Schneider, Johannes - Christus in uns
Es scheint mir von großer Wichtigkeit zu sein, daß wir uns stets klar bewußt bleiben, was eigentlich in uns umgestaltet, was heilig und schön wird. - Nicht mein Ich, meine Natur in sich selbst, wird heilig. Nicht mein Fleisch wird fromm und sündlos. Leider haben wir auch in unseren Kreisen nur zu viel frommes Fleisch und religiös kultiviertes Ichwesen, zum großen Hindernis des Heiligen Geistes. Nein, das Fleisch bekehrt sich nie und kann nicht das Reich Gottes ererben. - Nicht „ich“ werde heilig in mir selbst, sondern Jesus Christus ist meine Heiligung, und nur in dem Maß, als ich abnehme und er in mir wächst, wachse ich in der Heiligung, oder richtiger, wächst und entfaltet sich das Heiligungsleben in mir und werde ich göttlicher Natur teilhaftig. „Nun lebe nicht mehr ich, Christus lebt in mir.“ Das ist Heiligungsleben.
Also die Heiligung ist ihrem Wesen nach nicht eine fromme Leistung unseres Ichs, sondern sie ist eine Gnadengabe Gottes, eine Gabe, die uns auch nicht als selbstständiger Besitz überlassen wird, sondern die wir nur so lang und nur in dem Maß besitzen und erleben, als wir in innigster Glaubensgemeinschaft mit Christus leben. - Sobald die Gemeinschaft mit ihm unterbrochen wird, gewinnt unser Fleisch wieder Macht über uns und stehen wir wieder unter dem ganzen Druck unserer „natürlichen Abnormität“, wie Schlatter sagt. Also jede Ursache der Selbstüberhebung und Selbstsicherheit ist in der Heiligung völlig ausgeschlossen. Das können wir nicht ernst und klar genug betonen in unserer Wortverkündigung, sowohl den modernen religiös orientierten Selbsterlösungstheoretikern gegenüber, die so viele junge suchende Menschen aufhalten und irreleiten, als auch gegenüber den perfektionistischen Strömungen, die die Heiligung als einen Sündlosigkeitszustand bezeichnen und dadurch so manche Gemüter verwirren und so manche Seele in den geistlichen Hochmut treiben.
Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1925