Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 16. Andacht.

Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 16. Andacht.

1 Buch Mose 18.

Wir lesen hier wieder von einer persönlichen Begegnung und Unterredung des Herrn mit Abraham. Wären Abrahams innere Augen nicht geöffnet gewesen, so hätten auch seine leiblichen Augen unmöglich den Herrn samt Seiner Begleitung sehen können. Und warum waren seine geistigen Augen geöffnet? Weil er einen lebendigen Glauben hatte, von Herzen demütig war und vor den Augen Gottes unsträflich wandelte. Wie vieles Derartiges könnten auch wir, meine Lieben, erfahren, wenn wir uns unsere geistigen Augen öffnen ließen und so in der Furcht des Herrn wandelten. Zwar hört man immer sagen: Der Herr rede nicht mehr persönlich mit uns, allein, so gut dies der Fall war nach der Auferstehung des Herrn, was die von mir selbst nachgeschlagene Stelle beweisen; ebenso gut geschieht es auch jetzt noch, was ich mit vielen Beispielen aus meinem Leben bekräftigen könnte. So erzählte mir neulich ein sehr frommer, erleuchteter Mann, dass am Krankenbettchen seines fünfjährigen Kindes, das er durch den Tod verloren, Scharen heiliger Engel gelagert gewesen seien, was nicht nur die fromme Wärterin des Kindes, sondern auch die Eltern deutlich gesehen haben, worauf ihnen der Tod des Kindes zur völligen Gewissheit geworden. Dieser heilige und selige Genuss wäre diesen Leuten auch nicht zu Teil geworden, wenn ihre geistlichen Augen nicht geöffnet gewesen wären. Mit unseren leiblichen Augen sehen wir freilich den Herrn selbst nicht mehr, wie jener liebe Dichter so schön sagt:

„Wir seh'n dein freundliches Angesicht,
Voll Huld und Gnade, wohl leiblich nicht,
Aber unsre Seele kann's schon gewahren,
Du kannst dich fühlbar gnug offenbaren
Auch ungesehn!“

Ebenso vernehmen wir Seine heilige Stimme auch nicht mehr mit unseren leiblichen Ohren; es gibt aber eine innere Stimme, die ein Mensch, der in Jesu bleibt, als die Stimme seines guten, treuen Hirten wohl erkennen und verstehen kann. Wer ein geistliches Ohr hat, der vernimmt heute noch die Stimme des Herrn, wenn er still einkehrt in sich selbst und bei Jesu bleibt. Sonst müssten wir ja die Väter des alten Bundes beneiden, die mit Gott dem Vater durch Jesum redeten: Die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob, Moses, Elias und andere. Nein, wir haben es im neuen Bund noch viel leichter, mit dem Herrn in Verkehr zu treten, mit Ihm zu reden und Seine holde Hirtenstimme zu vernehmen. Wie manche Erfahrung durfte ich hievon während meines Lebens machen, nicht bloß im Geistlichen, sondern auch im Leiblichen. So wünschte ich vor vielen Jahren einmal ein Zylinderührchen zu besitzen, kam aber nie recht dazu, mir ein solches zu kaufen, weil ich es immer für unnötig hielt. Da geschah es einst, als ich noch in Stuttgart wohnte, dass ich, durch die Gartenstraße auf den alten Postplatz gehend, deutlich eine innere Stimme vernahm: „Gehe in jenen Laden, dort habe ich eine Uhr für dich.“ Es war zwar längst mein Wunsch gewesen, eine Damenuhr zu besitzen, allein in diesem Augenblick dachte ich am wenigsten daran, da ich gerade eine größere Reise im Sinn hatte. Auf diese Stimme hin erwiderte ich: „Das ist ja gar kein Uhrenladen, und überdies kann ich jetzt kein Geld hierfür ausgeben.“ Abermals hieß es in mir: „Gehe in jenen Laden, dort habe ich eine Uhr für dich.“ Nach dreimaligem Widerstreben folgte ich dieser inneren Stimme; ich trat in den bezeichneten Antiquitäten: laden ein und frug nach einer Taschenuhr, obgleich eine solche nicht ausgelegt war. Der Besitzer des Ladens erwiderte hierauf, dass er zufällig zwei Uhren habe, indem er mir dieselben zeigte. Die eine derselben, ein wunderniedliches schwarz emailliertes Damenührchen, trug in der Mitte ein deutsches S, den Anfangsbuchstaben meines Namens, mit Brillanten eingelegt, und deutlich vernahm ich jene innere Stimme: „Dieses Ührchen kaufe.“ Ängstlich frug ich nach dem Preis, welchen der Eigentümer auf 30 Gulden festsetzte. Alsbald ging ich mit der Uhr zu meinem in der Nähe wohnenden Uhrenmacher, welcher mir sagte, dass dieselbe einen Wert von 90 Gulden habe, sie laufe in Brillanten und sei ein vorzügliches Werk. Ich schloss nun sogleich den Kauf ab und besitze jetzt schon seit 16 Jahren eine ausgezeichnete Uhr. War nun das nicht die Stimme des Herrn, der Seinen Kindern ja immer so gerne Freude bereiten möchte? O, wäre unser geistliches Ohr mehr geöffnet und unser Herz mehr in der Stille vor Ihm, wir würden die treue, liebende Hirtenstimme Jesu oft, sehr oft hernehmen dürfen zum Wohl und zur Freude Leibes und der Seelen. Ach, um wie vielen Genuss bringen wir uns schon in diesem Leben! Dieser Tage las ich in der von Hausvater Ruhmer herausgegebenen Zeitschrift „Wächter“ eine wahre Geschichte, durch welche die von mir oben mitgeteilte Erfahrung, dass wir die Stimme Jesu, des treuen Hirten, noch jederzeit vernehmen können, bestätigt wird, weshalb ich dieselbe hier mitteilen will. Jenes Blatt schreibt: „Vor noch nicht langer Zeit wurden in einem westfälischen Dorf einem Schäfer während seiner Abwesenheit zwei seiner besten Schafe von der Weide entführt. Nicht lange nach der Wiederkehr zu seiner Herde bemerkte er den Diebstahl. Blitzschnell fuhr ihm der Gedanke in's Herz: „Das hat Niemand anders getan als der Schäfer N. an der andern Seite des Dorfes.“ Er besprach sich nun nicht lange mit Fleisch und Blut, sondern ging sogleich zu dem Ortsvorsteher und teilte diesem die ganze Angelegenheit mit, indem er dabei ganz scharf bemerkte, dass kein anderer als jener N. der Täter sei. „Jakob,“ warnte der Beamte, „das behaupte nur nimmer, das könnte dir schwierige Folgen zuziehen, denn du hast es ja nicht gesehen.“ „Das ist mir ganz eins, meinte der Schäfer, ich lasse es darauf ankommen. Gehen Sie nur einmal mit mir, wir wollen den Ort aufsuchen, wo mein Kollege hütet, dann will ich pfeifen, und passen Sie auf, ob mich meine Schafe nicht verstehen. Nach einigem Zögern ging der Ortsvorsteher mit, und als sie nicht mehr gar weit von der Herde des Kollegen entfernt waren, pfiff der Schäfer Jakob aus Leibeskräften. Und siehe da, auf einmal streckten zwei Schafe von der ganzen Herde die Köpfe in die Höhe und blökten ihr bekanntes: Mäh! Mäh! Voll Freude schrie nun der glückliche Schäfer dem Beamten entgegen: „Sehen Sie es nun, Herr Bürgermeister, dass mich meine Schafe kennen und dass sie hier sind!“ „Es ist aber doch eine ganz merkwürdige Sache mit dir Jakob,“ meinte dieser. Voll Scham und Verlegenheit musste nun der Kollege seinen Diebstahl herausgeben und dabei froh sein, dass ihn der Jakob nicht verklagte. Der Ortsvorsteher glaubte aber jetzt entschieden, dass die Schafe ihres Hirten Stimme kennen. Und wir, wir wollten nicht glauben, dass Jesu Schafe Seine Stimme kennen sollten? Joh. 10. V. 27. Wie beschämen uns oft die unvernünftigen Tiere!

Ach! um wie viel Genuss und Segen bringen wir uns selbst durch unseren Hochmut, Unglauben, Kleinglauben usw., durch unser halsstarriges Wesen, das sich nicht brechen und durchleuchten lassen will. Wo der lebendige Glaube nicht ist, durch welchen wir Früchte der Gerechtigkeit bringen können, da ist viel Sünde und viel Unlauterkeit; denn aus dem Unglauben entspringt eine Sünde um die andere. Das sehen wir an Sarah. Sie konnte der Verheißung, dass sie einen Sohn gebären solle, nicht gleich Glauben schenken, und lachte. Vom Herrn darüber zu Rede gestellt, leugnete sie es, und kam so von einer Sünde in die andere. Der Herr aber, der im Grunde ihres Herzens doch etwas Gutes ja, stärkte ihren Glauben und erfüllte Seine Verheißung dennoch an ihr. So geht es auch bei uns, meine Lieben, was unsere Vernunft nicht erfassen kann, das können wir gar schwer glauben. Wir trauen dem Herrn, dem allmächtigen Gott und Vater immer zu wenig zu, und bereiten uns dadurch ein sehr schweres Leben. Abraham hat zweifellos geglaubt, und so schon viele kindliche Seelen, die in der Demut wandelten. Denn je vernichteter wir sind, desto felsenfester und lebendiger ist unser Glaube; und je demütiger wir sind, desto dreister können wir mit dem Herrn reden, und desto gewisser werden wir erhört. Natürlich dürfen wir nichts für die Eitelkeit, und keine solchen Dinge erbitten, die dem Herrn zuwider sind; aber im Übrigen werden wir Alles bekommen, was wir bitten, so wir glauben und im Namen Jesu bitten. Wir haben die Verheißung, und darauf dürfen wir uns felsenfest verlassen. „Alles ist euer,“ heißt es 1 Kor. 3,22., und in Philipper 4, 13. „Ich vermag Alles durch Den, der mich mächtig macht, Christus.“ Wie dreist konnte Luther, der Gottesmann, vor den Herrn treten und sagen: „Ich wollte nicht, dass Du mir dies und das verweigertest.“ Und ein andermal: „Ich rieb dein Herrn die Ohren mit allen Seinen Verheißungen. rc.“ Aber Demut gehört vor Allem dazu. In welch' hohem Grad besaß sie Abraham, dass der Herr ihm die große Verheißung unverhohlen in's Gesicht sagen konnte. Vers 17 bis 19 heißt: „Wie kann ich Abraham verbergen, was ich tue? Sintemal er ein großes und mächtiges Volk soll werden und alle Völker auf Erden in ihm gesegnet werden sollen. Denn Ich weiß, er wird befehlen seinen Kindern, und seinem Hause nach ihm, dass sie des Herrn Wege halten und tun, was recht und gut ist; auf dass der Herr auf Abraham kommen lasse, was Er ihm verheißen hat.“ Diese herrliche Verheißung gilt nicht nur dem Abraham, sondern Allen, welche wandeln in den Fußstapfen des Glaubens Abrahams. Auch wir können ein groß und mächtig Volk werden, wenn wir uns durch den heiligen Geist vollenden lassen, und dann auch Andern den Weg zum wahren Leben weisen. Wir dürfen uns das Vorbild Abrahams nicht bloß als ein schönes Gemälde denken, sondern müssen ihn als lebendiges, nachahmungswürdiges Muster ansehen. Wenn wir so fest am Herrn bleiben, so demütig, so glaubensstark, so treu und gehorsam wie Abraham, dann werden wir dieselben herrlichen Erfahrungen machen, wie er, und uns aller Verheißungen des alten und neuen Bundes getrösten dürfen. Welch herrliches Beispiel fürbittender Liebe gibt uns Abraham in diesem Kapitel, als ihm der Herr das Strafgericht ankündigte, das Er über Sodom und Gomorra kommen lassen wolle. Wie bat er immer und immer wieder den Herrn, der Städte zu schonen um der Gerechten willen, die darin sein könnten, und wenn ihrer auch nur Zehn wären. Der Herr in Seiner großen Erbarmung ließ sich immer und immer wieder erbitten, und versprach ihm, ihrer zu schonen, wenn er nur zehn Gerechte darin fände. Wie tief blicken wir da hinein in das Liebesherz des Herrn, unseres Gottes. Muss nicht, wenn wir uns in diesen Abgrund von Liebe und Erbarmen hineinversenken, unser Herz schmelzen? Wir wollen das doch fleißig tun, denn allein durch diese Liebe kann die Eisrinde, die die Sünde um unser Herz gezogen, erweicht werden; dann können wir unmöglich noch eine Lust an der Sünde haben. Wir müssen dem Heiland zu Füßen fallen und Seine Gnade und Liebe mit Freuden ergreifen. Wir wollen uns aber auch durch Abrahams Beispiel locken lassen, gleich ihm unserer Mitbrüder in fürbittender Liebe zu gedenken und besonders uns vereinigen, den Herrn zu bitten, dass Er uns doch mit Seiner Gerechtigkeit bekleiden und die Strafgerichte, die uns bevorstehen, noch nicht so schnell hereinbrechen lassen möge, sondern nach Seiner großen Barmherzigkeit und Treue dieselben verzögern, und noch mehr Zeit zur Buße und Umkehr geben wolle. Ach, das Erbarmen des Herrn hat kein Ende, und Er schont so gern! So wollen wir doch nicht ablassen mit Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung, bis wir vor seinem Thron stehen, und Ihn anbeten, loben und preisen dürfen in alle Ewigkeit. Amen.

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