Zuletzt angesehen: Schott, Theodor - Psalm 25

Schott, Theodor - Psalm 25

Schott, Theodor - Psalm 25

I. Vers 1:

“Nach dir, Herr, verlangt mich.“
Was im Wesentlichen alle Psalmen sind, das ist unser Psalm in besonders vollem Sinn: Gebet. Darum ist er uns so besonders wertvoll und fruchtbar. Denn unter Allem, was wir für unser Christenleben mit unserm inwendigen Menschen lernen können, ist nichts wichtiger, als die heilige Kunst des Betens; und hinwiederum unter Allem, was wir als Christen lernen und können müssen, ist nichts, worin wir so sehr der fortwährenden Anweisung und Ermunterung bedürfen, als die fromme Übung des Betens. Mit beidem aber kommt gerade dieser Psalm unserm Bedürfnis im reichsten Maß entgegen. Denn nicht bloß in einem Ton, sondern in allen Weisen, in Bitte, Fürbitte, Bekenntnis, Dank und Lob hören wir da die Stimme des Gebets zum Himmel emporklingen; und nicht bloß ein bestimmtes Anliegen, sondern Alles, was nur ein frommes Herz bewegen kann, alle Angelegenheiten, Sorgen und Nöten, Güter und Freuden des inneren und des äußeren Lebens sehen wir da den Beter in herzlichen, innigen Worten vor seinen Gott bringen. Recht eigentlich was das Gebet sein soll, ein „Gespräch des Herzens“ mit Gott ist unser Psalm gleich mit seinem ersten Wort. Voll und stark, wie der Quell aus dem Felsen hervorbricht, so kommts in unserm Psalm gleich mit dem tiefsten Ton des Gebets aus dem innersten Grund des Herzens hervor: „Nach dir, Herr, verlangt mich.“ Es ist das Größte, was eine betende Seele hervorbringen kann, ist selbst die Seele alles wahren Betens, ja der Grundzug alles christlichen Innenlebens, die Verklärung dessen, was wie ein leiser tiefer Ton in jeder menschlichen Brust klingt. Verlangen das ist der tiefste Nerv des Innersten, der durch alle die zahllosen Verzweigungen des Gemüts sich hindurchschlingt und von jeder Bewegung desselben unwiderstehlich mitbewegt wird. In Liebe und Zorn, in Angst und in Begeisterung, in Schmerz und Freude, überall ist der innerste Kern, der tiefste Hintergrund ein Drang, der vom Augenblick hinweg, über den Boden der vorhandenen Wirklichkeit hinaus, weiter, höher, nach mehr, nach dem Vollen, Ganzen sich streckt. Es ist das Verlangen nach Frieden, nach Glück und Seligkeit, was so sich geltend macht. Kein unberechtigtes Verlangen. Der Mensch ist ja zur Seligkeit geschaffen - so muss er nach Seligkeit sehnend begehren. Aber der ihn dazu geschaffen, der hat ihm auch schon diese Seligkeit bereitet. hat sie ihm nirgends anders als eben in Ihm selbst in Gott bereitet. Gott, der ewig reiche, selige Gott, der ist selbst die Seligkeit des Menschen, das einzig wahre Ziel seines Verlangens; und darum eben kämpft unser Verlangen in ewig ungestillter Unruhe sich ab, weil es nach Anderem als Gott steht. „Nach dir, Herr, verlangt mich“ so muss es fest und stetig in der Seele stehen; um diesen einen himmelanstrebenden Stamm müssen alle die tausend Fäden und Reben der wünschenden, sehnenden Gedanken des Herzens sich schlingen, in diesen einen Grundton all die zahllosen Stimmen menschlichen Verlangens und Bedürfens einklingen; dann ists die rechte Weise, in der das Gebet aus dem Innersten heraussteigt.

Aber nicht, dass es nur überhaupt nach oben, zum Himmel, zu Gott sich wendet, ist genug. „Nach dir, Herr“ so muss es gemeint sein; wirklich nach Ihm, nach Ihm allein. Da liegt die Schwäche, da die Unwahrheit unsers Verlangens, unsers Betens. Nach den Gaben seiner Güte verlangen wir und nach den Taten seiner Kraft, nach den Schätzen seines Reichtums, nach den Strahlen seines Lichtes, nach den tausend Erweisungen seiner Herrlichkeit. Aber das ist nicht hoch genug gestiegen, nicht tief genug gegriffen. Wenn du auch das Alles dir mit deinem verlangenden Beten erbetetest das ganze Herz füllts doch nicht aus, die ganze bange Unruhe des bedürftigen Gemütes stillts doch nicht. Im innersten Mittelpunkt des Herzens steht ein Allerheiligstes, das bleibt leer, so lang nicht Gott der Herr drin lebendig wohnt. Tief im verborgenen Grund der Seele wogts wie ein Meer des Unfriedens, das nicht stille wird, bevor nicht der Herr selbst in lichter Gestalt über die Wogen dahinwandelt. „Nach dir, Herr, verlangt mich“ das ist der allein richtige Ausdruck für all das Wünschen, Sehnen, Begehren, das mit ruheloser Bewegung in verworrenen Gebilden beständig durch die Seele wogt.

Es ist auch der einzig sichere, des Erfolgs gewisse Gebetsruf. Gott der Herr will kein anderes Verlangen; Er nimmt keins an, stillt keins, als dies Verlangen nach Ihm. Seines großen Herzens persönlicher Gedanke wars, den Menschen zu schaffen, aus seines eigensten Wesens reichen Tiefen ist sein Bild herausgestiegen, mit dem Odem seines eigenen göttlichen Lebens hat Er ihm Leben eingehaucht; so will Er nun auch der eine stetige Lebensquell sein, aus dem der Mensch mit allen Wurzeln und Fasern seines Wesens sich sein Leben ziehen soll. Er hat mit selbstverleugnender Beschränkung seiner zwingenden Gottesgewalt und Machtherrlichkeit dem Menschen, seiner Kreatur, die gottesbildliche Herrlichkeit seines persönlichen freien Wesens ermöglicht und bereitet so will Er nun auch, dass ich so sage zum Entgelt dafür, selbst der Pol sein, um den des Menschen Leben in freier selbstgewollter Bewegung kreist, will die Heimat sein, zu der des Menschen innerstes Gemüt in willigem Bedürfnis immer wiederkehrt. Wo man Ihn das nicht sein lässt, da will Er auch Anderes, Geringeres nicht sein. Wo man Ihn nicht begehrt, da lässt Er auch seine Gaben und Kräfte sich nicht abschwätzen. Wo man mit dem Verlangen des Herzens tief unter Ihm stehen bleibend oder an Ihm vorübergehend, nur nach den Ausstrahlungen seiner Herrlichkeit, nach seinen Gaben, seinen Taten sucht und greift, da zieht Er auch die zurück - Er will seine Ehre keinem Andern, Keinem, das nicht Er selbst ist, auch nicht einmal seinen Werken geben.

So weigert Er denn wohl oft, was mit heißem Gebet die Seele sich erbittet; weigert es, weil auch das himmelwärts gerichtete Verlangen doch nicht voll und eigentlich Ihn selbst, der allen Mangel nur als eine Weisung zu Ihm an den Lebensweg stellt, sucht und meint; weigert das Erbetene, damit an der Nichterfüllung der doch untrüglichen Zusage der Erhörung das Herz seinen Fehler, sein Unrecht inne werde und von den sachlichen Gütern hinweg oder durch sie hindurch mit seinem betenden Verlangen nach Ihm, dem persönlichen Grund und Quell aller Lebensgüter, ja alles Lebens selbst, nach dem lebendigen Gott sich ausstrecke. Oder auch Er gibt das Erbetene, aber eben auch nur so, wie es das Verlangen erbeten hat: für sich allein, ohne Ihn selbst, ohne Gott, ohne den beseligenden Hauch seines drin wirkenden Lebens, seiner drin waltenden Liebe, und darum ohne Freude, ohne Glück; gibt es so, damit das ungestillte Bedürfnis die unbefriedigte Seele tiefer bewege und höher hebe, und aus dem kalten, toten Lebensvorrat heraus endlich leise und tief der sehnende Gebetsruf erwache: „Nach dir, Herr, verlangt mich.“

Aber ists denn, Geliebte, ein so fremdes widerstrebendes Wort, das sich nur schwer ausspricht? Klingts denn nicht lieblich, herzinnig, herzerhebend: „nach dir, Herr, verlangt mich“? Ach, wir sollten ja froh sein, dass wirs so sagen, so im Herzen fühlen und hegen dürfen, dass wir einen Gott haben, nach dem wir so verlangen, den wir so mit des Herzens Verlangen fassen und an uns ziehen dürfen und können. Denn dazu eben ist Er ein persönlicher Gott, damit Er mit seinem unendlichen Wesen uns, den kleinen armseligen Kreaturen, doch sich lebendig zuneigen, damit unser Ich einem göttlichen Du entgegenwallen kann, damit wir das innerste Herz mit Ihm austauschen können. Die Liebe ist Er; und wenn doch Liebe nichts Andres als Selbsthingabe ist, so muss es ja sein Wille, sein Bedürfnis, seines Herzens Wunsch und Freude sein, dass wir Ihn haben wollen, nach Ihm verlangen, nach seinem ganzen göttlichen Lebensreichtum.

Und auch uns hinwiederum kanns ja nicht eine harte Anstrengung und Überwindung sein, so nach Ihm zu verlangen; sondern leicht ists uns gemacht, zum fröhlichen freien Drang hat Ers uns gemacht. Vater ist Er uns, ein rechter, treuer, liebreicher Vater ist Er uns geworden, damit wir doch recht schlicht und vergnüglich Ihm in sein freundlich verheißungsvolles Angesicht schauen, recht innig an Ihn uns hängen, recht getrost und vertraulich unter die Flügel seiner Liebesgemeinschaft uns bergen können. Sein Liebstes, sein eigenstes Leben hat Er uns schon gegeben, hat es uns in der leibhaftigen Erscheinung seiner beseligenden Liebesfülle, in der lieblichen, holdseligen Gestalt eines Heilands in die Welt, in unser Fleisch und Blut hereingegeben, damit wir doch ja mit unsern blöden Sinnen es sehen und schmecken können, wie liebevoll und gnadenreich Er ist, damit unsre trägen irdischen Herzen, vom Anblick dieser fleischgewordenen Liebe Gottes und der darin beschlossenen göttlichen Seligkeitsfülle gelockt und gezogen, nach Ihm selbst und seiner Gemeinschaft sich sehnen und in dem menschlich gleichartigen Gottessohn desto leichter Ihn, den ewigen himmlischen Vater selbst erfassen und ins Herz schließen können.

Sollte es denn nun etwas so Außerordentliches, Besonderes, sollte es erst noch eine innere Arbeit sein, nach diesem Gott auch wirklich zu verlangen? Was wollen wir denn, weil wir doch einmal ein bedürftiges, begehrliches Geschlecht sind, was wollen wir denn weiter verlangen, als diesen Gott aller Gnade, was können wir anders, als nach Ihm verlangend uns sehnen? Wer, der ein Herz im Leibe hat, kann denn, wenn dieser Gott nur einmal ihm entgegengetreten, noch anders, als nach Ihm mit dem innersten Bedürfnis des Herzens sich ausstrecken? Nein, nein, es kann ja nicht sein; wir, die wir Ihn kennen, wir können nicht kühl und gleichgiltig Ihm gegenüber stehen, wir müssen nach Ihm verlangen. Das ist die Wahrheit unsers Gemütslebens, alles andre ist Täuschung. Alles, was außerdem an Wünschen und Bedürfnissen in uns lebt, es ist nur falsche Spiegelung dieses einen allumfassenden Bedürfnisses. Tief im Grund unsers christlichen Herzens, vergessen vielleicht und übertäubt, aber doch lebendig und unertödlich, ruft eine Stimme: „nach dir, Herr, verlangt mich.“ Die sollte zum Ton unsers inneren Lebens, das Verlangen nach Gott zur bewegenden Feder unsers Wesens werden.

Aber auch wirklich verlangen nach Ihm - nicht nur an Ihn denken, bloß den Sinn auf Ihn richten, das Gemüt zu Ihm erheben; das reicht nicht, das trägt nicht wirklich das innerste Leben bis zu Ihm hinauf, das erlahmt unterwegs; sondern sich strecken nach Ihm mit allen Trieben des Wesens, als ob die Seele aus dem niederhaltenden Bann des Leibes sich herausheben und zu Ihm hinausschwingen wollte; suchen nach Ihm mit allen Sinnen und Kräften des Lebens, weil man Ihn haben muss, weil man ohne Ihn nicht leben kann. Verlangen nach Ihm, wie der ermattende Wanderer nach der gastlichen Herberge, wie der verschmachtende Kranke nach dem Arzt, wie das verlassene Kind nach dem Vater. Wie ein Strom, der mit unaushaltsamem Drang dem Meere zustrebt und nicht eher stille wird, als bis er in seinen unendlichen Tiefen sich auflöst - so muss es in uns drängen und wallen: „Nach dir, Herr, verlangt mich.“

Unser Beten vor Allem soll davon durchdrungen sein. Die schlichten Gebetsklänge, mit denen wir des Morgens und des Abends im Kreise unsrer Lieben das häusliche Leben täglich eröffnen und schließen, und die hohen feiernden Gebetsopfer, zu denen wir uns an heiliger Stätte mit der gottesdienstlich versammelten Gemeinde zusammenfinden; die ruhigen Gebetsworte, womit wir uns im regelmäßigen Gang des Lebens in der Stille alle Tage Gott befehlen, und die klagenden Seufzer, die flehenden Gebetsrufe, womit wir in sonderlichen Nöten zum Himmel schreien es soll Alles im tiefsten Grunde gemeint sein als Verlangen nach Ihm selbst, dem reichen beseligenden Quell des Lebens.

Aber unser ganzes Leben soll ja ein „Beten ohne Unterlass“ sein. So soll denn auch durch das ganze Leben dieser Grundton des Verlangens nach Gott hindurchgehen. Al unser Tun und Treiben, unser Arbeiten und Schaffen, unser Streben und Bemühen, es soll von einem Zug nach oben, von einem tiefen Drang nach Gott als dem tragenden Grund, dem erfüllenden Inhalt, dem bestimmenden Ziel beseelt, geweiht sein: das ganze Leben ein Baum, der mit allen Zweigen sehnend zu Gott sich emporstreckt, ein Chor, der mit allen Stimmen, laut und leise, immer wieder in den einen Ton zusammenklingt: „Nach dir, Herr, verlangt mich.“

Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/s/schott_theodor/psalm_25/schott-ps_25_1.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain