Spurgeon, Charles Haddon - 22. Das Evangelium des Reiches - Kapitel 22
(Das Gleichnis von der Hochzeit des königlichen Sohnes. V. 1-14.)
1. Und Jesus antwortete und redete abermal durch Gleichnisse zu ihnen und sprach:
Und Jesus antwortete und redete abermal zu ihnen. Das war seine Erwiderung auf den Haß der Hohenpriester und Pharisäer. Er antwortete ihnen, indem Er mit Predigen fortfuhr. Zu ihnen und auch zu dem Volke sprach Er in Gleichnissen. Sie kamen mit Kritteleien zu Ihm; er erwiderte durch Gleichnisse. in dem vorigen Kapitel lasen wir, daß “sie vernahmen, daß Er von ihnen redete.“ Dies führte sie indes nicht zur Buße, sondern mehrte nur ihren Haß gegen den Heiland. Ihr teilweise verhehlter Zorn war um so größer, weil sie aus Furcht vor dem Volk nicht Hand an Jesum legen und Ihn töten konnten. Sie hatten ihre Augen eigenwillig dem Lichte verschlossen, doch fuhr es fort, auf sie zu scheinen. Wenn sie es nicht aufnehmen wollten, so thaten dies vielleicht einige aus dem Volk, das sie mißleitet hatten, darum wollte der König ihnen noch einmal ein Gleichnis von seinem Reiche und von sich selber geben. Dieses Gleichnis muß unterschieden werden von dem Lukas 14,16-24 erzählten, das bei einer andren Gelegenheit und zu einem andren Zwecke gesprochen ward. Es würde sich der Mühe lohnen, beide Gleichnisse zu vergleichen, und ihre Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten zu beachten.
2. Das Himmelreich ist gleich einem König, der seinem Sohn Hochzeit machte.
Ein König machte seinem Sohn Hochzeit. So feiert der König der Herrlichkeit die Vereinigung seines Sohnes mit unsrer Menschheit. Der göttliche Sohn ließ sich herab, mit unsrer menschlichen Natur vereinigt zu werden, damit Er seine Erwählten von der ihren Sünden gebührenden Strafe erlöse und in die engste Verbindung, die sich denken läßt, mit ihnen träte. Das Evangelium ist ein glorreiches Fest zu Ehren dieser wunderbaren Hochzeit, durch die Gott und Mensch eins werden. Es war ein großes Ereignis, und großartig wollte der König es feiern durch ein Hochzeitsfest der Gnade. Die Hochzeit und die Festlichkeiten dabei waren alle von dem König angeordnet; Er hatte solche Freude an seinem eingebornen und geliebten Sohne, daß alles, was zu seiner ehre war, dem Herzen des großen Vaters unendliche Befriedigung gewährte. Außer des Sohnes gleicher Herrlichkeit mit dem Vater als Schöpfer, Erhalter und Versorger, wurde Er durch seine Hochzeit mit neuen Ehren als Heiland, Erlöser und Mittler gekrönt.
3. Und sandte seine Knechte aus, daß sie die Gäste zur Hochzeit riefen, und sie wollten nicht kommen.
Die bestimmte Zeit war gekommen, und die Juden wurden als Volk zur Hochzeit gerufen, eingeladen, zu kommen und an der königlichen Freigebigkeit teilzunehmen. Sie waren eingeladen lange vorher durch die Propheten, welche der König ihnen fortwährend gesandt hatte. Nun, da der festliche Tag angebrochen war, sandte der König seine Knechte aus, daß sie die Gäste zur Hochzeit riefen, die vorher eingeladen waren. Es war der morgenländischen Sitte gemäß, eine zweite Einladung denen zu schicken, welche die erste günstig aufgenommen hatten. Johannes der Täufer und unsres Herrn Apostel und Jünger sagten dem Volk deutlich, daß das langerwartete Ereignis sich nahte. In der That, die bestimmte Stunde hatte schon geschlagen; die Zeit, wo „Gott Zion gnädig“ sein wollte, war da. Alles, was nötig that, war, daß die Gäste zur Hochzeit kamen.
Die Juden waren hoch geehrt, daß sie aus allen Völkern der Erde erwählt waren, der Hochzeit des königlichen Sohnes beizuwohnen; aber ach! sie schätzten ihre Vorrechte nicht: sie wollten nicht kommen. Sie wurden unterwiesen, gebeten und gewarnt, aber alles umsonst: „sie wollten nicht kommen.“ Unser Herr war dem Ende seines Aufenthalts auf Erden nahe, und Er faßte alles, was Er von Israels Verhalten gesehen, in dieses kurze Wort zusammen: „sie wollten nicht kommen.“ Es heißt nicht, sie konnten nicht kommen, sondern sie wollten nicht kommen. Einige aus diesem, andre aus jenem Grunde, und einige vielleicht aus gar keinem Grunde; aber ohne Ausnahme, „sie wollten nicht kommen.“ Sie zeigten so ihre Untreue gegen den König, ihren Ungehorsam gegen seinen Befehl, ihre Abneigung gegen seinen Sohn, ihren Widerwillen gegen das königliche Fest und ihre Nichtachtung de Boten, welche der König ihnen sandte.
Beachtet, es war der König, der diese Hochzeit machte. Die Einladung war eine große Ehre für die, welche sie empfingen, und darum war die Weigerung, zu kommen, eine so entschiedene Beleidigung, wie sie dem König und seinem Sohn nur angethan werden konnte. Wenn ein gewöhnlicher Mensch sie eingeladen hätte, so hätten sie thun können, was ihnen beliebte, aber eine königliche Einladung ist ein Befehl, dem man auf eigne Gefahr hin ungehorsam ist. Mögen diejenigen daran denken, die jetzt die Einladung des Evangeliums ausschlagen.
4. Abermal sandte er andre Knechte aus, und sprach: Saget den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles bereit; kommt zur Hochzeit!
Der König war geduldig und gab dem ungetreuen Volk eine weitere Gelegenheit, zur Hochzeit zu kommen: “Abermal sandte er andre Knechte aus.“ Er wünschte denen, welche die Einladung ausgeschlagen hatten, jede Vergünstigung zu gewähren, so daß sie ohne Entschuldigung blieben, wenn sie auf ihrer Weigerung beharrten. Möglicherweise war in den Knechten etwas gewesen, was abstieß, statt anzuziehen, oder sie hatten vielleicht des Königs Botschaft nicht in der besten Form ausgerichtet; vielleicht war die Aufforderung nicht klar genug ausgesprochen oder vielleicht konnten die, welche „nicht kommen wollten,“ bei näherer Überlegung ihren hastigen Entschluß bereuen und eine zweite Einladung zu dem Feste wünschen.
Darum sandte der König andre Knechte aus; und damit kein Mißverständnis in betreff der Botschaft wäre, sprach Er zu ihnen: “Saget den Gästen, siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles bereit; kommt zur Hochzeit.“ Jesus scheint hier in die nahe Zukunft zu blicken und vorherzusagen, was nach seinem Tode geschehen würde. Die Apostel und die ersten Jünger unsres Herrn gingen durch das Land und verkündeten das Evangelium in all seiner Fülle frei für jeden. Zuerst hielten sie sich an die Juden, dem Wort des Königs gemäß: „Saget den Geladenen.“ Zu Antiochien in Pisidien sagten Paulus und Barnabas zu den Juden, welche widersprachen und lästerten: „Euch mußte zuerst das Wort Gottes gesagt werden“ (Apg. 13,46). Die Apostel scheinen ihre Sendung zuerst als auf die Juden beschränkt angesehen zu haben, und sie predigten ihnen das Evangelium. Sie sagten ihnen, daß durch Jesu Tod der Weg für die Errettung der Menschen vollständig gebahnt sei, den Worten des Königs gemäß: „Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet.“ Sie predigten ein gegenwärtiges Heil, und eins, was den Reichtum der göttlichen Gnade entfaltete: „Meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet.“ In der That, sie verkündeten allgenugsame Gnade, die für jedes Bedürfnis der Seele hinreichte: „Alles ist bereit.“ Und dann brachten sie des Königs Aufforderung: „Kommt zur Hochzeit.“ In seinem Namen luden sie ein, drängten, und befahlen sogar den Geladenen zu kommen. Sie hoben an zu Jerusalem und riefen zum Feste den begünstigten Samen Abrahams, dessen Ehre es war, der erste zur königlichen Mahlzeit Geladene zu sein.
5. Aber sie verachteten das und gingen hin, einer auf seinen Acker, der andre zu seiner Hantierung.
Die große masse der Juden gab wenig acht auf die apostolische Predigt: Sie verachteten das, hielten es für weniger wichtig als die weltlichen Geschäfte, von denen ihre Herzen eingenommen waren. Indem sie das Evangelium verachteten, verachteten sie in Wirklichkeit den großen König selber, traten den Sohn Gottes unter die Füße und trotzten dem Geist der Gnade. Die Lehre vom Kreuz war ihnen ein Stein des Anstoßes; das geistliche Reich des gekreuzigten Nazareners war verächtlich in ihren Augen: „sie verachteten das.“ Und gingen hin. Sie gingen nicht den Weg, auf dem der König wollte, daß sie gehen sollten; sie verachteten seinen Weg und gingen ihren eignen, “der eine zu seinem Acker, der andre zu seiner Hantierung.“ „Sein Acker“ und „seine Hantierung“ werden des Königs Mahlzeit gegenüber gestellt: „meine Ochsen und mein Mastvieh.“ Der Empörer schien zu sagen: „Laß den König thun, was er will mit seinen Ochsen und seinem Mastvieh, ich werde nach meinem Acker sehen und meine Hantierung treiben.“ Fleischliche Menschen lieben fleischliche Dinge und verachten geistliche Segnungen. Ach, daß der Same Abrahams, des Freundes Gottes, ebenso erd-gebunden geworden ist, wie die, welche die Juden verächtlich „Sünder aus den Heiden“ nannten!
6. Etliche aber griffen seine Knechte, höhnten und töteten sie.
Die religiösen „etlichen“ unter den Juden, welche mit grimmer Scheinheiligkeit an den äußeren Formen hingen, erhoben sich wider die ersten Prediger des Evangeliums und unterwarfen sie grausamen Verfolgungen. Sie kümmerten sich nicht um die Menschwerdung Immanuels, diese geheimnisvolle Vermählung von Gottheit und Menschheit. Sie kümmerten sich nicht um Gott, den Herrn, selber, sondern nahmen seine Knechte, verhöhnten sie, geißelten, steinigten, verleumdeten sie, kerkerten sie ein. Ihr grausames Verhalten gegen des Herrn Diener bewies, daß sie voll Groll, Bosheit und Zorn waren. Saulus von Tarsus war vor seiner Bekehrung ein Vertreter der fanatischen Pharisäer und religiösen Obersten, die, wie er vor dem König Agrippa bekannte, „überaus unsinnig“ gegen Christi Nachfolger waren.
In vielen Fällen verhöhnten sie nicht nur des Königs Knechte, sondern töteten sie. Stephanus war der erste Märtyrer der Wahrheit nach seines Herrn Kreuzigung, aber er war keineswegs der letzte. Wenn „das Blut der Märtyrer der Same der Gemeinde“ ist, so wurde das heilige Land reichlich damit besäet in den ersten Tagen der Christenheit. Dies war Israels Antwort an den König, welcher der lang begünstigten Nation befahl, sich zu vereinen, um seinem geliebten Sohn Ehre anzuthun. Die Juden sagten in Wirklichkeit: „Wir trotzen dem König, wir wollen nicht, daß sein Sohn über uns herrsche, und als Beweis unsrer Empörung gegen Ihn haben wir seine Knechte getötet.“
7. Da das der König hörte, ward er zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an.
In diesen schrecklichen Worten wird die Belagerung Jerusalems, die Ermordung des Volkes und die Zerstörung ihrer Hauptstadt beschrieben. Da das der König hörte, ward Er zornig. Der König hatte die äußerste Grenze seiner Milde und langmütigen Geduld erreicht. „Der Kelch des Weins von seinem grimmigen Zorn“ floß über, als Er hörte, wie seine Knechte gemißhandelt und getötet wurden, und Er schickte seine Heere aus. Der römische Kaiser dachte, daß er seine Heere gegen die Juden schickte; aber er führte, ohne es zu wissen, den ewigen Ratschluß des höchsten Gottes aus, eben wie die Könige von Assyrien und Babylonien in alten Zeiten die Werkzeuge gewesen waren, durch die der Herr sein rebellisches Volk gestraft hatte (siehe Jes. 10,5; Jer. 25,9).
Die grausamen Henker thaten ihre schreckliche Arbeit auf die gründlichste Art. Leset den Josephus und sehet, wie die Römer dieser Mörder umbrachten und ihre Stadt anzündeten. Die Worte sind bemerkenswert in ihrer furchtbaren Kraft und Genauigkeit. Nur die Allwissenheit konnte so voll und treu das Wehe vorhersehen und vorhersagen, das über die Mörder und ihre Stadt kommen sollte.
Die göttliche Vergeltung, die Jerusalem zu teil wurde, sollte eine ernste Warnung für uns sein, in diesen Tagen, wo so viele in unsrem hochbegünstigten lande das Evangelium verachten. Keine Nation hat noch das Evangelium abgewiesen ohne irgend ein gewaltiges Gericht zu erfahren als Folge ihres dreisten Verbrechens. Frankreich leidet bis auf diesen Tag unter den Wirkungen der St. Bartholomäusnacht. Wenn England die Wahrheit Gottes verwerfen sollte, so wird sein Licht, als das einer Nation, in Meeren von Blut ausgelöscht werden. Möge Gott ein so furchtbares Unglück durch seine allmächtige Gnade abwenden!
8. 9. Da sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren’s nicht wert. Darum geht hin auf die Straßen und ladet zur Hochzeit, wen ihr findet.
Da, als der König zornig war, selbst da war Er gnädig. Im Zorn gedachte Er der Barmherzigkeit. Gerichthalten ist das Ihm fremde Werk, aber Er hat Freude am Erbarmen. Da sprach Er zu seinen Knechten. Der König hat noch Knechte übrig, obwohl seine Feinde umgebracht waren. Christliche Prediger blieben, als Hohepriester und Pharisäer ausgestoben waren und Jerusalem in Trümmer lag. Der königliche Gastgeber versammelte seine Knechte und stellte ihnen die genaue Sachlage vor: “Die Hochzeit ist zwar bereit.“ Die Gaben des Evangeliums waren im Überfluß da, auf seiten des Königs war kein Mangel. Seines Sohnes Hochzeit muß durch ein Fest gefeiert werden, und ein Fest erfordert Gäste: “aber die Gäste waren es nicht wert.“ Dies ist das letzte, was wir von den Geladenen hören. Da sie sich selber des ewigen Lebens unwert achteten, mußten andre gerufen werden. Die Errettung ist keine Sache der Würdigkeit, sonst würde niemand errettet. Diese Männer waren zu stolz, zu selbstgenugsam, zu hochmütig, um würdige Empfänger der Gunst des Königs zu sein. Sie hatten ihren Acker und ihre Hantierung lieber, als die Ehre des Königs und seines Sohnes, denn im Herzen waren sie Verräter.
Was war zu thun? Sollte die Hochzeit aufgehoben und all die Vorräte vernichtet werden? Nicht so. Der König sprach zu den Knechten: “Darum gehet hin auf die Straßen und ladet zur Hochzeit, wen ihr findet.“ Glorreich war die Gnade, welche die Apostel sich zu den Heiden wenden hieß. Bisher war es ihnen nicht befohlen, aber als die Juden endgültig den Messias verwarfen, gab Er seinen Jüngern ihren ausgedehnteren Auftrag: „Gehet hin in alle Welt, und predigt das Evangelium aller Kreatur.“ Im Gleichnis werden Straßenräuber, Landstreicher, Reisende, Vagabonden und alle Art Leute erwähnt; und so soll Jesus Menschen in jeder Lebenslage gepredigt werden, aber besonders denen, die verirrt sind. Es ist nicht nach der Weise der Menschen, zu einem Hochzeitsfest die zu laden, welche auf den Landstraßen umherstreichen; aber Jesus zeigte hier die glorreiche Unumschränktheit der Einladung des Evangeliums: „ladet zur Hochzeit, wen ihr findet.“ Dies bedeutet keine eingeschränkte Berufung, kein Predigen für fromme Leute. Beschränkungen waren mit Recht zuerst da, aber nach dem Tode Christi wurden sie alle aufgehoben. Selbst unser Herr sprach: „Ich bin nicht gesandt denn nur zu den verlornen Schafen vom Hause Israels,“ und als Er zuerst seine zwölf Apostel aussandte, war sein Befehl: „Gehet nicht auf der Heiden Straße und ziehet nicht in der Samariter Städte.“ Aber die Zeit für die allgemeine Verkündigung des Evangeliums war gekommen. nach seiner Auferstehung sprach Jesus zu seinen Jüngern: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker.“
10. Und die Knechte gingen aus auf die Straßen und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden alle voll.
Und die Knechte gingen aus auf die Straßen. Sie thaten, wie ihnen befohlen war. Dies war der Jünger Vollmacht für das, was ihnen sehr seltsam erschienen sein muß. Sie selbst gehörten zu dem bevorzugten Volk, das zuerst geladen war; aber Gottes Gnade überwand ihre Vorurteile, und sie „gingen aus“ unter die Heiden, verkündigten die Hochzeit des Sohnes Gottes und drangen in die Menschen, zum Hochzeitsfest zu kommen. Die Knechte gingen in verschiedenen Richtungen aus auf die Straßen, - das Wort ist in der Mehrzahl – auf die Kreuzwege, wo sie die meisten Leute versammelt finden konnten. Wo immer Menschen sind, dahin sollten die Prediger des Evangeliums mit ihrer von Gott gegebenen Botschaft gehen.
Des Königs Knechte waren so eifrig und fleißig und ihres Meisters Gnade wirkte so mächtig durch sie, daß ihre Bemühungen so ungemein erfolgreich waren. Sie brachten zusammen, wen sie fanden. Die Botschaft, welche von den Juden verachtet war, wurde von den Heiden bewillkommnet, und von den großen heidnischen Hochwegen der Welt – Rom, Athen, Ephesus u.s.w. – wurden viele zum Fest des Evangeliums versammelt. Menschen von allen Ständen, Klassen und Lebensarten kamen zum Fest der Liebe. Diese Leute waren offenbar willig zu kommen, denn des Königs Knechte „brachten zusammen, wen sie fanden.“ Charaktere, die äußerlich sehr verschieden waren, vereinten sich doch im Gehorsam gegen die Einladung: beide, Böse und Gute, waren an den Tischen versammelt. Das beste Einsammeln in die sichtbare Gemeinde wird bei dem gegenwärtigen unvollkommenen Zustande der Menschheit immer eine Mischung sein; einige werden zugelassen werden, die nicht da hätten sein sollen. Unkraut wird unter dem Weizen wachsen; Korn und Spreu wird auf derselben Tenne liegen; Schlacken werden mit dem köstlichen Golde vermischt sein; Böcke werden unter den Schafen sein; das Netz des Evangeliums wird Fische jeder Art umschließen, „beides, böse und gute.“
Und die Tische wurden alle voll: glückliche, willige, staunende, begeisterte Gäste fanden sich von den Landstraßen in königliche Gesellschaft emporgehoben; der Bettler war von der Straße genommen, um mit Fürsten in der Gegenwart des Königs zu sitzen. Halleluja! So war der König glücklich, der Prinz war geehrt, der Festsaal war voll, und alles ging fröhlich wie Hochzeitsglocken. Welches Jauchzen der Freude ertönte von diesen Ausgestoßenen, als sie am königlichen Tische saßen! Alles war zuvor für das Fest bereitet, nichts fehlte, als die Gäste, die daran teilnehmen konnten; nun sie da waren, wird gewiß alles gut gehen. Wir werden sehen.
111. Da ging der König hinein, die Gäste zu besehen, und sah allda einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Kleid an.
Der Erfolg der Knechte beim Füllen des Festsaals war nicht ganz so groß, als er auf den ersten Anblick schien, wenigstens nicht so vollkommen, daß er ohne Beimischung gewesen wäre. Die Gäste fuhren fort, in den Palast hinein zu strömen, die Kleider anzuziehn, für die der König gesorgt hatte, und mit aufrichtiger Freude sich hinzusetzen, um die guten Sachen zu genießen, die für sie bereitet waren. Aber es war einer unter ihnen, der den König und seinen Sohn haßte, und der beschloß, in die festliche Versammlung zu kommen, ohne das Feierkleid zu tragen, und so, selbst in Gegenwart des Königs, seine Verachtung der ganzen Sache zu zeigen. Er kam, weil er eingeladen war, aber er kam nur dem Schein nach. Das Fest sollte des Königs Sohn ehren, aber dieser Mann beabsichtigte nichts dergleichen; er war willig, das Gute zu essen, was ihm vorgesetzt wurde, aber in seinem Herzen war weder Liebe für den König noch für dessen Sohn.
Seine Gegenwart ward geduldet bis zu einem gewissen feierlichen Augenblick. Als der König hinein kam, “seine Gäste zu besehen,“ da erspähte das Auge, welches über alle Dinge sieht, aber nichts übersieht, den verwegenen Eindringling: Er sah allda einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Kleid an. Das hochzeitliche Kleid stellt alles dar, was einem Christen unentbehrlich ist, was aber das unerneuerte Herz nicht annehmen will. Der Mann, der das hochzeitliche Kleid nicht anhatte, war nicht in Übereinstimmung mit der Versammlung und ihrem Zweck, ihm fehlte Treue gegen den König; demnach bot er ehernen Trotz und drängte sich unter die Hochzeitsgäste. Es war ein Stück kecker Unverschämtheit, das nicht unbeachtet und unbestraft hingehen konnte. In einiger Hinsicht war er schlimmer als die, welche die Einladung abschlugen, denn während er behauptete, sie anzunehmen, kam er nur, um den König ins Angesicht zu beschimpfen. Er wollte das Kleid, das umsonst gegeben wurde, nicht anziehen, weil er dadurch den Prinzen geehrt hätte, dessen Hochzeit ihm ein Gegenstand der Verachtung und des Hohns war.
Es ist gut, daran zu denken, daß es Feinde des himmlischen Königs gibt, nicht nur außerhalb der Gemeinde Christi, sondern auch innerhalb ihrer Grenzen. Einige weigern sich ganz und gar, zu seines Sohnes Hochzeit zu kommen; andre helfen den Festsaal füllen, sind aber dennoch Feinde des großen Festgebers. Dieser Mann ohne das hochzeitliche Kleid ist das Vorbild jener, welche in unsren Tagen behaupten, Christen zu sein, die aber weder den Herrn Jesum ehren, noch sein Versöhnungsopfer, noch sein heiliges Wort. Sie sind nicht im Einklang mit der Absicht des Festes, nämlich der Herrlichkeit des Herrn Jesu in seinen Heiligen. Sie kommen in die Gemeinde um des Gewinns, um der Ehre, der Mode willen, oder um den treuen Glauben andrer zu untergraben. Die Gottesfürchtigen können sie oft sehen; dieser Mann muß bemerkbar unter den Hochzeitsgästen gewesen sein. Die Verräter innerhalb der Gemeinde haben indes am meisten von dem Kommen des Königs zu fürchten. Er wird sie in einem Augenblick entdecken, eben wie der königliche Gastgeber im Gleichnis, sobald er herein kam, die Gäste zu besehen, den Mann sah, der kein hochzeitliches Kleid anhatte.
12. Und sprach zu ihm: Freunde, wie bist du herein gekommen und hast doch kein hochzeitliches Kleid an? Er aber verstummte.
Der König redete ihn freundlich genug an: Er sprach zu ihm: „Freund“. Vielleicht beabsichtigte er im Grunde nicht, den König zu beschimpfen, deshalb nannte er ihn „Freund“. Er gab vor, ein Freund zu sein, darum redete der König ihn als solchen an. Doch war es eine schwere Beleidigung, die er sich erlaubt, und er mußte davon Rechenschaft ablegen: “Wie bist du herein gekommen und hast doch kein hochzeitliches Kleid an?“ „War es zufällig oder absichtlich? Sagte dir der Garderoben-Aufsehen nicht von den Kleidern, die für alle Gäste da sind? Kamst du dir nicht vor wie ein „gesprenkelter Vogel“, wenn du alle deine Gefährten im Hochzeitsgewande sahest, während dein eignes Kleid sich schlecht für diesen Festsaal geziemte? Wenn du ein Feind bist, wie kamst du hier herein? Gab es keinen andren Ort, wo du mir trotzen konntest, als in meinem eignen Palast? Gab es keine andre Zeit für diese Beschimpfung als den Hochzeitstag meines Sohnes? Was hast du als Entschuldigung oder Erklärung deines seltsamen Verhaltens zu sagen?“ Beachtet, wie persönlich die Frage ist. Der König redet ihn an, als wenn er der einzige Anwesende sei.
Er aber verstummte. Er hatte eine gute Gelegenheit, sich zu entschuldigen, wenn er konnte; aber er war in Furcht gesetzt durch des Königs Majestät und überführt von seinem eignen Gewissen. Kein Zeugnis brauchte wider ihn gegeben zu werden; er stand vor der ganzen Gesellschaft, selbst verurteilt, offener und unleugbarer Untreue schuldig. Im Original steht, „ er hatte das Maul verbunden.“ Er mag geläufig genug geredet haben, ehe der König herein kam; aber er hatte nachher kein Wort zu sagen. Ein beredtes Stillschweigen! Warum fiel er nicht sogar da noch auf seine Kniee und bat um Vergebung für sein verwegenes Verbrechen? Ach! der Stolz machte ihn unfähig zur Buße, er wollte nicht einmal im letzten Augenblick nachgeben!
Es gibt keine Verteidigung für einen Menschen, der in der Gemeinde Christi ist, dessen Herz aber nicht zu Gott steht, wie es sollte. Der König kommt immer noch hinein, die Gäste zu besehen, welche die königliche Einladung zu seines Sohnes Hochzeit angenommen haben. Wehe denen, die Er ohne das hochzeitliche Kleid findet!
13. Da sprach der König zu seinen Diener: Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn in die äußerste Finsternis hinaus! da wird sein Heulen und Zähnklappern.
Er hatte durchs ein Thun, wenn nicht mit Worten, gesagt: „Ich bin ein freier Mann und will thun, was mir beliebt.“ Darum sprach der König zu seinen Knechten: Bindet ihn. Fesselt ihn, laßt ihn nie wieder frei werden. Er war zu frei mit heiligen Dingen umgegangen, er hatte thatsächlich den König beschimpft, er hatte seine Hand in Empörung aufgehoben und gewagt, seinen Fuß in des Königs Palast zu setzen: „Bindet ihm Hände und Füße.“ Bereitet den Verbrecher für die Hinrichtung, gebt ihm keine Möglichkeit des Entfliehens. Er ist, wo er nicht sein sollte; nehmt ihn hinweg. Des Königs Palast ist kein Platz für Verräter. Zuweilen wird dieses Urteil des Ausschlusses von der Gemeinde vollführt, wenn Betrüger durch gerechte Zucht aus den Reihen des Volkes des Herrn ausgewiesen werden, aber es wird noch völliger ausgeführt in der Stunde des Todes. Es ist der Beachtung wert, daß das Wort für „Knechte“ hier nicht dasselbe ist, wie das in den vorhergehenden Versen. Hier bedeutet es die Engel, deren Geschäft es besonders ist, aus Christi Reich zu sammeln „alle Ärgernisse, und die da Unrecht thun“ (Kap. 13,41), „und die Bösen von den Gerechten zu scheiden“ (13,49).
Der Mann im Gleichnis hatte das Gewand des Lichts verschmäht, darum spricht der König zu seinen Knechten: “Werft ihn in die äußerste Finsternis hinaus.“ Werft ihn hinweg, wie Menschen das Unkraut über die Gartenmauer werfen oder die Vipern ins Feuer schlenkern. Werft ihn weit hinweg von dem Festsaal, wo die Fackeln brennen und die Lampen glänzen, „in die äußerste Finsternis.“ Sie wird um so finsterer für ihn sein, nun er das Licht drinnen gesehen hat. Seine dreiste Unverschämtheit verdient strenge Strafe; er ist bestimmt für einen Platz, wo Heulen und Zähnklappern sein wird. Es wird kein Ort der Buße sein, denn die dort vergossenen Thränen werden nicht solche der göttlichen Traurigkeit über die Sünde sein, sondern heiße, versengende Ströme, von Augen, die von dem Feuer des Neides und der Empörung blitzen, das in unbezwungenen Herzen brennt. Das „Zähnklappern“ zeigt die Art des „Heulens“ an. Der von Gott Verworfene knirscht die Zähne in aller Wut des getäuschten Hasses, dessen Versuch, dem Könige bei der Hochzeit seines Sohnes Unruhe anzuthun, gescheitert ist. Die, welche sich christlich nennen und dennoch in Wirklichkeit ungläubig und ungehorsam sind, werden ein Geschick wie das hier beschrieben haben. Möge der Herrn uns in Gnaden alle vor einen so furchtbaren Schicksal bewahren!
14. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.
Viele sind berufen: die Grenze liegt nicht hier. Wir predigen kein beschränktes Evangelium. Alle, welche das Evangelium hören, sind berufen; allein es kommt nicht mit Macht zu jedem Herzen: aber wenige sind auserwählt. Das Resultat zeigt, daß auf die eine oder andre Weise die große Masse das Hochzeitsfest versäumt, und einige wenige auserlesene Geister es finden durch die Wahl der Gnade Gottes.
Diese Worte beziehen sich natürlich auf das ganze Gleichnis. Die, welche „berufen sind“, schließen die ein, welche des Königs Einladung verwarfen, aber durch ihre Weigerung bewiesen, daß sie nicht „erwählt“ waren. Sogar unter denen, welche die Einladung annahmen, war einer, der nicht „erwählt“ war, denn er beleidigte den König in seinem eignen Palaste und zeigte seine Feindschaft durch seinen Ungehorsam gegen die königlichen Forderungen. Es gab indessen „Auserwählte“, und genügend, um den Festsaal des großen Königs zu füllen und der Hochzeit seines Sohnes gebührende Ehre anzuthun. Gesegnet sind alle, welche beim Hochzeitsmahl des Lammes sitzen werden! Möge der Schreiber dieses und alle seine Leser unter dieser auserwählten Gesellschaft sein und auf ewig die Gnade Gottes anbeten, welche sie so hoch begünstigt hat!
(Des Königs Feinde suchen Ihm eine Schlinge zu legen.)
(V. 15-22.)
15. Da gingen die Pharisäer hin und hielten einen Rat, wie sie Ihn fingen in seiner Rede.
Da gingen die Pharisäer hin. Sie müssen bemerkt haben, daß das Gleichnis von der Hochzeit, wie das von den bösen Weingärtnern, gegen sie gesprochen war. Unsres Herrn Worte brachten sie indes nicht zur Buße, sondern mehrten nur ihre Bosheit und ihren Haß gegen Ihn. Ihre Herzen waren verhärtet und ihre Gewissen versiegelt; so hielten sie Rat, wie sie Ihn fingen in seiner Rede. Sie wollten nicht anerkennen, daß Christus die Weisheit Gottes und die Macht Gottes war; hätten sie das gethan, so hätten sie die unmögliche Aufgabe nicht versucht. Sie sahen, daß es schwierig war, Jesum in seiner Rede zu fangen, und deshalb „hielten sie Rat“, wie sie es bewerkstelligen wollten. Wenn Er so fehlerhaft gewesen, wie wir es sind, so hätte es ihnen gelingen können, denn Leute, die uns in unsrer Rede zu fangen wünschen, brauchen nicht viel zu beratschlagen, wie sie es zu thun haben.
Dieser Vorfall lehrt uns, daß Menschen ebenso genau und formell sein können, wie dieser Pharisäer es waren, und doch mit Überlegung daran gehen können, einem Gegner eine Schlinge zu legen. Große, äußerliche Religiosität kann mit der niedrigsten Gesinnung verbunden sein.
16. Und sandten zu Ihm ihre Jünger samt Herodes Dienern, und sprachen: Meister, wir wissen, daß Du wahrhaftig bist und lehrst den Weg Gottes recht und Du fragst nach niemand; denn Du achtest nicht das Ansehen der Menschen.
Sie sandten zu Ihm ihre Jünger; sie schämten sich wahrscheinlich wieder vor Christo zu erscheinen, nachdem Er ihr Verhalten gegen Ihn als des Königs Sohn so bloßgestellt hatte. Sie sandten eine auserlesene Zahl ihrer Jünger ab, in der Hoffnung, daß den Schülern gelingen könnte, was den Lehrern mißlungen war. Mit Herodes Dienern: die Jünger der Pharisäer sollten verstärkt werden durch eine Anzahl aus der entgegengesetzten Partei der Feinde Christi. Die vereinte Schar konnte von verschiedenen Seiten gegen Jesum arbeiten. Die Pharisäer haßten die Herrschaft einer ausländischen macht, während die Herodianer die Oberherrschaft des Kaisers befürworteten. Verschieden, wie diese zwei Parteien waren, selbst bis zu gegenseitigem haß, legten sie doch auf eine Zeitlang ihre eignen Streitigkeiten bei, um unsren Herrn in der einen oder andren Weise zu fangen.
Sie begannen mit schönen Worten. Sie redeten Jesum mit einem achtungsvollen Titel an: “Meister.“ Sie brauchten das Wort nur in der Heuchelei, aber sie behaupteten, Ihn als einen Lehrer des Gesetzes zu betrachten und als eine Autorität in streitigen Punkten der Lehre oder der Praxis. Sie gaben auch seine Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit zu: “Wir wissen, daß Du wahrhaftig bist und lehrst den Weg Gottes recht.“ Sie priesen ferner seine Furchtlosigkeit: “Du fragst nach niemand.“ Dann lobten sie seine Unparteilichkeit: “Denn Du achtest nicht das Ansehen der Menschen.“ „Du wirst sprechen ohne Rücksicht auf das, was der Kaiser oder Pilatus oder Herodes, oder irgend einer von uns denken oder sagen oder thun mag.“ Sie versuchten Ihn sicher zu machen durch ihre Schmeicheleien. Alles, was sie sagten, war wahr; aber sie meinten es nicht so. Von ihren Lippen war es betrügerische Schmeichelei. Laßt uns beachten, daß, wenn böse Menschen sehr laut loben, sie gewöhnlich etwas Schlechtes gegen uns beabsichtigen. Sie schwänzeln und schmeicheln, um uns zu betrügen und zu Grunde zu richten.
17. Darum sage uns, was dünkt Dich, ist es recht, daß man dem Kaiser Zins gebe oder nicht?
“Darum sage uns“: weil Du wahrhaft bist, weil Du den Weg Gottes recht lehrest, weil Du nach keiner menschlichen Meinung fragst, wenn Du selbst im Rechte bist, sondern es wagst, die Wahrheit zu sprechen, ob man sie hören will oder nicht; sage uns deshalb: “Was dünkt dich?“ „Uns liegt viel daran, Deine Meinung zu haben über diesen wichtigen Punkt, in betreff dessen die einen dies, die andren das lehren. Es ist eine Sache von großem, öffentlichem Interesse; jedermann spricht darüber. Sie muß von einem so gelehrten Lehrer, wie Du es bist, nach allen Seiten hin erwogen sein, und wir möchten gern Deine Meinung darüber wissen: Was dünkt Dich?“ Die lieben Unschuldigen! Sie brauchten sehr den Unterricht von Ihm! Die ganze Zeit, während sie sprachen, freuten sie sich innerlich über den Triumph, dessen sie sicher waren, wenn Er durch jede Antwort, die Er gab, und selbst durch sein Schweigen, die Feindschaft der einen oder der andren Partei des Volkes reizen mußte.
Hier ist die Frage, die sie unsrem Herrn vorlegten: “Ist es recht, daß man dem Kaiser Zins gebe oder nicht?“ Sie bezog sich auf die jährliche Kopfsteuer, die von den Römern aufgelegt und die Ursache großen Unwillens unter den Juden war und zu häufigen Aufständen geführt hatte. Judas von Galiläa (Apg. 5,37), einer von den vielen falschen Christi, hatte gelehrt, daß es nicht recht sei, dem Kaiser Zins zu geben, und war bei seiner Empörung gegen Rom umgekommen. Die, welche Christum befragten, mögen gehofft haben, daß ein solches Schicksal Ihn auch treffen könne.
Ihre Frage war in vieler Weise eine zarte und schwierige. Jede Antwort, welche es auch sei, konnte voll von Punkten sein, durch welche seine Feinde Ihn zu fangen hofften. Wenn Er sagte: „Es ist recht,“ so wollten sie Ihn anklagen als Bundesgenossen des Bedrückers seines Volks und Verräter an der Theokratie, mit der sie prahlten, obwohl sie thatsächlich die göttliche Herrschaft abgeworfen hatten. Wenn Er gesagt hätte: „Es ist nicht recht, so konnten sie Ihn vor dem römischen Landpfleger anklagen als einen, der das Volk zur Empörung reizte. Dies war in der That eine der falschen Anklagen, die gegen Jesum vorgebracht wurde, als Er vor Pilatus stand: „Diesen finden wir, daß Er das Volk abwendet, und verbietet, den Schoß dem Kaiser zu geben, und spricht, Er sei Christus, ein König.“ Wenn Er still schwieg, so wollten sie Ihm vorrücken, daß Er ein Feigling sei, der nicht zu sagen wagte, was Er dächte, um seine Hörer nicht zu beleidigen. Sehr geschickt war das Netz ausgespannt; aber die, welche es so listig machten und bereiteten, dachten wenig daran, daß sie nur eine Schlinge legten, in der sie selbst gefangen würden. So geschieht es oft, wie David sagt: „Der Gottlose ist verstrickt in dem Werk seiner Hände.“
18. Da nun Jesus merkte ihre Schalkheit, sprach Er: Ihr Heuchler, was versucht ihr mich?
Unser großer, gedankenlesender König ließ sich nicht täuschen, weder durch ihre Schmeichelei, noch durch ihre listigen Fragen. “Da nun Jesus merkte ihre Schalkheit,“ denn das war es in hohem Grade. Bosheit und Betrug wollten seinen Sturz bewirken; aber Er durchschaute die List der Feinde und nahm die Bosheit wahr, die sie trieb, Ihn so anzugreifen. Zuschauer mochten die Bosheit nicht bemerkt haben, und unsres Herrn Jünger mögen sich beunruhigt haben über das, was Er antworten würde; aber wie in allen schwierigen Umständen wußte Jesus, was Er thun wollte. Wahrscheinlich erwarteten nicht einmal seine Feinde eine solche Frage, wie Er sie ihnen jetzt vorlegte: “Ihr Heuchler, was versucht ihr mich?“ Sie hofften, ihre wirkliche Absicht so klug verhüllt zu haben, daß sie überrascht sein mußten, als die Maske so rasch von ihrem Gesicht gezogen wurde, und sie dem Auge des Volkes in ihrem wahren Charakter als „Heuchler“ bloßgestellt wurden. Jesus verglich sie mit Schauspielern, Betrügern, Menschen, die in der Absicht, zu täuschen, eine falsche Rolle spielen. Richtig benannte Er sie, und weislich sprach Er zu ihnen: „Was versucht ihr mich?“ Es ist, als wollte Er sagen: „Ihr seht, ich bin nicht durch eure falschen und schmeichlerischen Reden getäuscht, ich kann die Bosheit lesen, die in eurem Herzen ist; ihr seid ganz machtlos vor mir, wenn es mir gefällt, euch zu behandeln, wie ich es thun kann. Was können arme, winzige Geschöpfe, wie ihr seid, gegen mich thun? Warum versucht ihr mich?“ Es ist unendliche Verachtung in unsres Heilandes Frage, und dennoch ist ein verborgener Ton des Mitleids darin, selbst für die, welche es nicht verdienten: “Warum versucht ihr mich? Habe ich euch irgend eine Ursache gegeben, weshalb ihr sucht, mich in einer Schlinge zu fangen? Warum seid ihr so thöricht, Fragen zu thun, die zu eurem eignen Schaden sein müssen?“
Wenn Menschen große Ehrfurcht vor Jesu vorgeben und dann suchen, durch irrige Lehre oder ihre fälschlich sogenannte Wissenschaft sein Evangelium umzustürzen, so sind sie niedrige Heuchler.
19. Weiset mir die Zinsmünze! Und sie reichten Ihm einen Groschen dar.
Nachdem Er ihre Thorheit und Heuchelei bloßgestellt, fährt Jesus weiter fort und läßt sie öffentlich zu schanden werden. Er sprach zu ihnen: “Weiset mir die Zinsmünze.“ Diese Forderung von seiner Seite und ihre Erfüllung derselben machte die ganze Sache lebendiger und eindringlicher für die Umstehenden. Wenn etwas zu sehen und zu handhaben da ist, so wird eine Lehre schlagender. Unser Herr bat sie, Ihm die Münze zu zeigen, die gewöhnlich für die Kopfsteuer bezahlt wurde; und sie reichten Ihm einen Groschen dar, einen Denarius. Diese Münze war der tägliche Lohn eines römischen Soldaten, und im Gleichnis vom Weinberg war sie als der Tagelohn eines Arbeiters dargestellt. Hätten diese Menschen erraten, wozu Jesus den Denarius gebrauchen würde, so hätten sie Ihm nicht so schnell einen verschafft. Sie kauften ihre eigne Verwirrung mit dieser Münze. Sie konnten später nie auf diese Zinsmünze blicken, ohne daran zu denken, wie sie zurückgeschlagen waren in ihrem Versuch, den gehaßten Nazarener ins einer Rede zu fangen.
20. 21. Und Er sprach zu ihnen: Wes ist das Bild und die Überschrift? Sie sprachen zu Ihm: Des Kaisers. Da sprach Er zu ihnen: So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!
Er that eine andre Frage, damit sie helfen möchten, sich selber zu antworten. Er sprach zu ihnen: „Wes ist das Bild und die Überschrift?“ Oder vielmehr, die Inschrift. Vor ihnen war das Bild und die Inschrift des römischen Kaisers auf dem Geldstück, aber Er wollte, daß sie dies sagten, darum fragt Er: „Wes ist dies?“ Die jüdischen Rabbiner lehrten: „wenn eines Königs Münze in einem Lande gangbar ist, so legen die Einwohner des Landes damit Zeugnis ab, daß sie ihn als ihren Herrn anerkennen.“
Wenn wir mit ungöttlichen Menschen zu thun haben, ist es gut, wenn wir sie zu ihren eignen Anklägern machen können.
Sie sprachen zu Ihm: „Des Kaisers.“ Keine andre Antwort war möglich. Dieser Zinsgroschen war nicht ein Sekel jüdischer Münze, sondern Geld des römischen Reiches. Dies war ein klarer Beweis, daß sie, ob es ihnen gefiel oder nicht, römische Unterthanen waren und der Kaiser ihr Herrscher. Was mußte daraus folgen, als daß sie ihrem anerkannten Herrscher das Seine geben sollten? Da sprach Er zu ihnen: „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist.“ Was dem Kaiser gehört, muß ihm gegeben werden. Jesus sagte nicht, was des Kaisers war, die Münze selber entschied die Frage des Zinszahlens. Seine Erwiderung schloß alle Pflichten treuer Unterthanen gegen den Herrscher, unter dessen Gerichtsbarkeit sie leben, ein, aber dies berührte nicht die Herrschaft Gottes. Jehovah hatte die Herrschaft über Gewissen und Herzen, und sie mußten dahin sehen, daß, wie der Kaiser das Seine bekam, so Gott auch das Seine erhielt. Gebet deshalb “Gott, was Gottes ist.“ Dies war keine ausweichende Antwort von seiten Christi; sie war voll Bedeutung und traf den rechten Punkt, und doch war sie so gehalten, daß weder Pharisäer noch Herodianer sie zu Parteizwecken benutzen konnten, oder für ihre elende Absicht, Jesum in seiner Rede zu fangen. Keine der beiden Sekten gewann einen Groschen durch ihren Groschen.
Für uns ist die Lehre dieses Vorfalls die, daß der Staat seine Sphäre hat, und wir unsre Pflichten gegen ihn erfüllen sollen; aber dabei nicht vergessen müssen, daß Gott seinen Thron hat, und wir dem Erdenreich nicht verstatten dürfen, uns zu Verrätern des Himmelreichs zu machen. Der Kaiser muß seinen Platz behalten, und keineswegs darüber hinaus gehen; aber Gott muß die geistliche Herrschaft für sich allein haben.
22. Da sie das hörten, verwunderten sie sich und ließen Ihn und gingen davon.
Sie hatten noch einigen Verstand übrig, wenn sie auch kein Gefühl hatten. Sie sahen, daß ihr Anschlag schimpflich mißlungen war; sie verwunderten sich über die Weisheit, womit Christus ihre List zu schaden gemacht hatte. Sie wußten, daß es hoffnungslos sei, den Kampf fortzuführen, darum “ließen sie Ihn und gingen ihres Weges.“ Ihr Weg war nicht sein Weg. Sie hatten in ihrer Schmeichelrede schon zugegeben, daß Er den Weg Gottes recht lehrte; und nun vollendeten sie ihre eigne Verurteilung, indem sie Ihn verließen und ihren eignen Weg gingen.
Herr, behüte uns davor, ihrem bösen Beispiel zu folgen! Mögen wir lieber Christo anhangen und seinen Weg gehen!
(Der König und die Sadduzäer. V. 23-33.)
23. An demselbigen Tage traten zu Ihm die Sadduzäer, die da halten, es sei keine Auferstehung, und fragten Ihn.
An demselbigen Tage: es gab keine Ruhe für Jesum; sobald die eine Reihe der Feinde hinweg getrieben war, marschierte eine andre auf, Ihn anzugreifen. Er hatte die Pharisäer und Herodianer zum Schweigen gebracht; nun kamen die Sadduzäer zu Ihm, die liberalen Kirchenmänner, die Rationalisten jener Zeit, die da halten, es sei keine Auferstehung. Sie verwarfen sehr viel mehr von der Schriftlehre als diesen einen Punkt von der Auferstehung, aber dieser wird hier besonders erwähnt, weil er der Gegenstand war, bei dem sie den Heiland zu verstricken oder zu verwirren hofften. Die Sadduzäer „halten, es sei keine Auferstehung,“ dennoch kamen sie zu Jesu, um zu fragen, was bei einem gewissen Falle „in der Auferstehung“ geschehen würde. Sie dachten augenscheinlich, daß sie einen Fall vorlegen könnten, welcher die Lehre von der Auferstehung der Toten in Verachtung bringen würde. Sie hätten sich warnen lassen sollen durch die Erfahrung der Pharisäer und Herodianer, aber ohne Zweifel fühlten sie sich so sicher in ihrer eignen Stellung, daß sie Erfolg erwarteten, obwohl es den andren so sichtlich fehlgeschlagen war.
24. Und sprachen: Meister, Mose hat gesagt: So einer stirbt und hat nicht Kinder, so soll sein Bruder sein Weib freien und seinem Bruder Samen erwecken.
“Meister;“ sie kamen mit vorgeblicher Achtung vor den großen „Lehrer.“ Sie waren ebenso höflich als die vorige Reihe der Angreifer; aber wie jene hatten sie doch Krieg im Sinn, obgleich ihr Mund glätter war denn Butter, und ihre Worte gelinder waren denn Öl, waren sie doch bloße Schwerter. (Ps. 55,22.)
“Mose hat gesagt.“ Sie gaben den Inhalt, obwohl nicht die genauen Worte, die im 5. Buch Mose 25,5 stehen. Das Gesetz Mose erkannte in dieser wie in mancher andren Sache existierende Sitten an und schrieb gewisse Regeln dafür vor. Es wurde als ein so großen Unglück betrachtet, wenn ein Mann starb, ohne ein Kind zu hinterlassen, welches seinen Namen trug und sein Erbteil empfing, daß die Juden meinten, jedes mögliche Mittel müsse gebraucht werden, um dies zu verhüten. Die hier beschriebene Sitte herrscht bis auf diesen Tag unter verschiedenen orientalischen Nationen.
25-28. Nun sind bei uns gewesen sieben Brüder. Der erste freite und starb; und dieweil er nicht Samen hatte, ließ er sein Weib seinem Bruder; desselben gleichen der andre und der dritte bis an den siebenten. Zuletzt nach allen starb auch das Weib. Nun in der Auferstehung, wessen Weib wird sie sein unter den sieben? Sie haben sie ja alle gehabt.
Diese Sadduzäer mögen einen solchen Fall wie den vorliegenden gekannt haben, obwohl er ungemein unwahrscheinlich ist. Wahrscheinlicher war es jedoch eine von den vorrätigen Geschichten, die sie zu erzählen pflegten, um die Auferstehung lächerlich zu machen. Sie hatten keinen Glauben an geistliche Wesen, deshalb nahmen sie an, wenn ein künftiger Zustand wäre, so würde er dem gegenwärtigen ähnlich sein. Nachdem sie den Fall dargelegt hatten, stellten sie an den Heiland die Frage: “Nun in der Auferstehung, wessen Weib wird sie sein unter den sieben? Sie haben sie ja alle gehabt?“ Ohne Zweifel dachten sie, diese Frage würde Christum in Verwirrung bringen, wie andre, denen sie vorgelegt war, aber für Ihn war es nicht schwieriger, diese zu beantworten, als die der früheren Fragenden.
29. Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Ihr irret und wisset die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes.
Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: „Ihr irret.“ Der Irrtum fand sich nicht bei Ihm, sondern bei ihnen. Ihr vermeintlicher Beweisgrund ruhte auf ihren eignen irrigen Vorstellungen von der unsichtbaren Welt; und als das Licht des Wortes über ihre sieben Strohmänner ergossen ward, zerflossen sie in dünne Luft. Die Antwort für Gegner, Zweifler, Ungläubige mag noch heute in unsres Herrn Worten gegeben werden: “Ihr irret und wisset die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes.“ Diese Sadduzäer dachten, sie hätten eine Schwierigkeit in der Schrift gefunden, aber ihr Irrtum rührte daher, daß sie „die Schrift nicht wußten.“ Dies ist die Wurzel von fast allem Irrtum: Unkenntnis des inspirierten Wortes Gottes. Diese Männer waren mit dem Buchstaben bekannt, aber sie kannten die Schrift nicht wirklich, sonst hätten sie dort reichliche Offenbarungen über die Auferstehung gefunden.
Ihr Irrtum entsprang auch aus Unkenntnis der „Kraft Gottes.“ Die Auferstehung der Toten ist einer der größten Beweise der Kraft Gottes, bei dem alle Dinge möglich sind. Diese Sadduzäer beschränkten den Heiligen Israels in ihrer Unwissenheit oder ihrem Leugnen seiner Kraft. Was ist in der Auferstehung, das dem Manne unglaublich ist, der „die Kraft Gottes“ kennt? Gewiß, Der, welcher alle Dinge durch das Wort seiner Kraft erschuf, kann durch diese selbe Kraft die Toten zu der von Ihm bestimmten Zeit auferwecken.
30. In der Auferstehung werden sie weder freien, noch sich freien lassen, sondern sie sind gleich wie die Engel Gottes im Himmel.
“In der Auferstehung:“ unser Herr setzte stillschweigend voraus, daß eine Auferstehung ist. Er verweilte nicht dabei, diese Wahrheit zu beweisen, sondern fuhr fort, indem Er von dem Auferstehungsleben sprach als einem Leben höherer Art, als unser jetziges, natürliches Leben: “sie werden weder freien, noch sich freien lassen, sondern sie sind gleich wie die Engel Gottes im Himmel.“ Unsres Heilandes Antwort traf einen andren sadduzäischen Irrtum, denn seine Fragesteller glaubten nicht, daß es Engel gäbe. Jesus versuchte nicht, das Dasein der Engel zu beweisen, sondern nahm auch dies als ausgemacht an, indem Er sagte, „in der Auferstehung sind Menschen gleich wie die Engel Gottes im Himmel.“ Er sagte nicht, daß sie in Engel verwandelt werden, sondern sie sind den Engeln gleich. Sie sind geistliche Wesen, wie Paulus 1. Kor. 15 erklärt.
31. 32. Habt ihr aber nicht gelesen von der Toten Auferstehung, das euch gesagt ist von Gott, der da spricht: „Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs?“ Gott aber ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen.
Unser Heiland gibt nun diesen Sadduzäern weitere Belehrung “von der Toten Auferstehung.“ Er gebrauchte die Formel, die Er so oft anwandte, wenn Er zu denen sprach, welche behaupteten, die Schrift zu lesen: “Habt ihr aber nicht gelesen?“ „Ihr verwerft die mündlichen Überlieferungen, welche die Pharisäer annehmen und statt der Gebote Gottes lehren, habt ihr nicht gelesen, das euch gesagt ist von Gott?“ Jesus legte stets die äußerste Ehrfurcht vor dem geoffenbarten Worte Gottes an den Tag. Hier zeigte Er, daß die in der Schrift bekannt gemachte Wahrheit eine sehr persönliche Sache ist. Diese Botschaft war zu den Sadduzäern gesprochen, obgleich sie es nicht wußten; sie war von Gott gesprochen, dennoch nahmen sie dieselbe nicht an.
Wie notwendig ist es, daß wir in der Schrift forschen, sonst könnte es göttlich geoffenbarte Wahrheiten geben, die wir nicht einmal gelesen hätten! Wie nötig ist auch die Unterweisung des Heiligen Geistes, sonst könnten wir, wie diese Sadduzäer, lesen und doch die Schrift nicht wissen!
Jesus hätte sich auf viele Stellen im Alten Testament in betreff der Auferstehung beziehen können, aber da die Sadduzäer den Pentateuch (die fünf Bücher Mose), mit besonderer Ehrfurcht betrachteten, so führte Er an, was Mose im 2. Buch 3,6 schreibt: “Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs;“ und dann fügte Er seine eigne Bemerkung und Auslegung hinzu: “Gott aber ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen.“ Abraham, Isaak und Jakob waren längst tot, als der Herr zu Mose aus dem feurigen Busche sprach. Seine Worte deuteten an, daß die Patriarchen noch lebten. Sein Bund war mit denen gemacht, die noch existierten.
Es ist viel Lehre in dieser Wahrheit, daß „Gott nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen ist.“ Einige nehmen an, daß bis zu der Auferstehung hin die Heiligen nicht wirksam existieren, aber dies kann nicht sein. Obwohl entkörpert, leben sie noch. Jesus läßt sich nicht auf Beweise ein, sondern erwähnt der Thatsache als über allen Zweifel hinaus. Der lebendige Gott ist der Gott lebendiger Menschen, und Abraham, Isaak und Jakob leben noch als dieselben Personen, die auf der Erde lebten. Gott ist der Gott von Abrahams Leib sowohl, als von seiner Seele, denn das Bundessiegel war auf sein Fleisch gesetzt. Das Grab kann keinen Teil derer, die in dem Bunde sind, halten; Gott ist der Gott unsres ganzen Wesens, des Geistes, der Seele und des Leibes.
33. Und da solches das Volk hörte, entsetzten sie sich über seine Lehre.
Unsres Herrn Erwiderung an die Sadduzäer war so vollständig, daß ihnen „das Maul gestopft“ war. (V. 34.) Sie versuchten keinen weiteren Angriff, denn sie müssen von ihrer Machtlosigkeit überzeugt worden sein. Die, welche als Hörer dabei gestanden, das Volk, das sich versammelte, wie die Menge es so gern thut, wenn eine öffentliche Besprechung stattfindet, “entsetzten sich über seine Lehre.“ Sie „entsetzten“ sich über den Inhalt und die Form der Lehre Christi. Dies ist ein Ausdruck, den wir oft in dem Leben unsres Herrn finden; aber trotzdem sie „sich entsetzten“, nahmen sie seine Lehre nicht an. Sie redeten miteinander über die wunderbare Weise, in welcher Er alle Fragen beantwortete, aber sie gaben nicht zu, daß ein solcher Lehrer kein andrer sein könne, als der lange erwartete Messias. Sogar die Schriftgelehrten, die Christo ein Kompliment machten über seine Antwort, indem sie sprachen (Lk. 20,39): „Meister, Du hast recht gesagt,“ handelten nicht diesem Bekenntnis gemäß, sie wurden nicht seine Jünger.
(Der König wird von einem Schriftgelehrten versucht. V. 34-40.)
34. Da aber die Pharisäer hörten, daß Er den Sadduzäern das Maul gestopft hatte, versammelten sie sich.
Das Volk, das Christo zugehört und sich „entsetzt“ hatte über seine Antworten an die Sadduzäer, verbreitete bald die Nachricht von ihrer Niederlage. Da aber die Pharisäer hörten, daß Er den Sadduzäern das Maul gestopft hatte, waren sie ohne Zweifel froh, daß ihre Feinde geschlagen waren, aber ärgerlich, daß Jesus sich wiederum siegreich in der Beweisführung erwiesen hatte. Er hatte an einem Tage die Hohenpriester und Ältesten des Volks, die Pharisäer und ihre Jünger, die Herodianer und Sadduzäer in Verwirrung gebracht. Wenn Er fortfuhr, zu siegen, so wäre das ganze Volk auf seine Seite gebracht, darum kamen sie noch einmal zusammen, um Rat zu halten, “sie versammelten sich.“ Sie müssen einen neuen Anschlag ersinnen, einen frischen Plan zu seine Stutz. Wie beharrlich sind gottlose Menschen in ihrer bösen Laufbahn! Während wir ihre Gottlosigkeit beklagen, laßt uns ihre Beharrlichkeit nachahmen.
35. Und einer unter ihnen, ein Schriftgelehrter, versuchte Ihn und sprach:
Dem Anschein nach war das Resultat ihrer Konferenz, daß sie einen aus ihrer Zahl auswählten, um Jesu eine andre Frage vorzulegen: “einer unter ihnen, ein Schriftgelehrter,“ einer von denen, die beständig damit beschäftigt waren, das Gesetz abzuschreiben, und auch einer, der desselben Sinn dem Volke auslegte. Er war ein „Rechtsgelehrter“. Er kam, entweder als Vertreter der Pharisäer oder aus eignem Antrieb, und versuchte Jesum. Wenn wir dem Wort die mildeste Bedeutung geben, so hat es die des Prüfens und des auf die Probe-Stellens in einem unfreundlichen Sinne. Wahrscheinlich war er ein Mann mit klarerem Licht und schärferem Urteil als seine Gefährten, denn er war augenscheinlich halbherzig in seinem Werk des „Versuchens“ Christi. Markus sagt, daß er unsres Herrn Worte an die Sadduzäer gehört hatte und „sah, daß Er ihnen fein geantwortet hatte,“ und darauf Jesu seine eigne Frage vorlegte. Er war offenbar ein freimütiger Mann und hatte auch recht viel geistliche Erkenntnis. Dies mag helfen, den Grund für seine Frage zu erklären:
36. Meister, welches ist das vornehmste Gebot im Gesetz?
Nach den Rabbinern gab es viele Gebote, die untergeordnete Natur und andre, die von erster Wichtigkeit waren. Sie setzten oft Gebote, die wirklich vergleichungsweise klein waren, auf dieselbe Stufe mit den größesten. Einer von ihnen wagte sogar, zu sagen, daß die Gebote der Rabbiner wichtiger seien, als die Gebote des Gesetzes, weil diese klein und groß seien, während alle Gebote der Rabbiner groß wären. Einige von ihnen betrachteten das Essen mit ungewaschenen Händen als ein ebenso großes Verbrechen wie Mord, und stellten das Reiben von Kornähren am Sabbat in eine Klasse mit Ehebruch, so daß sie große Verwirrung verursachten in betreff der wirklichen Ordnung sittlicher Vorschriften. Es war darum sehr wünschenswert, von diesem weisen Lehrer, den der Schriftgelehrte als “Meister“ anredete, eine bestimmte Antwort auf die Frage zu erhalten: “Welche ist das vornehmste Gebot im Gesetz?“ Die Frage war eine, die sicherlich den Heiland in Verwickelung bringen mußte, wenn Er sie nicht weislich beantwortete; und dadurch versuchte, prüfte, erprobte der Schriftgelehrte Ihn.
Gelobt sei sein teurer Name, Er kann jede Probe bestehen! Satan versuchte und prüfte Ihn bis zum Äußersten seiner Macht, aber selbst er fand nie einen Fehler, einen Mangel oder ein Gebrechen in Ihm.
37. 38. Jesus aber sprach zu ihm: Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das vornehmste und größte Gebot.
Dies waren für die Hörer unsres Herrn sehr bekannte Worte, denn alle frommen Juden hatten die Gewohnheit, sie jeden Morgen und jeden Abend zu wiederholen. 4. Mose 6,4-9, woraus unser Herr citierte, war eine der vier Stellen, welche als „Denkzettel“ getragen wurden. (Mt. 23,5.) Jesus sprach zu ihm: “Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen.“ Weil Er unser Gott ist, fordert Jehovah unsres Herzens Liebe. Als unser Schöpfer, Erhalter, Versorger und Richter befiehlt Er uns, Ihm die ganze Zuneigung unsres Herzens zu geben; Ihn zuerst, am meisten und am herzlichsten zu lieben, über allen Vergleich hinaus, mehr als irgend welche Mitmenschen oder als uns selber.
“Und von ganzer Seele.“ Wir sollen Gott mit unsrem ganzen Leben lieben, Ihn mehr als unser Leben lieben, so daß wir, wenn nötig, eher unser Leben aufgeben würden, als unsre Liebe zu Gott.
“Und von ganzem Gemüt.“ Wir sollen Gott mit unsrem Verstand, mit allen Kräften unsres Geistes lieben und unser Gedächtnis, unser Denken, unsre Einbildungskraft, unsre Vernunft, unser Urteil und alle unsre geistigen Fähigkeiten als willige Unterthanen bringen, die sich in Anbetung und Liebe zu Gottes Füßen beugen.
“Dies ist das vornehmste und größeste Gebot.“ Es ist das „erste“, der Zeit nach, denn es galt für die Engel, noch vor der Schöpfung der Menschen; es galt für Adam von der Stunde an, wo er zum Bilde Gottes geschaffen war. Es ist das „erste“ der Wichtigkeit nach, denn keine Liebe zu einem Geschöpfe ist des Vergleiches wert mit der Liebe zum Schöpfer. Dies Gebot ist auch „groß“, weil es alle andren einbegreift, und weil seine Forderungen so groß sind, nämlich die ganze Liebe unsres Herzens, unsrer Seele und unsres Gemüts.
Wer kann Gott diese vollkommene Liebe geben? Niemand von unsrem gefallenen Geschlechte. Errettung durch die Werke des Gesetzes ist augenscheinlich eine Unmöglichkeit, denn wir können nicht einmal dem ersten Gebot gehorchen. Es gibt Einen, der demselben gehorcht hat, und der Gehorsam Christi wird als der Gehorsam aller derjenigen gerechnet, die Ihm vertrauen. Frei von der Verdammung des Gesetzes, suchen sie nachher stets diesem großen und ersten Gebote zu gehorchen durch die Kraft des Heiligen Geistes, welcher in ihnen wohnt.
39. Das andre aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst.
Die Antwort ist umfassender als die Frage. Der Schriftgelehrte fragte nach dem größten Gebot; Christus beantwortete seine Frage und fügte dann hinzu: “Das andre aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst.“ Wer von uns hat wirklich seinen Nächsten geliebt als sich selbst? Unter dem Evangelium ist dies Gebot sicherlich nicht weniger bindend, als unter dem Gesetz.
40. In diesen zwei Geboten hangt das ganze Gesetz und die Propheten.
Die Lehre Mose und aller Propheten kann in “diese zwei Gebote“ zusammengefaßt werden. Die Pflicht, Gott über alles und unsren Nächsten als uns selber zu lieben, ist der höchste Gegenstand der göttlichen Offenbarung. Hieran, wie an einem großen Haken, “hangt das ganze Gesetz und die Propheten.“ Nehmt diesen Haken hinweg, und was bleibt übrig als Stütze für die Lehre, welche der Herr durch die heiligen Männer gegeben hat, die vorzeiten schrieben, getrieben von dem heiligen Geist?
(Der König stellt Fragen. V. 41-46.)
41. 42. Da nun die Pharisäer bei einander waren, fragte sie Jesus und sprach: Wie dünkt euch um Christus? Wes Sohn ist Er? Sie sprachen: Davids.
Der König spielte nun den Krieg in des Feindes Land hinüber. Er hatte alle Ihm gestellten Fragen beantwortet; nun war an Ihm die Reihe, denen welche vorzulegen, die gekommen waren, Ihn zu prüfen. Da nun die Pharisäer bei einander waren, d.h. während sie immer noch in seiner Nähe waren, getäuscht und geschlagen, doch auf eine Gelegenheit lauernd, Ihn anzugreifen, “fragte sie Jesus und sprach: Wie dünkt euch um Christus?“ Unser Herr gibt hier seinen Knechten ein Beispiel, wie sie mit Krittlern, Wortklaubern und Gegnern verfahren sollten. Nachdem Er alle ihre Fragen weislich beantwortet hatte, legte Er ihnen die Frage der Fragen ans Herz: „Wie dünkt euch um Christus?“ Sie hatten versuch, Ihn in Verwirrung zu setzen mit ihren Fragen über Kirche und Staat, über das künftige Leben und den bezüglichen Wert der Gebote; aber Er stellte ihnen die viel wichtigere Frage: „Wie dünkt euch um Christus?“
Jesus legte seinen Hörern eine weitere Frage vor über „den Christ“, denn die gebrauchten Worte beziehen sich augenscheinlich auf den Messias: “Wes Sohn ist Er?“ Sie sprachen: „Davids.“ Sie wußten, daß der verheißende Befreier von David abstammen würde; aber entweder wußten sie nicht oder wollten nicht bekennen, daß Er ebensowohl einen göttlichen wie einen menschlichen Ursprung hätte. Dies bringt der Heiland durch fernere Fragen heraus.
43-45. Er sprach zu ihnen: Wie nennt Ihn denn David im Geist einen Herrn, da er sagt: „Der Herr hat gesagt zu meinem Herrn: Setze Dich zu meiner Rechten, bis daß ich lege Deine Feinde zum Schemel Deiner Füße?“ So nun David Ihn einen Herrn nennt, wie ist Er denn sein Sohn?
Diese Fragen unsres Herrn enthalten selber die Antworten für die heutigen Kritiker, welche die göttliche Inspiration der Schrift und die Davidische Autorschaft und die messianische Beziehung gewisser Psalmen leugnen. Er sprach zu ihnen: Wie nennt Ihn denn David im Geist einen Herrn, da er sagt: „Der Herr hat gesagt zu meinem Herrn: Setze Dich zu meiner Rechten, bis daß ich lege Deine Feinde zum Schemel Deiner Füße?“ Indem Er Ps. 110,1 citiert, erklärt unser Heiland, daß dies die Worte Davids sind, der „durch den Heiligen Geist spricht“ (s. Mk. 12,36) von dem Christ, dem Messias. Dies sollte für immer die Frage über die Inspiration, Autorschaft und Beziehung auf den Messias, wenigstens dieses Psalms, entscheiden. „Der Herr hat zu meinem Herrn gesagt“ – Jehovah (der Ewige) hat zu meinem Adonai (Herrn) gesagt. David lernte durch den Heiligen Geist, was der Vater zu dem Sohne gesagt hatte, und war so in Verbindung mit der ganzen heiligen Dreieinigkeit gebracht. „Setze Dich zu meiner Rechten.“ Dem Messias ward geheißen, zu ruhen, nachdem sein großes Mittlerwerk vollendet war, und zur Rechten seines Vaters zu sitzen, an dem Platz der Ehre, der Macht und der Majestät. „Bis daß ich lege Deine Feinde zum Schemel Deiner Füße.“ Jesus soll seinen Sitz behalten, bis seine Feinde alle zu seinen Füßen liegen.
Dies war die Aufgabe, welche die Pharisäer zu lösen hatten. Wenn der Messias Davids Sohn war, wie kam es dann, daß David Ihn durch den Heiligen Geist seinen Herrn nannte? Der „Christ“ muß etwas mehr als ein bloßer Mensch sein; sonst wären des Psalmisten Worte unpassend und sogar lästerlich gewesen. Er war höher als die Engel, denn zu keinem von diesen hat Jehovah jemals gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten, bis daß ich lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße.“ (Hebr. 1,13.)
46. Und niemand konnte Ihm ein Wort antworten, und wagte auch niemand von dem Tage an hinfort Ihn zu fragen.
Wenn die Pharisäer hätten leugnen können, daß der Psalm sich auf den Messias bezöge, so würde es leicht für sie gewesen sein, auf Christi Frage zu antworten, aber niemand konnte Ihm ein Wort antworten. Die Rabbiner zur Zeit unsres Heilandes räumten ein, daß dies einer der messianischen Psalmen sei, ohne anzuerkennen, was ihre Einräumung in sich schloß. In späteren Zeiten, wie in der Gegenwart, suchten falsche Lehrer den wahren Sinn desselben zu verdrehen.
Christi Fragen brachten seine Gegner in einem doppelten Sinne zum Schweigen; zuerst, sie konnten Ihm nicht ein Wort antworten, und danach, niemand durfte von dem Tage an hinfort Ihn fragen. Er behauptete das Feld. Sie konnten Ihn nicht in ihren Fallen und Schlingen bei seinen Reden fangen; wenn sie Ihn zum Schweigen bringen wollten, mußten sie es thun, indem sie Ihn zum Tode brachten.