Scriver, Christian - Dritte Predigt. Von der Würde der Seele in Ansehung ihrer Erlösung.

Scriver, Christian - Dritte Predigt. Von der Würde der Seele in Ansehung ihrer Erlösung.

Eingang. Im Namen Jesu. Amen!

Der Herr ist reich über Alle, die Ihn anrufen. - Das Gebet des Gläubigen ist bisweilen so arm, er kann in den größten Nöthen kaum etliche Seufzer hervorbringen, und in der Herzensangst blickt der Mensch blos auf zu seinem Gott, wie das Kind in seinem Jammer zu seinem Vater; der Herr aber zeigt sich dennoch reich über Alle, die Ihn anrufen, und thut mehr, als wir bitten und verstehen. Oft bitten wir nicht; denn wir verstehen nicht, was uns gut ist, und Gott thut mehr, als wir bitten, wie man an den kleinen Kindern sieht, die nicht wissen, wie und was sie bitten sollen, und doch täglich die Güte ihres Gottes erfahren. Oft verstehen wir es wohl und bitten doch nicht, wie man an uns Alten wahrnimmt, die wir uns im Zeitlichen so viel zu thun machen, daß wir das rechte, herzliche Gebet darüber vergessen und meinen, wir wollen Alles mit unsern Sorgen, mit unserem Laufen und Rennen erlangen. Gott aber hat mit unserer Schwachheit Geduld und führt wider Vermuthen Alles so wunderbar und herrlich hinaus, daß wir sehen müssen, Er habe mehr gethan, als wir gebeten und verstanden haben. - Gott ist reich, entweder für uns oder für sich selbst. Für uns hat Er verschiedene Schätze und großen Reichthum. Himmel und Erde ist sein, mit Allem, was darin ist; darum wird Er auch seine Kinder versorgen können, die Ihn um ein Stücklein Brod bitten. Wir dürfen deßhalb nicht traurig seyn, sondern unserem reichen Vater im Himmel vertrauen, Er wird uns nicht verlassen, noch versäumen. Doch sollen wir uns genügen lassen, und mit der Austheilung zufrieden seyn; denn Er muß manchmal seine liebsten Kinder in der Welt hart halten, damit sie nicht in Ueppigkeit gerathen und arm werden an der Seele. - Ferner hat Gott auch geistigen Reichthum, - mancherlei Gaben und Güter, womit Er die Seele bereichert. Er hat Güte, Geduld, Langmuth, und der Reichthum seiner Gnade ist überschwänglich. Bei uns ist viel Sünde, und bei Ihm viel Vergebung, ob Er gleich täglich viel Sünden vergiebt, so wird doch der Schatz seiner Gnade nicht erschöpft, und Er wird des Erbarmens nicht müde. Wir finden Gnade, so oft wir dieselbe mit bußfertigem Herzen suchen, und auch Andern, die nach uns kommen und dieselbe verlangen, wird es nicht daran mangeln. Dahin gehört auch der unerforschliche Reichthum Christi, von welchem Paulus spricht: Zeitlichen Reichthum und irdische Schätze hat Jesus nicht gehabt und bat sie auch nicht begehrt; aber Er ist reich an Liebe, Güte, Freundlichkeit und Sanftmut!), reich an Gerechtigkeit, Weisheit und Heiligkeit, reich an Friede, Freude und Trost im heiligen Geist, reich an allerlei Gnadengaben, die er unter seinen Heiligen austheilt. - Ach, Herr Jesu, laß mich dieses deines Reichthums auch theilhaftig seyn und bleiben, so genüget mir, mache mich reich an der Seele, so habe ich genug hier, und dort ewiglich. - Endlich hat unser Gott auch himmlischen Reichthum. „Wie groß ist Deine Güte, die Du verborgen hast denen, die Dich fürchten! Sie werden trunken von den reichen Gütern Deines Hauses, und Du tränkest sie mit Wollust, wie mit einem Strom.“ Seyd getrost, ihr Christen! der ganze Himmel ist für uns, wir haben noch nicht, was wir erhalten sollen, wir haben aber das Recht und den Zugang zu allen Schätzen und Seligkeiten.. Wir sind Kinder und Erben Gottes, Miterben der Seligkeit unsers Erlösers Jesu Christi: doch können wir zu dem völligen Besitz solcher Güter nicht gelangen, bis auf die bestimmte Zeit. Lasset uns also nicht sagen, daß wir arm seyen; denn wir sind reich in Gott, und der Himmel ist unser. - So ist nun zwar Gott reich, doch für uns, Er selbst mit aller seiner Gnade, Güte, Liebe, Allmacht, Weisheit, Gerechtigkeit und Seligkeit gehört uns zu. Worin besteht aber sein eigener Reichthum, den Er für sich selbst hat? Ich wüßte nichts, dessen sich Gott rühmen sollte, als der Seelen der Menschen. Die Menschen halten sich für reich, wenn sie viel Gold und Silber haben. Gott aber, wenn Er viel Seelen hat, die Ihn für ihren Gott erkennen und seine Güter im Glauben genießen. Und wie die Menschen sich nach irdischen Schätzen sehnen und sie eifrig bewahren, so, sehnt sich Gott nach den Seelen, Er sucht sie mit eifriger Liebe, bewahrt sie mit herzlicher Treue und schätzt sie über Alles. Wahrlich, kein Mensch in der Welt wird um der zeitlichen Güter willen so viel thun, als Gott um der Seelen willen gethan hat und noch thut. Er hat seinen Sohn in die Welt gesandt, nicht Gold oder Silber zu sammeln, nicht ein Königreich einzunehmen, sondern die Sünder selig zu machen. Darum sagte Jesus: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel Nester; des Menschen Sohn aber hat nicht, wo er sein Haupt hinlegen kann.“ Er begehrte es auch nicht, wenn Er aber eine Seele gewinnen konnte, so vergaß Er Essen und Trinken darüber, vergaß sich selbst zuletzt und gab sein theures Blut zum Lösegeld dahin. Wie hoch ist also die Seele zu schätzen! Lasset uns dieß weiter ausführen, und Gott heilige und segne unsere Betrachtung um des Herrn Jesu willen. Amen.

Abhandlung.

Will man den Werth einer Sache wissen, so muß man unwissende und unerfahrene Leute nicht darüber fragen. Ein Ungelehrter weiß ein gutes Buch nicht zu schätzen, so wenig als der gemeine Mann über Edelsteine, der Bauer über die Kunst urtheilen kann. Daher verkaufte auch jener Schweizer den kostbaren Diamant des Herzogs von Burgund, der in der Schlacht gefallen war, um einen Gulden. Wollen wir also wissen, was die unsterbliche Seele des Menschen werth sey, so dürfen wir die Kinder dieser Welt nicht fragen, sie wissen dieses Kleinod nicht zu schätzen, sie kennen sich selbst nicht. Von dem Herrn Jesu laßt uns lernen, welcher sagt dieselbe sey mehr werth, als die ganze Welt, und es sey nichts unter den irdischen Dingen, das der Mensch als ein Lösegeld für sie geben könne. Lasset uns hören, was der ewige Sohn Gottes um ihretwillen geredet, gethan und gelitten hat. Er kam vom Himmel auf die Erde, und hat sich in unser Elend herabgelassen, wie wir singen: Sey Willkomm, Du edler Gast! Den Sünder nicht verschmähet hast; Du kommst in's Elend her zu mir, Wie soll ich immer danken Dir?

O welch' hohen Preis muß also im Himmel die menschliche Seele haben, da um ihretwillen Jesus sich so tief erniedrigt und in das menschliche Elend herabgelassen hat! Der Sohn Gottes hat den Leib der Jungfrau nicht verschmäht, um die Seelen der Menschen zu suchen; denn weil das Verderben der Seele in Mutterleib angeht, so hat Jesus auch daselbst ihre Reinigung und ihr Heil zu wirken anfangen wollen. Er wurde in einem Stalle, oder in einer Höhle geboren. Was machte aber dieß göttliche Kind in der finstern Höhle? Es sucht die Seelen der Menschen. Wie schön vergleicht sich Jesus selbst mit einem Weibe, die einen Groschen verloren hat und denselben sucht, bis daß sie ihn findet. Wenn man etwas verloren hat, so muß man sich nicht schämen, dasselbe an allen Orten zu suchen. Wenn aber an einem Hofe nicht blos die vornehmsten Diener, sondern auch der Königssohn selbst etwas mit großem Eifer suchen würde, könnte man nicht daraus schließen, daß ein kostbares Kleinod verloren gegangen seyn müsse? Folglich müssen die Seelen der Menschen sehr hoch geachtet seyn, da der König aller Könige sich herabließ, um sie zu sich zu rufen und selig zu machen. - Das Wort ward Fleisch; sagt Johannes, der Jünger der Liebe. Der ewige Sohn Gottes wollte unter den Menschen eine Zeit lang wohnen, mit ihnen reden und umgehen. Er glich, wie er selbst in einem Gleichniß andeutet, einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und da er eine kostbare Perle fand, Alles verkaufte, was er hatte, und dieselbe kaufte. Jesus hielt sich eine Weile in der argen Welt auf, und sein Geschäft war: Seelen zu gewinnen, die er über alle Perlen schätzte, sich aller Dinge begab und endlich sein theures Blut daran gewagt hat. Er, der Erlöser, ist unendlich theuer und werth, das Lösegeld ist mit nichts in der Welt zu vergleichen, folglich muß auch das, um was es zu thun war, - die menschliche Seele, im Himmel hoch geachtet seyn. - Das Wort wohnete unter uns, bezieht sich aber auch auf die Stiftshütte des alten Testaments. Da Gott sein Volk, das Er sich zum Eigenthum erwählt hatte, ehren wollte, so ließ Er seine Wohnung unter demselben aufrichten. Darum heißt es: „Ich will meine Wohnung unter euch haben, und Meine Seele soll euch nicht verwerfen, ob ihr wohl ein sündiges Volk seyd, und will unter euch wandeln. Ich will mit euch umgehen wie ein vertrauter, lieber Freund, will um und bei euch seyn, euch heiligen, segnen, leiten, regieren und bewahren; will euer Gott seyn und ihr sollt mein Volk seyn.“ Alles dieß aber ist nur ein Vorbild auf Christum gewesen, dessen heiliger Leib ein Tempel war, darin die Fülle der Gottheit wohnte. So hat nun Gott unter den Menschen gewohnt, nicht in einer vergänglichen Hütte, sondern in seinem Fleische, und hat sich mit vielen Wundern seiner Allmacht, Weisheit und Liebe herrlich unter ihnen gezeigt, daß wir Menschen keine größere Ehre haben können, als diese, und voll Verwunderung ausrufen: „Ach Herr, was ist der Mensch, daß Du sein so gedenkest, was des Menschen Kind, daß Du Dich seiner also annimmst“ - Es war dem Herrn Jesu wirklich um die Seelen der Menschen zu thun, das zeigte sich gleich bei seinem Eintritt in die Welt. Die Liebe läßt sich nicht lange verbergen. Als Jesus, der Menschenfreund, in die Welt gekommen war, mußten es seine Engel den Hirten alsbald kund thun, damit sie zu seiner Krippe eilen möchten. Diese freuten sich sehr, daß sie endlich den Trost aller Heiden und den Preis des Volkes Israels sahen. Jesus hatte seine Freude an den Hirten, und es war seine erste Lust, die er in der Welt hatte, daß er Menschen sah, deren Seelen er selig machen sollte; daran war es aber nicht genug, sondern ein außerordentlicher Stern mußte es auch den Weisen im Morgenland anzeigen, daß auch sie herbeikamen. Von ihm war geweissagt: „Es ist ein Geringes, daß Du mein Knecht bist, die Stämme Jakob aufzurichten und das Verwahrloste in Israel wieder zurecht zu bringen; sondern ich habe Dich auch zum Licht der Heiden gemacht, daß Du seyest mein Heil bis an der Welt Ende.“ -Sehet die große Menschenliebe Gottes! Er achtete es viel zu gering für seine Güte, daß er blos das Volk Israel zu seinem Reiche berufen ließ, er wollte auch den Heiden insgesammt die Seligkeit anbieten lassen. Ebenso war auch das Herz Jesu beschaffen, ihm genügte nicht, daß er die Erstlinge der Juden an seiner Krippe sah, er wollte auch die Heiden zu sich ziehen. Sie thaten ihm zwar ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhen; ihr bestes und liebstes Geschenk aber war ihr Herz und ihre Seele, die er mit großer Freude annahm als die Erstlinge aller Heiden, die durch sein theures Verdienst die Seligkeit erlangen sollten. - Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, sprach er, als er ein Mann war; mich dünket, als höre ich ihn, da er noch ein Kind war, aus seiner Krippe rufen: Lasset die Menschen zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn ihretwillen bin ich in die Welt gekommen und ein Mensch geworden. Das Gleiche nimmt man bei seiner Darstellung im Tempel wahr. Den alten Simeon, der sehnlich auf den Trost Israels hoffte, trieb der heilige Geist, daß er zur nämlichen Zeit in den Tempel kam, als das Kind Jesus dahin gebracht wurde. Nun ging es dem alten Manne wie einem Dürstenden, der, wenn er zur Quelle kommt, so hastig trinkt, als wolle er dieselbe ganz ausschöpfen. Er sah nicht nur, was er so sehnlich verlangt hatte, sondern er nahm auch den Heiland der Welt auf seine Arme, lobte Gott und wünschte nichts mehr, als aufgelöst zu seyn und im Frieden zu schneiden. Ein herrliches Beispiel des Glaubens, welcher Jesum so ganz als sein Eigenthum betrachtet, wie wenn sonst Niemand in der Welt wäre, dem er zugehörte, - ein Beispiel der größten Zufriedenheit, die sonst nichts mehr, weder im Himmel, noch auf Erden begehrte, als Jesum zu haben, und ihn zu behalten. Solche Freude ward dem Simeon in seinem ganzen Leben nicht zu Theil, und er würde sie nicht um die ganze Welt hingegeben haben. Jesus lag aber auch nicht leicht sanfter, als in den Armen dieses Greises, welcher zugleich eine Probe von dem gab, was so viele Tausende nach ihm thun werden, indem sie den Herrn in ihre Glaubensarme ,fassen, in ihr Herz schließen, und für den höchsten Schatz ihrer Seele halten. Während Simeon das höchste Kleinod der Welt auf seinen Armen hielt und Jedermann mit Freuden zeigte, trat auch die alte Hanna hinzu, nahm Theil an dieser Freude und fieng an, Gott zu preisen; damit Viele kämen und das holde Kind gleich anfangs recht viele Seelen um sich sehen möchte, wie geschrieben steht: „Meine Lust ist bei den Menschenkindern.“ -

Wie werth dem Herrn Jesu die Seelen der Menschen gewesen seyen, sehen wir weiter aus der Betrachtung seines heiligen Lebens und Wandels. Doch können wir nicht Alles anführen, sondern machen es, wie Einer, der in einen Garten kommt, und dort nur einige Blumen zu seinem Vergnügen sammelt und mit sich nimmt. - Da Jesus in seinem zwölften Jahre mitten unter den Lehrern im Tempel war, ihnen zuhörte und sie fragte, kommt er mir vor, wie ein junger Baum, der frühzeitig seinen Gärtner mit Blüthen und Früchten erfreut. Der Baum des Lebens blühte zeitig, und der Herr zeigte sein eifriges Verlangen, der Welt den Willen seines himmlischen Vaters kund zu thun. Schon damals regte sich in seinem Innern der Gedanke: „Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer (der Liebe zwischen Gott und den Menschen) anzünde, was wollte ich lieber, als brennete es schon? Aber ich muß mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollendet werde“ - Beim Antritt seines heiligen Amtes wurde er vom Geiste in die Wüste geführt, daß er vom Teufel versucht würde. Was machte er in der Wüste? Er bereitete sich mit Fasten und Beten zu seinem Vorhaben, das die Seelen der Menschen und ihre Seligkeit anging, und machte den Anfang damit, daß er durch sein Wort den Seelenfeind überwand, damit seine Gläubigen künftig mit mehr Freudigkeit wider dessen listige Anläufe bestehen möchten. Er ging am galiläischen Meere auf und ab, nicht um zu fischen, sondern um Gehülfen zu erwählen, die, beseelt durch seinen Geist, mitwirken sollten, um Seelen zu sahen. Daher rief, er: „Folget mir, ich will euch zu Menschenfischern machen“ Er durchwanderte das ganze jüdische Land und näherte sich auch den Grenzen der Heiden, er lehrte allenthalben, that Wunder und ließ sich keine Mühe verdrießen, nur um Seelen zu gewinnen und selig zu machen. -

Einst kam er in die Gegend von Tyrus und Sidon, um auszuruhen von seiner Arbeit, besonders aber auch, um sein Verlangen nach der Bekehrung der Heiden zu bezeugen und sein Licht leuchten zu lassen in ihrer Finsterniß. Er sah die Noth eines Weibes, die genöthigt war, seine Hülfe zu suchen, er kam ihr auf halbem Wege entgegen, damit sie ihn nicht weit zu suchen hätte; denn er wollte diese Gelegenheit, eine Seele zu gewinnen, nicht aus den Händen lassen. -

Gleich anziehend ist seine Unterredung mit dem Weibe aus Samaria. Als nämlich Jesus von der Reise müde, hungrig und durstig war, setzte er sich an einen Brunnen; seine Jünger aber gingen in die Stadt (Samaria), um Speise zu kaufen. Unterdessen kam ein Weib, um Wasser zu schöpfen, der Heiland ließ sich mit ihr in ein Gespräch ein, und vergaß darüber Hunger und Durst, um ihre Seele zu retten und dadurch noch andere zu gewinnen. „Meine Speise ist die, sagte er, daß ich thue den Willen dessen, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk.“ - Sehet, ihr Christen, wie lieb eine Seele dem Herrn Jesu war. Er ließ sich keine Mühe verdrießen, und setzte Alles bei Seite, wenn er nur den Menschen zur Seligkeit führen konnte. - Nikodemus kam bei Nacht zu Jesu und wurde nicht abgewiesen. Er ließ sich die Ruhe stören; denn es betraf eine Seele, und diese zu gewinnen, wollte er gerne eine Nacht wachen, wie er ja sonst einige Nächte im Gebet zubrachte und besonders in der letzten Nacht nichts anders that, als daß er für die Seelen der Menschen sorgte, rang und betete. - Als er auf einer Reise nach Jericho von dem Zachäus, einem Obersten der Zöllner, hörte, daß ihn derselbe gerne sehen wolle (weßhalb jener auch auf einen Maulbeerbaum gestiegen war), empfand sein liebreiches Herz bald Verlangen nach diesem Sünder, und er kehrte bei ihm ein. Obgleich die meisten seiner Begleiter sich darüber wunderten und mehrere sogar murrten, daß er bei einem bekannten Sünder einkehre, ließ er sich doch nicht irre machen, sondern freute sich darüber, daß er eine Seele gewonnen hatte. „Des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“ - Ach liebster Jesu! wie tröstlich ist es, daß Du die Sünder und ihr Haus nicht verschmähst! Ach kehre doch auch bei mir ein! Du weißt, daß sich meine arme Seele herzlich nach Dir sehnt! - Wie liebreich behandelte der Heiland seinen ungläubigen Jünger Thomas; er kam mehrmals zu den Seinigen, bis er denselben fand, und als er ihn gefunden hatte, that er, was Jener verlangte, um ihn für sich zu gewinnen. Er reichte ihm Hände und Füße, zeigte ihm die durchstochene Seite und rief: „sey nicht ungläubig, sondern gläubig.“ Nicht ohne Ursache also hatte sich der Herr mit einem Hirten verglichen, der hundert Schafe hat, und wenn er eines davon verliert, die andern so lange in der Wüste lässet und dem Einzigen nachgeht, bis daß er es findet. Es sucht ja auch eine Jungfrau, wenn ihre Perlenschnur zerreißt, so lange, bis sie jede einzelne Perle wiederfindet, weil sie keine gerne verliert; - so ist Jesus, der Menschenfreund, und so ist sein Herz. - Ja, es war dem Herrn Jesu sehr darum zu thun, Seelen zu gewinnen; ,denn er rief die Leute zu sich: „Kommet her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seyd; ich will euch erquicken; oder: wen da dürstet, der komme zu mir und trinke“ - Sie kamen und schöpften aus seiner Fülle Gnade um Gnade. - Am deutlichsten aber leuchtet seine Liebe zu uns Menschen aus seinem Leiden und Sterben hervor. Als er im Garten Gethsemane auf seinem Angesicht lag und so heftig kämpfte, daß ihm der blutige Schweiß darüber ausbrach, - um was anders war es ihm dabei zu thun, als um unsere Seelen? Er wurde so sehr von Angst und Traurigkeit befallen, daß er sagte: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod,“ - Alles darum, daß er unsere Seelen mit der Fülle der Freuden ewiglich überschütten möchte. - Wie liebreich, wie überaus freundlich behandelte er seinen Verräther, als dieser kam, um ihn den Juden auszuliefern: „Mein Freund, so fragte er, warum bist du gekommen? Juda, verräthst du des Menschen Sohn mit einem Kuß?“ gleich als wollte er sagen: „Ach Juda, Juda, was thust du? Ich habe dir bisher manchen Kuß aus herzlicher Liebe gegeben, willst du nun diese meine Freundlichkeit zu deiner gottlosen Verrätherei mißbrauchen? Ach, besinne dich doch und denke, warum, und wohin du gekommen bist?“ Ohne Zweifel hätte er die arme Seele des Jüngers noch gerne gerettet und diesen elenden Menschen, den der Geiz verblendete, auf Bußgedanken gebracht. - Ebenso liebreich behandelte Jesus den gefallenen Petrus, dessen Rettung ihm wirklich gelungen ist. - Ach, liebster Heiland, sagte hierüber ein gottseliger Lehrer, hattest Du denn noch Zeit, als Du vor dem ungerechten Gericht standest, und, von lauter Wölfen umgeben, nichts als einen schmählichen Tod vor Augen sahest, - daß Du Dich nach einem Menschen umsehen konntest, der sich verfluchte, daß er Dich nicht kenne ? -Doch, es war um eine Seele zu thun, die Jesus nicht versäumen oder geringschätzen konnte. - Merkwürdig ist ferner, daß der Herr unter andern Todesarten das Kreuz erwählte. Er wollte erhöhet seyn von der Erde, um uns Alle zu sich zu ziehen. Er wollte zwischen Himmel und Erde sterben, um anzuzeigen, daß er der Mittler sey zwischen Gott und den Menschen. Er vergoß sein Blut zum Lösegeld für unsere Seelen, um sie vom ewigen Verderben zu erretten. - Hauptsächlich aber ist dieß zu beachten, daß Jesus selbst am Kreuze den Schacher bekehrt und ihm das Paradies versprochen hat, um damit anzuzeigen, daß ihm keine Seele zu gering sey, keine zu spät komme, wenn sie nur kommt und ihm vertraut. - Hier möchte ich abermals ausrufen: Herr Jesu, konntest Du in der Todesangst Dich noch um einen Menschen bekümmern, der sich sein Lebenlang nichts um Dich bekümmert und Dich mit so vielen Sünden beleidigt hatte? Doch es war eine unsterbliche Seele, und diese zu retten, war deine Freude auch mitten in der Bitterkeit des Todes. - Endlich befahl der Heiland seine Seele in die Hände seines himmlischen Vaters und gab seinen Geist auf. Dieß geschah gewiß nicht sowohl um seinetwillen; denn er war allezeit in seinem Vater und der Vater in ihm, als vielmehr um unsertwillen. Was er am Kreuze that, redete und litt, das that, redete und litt er, als der Hohepriester des neuen Testaments, anstatt seiner Gläubigen. Wie er anderswo für dieselben betet und sich für sie seinem himmlischen Vater als Versöhnopfer darstellt, so befiehlt er mit seinem letzten Seufzer alle Seelen derer, die an ihn glauben, in dessen Hände und stellt sie seinem Schutze anheim. Somit hat er seine Liebe gegen uns gleich am Anfang seines Lebens, in der Mitte desselben und am Ende beweisen wollen. Er ist als ein Seelenfreund gestorben, wieder auferstanden und gen Himmel gefahren, und bleibt es auch in alle Ewigkeit. - Darum, ihr Christen, schätzet eure Seelen so hoch, wie Gott und Jesus Christus selbst sie schätzen, und habet Acht auf dieselben. Von jeher haben die heiligen Männer Gottes keinen stärkeren Beweggrund zur Gottseligkeit gekannt, als den, welcher in der Erlösung liegt, die durch Jesum Christum geschehen ist. Darin stimmten Alle ein, was Paulus sagte: „Die Liebe Christi dringet und treibet uns, sintemal wir dafür halten, daß so Einer für Alle gestorben ist, so sind Alle gestorben; und Er ist darum für Alle gestorben, auf daß die, die da leben, hinfort nicht ihnen selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist.“ Oder wie er sonst sagt: „Ihr seyd theuer erkauft, darum so preiset Gott an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind Gottes.“ Ich lebe; aber doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir, der mich geliebt und sich selbst für mich dargegeben hat. Petrus aber setzt hinzu: „Wisset, daß ihr nicht mit vergänglichem Gold oder Silber erlöset seyd, sondern mit dem theuern Blut Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.“ -

Bedenke also, o Mensch, welch' ein Kleinod deine Seele sey, und vernachlässige das nicht im Leichtsinn, was der Sohn Gottes mit seinem Blute erkauft hat. „Ehre deinen Vater von ganzem Herzen, sagt Sirach, und vergiß nicht, wie theuer du deiner Mutter geworden bist“ rc.rc. Warum sollte ich einen Christen nicht auch also anreden: Ehre deinen Erlöser von ganzem Herzen, und vergiß nicht, wie sauer du ihm geworden bist, und was kannst du ihm dafür thun, was er dir gethan hat? Unsere Seele ist die Braut des Sohnes Gottes, um die er gegen 34 Jahre in der Welt gearbeitet, und die er sich endlich durch seinen Tod erworben hat. Sie ist also sein Eigenthum, das er, wie sich selbst, liebt, wie kann sie sich dem Satan und der Sünde hingeben, wie, ohne die größte Undankbarkeit, ihrem und seinem Feind anhängen? - Will dich also, o Christ, der Satan oder die Welt zur Sünde verleiten, so sprich: Wie, ich als ein Kind Gottes, mit Christi theurem Mut erkauft, und von des Teufels Gewalt errettet, sollte mich wieder freiwillig unter sein Joch begeben? Sollte ich den Sohn Gottes mit Füßen treten und das Blut seines Bundes, durch welches ich geheiligt bin, für unrein halten? Sollte ich, was Jesus im Todeskampf erworben hat, in schnöder Lust und eitler Freude verschwenden? Sollte ich für die reine Liebe des Sohnes Gottes die unreine Liebe der Welt erwählen? Das sey ferne! Was muthest du mir zu, mein Fleisch? Ich soll tauschen, den Himmel fahren lassen und die Hölle nehmen? Ich soll den Bund der Gnaden, den ich mit Gott durch Jesum habe, verlassen und mich an die Welt und Sünde hängen? Verflucht sey Alles, was mich von meinem Erlöser abwendig machen will, meinen Jesum laß ich nicht, dabei bleibt es in Ewigkeit! - Willst du dich in diesem heiligen Vorsatz bestärken, mein Christ, so lies oft die Geschichte des Lebens, Leidens und Sterbens deines Heilandes, und nimm zu Herzen, was dir die Zeit und die hohen Feste an die Hand geben. An Weihnachten betrachte ihn als holdseliges Kind in stiller Andacht, versetze dich im Geist an seine Krippe, und sprich: Wer bist Du, mein Kind? so wird es dir antworten: Ich bin die Liebe und der Freund deiner Seele. - Was für ein Ort ist das, in welchem ich Dich antreffe? - Es ist eine Wohnung und Schule der Liebes - Woher kommst Du denn? - Vom Himmel, aus dem Schooß der ewigen Liebe. - Warum bist Du gekommen, und was bringst Du Gutes mit? - Ich bin gekommen, euch Menschen zu lieben und eure Seelen selig zu machen. Ich bringe mit ein Herz voll reiner, göttlicher Liebe. - Was willst Du, daß man Dir thun soll? - Nichts, als daß ihr meine Liebe mit Freuden annehmet, und Mich und euch untereinander liebet. - Dann fahre fort und sprich: O holdseliges Kind, wie lieb bist Du mir! Wie schätze ich Dich so hoch! Du bist mir vom Himmel geschenkt; wäre mir die ganze Welt mit all ihrer Lust, Pracht und Herrlichkeit gegeben worden, was wäre das gegen Dich, und was nützte mich alle Eitelkeit, wenn ich Dich nicht hätte? Ich bezeuge es bei meiner Seele, daß, wenn ich Dich nicht hätte, und alle Schätze der Welt besäße und Dich dafür kaufen könnte, so wollte ich sie willig hingeben, nur um Dich und Dome Liebe zuhaben. Ach Jesu, wie hoch und theuer schätze ich Deine Geburt und Ankunft in der Welt! Die Welt achtet Deine Armuth und Niedrigkeit nicht, und hält Deine Krippe und Dein armseliges Ansehen für ein Gespött; mir aber ist dieses lieber als viel tausend Stück Gold und Silber. Denn Du warst reich, bist aber arm geworden um meinetwillen, damit Du mich im Himmel an meiner Seele reich machen mögest. -

Ich bezeuge es, liebster Jesu, daß, wenn mir alle Kronen und Scepter der Welt zu Gebot ständen, ich sie willig zu Deinen Füßen niederlegen, und mit den Verklärten sagen wollte: Herr, Du bist würdig zu nehmen Preis, Ehre und Anbetung! Weil ich aber solche Dinge nicht habe, so gebe ich Dir, Herr, was ich besitze, mein Herz und meine Seele. Dieses Kleinod wäre mir um alle Schätze der Welt nicht feil; denn was nützten mir diese, wenn ich meine Seele verloren hätte? Dir aber will ich es umsonst geben, und bezeuge abermals, daß ich nicht mehr sagen will, daß meine Seele mir gehöre, sondern daß sie Dein Eigenthum sey, Herr Jesu, und daß mich weder Lieb noch Leid, weder Lust noch Schmerz von Dir und Deiner Liebe trennen soll. Mein Lebetage will ich Dich Aus meinem Sinn nicht lassen, Ich will Dich stets, gleichwie Du mich Mit Liebesarmen fassen, Du sollst seyn meines Herzens Licht, Und wenn mein Herz im Tode bricht, Sollst Du mein Herze bleiben. Ich will mich Dir, mein höchster Ruhm hiemit zu Deinem Eigenthum beständiglich verschreiben.

Während der Fastenzeit gewöhne dich, die Geschichte von dem Leiden und Sterben deines Erlösers andächtig zu betrachten. Siehe, wie Er lm Garten am Oelberge auf seinem Angesicht liegt, wie Er unter der Sündenlast, die Er deinetwegen übernommen hat, seufzt und sich ängstigt. Sollte ich die Sünde lieben, die meinen Jesum so beschwert hat? Sollte mir das eine Freude seyn, was meinen Erlöser so betrübte? Mußte mein Heiland der fremden Sünden willen so Vieles dulden, was würde mir widerfahren, wenn ich seine Liebe hintansetzen und muthwillig Sünde auf Sünde häufen würde? „Geschieht das am grünen Holze was will's am dürren werden?“ - Ach Jesu, um Deines blutigen Kampfes willen hilf mir wider die Sünde kämpfen, und überwinden, wie Du überwunden hast. - Ferner siehe, wie Er im Richthause gegeißelt wurde. Was für Geißeln und Ruthen waren es aber eigentlich, die den Leib Jesu zerrissen? - Unsere Sünden waren es, um welcher willen er jene große Angst leiden mußte. Bedenke also wohl, o Christ, ob du deinen Heiland auf's Neue geißeln und dir selbst die ewige Ungnade deines Gottes zuziehen willst? - Die Geschichte sagt von Karl V., der zur Zeit der Reformation lebte, daß er sich selbst zu geißeln pflegte, und daß sein Sohn Philipp II., König von Spanien, diese Geißel, gefärbt mit dem Blute seines Vaters, als ein Kleinod aufbewahrt und in seinem Testamente an seinen Sohn Philipp III. überliefert habe. Darum bewahre auch du, o Mensch, in deinem Herzen das Andenken an die Geißel, welche mit dem theuren Blute Jesu Christi gefärbt ist, halte sie deinem sündlichen Fleische vor, und bezähme es, so oft die Lust zur Sünde sich regen will. - Betrachte Jesum endlich, wie Er an seinem Kreuze hängt und unter Blut und Wunden den Geist aufgibt. Gewiß, ein einziger ernster Hinblick auf den Gekreuzigten ist hinreichend, um alle Lust zur Sünde in dir zu tilgen. Denn wer die Liebe seines Erlösers recht bedenkt, dessen Herz wird von Liebe entzündet und ist bereit, lieber Alles zu thun und zu leiden, als im Geringsten von der Treue gegen Ihn abzuweichen. Leider aber gibt es so Wenige, an welchen man solchen Eifer wahrnimmt. Bei den Meisten ist Kaltsinn oder gar Verachtung zu bemerken, sie denken nicht daran, was es heiße, daß der einige Sohn Gottes um unserer Seligkeit willen vom Himmel gekommen ist und uns durch sein Leiden und Sterben vom Tode erlöst bat. Ich kannte mehrere gottesfürchtige Leute, die mir öfters bezeugten, sie seyen bei Absingung des bekannten evangelischen Glaubensbekenntnisses nie mehr gerührt worden, als bei der Stelle: wahrer Mensch geboren, durch den heiligen Geist im Glauben, für uns, die wir waren verloren rc. Denn, sagten sie, was für eine unerhörte, unbegreifliche Liebe ist es, daß Gott Mensch wurde, um der Menschen willen. O daß wir dieß von ganzem Herzen glauben und Gott dafür danken könnten. Aber ach, wie Wenige nehmen das zu Herzen? Bei dem großen Haufen ist dieß eine so gewöhnliche Sache, daß es ihnen, wie Luther sagt, so viel ist, als wenn ein Bauer hört, daß ein Huhn ein Ei gelegt hat. - Daher kommt es auch, daß die heutige Welt weder Jesum und seine Liebe, noch ihre Seele, das edle Kleinod, achtet, und es so leichtsinnig hingibt, als wäre es eine Sache ohne allen Werth; weßhalb unser Heiland wohl ausrufen mag: „Höret ihr Himmel! und du Erde nimm zu Ohren! Ich habe Kinder erzogen und erhöhet, und sie sind von Mir abgefallen;“ Ich habe die menschlichen Seelen so herzlich geliebt, daß Ich sie mit meinem Blut erkaufte, und habe sie mir durch viele Arbeit zum Eigenthum erworben, und sie haben Mich verlassen und sind dem Feinde nachgelaufen: „O weh des sündigen Volkes, des Volks von großer Missethat, des boshaften Samens, der schändlichen Kinder, die den Herrn verlassen“ - Erwäge wohl, o Christ! was du hörest und liesest, und prüfe dich, zu welchem Haufen du gehörst. Hast du bisher deine Seele gering geschätzt, so fange heute noch an, dieses Kleinod nach Würde zu schätzen und zu bewahren. Wandle vorsichtig und bemühe dich deine Seele rein zu erhalten. Sey eifrig im Gebet und bitte deinen Heiland, daß er sein Eigenthum, das ihn so viel gekostet hat, durch seine Macht zur Seligkeit bewahren und sich nimmer entreißen lassen möge. -

Ach Herr Jesu! Du höchster Trost und einziges Gut meiner Seele, wenn ich den Leichtsinn des Fleisches bedenke, die mancherlei Netze des Satans, das vielfache Aergerniß der Welt, und die große Gefahr, die mich überall umgibt, so wird mir oft bange, und ich denke, wie Dein Jünger: wer kann denn selig werden? Doch, ich freue mich, daß meine Seele Dein Eigenthum ist, mit Deinem Blut erkauft; und was nun Dein ist, das wirst Du zu schätzen und zu erhalten wissen wider des Teufels Macht und List, und gegen die Bosheit der Welt. So will ich nun von meiner Seele nicht mehr sagen, daß sie mein sey; denn, wenn sie mein wäre, würde ich sie tausendmal verlieren. Sie ist Dein und soll Dein bleiben in Ewigkeit! Du mein Erlöser wirst am besten wissen, wie Du das, was Dein eigen ist und was Du Dir so theuer erkauft hast, mitten durch Gefahr zur Seligkeit hindurchbringest. Mittel und Wege will ich Dir nicht vorschreiben, ich bin zufrieden, wenn nur meine Seele erhalten wird. - Welch' ein kräftiger Trost liegt in dieser Betrachtung für alle gottseligen und betrübten Seelen, welche in ihrem Kreuz, beim Spott der Welt, in Armuth und Kummer, wo sie, von Jedermann verlassen, ihre Freude in Thränen suchen, oft auf den Gedanken gerathen, als wären sie auch von Gott gering geachtet, als habe Jesus ihrer vergessen und begehre sie nicht. Allein, ihr Christen, richtet nicht nach dem äußerlichen Ansehen, nicht nach dem Urtheile der Welt, auch nicht nach eurer eigenen Meinung. „Das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählet und das da nichts ist, - daß er zu nichte mache, was etwas ist.“ -Jesus gleicht einem Kaufmann, der seine kostbarsten Waaren in Matten und geringe Gegenstände einwickelt; denn die lieben Seelen des Heilandes sind oft unter dem Bettlergewand verborgen und mit so viel Schmach, Armuth, Elend und Verachtung verhüllt, daß ein leibliches Auge sie nicht erkennen kann. Wie Er selbst, als Er im Fleisch wandelte, durch seine armselige Gestalt, durch sein Kreuz und seinen Tod, eine Verachtung des Volks, ein Spott der Leute und ein Wurm geworden ist, und doch seines himmlischen Vaters liebster Sohn, die Freude der Engel, der Schrecken der Teufel, und das Heil aller Welt blieb, so ist es auch mit seinen Gläubigen. Wie Er selbst, als Er in die Welt kam, mit einem Stall zufrieden war, und seiner Herrlichkeit dadurch nichts abging, so bleiben auch seine Nachfolger, sie mögen seyn, wo sie wollen, sein Eigenthum, und behalten die Herrlichkeit der Kinder Gottes, die ihnen durch sein Blut erworben worden ist. Eine Perle oder ein Diamant behalten den Werth, auch wenn sie unter den Tisch fallen und sogar im Koth liegen. Was die Welt bisweilen für ein zerbrochenes Gefäß hält, welches zu nichts mehr tauge, als daß man es auf die Straße werfe, das ist vor Gott ein Gefäß der Ehre, ein Gefäß seiner Barmherzigkeit und ein Werkzeug seiner Gnade. - Die Welt greift dem lieben Gott gleichsam vor in der Wahl, und nimmt das Reichste, das Mächtige, das Hohe und Vornehme zuerst weg, liebt und achtet dasselbe hoch. Daher bleiben dem Vater im Himmel blos die Elenden, die Armen, die Verlassenen und Verachteten, und er nimmt sie mit Freuden auf, versorgt und verpflegt dieselben. Denn sie sind es, an welchen sich seine Allmacht, Weisheit und Güte am herrlichsten zeigt, und von ihnen hat er auch die größte Ehre, wenn er etwas Großes und Herrliches aus ihnen macht. - Demnach kann Keiner unter den Gläubigen, er mag so elend und verachtet vor der Welt seyn, als er will, von Gott verachtet oder vergessen seyn. Sollte Gott die Seelen, welche er von Ewigkeit durch Christum erwählt hat, wegen ihres äußeren Zustandes verwerfen? Sollte der Herr dem äußeren Schein nach richten, wie die Welt richtet? Hat es nicht die Erfahrung aller Zeiten gelehrt, daß Er erwählet, was thöricht ist vor der Welt, was schwach, was unedel, was verachtet und was nichts ist? Wie sollte Jesus gering achten, verlassen und vergessen, was Er mit seinem Blut so theuer erkauft hat? Wie sollten Ihm die Seelen seiner Gläubigen gering seyn, um welcher willen Er so viel gelitten hat? Wie sollte Ihm das so unwerth geworden seyn, was Ihm stets so theuer und werth war? Ein Edelstein kann einem Fürsten von der Hand fallen, und sich in Staub und Koth verlieren, daß er nicht weiß, wo er hingekommen ist, und aufhören muß zu suchen; eine gläubige Seele aber kann nie in solches Elend, Armuth, Niedrigkeit und Verachtung fallen, daß Jesus sie nicht darin bemerkte. Sie kann nirgendshin verstoßen und verworfen werden, ohne daß sein Auge auf sie gerichtet wäre. Darum du Betrübter, glaube nicht, der Heiland werde dich vergessen, wenn du in der Einsamkeit sitzest, seufzest und weinest, - nein, Er zählt vielmehr deine Thränen und merkt auf deine Seufzer. Es heißt bei Ihm: „Ist nicht Ephraim mein theurer Sohn und mein trautes Kind; denn ich denke noch wohl daran, was ich ihm verheißen habe, darum bricht mir mein Herz gegen ihn, daß ich mich seiner erbarmen muß.“ Dahin gehört auch, was der Herr, unser Gott, zu dem Propheten Jona sagte, wie er um seinen verdorrten Kürbis jammerte: Dich jammert des Kürbis, an dem du nicht gearbeitet hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, welcher in Einer Nacht ward, und in Einer Nacht verdarb, und mich sollte nicht jammern solch großer Stadt? - Sehet, wie Gott seinen Diener so kräftig überzeugt, daß er mit Unrecht die Verschonung der bußfertigen Stadt Ninive tadle; denn, spricht Er, wenn dich das Verwelken einer Pflanze kränkt, mit welcher du doch keine Mühe gehabt hast, wie kannst du es übel deuten, daß ich eine Stadt nicht verderben will, in welcher so viel tausend Seelen sind, die ich erschaffen, bisher ernährt, versorgt und erhalten habe? So kann auch Jesus sagen: Betrübt sich der Mensch über eine verdorrte Pflanze, die doch ohne seine Mühe aufgewachsen ist; wie sollte mich nicht eine Seele jammern, um welche ich so viel gearbeitet, die mich so viele Mühe gekostet hat, und wegen ihrer Unsterblichkeit mit keiner Pflanze der Welt zu bezahlen ist? Weg also mit solchen betrübten Gedanken, die Mißtrauen zu dem Herrn Jesu und dem liebreichen Gott in uns erwecken! Eine Seele kann Ihm nie gering und unwerth seyn. Wenn dieselbe auch in einem siechen Körper wohnt, wenn sie gleich mit schweren Anfechtungen, mit Traurigkeit und Sorgen umgeben, in Armuth und Dürftigkeit versunken, und von der stolzen Welt verachtet ist, so bleibt sie doch eine Seele, die mit dem Blute des Sohnes Gottes erlöst ist; ihr Elend kann die Liebe des Erlösers nicht abhalten, sondern zieht dieselbe vielmehr an, gleichwie die Krankheit eines Kindes die Liebe der Mutter. Wenn ich in ein Haus komme, in welchem ein krankes Kind ist, so treffe ich die Mutter nirgends gewisser, als an dessen Bette; so auch, wenn ich meinen Jesum suche, weiß ich gewiß, daß ich ihn zuerst bei den elenden und trostlosen Seelen finden werde. - Endlich folgt hieraus, daß wir auch untereinander unsere Seelen hoch, theuer und werth halten sollen; namentlich ist es die Pflicht derer, welchen die Aufsicht über Andere befohlen ist. Ich wüßte nicht, wie ich Jemand eine Seele höher empfehlen könnte, als wenn ich sage: sie sey mit dem theuren Blute des Sohnes Gottes erkauft. Und wenn dieß die Diener des Wortes, die Lehrer in den Schulen, die Regenten und Obrigkeiten, die Eltern und Herrschaften nicht bewegt, auf die ihnen anvertrauten Seelen genau Acht zu haben, so weiß ich nicht, was es sonst thun soll. Wollten wir das gering achten oder verwahrlosen, was Jesus so theuer erkauft und so sauer erworben hat? Wollten wir das unserer Mühe nicht werth halten, um welches willen Er bis in den Tod gearbeitet hat? Der muß fürwahr ein leichtsinniger Mensch seyn, welcher mit so theuren, kostbaren Dingen gleichgültig umgeht; und er sollte doch wissen, daß der Sohn Gottes das einst von seiner Hand fordern wird, was durch seine Schuld verloren geht. -

Ach Herr Jesu, Du Seelenfreund lehre uns verstehen, was eine Seele sey, sonst ist unser Fleisch und Blut viel zu unverständig, dieses Kleinod nach seinem Werth zu schätzen. Dir sey Dank für alle Deine Mühe, Liebe und Treue, die Du auf unsere Seele verwendet hast! Lobe den Herrn meine Seele, und vergiß nicht, was Er dir Gutes gethan hat!

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