Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 18. Andacht.
Klaglieder Jeremiä 3.
Die siebenzehn ersten Verse dieses Kapitels, meine Lieben, lassen uns einen Blick hinein tun in den Zustand einer Seele, die den Herrn Jesum aus den Augen und somit ihren Halt verloren hat, die vom Satan verführt und verblendet, in Klagen und Murren über die Wege des Herrn und Seine Schickungen ausbricht und anstatt den Fehler und die Ursache ihres traurigen Zustandes bei sich zu suchen, den Herrn des Zornes und der Ungerechtigkeit beschuldigt. O, meine Lieben, wir wollen uns doch recht ernstlich prüfen, und uns in dem Spiegel des göttlichen Wortes beschauen, ob wir hierin nicht unser eigenes Bild mehr oder weniger erblicken. Wie oft, wenn der Herr uns mit Leiden heimsucht, lassen wir uns zum Klagen und Murren gegen den Heiland hinreißen, statt Ihm die Hand zu küssen, dass Er uns dadurch zur Selbsterkenntnis und zur Besserung bringen will. Wenn uns der liebe Heiland Leiden und Trübsale zuschickt, hat Er immer Seine weisen Absichten dabei. Es ist Ihm keine Freude, uns züchtigen und heimsuchen zu müssen; wir nötigen Ihn dazu durch unsere furchtbare Verblendung, unser halsstarriges, verkehrtes Wesen und unsere fortgesetzten Sünden und Übertretungen. Er hat einmal geschworen, uns selig zu machen, so darf und will Er nichts unversucht lassen, uns zur Erkenntnis und Umkehr zu bringen; aber bis ein Menschenherz so demütig wird, einzusehen, dass es in manchen Fällen nur selbstverschuldetes Elend ist, das kostet den lieben Heiland viel Mühe, es ist ein hartes Stück Arbeit, und doch kann Er Seine Hilfe nicht früher senden, als bis wir ganz vernichtet, im lebendigsten Gefühl unserer Ohnmacht, bei Ihm, dem allmächtigen, alliebenden und allbarmherzigen Heiland Hilfe, Trost und Gnade suchen. Hochmut, Eigenliebe und Selbstgerechtigkeit lagern sich gleich einer dicken Wolkensäule zwischen uns und dem Heiland und trennen uns von Ihm. Kein Gebet dringt durch diese Sünden-Wolke, sie muss durchaus beseitigt werden. Wir müssen in den Gehorsam des Wortes Gottes eingehen, nach demselben planmäßig beten lernen, ganz und gar uns vernichtigen und den eigenen Willen brechen lassen. Wir müssen zu der festen Überzeugung kommen, dass wir von Rechtswegen Fluch und Verdammnis verdienen, und dass Alles, was wir sind und haben, unverdiente Gnade ist, dass wir selbst gar nichts vermögen, sondern uns Alles schenken lassen müssen, das Wollen und das Vollbringen. Der Herr wirkt Alles, nur müssen wir uns Ihm völlig und unbedingt hingeben und überlassen, auch mit fester aber kindlicher Zuversicht glauben, dass der „Herr wirklich ohne unser Zutun Alles vollbringt.“ Eher wird's bei uns nicht besser, eher kann der Herr uns nicht zu Hilfe kommen, uns heilen und gesund machen an Leib und Seele. Sobald wir aber unser verkehrtes Wesen einsehen, umkehren und uns ernstlich nach Hilfe und Rettung sehnen, strömt auch schon der Friede in's Herz; denn bei dem Herrn ist Friede und Freude im heiligen Geist. In dem Augenblick, wo der Prophet Jeremias zur Erkenntnis gekommen war, dass sein Vermögen dahin sei, kam, nach V. 18, auch sogleich die Hoffnung auf den Herrn in sein Herz, und sein Mund floss, wie vorher in Klagen und Vorwürfen, so nun in Loben und Danken über. V. 22-24. „Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind, Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu und Seine Treue ist groß. Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele, darum will ich auf Ihn hoffen.“ Ach, wenn wir uns mehr in die Liebe und Barmherzigkeit unseres hochgelobten Heilandes versenken würden, könnten wir an der Sünde keine Lust mehr haben und unser Mund und Herz müsste überfließen von Lob und Dank, ja, könnte damit kein Ende finden! Alle Klagen würden verstummen, denn es würde uns genügen, zu wissen, dass unsere Sünden gebüßt und vergeben sind, und wir aus Gnaden selig werden können. Wer das auf's Wort hin glaubt und die Gnade fest ergreift, der hat Vergebung aller seiner Sünden und kann fröhlich rühmen: „Der Herr ist mein Teil.“ Brauchen wir denn mehr zur Glückseligkeit und zum Frieden unsrer Seele als dies? „Wenn ich nur Dich habe. so frage ich nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch, Gott, allezeit meines Herzens. Trost und mein Teil.“ Psalm 73, 25 und 26. Ja, wenn wir uns die Größe dieses Erbarmens recht klar vorstellen, und uns in diesen Abgrund von Liebe und Barmherzigkeit versenken, so können wir auch erhörlicher beten. Wir wissen, die Barmherzigkeit Gottes ist so groß, dass Er uns unmöglich darben lassen kann nach Leib und Seele, und seht, wenn wir dies fest halten beim Gebet, dann haben wir unsere Bitte schon und können im Voraus dafür danken; denn nicht um unseres Gebetes, sondern um Seiner großen Barmherzigkeit willen erhört Er uns. Das heißt planmäßig beten, nämlich, auf's Wort blickend, in der tiefsten Demut und Willenlosigkeit. Dabei müssen wir aber auch geduldig warten, bis es dem Herrn gefällt uns zu erhören, Ihm weder Zeit noch Stunde vorschreiben. „Dein Wille, o Herr, geschehe allezeit!“ Unser Wille muss völlig vernichtet sein. Das geduldige Harren auf die Hilfe des Herrn ist stets von einem Segen begleitet. V. 26: „Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein, und auf die Hilfe des Herrn hoffen.“ Wer es versteht in Geduld des Herrn zu harren, der kann sich vieler seliger Erfahrungen rühmen. Durch Ungeduld und rasches Vorbringen, oder eigenmächtiges Eingreifen, macht man sich unendlich viel Kummer und Herzeleid. Des Herrn Weg ist immer der kürzeste und beste, wenn er uns auch lange dünkt. Ich habe in dieser Beziehung auch schon die verschiedensten Erfahrungen gemacht, wovon ich nur eine von den vielen dieser Art hier anführen will: Als ich mich vor neun Jahren durch die Umstände dazu veranlasst fühlte, mich nach einer eigenen Wohnung umzusehen, wurde mir ein ziemlich großes Landhaus in einem Dorf angetragen, und der Freund, der die Sache zu vermitteln sich erboten, drängte mich zu raschem Entschluss, in der Meinung, es könnte sonst an einen Andern verkauft werden. Ich konnte aber immer keine rechte Freudigkeit dazu bekommen, und stets hieß es in meinem Innern: Wenn ich wartete, würde ich noch etwas viel Besseres bekommen, obwohl der Herr auch dorthin mit mir ziehen würde. Und siehe, jenes Haus ist jetzt noch feil, und ich habe inzwischen ein neues viel größeres und meinen Zwecken besser entsprechendes Haus durch die Gnade des Herrn bekommen. Der Satan ist freilich immer geschäftig, um das Gegenteil von dem Allem glauben zu machen, uns allerlei Zweifel und Unglauben einzuraunen, uns sogar den Trost der Vergebung unsrer Sünden ferne zu rücken. Deshalb gilt's ernstlich zu wachen und zu beten, unverrückt bei dem Herrn stehen zu bleiben, und uns den Plan und die Arglist des Feindes recht klar zu machen. Wer es noch leicht nimmt mit der Sünde, mit dem Kampf gegen die Macht der Finsternis, der wird schwerlich zum Ziel gelangen; und wer einmal weiß, dass etwas Sünde ist und es dennoch tut, dem ist es doppelt Sünde.
Ja, wer einmal die Sünde als Sünde erkannt und die Vergebung seiner Sünde bekommen hat, der möge sich ja hüten, immer und immer wieder in die alten Sünden zu fallen, und dieselben mit Lust zu üben, sonst gilt ihm das Wort der Schrift 2 Petri 2,22.: „Der Hund frisst wieder, was er gespeiet hat; und die Sau wälzt sich nach der Schwemme wieder im Kot.“ Straucheln und fallen können wir immer, so lange wir noch auf dieser Erde wandeln und diese sündige Natur an uns haben, nur müssen wir dann gleich nach dem Fall uns wieder in's Meer der Barmherzigkeit Jesu werfen, uns Vergebung der Sünden erflehen, und um so eifriger um Überwinderskräfte bitten; ja nicht lass1) und träge oder gar sicher werden; denn die Macht der Finsternis ist groß, und der Satan furchtbar geschäftig, uns zu betören und irre zu führen. Ach, wir wollen uns doch recht ernstlich prüfen, wie es bei uns steht, ob wir in Trägheit und Sicherheit dahinträumen zu einem schrecklichen Erwachen in der Ewigkeit; oder stehen wir auf dem Felsen Jesus, der nicht wankt? Sind wir von Seiner Gnade umgeben? Leben, weben und sind wir in Ihm, dem Hochgelobten? Wer noch nicht auf festem Grund steht, der möge bedenken, was zu seinem Frieden dient, heute noch umkehren und sich in's Erbarmen Jesu werfen, „weil Christi Blut beständig schreit: Barmherzigkeit, Barmherzigkeit!“ Darum: „Heute, so ihr Seine Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht.“ P. 94,7-8.
V 42. heißt es: „Wir, wir haben gesündigt und sind ungehorsam gewesen, darum hast du unser billig nicht verschonet.“ Ja, der Herr sucht die Sünden der Väter heim an den Kindern oft bis in's dritte und vierte Glied; wir aber müssen auch unter dem Gericht Seine Gerechtigkeit und Liebe erkennen, dass Er uns nicht auf unseren eigenen Wegen dahin gehen lässt. Er wendet Alles an, um uns von dem Irrweg wieder auf die rechte Bahn zu bringen. Da gilt es nun aber zu wachen und zu beten, damit wir des Herrn Wege und Seine Sprache verstehen und Ihm nicht so viele Mühe machen durch unser Widerstreben. Ich lernte vor vielen Jahren eine sehr begabte und talentvolle Person kennen, die, mit Wunden am ganzen Körper bedeckt, zu mir kam. Sie wurde mit dem Heiland bekannt und suchte nun ernstlich in Seine Liebe einzubringen. Von Stund an besserte sich ihr ganzer Zustand, die Wunden heilten und nach wenigen Monaten war ihr körperliches Leiden vollständig gehoben. Aber diese Seele blieb dem Heiland nicht treu, sie konnte seine große Liebe nicht ertragen, sie wurde hochmütig, gewann die Welt wieder lieb und wurde so dem Herrn immer mehr entfremdet. Aber die Folgen waren entsetzlich: Der Herr suchte sie nun wieder mit ernsten Gerichten heim. Nach fünf Jahren trat das alte Leiden wieder auf; auch die Wunden am Körper stellten sich wieder ein; ich warnte sie mit ernster Liebe mündlich und schriftlich, allein die Arme hörte nicht mehr darauf. Der Herr aber vermehrte ihr Leiden so sehr, dass ihre Gestalt, mit Wunden bedeckt, an den armen Lazarus erinnerte. Tat man einen tieferen Blick in ihre traurigen Verhältnisse, so bekam man den tiefsten Eindruck davon, dass ihre ganze Familie unter dem Gericht Gottes stehe. Diese Seele war ohne Frieden, ihr Leib war durch und durch krank und mit demütigenden Wunden bedeckt; dazu war sie mittellos, und die Glieder ihrer Familie lebten in Hader und Zwietracht untereinander. Seht hieraus, ihr Lieben, den tiefen, heiligen Ernst des Herrn; Er muss uns oft schwer heimsuchen, weil wir Ihn nicht hören und verstehen wollen. Nun geriet diese begabte Person in immer größere Ungerechtigkeiten durch das Murren wider den Herrn; Er nahm ihr nun auch noch ihren schönen Beruf. Er trat ihr immer wieder in den Weg, allein sie verstund Seine Sprache nicht; und so ist der Weg dieser Seele noch bis auf den heutigen Tag eitel Unfall und Herzeleid. O lasst es euch zur Warnung dienen! So oft ich an das Schicksal dieser Seele denke, macht es mir einen tiefen, bleibenden Eindruck, scharf und genau gegen mich selbst zu sein und mir nichts zu erlauben, wodurch ich das Gericht des Herrn heraus fordere. Das wollen wir tief in unsere Herzen graben und Sein Antlitz suchen, Jesum den Gekreuzigten nimmer aus den Augen lassen, bis wir völlig genesen sind. Auf Ihn allein wollen wir unser ganzes Vertrauen setzen, jetzt und allezeit. Lasst uns in Seiner Gerechtigkeit und Liebe wandeln, bis Er uns ganz durchdrungen hat, damit wir Ihn einst schauen dürfen von Angesicht zu Angesicht. Ja, ihr Lieben, Seine Wahrheit leite uns bis in alle Ewigkeit. Wir wollen in den schönen Vers einstimmen:
„Dein Auge leite meinen Gang, Dass ich nicht irre geh! Und bleib mir nah mein Leben lang, Bis ich Dich ewig seh!“
Amen.