätten, wodurch sie verloren gehen würden, wenn sie nicht zu dem verordneten Heilmittel stets noch aufblickten. Jesus ist erhöht, damit Heilige nicht verloren gehen, sondern in der Gnade zum ewigen Leben beharren. Wie anders wird unser geistliches Leben ewig gemacht, als durch die Fortdauer dieses Blickes. Wir sollen auf Jesum blicken, so lange wir leben. „Und aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens.“ Allezeit aufsehen, allezeit aufsehen. Gott erhalte uns im Aufsehen, wenn wir aufgesehen haben, und bringe uns dahin, auf Jesum zu sehen, wenn wir es noch nie getan haben; und seinem Namen sei Lob von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.