Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 33. Andacht.

Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 33. Andacht.

Jeremia 31. “Zur selbigen Zeit, spricht der Herr, will ich aller Geschlechter Israels Gott sein und sie sollen mein Volk sein.“ Was für eine kostbare Verheißung ist das, meine Lieben! „Zur selbigen Zeit;“ das ist die Zeit, in welcher wir leben, und wenn wir uns das Wort im Glauben zueignen, so stehen wir im ganzen Vollgenuss dieser herrlichen Verheißung. Es ist etwas Großes, denken zu dürfen: der Herr ist mein Gott, meine Hilfe, meine Zuversicht, mein Hort und mein Heil und ich bin Sein; wir dürfen uns alles Guten zu Ihm versehen.

V. 3. “Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu Mir gezogen aus lauter Güte.“ Ach, wie gnädig und barmherzig, wie liebevoll und freundlich steht da der Herr vor uns. Er hat uns zu sich gezogen, wir wären nicht zuerst zu ihm gekommen; aber Er in Seiner Güte, in Seinem unendlichen Erbarmen hat uns gezogen, wie Zinzendorf singt:

„Hätt' Er sich nicht selber an mich gehangen,
Ich wär Ihn nimmermehr suchen gegangen;“

und so wie uns der Herr gesucht und aus dem Schlamm der Sünde gezogen hat, so will Er auch alles Weitere an uns tun. Wir dürfen nur stille halten und Ihm treu sein. Das will uns aber immer schwer eingehen; wir möchten gar zu gerne auch selbst etwas zu unserer Besserung und Heiligung beitragen, in Eigenruhm und Eigenehre glänzen; und der Herr hat da unsägliche Mühe, bis Er ein Menschenherz ganz zu Staub macht, bis wir einsehen, dass wir mit eigener Kraft, in eigener Gerechtigkeit und in eigenem Willen absolut nichts zu Stande bringen und dadurch nur dem Herrn fortwährend entgegen wirken. Wir dürfen keinen Faden von eigener Gerechtigkeit mehr an uns haben, sondern sollen uns in die vollkommene Gerechtigkeit Christi kleiden. Was uns durch die Sünde geraubt worden ist, das Ebenbild Gottes, das will Er in uns wieder herstellen. Er will uns rein waschen von unseren Sünden, heilen von unserer Krankheit. Er will Alles tun; aber wie halsstarrig sind wir oft dabei, dass Er Sein Werk nicht völlig an uns ausrichten kann! Wer sich so hat ausziehen lassen, dass er weiß, er vermag gar nichts aus eigener Kraft, aber Alles durch den, der ihn tüchtig macht, Christum; der wird ein solch inneres Glück empfinden, dass es nicht auszusprechen ist und den Frieden, von dem es heißt, dass ihn die Welt nicht geben, ihn aber auch nicht nehmen könne; da zieht solche Freude ins Herz, dass man hüpfen und springen möchte, wie David vor der Bundeslade und wie es im 4. Vers heißt: „Wohlan, ich will dich wiederum bauen, dass du sollst gebaut heißen; du Jungfrau Israel, du sollst noch fröhlich pauken und herausgehen an den Tanz.“ Damit ist aber nicht das tolle Springen in Fleischeslust gemeint, wie es auf Tanzböden und bei Bällen geschieht, was seelenverderblich ist, sondern der Ausdruck der höchsten Freude im heiligsten Sinn.

Die nächstfolgenden Verse des Kapitels enthalten lauter herrliche, außerordentliche Verheißungen; aber immer steht geschrieben: „Ich will es tun.“ Vers 8. Ich will sie aus dem Lande der Mitternacht bringen und will sie sammeln aus den Enden der Erden“ usw.; wieder eine starke Hinweisung, dass wir uns ganz willenlos der Leitung und Pflege unseres hochgelobten Heilandes überlassen und nichts in eigener Kraft oder Gerechtigkeit unternehmen, sondern in Allem fest auf den Herrn blicken und in Seiner Kraft handeln sollen. O da ist unser Lebensweg ein außerordentlich seliger. Wie steht's da mit uns, meine Lieben? Und besonders mit euch, ihr lieben Kranken, die ihr uns heute verlasst? Seid ihr voll Lob und Dank für das, was der Herr Großes an euch getan hat nach Leib und Seele? Steht es in eurer Seele fest, künftig nur Ihm anzuhangen, bei Ihm zu bleiben, Ihn euer Ein und Alles sein zu lassen? Steht ihr vor dem Herrn mit der Frage in eurem Innern: Wie will ich mein Leben einrichten, dass mich mein Heiland nicht wieder heimsuchen und strafen muss?

O bleibet Ihm treu, wacht und betet! so wird's euch gelingen. Ja, Er ist der freue Gott, der sich unserer erbarmt nach Leib und Seele und uns so liebevoll nachgeht, bis Er uns gefunden hat. Es fällt mir bei dieser Gelegenheit eine Begebenheit ein, die ich euch Lieben erzählen will, und woraus ihr ersehen könnt, wie gnädig und wunderbar sich der treue Herr einer Seele angenommen, sie aus ihrem Elend herausgerissen und zu einem glückseligen Kind Gottes, ja sogar zu einem Arbeiter in Seinem Weinberge gemacht hat. Ich war in N. und kam von dort aus öfters zu einer armen Witwe, welche in einem benachbarten Ort wohnte und sich mit ihren zwei Kindern durch Seidenspulen sehr kümmerlich ernährte. Das eine dieser Kinder, ein Knabe, wurde gleich nach seiner Konfirmation von seinem Oheim in einer Baumwollweberei untergebracht, wo er aber vom frühen Morgen bis zum späten Abend in einem feuchten, kalten Gewölbe arbeiten musste, was seine Gesundheit dermaßen angriff, dass es ihm beinahe unmöglich ward, seinen Geschäften nachzukommen. Seine Mutter klagte mir öfters dieses ihr so schweres Anliegen, und ich redete ihr ernstlich zu, den Jüngling doch aus diesem Geschäft zu nehmen, wo er ja nach Leib und Seele zu Grunde gehen müsse; allein sie als Witwe wollte diesen Schritt nicht tun aus Rücksicht gegen ihren strengen Schwager, der ihrem Sohn diese Stelle verschafft hatte; und überdies, sagte sie, könne sie kaum für sich und ihre Tochter die Nahrung erwerben. Das Elend dieses jungen Mannes und der Kummer seiner armen Mutter beschäftigten mich Tag und Nacht vor dem Herrn. Und siehe! Er, der treue Hirte, dem der Jammer dieser Beiden noch mehr zu Herzen ging, nahm sich der Mutter, wie des lieben Sohnes, treulich an. Hört nun, wie wunderbar der treue Herr hier geholfen hat: Ich saß einmal zu Hause an meiner Arbeit, als ich deutlich eine innere Stimme vernahm: „Schreibe an den armen N. N., er solle heim kommen.“ Ich erschrak darüber und sagte: „Herr! du weißt ja, dass ihn seine arme Mutter nicht ernähren kann?“ allein abermals vernahm ich ganz deutlich jene innere Stimme: „Schreibe an ihn, er soll sogleich sein Geschäft aufgeben und kommen.“ Darauf wagte ich wieder zu sagen: „Wie soll ich ihm schreiben“? „Ich will dir Alles sagen, schreibe nur.“ Da zögerte ich nicht mehr länger, stund eilends auf, setzte mich an den Schreibtisch, und der Herr gab mir sichtlich die Worte ein, die ich nach Seinem heiligen Willen zu schreiben hatte. Nach der Beendigung des Briefes ging ich zu der Mutter des jungen Mannes und las ihr den Brief vor; sie hielt es kaum für möglich, doch als ich ihr erzählte, wie ich zum Schreiben dieser Zeilen gekommen sei, gab sie sich zufrieden, obgleich sie der Ansicht war, ich würde nichts damit erreichen; ihr Schwager werde den Jungen vielleicht noch strenger behandeln und nicht heimgehen lassen. Nun ließ ich den Brief abgehen, er erreichte richtig seine Adresse und hatte wider alles Erwarten den günstigsten Erfolg. Der Oheim hatte gar nichts gegen das Gehen des Jünglings einzuwenden. Er kam und war in der Tat sehr heruntergekommen, sah ganz bleich und elend aus und hatte außerdem noch eine ganz schiefe Haltung durch die anstrengende Beschäftigung bekommen. Ich munterte ihn auf, dem Herrn zu vertrauen, der ihn gewiss versorgen werde; und so kehrte er getrost heim zu seiner Mutter. Inzwischen bat ich den Herrn oftmals, Er möge für diesen Jüngling sorgen. Am folgenden Tage ging ich in einen Bortenmachersladen, um Etwas einzukaufen, und hörte im Ladenstübchen den Meister sagen, er müsse noch einen Gehilfen haben. Ich hatte dies nicht umsonst gehört und fragte ihn sogleich, ob ihm jener junge Mann nicht bekannt sei; er sei gegenwärtig zu Hause und suche eine passende Beschäftigung, und, wie ich glaube, dürfte sich derselbe für ihn eigenen. Sichtlich erfreut sagte der liebe Mann, er wolle gleich heute Abend zu der Mutter des jungen Mannes gehen, um nach ihm zu sehen und ihn zu fragen, ob er bei ihm eintreten wolle. Er ging noch am gleichen Tage in jenes Dorf. Der junge Mann nahm diese Stelle sogleich froh und dankbar an und fühlte sich bald auch überaus glücklich in seinem neuen Beruf. Seine Gesundheit erholte sich zusehends, und so war nach Innen und Außen für ihn gesorgt, da er in einem vortrefflichen Hause war. Er besuchte fleißig die Andachten der seligen Dorothea Trudel, fand dadurch den Heiland und bekehrte sich gründlich zu Gott. Nun aber wollte er dem Herrn, der ihm so liebreich nachgegangen war, auch dienen; er verließ nach einigen Jahren gesund und kräftig jenes liebe Haus und ging auf die Chrischona, wo er fleißig lernte und nach überstandener Lehrzeit die besten Zeugnisse davontrug. Er wirkte hierauf im Segen in der Schweiz, trat der Methodistengesellschaft bei, welche ihn als Prediger anstellte, und ist jetzt ein überaus glücklicher Familienvater. Er selbst gedenkt in seinen öffentlichen Vorträgen oftmals seiner wunderbaren Führung und preist den Heiland, der dem Notleidenden nachgeht, den Elenden errettet und sich des Hilflosen erbarmt.

Im 9. Vers heißt es: „Sie werden weinend kommen und beten, so will ich sie leiten, Ich will sie leiten an den Wasserbächen auf schlichtem, d. h. geradem Wege, dass sie sich nicht stoßen; denn ich bin Israels Vater, so ist Ephraim mein erstgeborner Sohn.“. „Sie werden weinend kommen,“ da ist auch nicht das gewöhnliche Weinen und Jammern gemeint, die fleischliche Traurigkeit, die Tränen der Eigenliebe, diese Teufelstränen, wie Dorothea Trudel sie immer genannt hat, sondern es ist damit die innere Zerknirschung der Seele ausgedrückt, das innere Leidtragen darüber, dass man hat weggehen können von dem treuen, liebevollen Heiland, mit Freudentränen vermischt, dass wir wieder kommen dürfen und auf- und angenommen werden. Das ist die echte Buße und keine fleischliche Traurigkeit. Auf dem Wort „Kommen“ liegt der Nachdruck. Wir müssen den ernstlichen Willen haben zum kommen; wer aber kommt, weiß auch, dass er kommen darf und dass der Herr allezeit gnädig ist. Wenn ein Mensch vom Herrn wegläuft, lässt ihn der Herr dahin gehen. Er sagt: Gehe nur hin, gehe deine eigenen Wege bis du genug hast. Er muss Solche oft in großes Elend kommen lassen, bis sie endlich zur Erkenntnis kommen und sich nach Hilfe und Rettung sehnen. Sobald aber der Herr nur das leiseste Verlangen bei einer Seele entdecken oder erwecken kann, bricht Ihm Sein Herz. „Ich will ihr Trauern in Freude verkehren und sie trösten und erfreuen nach ihrer Betrübnis“ V. 13; und V. 20 heißt es: „Ist nicht Ephraim mein teurer Sohn und mein trautes Kind? Denn ich gedenke noch wohl daran, was ich ihm geredet habe; darum bricht mir mein Herz gegen ihn, dass ich mich seiner erbarmen muss, spricht der Herr.“ Und wir sind so töricht und wollen Seine Verheißungen oft gar nicht annehmen. Ach, welche verkehrten Leute sind wir doch und wie lassen wir uns oft so lange vom Satan umtreiben, belügen und betrügen. Darum sollen wir uns gar nie mit dem Satan in ein Gespräch einlassen; das war Evas Verderben; sondern wenn er uns nahe kommt, flugs weg von ihm und auf Jesum geblickt, wie mein seliger Urgroßvater von Pfeil sagt: Wenn der Herr züchtigt, nur recht aufmerken, schnell zu Ihm kommen und keine Ruhe haben, bis Alles wieder in der Ordnung ist, sonst muss man die Züchtigung noch länger behalten und wird, wenn man die Selbstprüfung versäumt, leicht hartschlägig. Wie man es von Kindern sagt, die viel gezüchtigt werden und wie es einmal in einer Stelle der heiligen Schrift heißt: „Du schlägst sie, aber sie fühlens nicht; du plagst sie, aber sie bessern sich nicht; ihr Angesicht ist härter denn ein Fels und wollen sich nicht bekehren.“ Jer. 5,3. Es ist traurig und sollte nicht so sein, dass die meisten Menschen nicht anders als durch Leiden gezogen werden können, und der Herr oft so strenge Maßregeln ergreifen muss, um sie in die Ordnung zu bringen. Ihr dürft glauben, dass es dem Herrn keine Freude macht, uns zu züchtigen; auch ist es nur in unseren Lauf verordnet um unseres Herzens Härtigkeit willen. Wir zwingen den Herrn oft förmlich dazu. Er hat uns ja so unendlich lieb und möchte immer nur freundlich mit uns verfahren können. Aber wie selten hört oder liest man eine Lebensbeschreibung, dass eine Seele unverrückt beim Heiland geblieben ist und einen ganz klaren, seligen, schönen Lauf gehabt hat. Viel häufiger ist es, dass eine Seele, wenn sie einen guten Anfang gemacht hat, übermütig und eigenwillig geworden ist, und der Herr hat sie erst wieder durch Kreuz und Trübsal zurechtbringen müssen. Übrigens gibt es auch immer noch Seelen, die sich durch Liebe leiten lassen. Ich kannte eine liebe Seele, die felsenfest bei dem Herrn geblieben ist; von dieser kann ich euch mit Freuden sagen, dass sie der Herr auf Schritt und Tritt durch ihr ganzes Leben hindurch behütet und bewahrt hat. Merkt euch das recht, ihr jungen Leute, die ihr hier seid, bedenkt, dass ihr euch selbst euren Weg erschweren oder leicht machen könnet, und prüft euch Alle gründlich, ob nicht deshalb viel Unfall und Herzeleid in euren Lauf hat kommen müssen, weil ihr euch nicht habt durch Güte leiten lassen. Bleibt doch unverrückt bei dem Herrn, meine Lieben, bittet um Scheuleder, dass ihr weder rechts noch links blicken könnt und nicht scheu, nicht irre werdet, und bittet: „Bekehre Du mich, so werde ich bekehrt, denn Du, Herr, bist mein Gott.“ V. 18. Sobald der Mensch recht in den Bekehrungslauf eingeht, wird er so abhängig von dem Herrn, dass er einsieht, ich weiß nichts und kann nichts und bin nichts; der Herr muss Alles tun. Was wir aus uns selber tun, das ist dem Herrn ein Gräuel. Maleachi 1,3 lässt Er uns sagen: „Werden sie bauen, so will ich abbrechen.“ Im 19. Vers unseres Kapitels heißt es: „Da ich bekehrt ward, tat ich Buße; denn nachdem ich gewitzigt worden bin, schlage ich mich auf die Hüfte.“

Man meint oft, man müsse sich in einen Bußkampf hineinsteigern, wenn man sich von dem Gefühl der Reue und Buße nicht so ganz durchdrungen fühlt; dem ist nicht also. Ein Dichter sagt:

Dies ist mein Schmerz, dies kränket mich,
Dass ich nicht so kann lieben Dich,
Wie ich Dich lieben wollte!“

Ja, durch die Liebe Jesu sieht die Seele erst recht den Schaden der Sünde ein und sagt sich: Wie viel Schaden habe ich schon durch die Sünde erlitten, wie viel Kummer und Herzeleid, wie viel zeitlichen Verlust hat sie mir verursacht, wie hat mir die Sünde gelohnt, welche Gewissensunruhe hat sie mir bereitet, wie hat sie mir den Frieden Gottes geraubt!? rc.

Ja, „die Sünde gibt den Tod zum Lohn, das heißt ja schlimm gedient.“ Bei dem Herrn aber ist Friede und Freude und liebliches Wesen zu Seiner Rechten immer und ewiglich.

Barmherzig, gnädig, geduldig sein,
Uns täglich reichlich die Schuld verzeih'n,
Heilen, stillen, trösten, erfreu'n und segnen,
Und unsrer Seele als Freund begegnen,
Ist Deine Lust. Amen.

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autoren/s/seckendorff/seckendorff-hausandachten/seckendorff_hausandachten_33_andacht.txt · Zuletzt geändert: von aj
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