Spitta, Carl Johann Philipp - Unsere Missethat stellest du vor dich.

Spitta, Carl Johann Philipp - Unsere Missethat stellest du vor dich.

Moses, der Mann Gottes, spricht im Gebet, vor Gott stehend, Ps, 90, 8: „Unsere Missethat stellest du vor dich; unsere unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht.“ Die Erkenntniß unserer Missethat und Sünde ist das erste Erforderniß, wenn wir die Gnade Gottes und Vergebung der Sünde erlangen wollen. Erkenne deine Missethat, daß du wider den Herrn, deinen Gott gesündigt hast. Aber wie unvollkommen ist diese Erkenntniß, so lange sie nur menschlich bleibt! Man stellt seine Sünde sich gering vor, indem man sie nur vor sich stellt, vor sein getrübtes Auge und unter sein bestochenes und partheiisches Urtheil. Man mißt ihre Größe nur nach dem Schaden und der Schande, die sie uns und andern hier auf Erden zufügt, und nennet nur die schädliche, schändliche und vor menschlichem Gericht strafbare That, Sünde. - Eine ganz andere Sündenerkenntniß lehrt Moses, wenn er, vor Gott stehend, spricht: „Unsere Missethat stellest du vor dich; unsere unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht.“ Er erkennt seine und seines Volkes Missethat nicht nach menschlicher, sondern nach göttlicher Vorstellung, wie sie Gott vor sich stellt, sie anschaut und beurtheilt, der Gott, welcher Herzen und Nieren prüft, der nicht nur recht sieht, sondern auch mehr als wir, auch die von uns unerkannte Sünde sieht, was im Finstern verborgen ist, ans Licht zieht, ja ins Licht stellt vor seinem Angesicht. So bekommt man erst eine rechte Vorstellung von der Sünde, ein zerschlagenes Herz und einen demüthigen Geist, ein beschämendes Gefühl seiner Sündenblöße, darüber einem alle stolzen Gedanken und Einbildungen vergehen, und man wie Hiob seufzet: „Herr, deine Augen sehen mich an, darüber vergehe ich!“ oder wie der Zöllner an seine Brust schlägt und spricht: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Und bei solcher Vorstellung seiner Sünde bekommt man durch das Evangelium eine herzerquickende Vorstellung von Gottes Gnade. Denn siehe da, Gott hat Christum vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut, damit er die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete, in dem daß er die Sünde vergibt, welche bis anhero geblieben war unter göttlicher Geduld; auf daß er zu diesen Zeiten darböte die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, auf daß er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesu (Röm. 3, 25.).

Quelle: Spitta, Carl Johann Philipp - Biblische Andachten

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