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Seifert, Theodor – 1. Advent.

Seifert, Theodor – 1. Advent.

Luk. 1, 57-75

Wie die aufgehende Sonne am Himmelszelt sich durch die Morgenröte ankündigt und mit ihren Strahlen erst die Berggipfel und Höhen vergoldet, ehe sie mit ihrem Glanz in die tiefen Täler leuchtet, also wirft auch die an Weihnachten aufgehende Gnadensonne ihre Strahlen voraus in die dem Feste der Feste vorangehende Adventszeit. Ist aber Weihnachten das Fest der hellsten jubelnden Freude, so ist die Adventszeit die Zeit der innigen Vorfreude. Freudenlieder sind es denn auch, mit welchen unser Mund den ersten Adventssonntag eingesungen hat. Ist uns denn aber auch das Herz bewegt von dankbarer, hoffnungsfroher Freudigkeit - oder haben wir nur eben gesungen, weil heute in der ganzen Christenheit auf Erden das Lied erschallt: „Wie soll ich dich empfangen“? O, wenn je, so möchte ich auch heute sein, was ein evangelischer Prediger seiner Gemeinde allezeit sein soll, ein Gehilfe eurer Freude. Verhelfen möchte ich euch zur rechten Adventsfreude; und diese Freude möchte ich entflammen an dem Licht der Freude, welche uns in dem heutigen Evangelium entgegenleuchtet. Zacharias ist der Herold der Adventsfreude. Er hat den Tag der Geburt des Heilands geschaut; er hat die letzte Zeit froher Heilserwartung miterlebt. Sein Lobgesang ist das erste rechte Adventslied, und dies Lied muss in unseren Herzen wiedererklingen und fortklingen, wenn anders unsere Adventsfreude rechter Art sein soll.

Worin wurzelt die rechte Adventsfreude?

Das soll uns Zacharias lehren:

I. er dankt dem Gott, welcher seine Verheißung erfüllt hat;
II. er vertraut dem Gott, welcher seine Verheißung erfüllen wird.

I.

Ein Strafwunder war an dem greisen Priester Zacharias geschehen. Als er im Heiligtum seines Amtes waltete, erschien ihm der Engel des Herrn und verkündigte ihm die Geburt eines Sohnes. So überschwänglich erschien ihm aber diese Verheißung, dass er sie nicht glaubte. Um dieses seines Unglaubens willen ward er mit Stummheit geschlagen. Darum war es ihm auch versagt, die Freude seines Herzens auszusprechen, als ihm der verheißene Sohn geboren ward. Erst in der Stunde, da dem Kinde der Name gegeben werden sollte, wurde dem Stummen das Band seiner Zunge gelöst. Wie ein lange zurückgedämmter Bergstrom ergießt sich nun seine Rede, und diese seine Rede ist der Lobpreis des Dankes gegen den Gott, welcher sein Wort wahr gemacht hat. Die Geburt des Vorläufers des Messias ist ihm die Bürgschaft der Erscheinung des Heilands selbst. Der Heiland aber war dem ganzen Volke Israel verheißen; und weil er verheißen war, darum war er je und je von den Gläubigen des Alten Bundes erwartet worden. Die Hoffnung auf den Sieger über die Schlange hatte Adam und Eva aus dem Paradies begleitet; aber der Erhoffte war nicht gekommen, um ihnen die Pforte des verschlossenen Paradieses zu öffnen. Abraham hatte die Verheißung empfangen, dass sein Same das Land Kanaan besitzen und der Segen der Völker werden sollte, aber er musste unter Zelten unter Fremden wohnen. Das Volk, das von Abraham stammt, trug die Hoffnung auf den Erlöser mit nach Ägypten und von Ägypten wieder zurück ins gelobte Land. Und als das Reich Davids in Trümmer zerfallen war, da erhob ein Prophet um den andern seine Stimme und wies die Geplagten und Bedrückten hin auf das Reich des Friedens, in welchem der Friedefürst herrschen werde. Aber so heiß auch die Sehnsucht der Gläubigen war, so ferne schien ihre Erfüllung; und gar als seit Maleachi die Stimme der Weissagung schwieg, da schien es, als ob Gott seines Volkes vergessen habe und der Frommen Hoffnung zu Schanden werden lassen wolle. An diese Geschichte unerfüllter Hoffnung und ungestillter Sehnsucht müssen wir denken, Geliebte in dem Herrn, wenn wir die Freude des Dankes recht verstehen wollen, welche sich ausspricht in dem Adventslied des Zacharias: „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels, denn er hat besucht und erlöst sein Volk!“

Wie beschämend und demütigend, aber auch wie ermunternd und zu herzlicher Mitfreude aufrufend ist die Adventsfreude des alttestamentlichen Frommen für uns! Was war es denn eigentlich, was er geschaut? Den Anbruch der Erfüllung hat er erlebt; an der Wiege des Vorläufers des Messias hat er gestanden. Aber den zum Manne herangereiften Heiland selbst hat er nicht mehr grüßen dürfen, das Wort seiner Heilspredigt nicht vernommen, seiner Heilswunder keines gesehen, und doch diese überschwängliche Freude, gegen welche unsere Adventsfreude so matt und gering erscheint! Wohl sind zwischen dem Lobgesang des Zacharias und dem Weihnachtsfest nur Tage gelegen; zwischen uns und den Tagen aber, da der Herr Jesus auf Erden wandelte, liegen neunzehn Jahrhunderte, und doch, wie viel näher sollte er uns innerlich stehen als wie jenem Greise! Denn wie viel mehr wissen wir von ihm, wie viel mehr danken wir ihm, als Zacharias! Wir sahen ihn von Kind auf in den Evangelien unter seinem Volke wandeln, aus seiner Fülle Gnade um Gnade spendend den Armen und Bedrängten; wir sahen ihn an Golgathas Opferaltar, beladen mit der Sünde der Welt, seines hohenpriesterlichen Amtes waltend. Wir kennen ihn als den König, welcher aufgefahren ist gen Himmel, um von seinem Throne aus sein Volk auf Erden zu segnen mit geistlichem Segen in himmlischen Gütern. Ob aber auch das alttestamentliche Volk des Heils unter alle Völker zerstreut ward, der Zorn des Heils, das feste Heil, welches der Heiland in einer heillosen Welt aufgerichtet hat, steht noch heute unerschütterlich fest. Mag auch das Kreuz des Herrn Jesu längst vermodert sein, das Heil, welches der Gekreuzigte uns erworben hat, ist auch heute noch der Halt für alle diejenigen, deren Seele von den Schrecken des Gerichtes, von den Stürmen der Trübsal angefochten wird. O, Geliebte in dem Herrn, habt ihr euch jemals nach Frieden gesehnt und einen Frieden gefunden, wie ihn die Welt nicht hat und nicht geben kann, ist euch jemals die Erde bitter und der Himmel süß geworden, wart ihr einsam und von Menschen verlassen und habt euch doch nicht ungetröstet und verlassen gefühlt, sondern stark und getrost, so dankt ihr solchen Segen doch nur dem, um dessen naher Ankunft willen Zacharias Gottes Barmherzigkeit preist, eurem Heiland Jesu Christo. An solchen Segen, welchen die Erfüllung der göttlichen Heilsverheißung uns in unserem Christenleben je und je gebracht hat, wollen wir gedenken, damit unsere Freude lebendig wird und lebendig bleibe, unsere Freude an dem, der da gekommen ist und im neuen Kirchenjahre wiederum uns nahe sein will, um seine Gnade täglich über uns neu werden zu lassen. Haben wir aber zu solcher Hoffnung ein Recht? Ja, so gewiss als wir mit Zacharias dem Gott vertrauen, welcher seine Verheißung erfüllen wird.

II.

Trüb sah es in Israel zu der Zeit aus, da Zacharias sein Adventslied sang. Gefallen war des auserwählten Volkes politische Selbstständigkeit; die Adler, die Feldzeichen der römischen Legionen, waren zum Zeichen der Oberherrschaft des heidnischen Volkes auf Davids Königsburg aufgepflanzt. Das Land war verarmt, ausgesogen durch die fremden hartherzigen Steuerbeamten. Im Verborgenen glühte der Hass der Bedrückten wider ihre Bedränger, bisweilen flammte die Lohe der Empörung auf. Am traurigsten aber war es bestellt mit dem, was Israels Stolz und Stärke sein sollte, mit seiner Religion. Wohl, es wurde viel gebetet, aber meist nur geplappert. Es wurden viele Opfer im Tempel dargebracht, aber der Tempel wurde auch entweiht durch unheilige Hantierung und gewinnsüchtigen Handel; es ward von denen, welche für die Frömmsten angesehen werden wollten, von den Pharisäern, stark gepocht auf ihr Halten des Gesetzes; aber das Schwerste im Gesetz, die Liebe und Barmherzigkeit, ließen sie dahinten. Man hoffte auf einen Erlöser, aber auf einen Messias, welcher sein Volk vom Joch der Römerherrschaft befreien und ein weltliches Reich aufrichten sollte. Und dennoch hofft Zacharias auf eine Errettung und Erlösung dieses seines Volkes und auf ein neues Leben seines Volkes, auf ein Leben, frei von knechtischer Menschenfurcht, in gottgefälliger Heiligkeit und Gerechtigkeit. Solche Hoffnung hat er zu dem Gott, welcher seinem Volke die Erlösung und Heiligung verheißen hat, und dieses Vertrauen ist die andere Wurzel, aus welcher seine Adventsfreude erwächst. Aber hat sich denn Zacharias in diesem seinem Vertrauen nicht getäuscht? Hat nicht eben dieses Volk, welches der erschienene Messias von seinen Feinden erlösen wollte, ihn gebunden und seinen Feinden überantwortet? Haben nicht ihm, dem Gerechten und Heiligen, ungerechte Richter ein ungerechtes Urteil gesprochen? Wohl, so ist's geschehen, aber dennoch hat Zacharias mit seinem Vertrauen auf Gottes Treue recht behalten. Gott der Herr hat durch seinen eingeborenen Sohn und dessen Apostel alles getan, um das auserwählte Volk auf den Weg des Friedens zu bringen. Wenn es nun doch nicht errettet wurde, so war es selbst, nicht aber Gott, an seinem Unheil schuld. Aber ob auch an Israel um seines Ungehorsams willen die Verheißung sich nicht erfüllen konnte, unerfüllt ist Gottes Gnadenverheißung doch nicht geblieben, sie hat sich nur anders erfüllt, als Zacharias es meinte. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs hat sich unter allen Völkern der Erde sein Volk erwählt, welches, folgend seinem Ruf, ihm dient in heiligem Schmuck und willigem Gehorsam. Wo immer in der Welt das Evangelium von Jesu Christo gepredigt wird, da haben sich solche gefunden, welche in dem verheißenen und erschienenen Messias ihren Heiland und König erkannten und in ihm den rechten Nothelfer fanden. Und dass auch unser deutsches Volk zu diesem neutestamentlichen Gottesvolk gehört, das ist seine größte Ehre, und wer unter ihm dem Herrn Jesu als seinem Heiland anhängt, der hat in ihm und durch ihn auch das Heil und den Frieden und mit dem Frieden auch die Zufriedenheit, ob er auch unter manchem äußeren Druck leiden mag, und mit der Zufriedenheit auch die Freude, die aushält und einen Halt gibt auch im Leiden. Freilich haben auch mitten in unserem Volke viele das sanfte Joch des demütigen Herrn Jesu von sich geworfen und lassen sich statt von der Gottesfurcht lieber von elender Menschenfurcht beherrschen. Freilich findet sich auch in vielen Christenhäusern noch viel unheiliges Wesen und viel Ungerechtigkeit, und der Blick auf die Sünden und Untugenden, welche auch in unserer Gemeinde im Schwange gehen, könnte unsere Adventsfreude wohl stören und dämpfen. Ja, wenn wir bedenken, dass Jahr für Jahr das lautere Evangelium gepredigt wird, und dennoch so viel Unreinigkeit unter uns und an uns vorhanden ist, dann könnten wir wohl mutlos und verzagt in die Zukunft blicken. Und doch sollen wir getrost sein, denn unsere Hoffnung stehet nicht auf uns und unserer Macht, sondern auf unseres großen Gottes großer Treue und Barmherzigkeit. Die Ehre sollen wir ihm antun, dass wir ihm zutrauen: „Er kann es auch mit uns wohl machen“. Er kann und will von Grund aus helfen; er will uns von unserem größten Feinde helfen, von der Sünde, er kann es aber nur bei denen, welche sich helfen lassen wollen. Er will auch uns zu einem heiligen Volk machen durch sein heiliges Wort. Noch ist sein Wort unter uns und in seinem Worte verborgen die Kraft neuen, heiligen Lebens; und dies sein Wort lässt er uns im neuen Kirchenjahr von neuem nahe bringen. Lasst uns dies Wort nur auch innerlich uns nahe kommen! Lasst es uns annehmen mit Sanftmut und bewahren in Treue. Dann wird es seine lebendige Kraft auch in unseren Herzen und in unserem Leben offenbaren. Das sei unsere vornehmste Sorge im neuen Kirchenjahre, nicht dass wir wachsen an irdischem Besitz oder an Ehre und Macht bei den Menschen, sondern dass in uns wachse das Leben aus Gott, in Gott, mit Gott! Bei solchem Wachstum wird auch unsere Freude vollkommen werden um dessentwillen, der da als der Adventskönig sei hochgelobt in Ewigkeit. Amen.

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