Spener, Philipp Jakob - Die Freiheit vom Gesetz, eine Frucht der Wiedergeburt

Spener, Philipp Jakob - Die Freiheit vom Gesetz, eine Frucht der Wiedergeburt

(Röm. 6,13)

Es begreift aber dieses „unter dem Gesetz sein“ dreierlei in sich.

1. schuldig sein, das ganze Gesetz vollkömmlich zu halten und daraus seine Seligkeit herauszuholen, wo es aber nicht geschehe, verdammt zu werden,

2. unter des Gesetzes Fluch liegen wegen der Sünden, die von Natur an dem Menschen sind und von demselben nicht genug vermieden werden können,

3. von dem Gesetz mit Gewalt und Drohen zu dem Guten wider seinen Willen angetrieben zu werden.

In diesen Stand sind wir alle durch die Sünde gekommen, und hat also das Gesetz samt seinem Fluch und Strafe Macht über den Menschen erlangt. Da heißt es nun von den Gläubigen, die seien nicht mehr unter dem Gesetz. Es hat seine Gewalt über sie verloren - nicht zwar als wenn der Mensch nicht mehr danach leben sollte, denn es bleibt die unveränderliche Regel, sondern daß es nicht mehr dasjenige sein solle, daraus die Menschen selig werden müssen, als welches nunmehr die Gnade des Evangelii ist.

Sollte uns nun geholfen werden, so mußte uns Christus helfen, der hat uns denn nun die Freiheit von dem Gesetz erworben, Gal. 4, 4.5; 3, 13.

Dessen nun, was uns der liebste Heiland verdient, werden wir in der Wiedergeburt teilhaftig, Gal. 4, 7; 1. Petr. 1, 3.4; Tit. 3, 5-7.

Wollen wir aber, ob wir denn wahrhaftig auch von dem Gesetz frei seien, die rechte Probe haben, so werden wir's sonderlich an zwei Stücken finden:

1. Wo wir in nichts eigener oder fremder Werke des Gesetzes, sondern alles in der Gnade unsers Heilands Jesu Christi unser Heil suchen,

2. Wo wir mit freiem und freudigen Herzen dasjenige tun, was das Gesetz haben will …

Allein aus dem Glauben folgt die Liebe Gottes und seines Gesetzes, und also so vielmehr wir in dem Glauben zunehmen, so vielmehr werden wir auch dem Gesetz gleicher gesinnt werden, Gal. 5, 13; 1. Petr. 2, 16.

Weil aber auch gute Seelen aus dieser Materie sich eine Anfechtung machen, sie seien noch unter dem Gesetz, weil sie sich zu dem Guten noch so treiben müssen und es nicht aus freiem Herzen gehen wollte, wie sie verlangten, daraus sie in große Angst und Zweifel ihrer Seligkeit geraten, so ist diesen nun auch zu begegnen … Was aber solche gute Herzen anlangt, so ist zwar der Zwang, mit dem sie sich zum Guten nötigen müssen, ein Zeugnis ihrer Schwachheit und daß das Fleisch noch ziemliche Kräfte habe, daher dem Geist, der das Gute verlangt, sich also widersetzt, daß ihm gleichsam mit einer Gewalt widerstanden werden muß. Aber so lang ist's noch nicht ein Zeugnis, daß das Fleisch gar die Oberhand habe und der Mensch nun nicht unter dem Gesetz sei, als das Herz, wenn es, was es tun soll und will, überlegt, bei sich finden, es verlange mit Ernst solches Gute und tue ihm leid, daß es wider Willen so viel Widersetzlichkeit seines Fleisches noch bei sich leiden müßte. Solange dieses sich in Aufrichtigkeit noch weiset, so ist der Geist noch willig und der Mensch nach demselben unter der Gnade, obwohl das Fleisch, das unter das Gesetz gehört, noch schwach ist und ihm oft Gewalt angetan werden muß.

Gebet: Liebster Jesu, getreuster Heiland, gelobet seist du, daß du dich unter das Gesetz gegeben, damit du uns, die wir unter dem Gesetz waren, erlösest, auch uns zu solcher Freiheit berufen und wiedergeboren hast … Lehr uns, unsere Seligkeit nicht in dem Gesetz, sondern in deiner Gnade und Verdienst suchen, damit wir in Vergebung der Sünden auch alles Fluchs befreit werden! Gib uns aber sonderlich deinen heiligen Geist in solchem Maß, daß er in unsre Herzen das Gesetz mit lebendigen Buchstaben schreibe und uns demselben gleichgesinnt mache, damit alles unser Gutes von innen aus fließe und nicht erst von außen erzwungen werden müsse, bis wir dorten, soviel an einer Kreatur geschehen kann, dir, dessen Wille selbst das Gesetz gleich ist, und unser Wille mit dem deinigen vollkommen einer werde. O ewige Gnade, ewige Freiheit, ewige Seligkeit! Amen

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