Schmitz, Richard - Die Versiegelung

Schmitz, Richard - Die Versiegelung

Das Wort „versiegeln“, wo es in der Schrift auf den Heiligen Geist bezogen wird, gehört der Bildsprache an. Der alte Brauch, eine Urkunde mit einem Siegel festzumachen und für unwiderruflich zu erklären, wird in der Schrift gleichnisweise auf geistliche Dinge übertragen. Dies gilt auch für die weitere Bedeutung eines Siegels, wo durch dessen Anbringung das Eigentum an einem Gegenstand bezeichnet oder wo etwas unter Verschluß gelegt werden soll. Allemal soll etwas bestehen bleiben, wie es ist, und keiner Aenderung unterliegen.

In diesem Sinne sagt Paulus: „Abraham empfing das Zeichen der Beschneidung als Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens“ (Römer 4,11). „Diese Beschneidung“, so heißt es 1. Mose 17,11.14, „soll ein Zeichen des Bundes sein zwischen mir und euch, und wo ein Mannsbild nicht beschnitten wird, des Seele soll ausgerottet werden aus seinem Volk.“ Die Zugehörigkeit zum israelitischen Bundesvolke ward durch die Beschneidung besiegelt und bestätigt, und Jesus selbst trat durch sie in diesen Volksverband ein. Ein mehr konnte jenes Siegel nicht leisten; durch dasselbe ward Israel als Bundesvolk unwiderruflich von Gott angenommen: „Gottes Gaben und Berufung mögen ihn nicht gereuen“ (Römer 11,29).

Im Neuen Bunde ist an die Stelle der Beschneidung ein Siegel getreten, das der höheren Ordnung dieses Bundes angemessen ist - eines Bundes, dessen Mittler und Bürge Jesus geworden und der „auf besseren Verheißungen“ beruht als jener (Hebräer 8,6). Die Beschneidung war Sinnbild und Weissagung auf das Abtun der Sünde im Fleisch, die „Beschneidung des Herzens“, die schon die Frommen des Alten Bundes begehrten (5. Mose 10,16; 30,6; Jeremia 4,4 usw.) - der Beschneidung, „durch die wir Gott im Geiste dienen“ (Philipper 3,3). Der Heilige Geist macht durch die Erneuerung des Menschen der Fleischesherrschaft ein Ende (Römer 8,3 f.), und es ist daher nicht von ungefähr, daß er - indem er der abrahamitischen Beschneidung zur Erfüllung und zu ihrem Recht verhilft und den Menschen erst zum bündnisfähigen Partner Gottes macht - das Siegel des Neuen Bundes geworden ist. Neue Grundlagen sind geschaffen für den Verkehr mit Gott; Christus hat den Fluch des Gesetzes hinweggetan, auf daß „der Segen Abrahams unter die Heiden käme und wir den verheißenen Geist empfingen durch den Glauben“ (Galater 3,13). Das dürftige Siegel der Beschneidung ist ersetzt durch das Siegel des Heiligen Geistes; was vordem im Bilde da war, ist nun im Wesen vorhanden.

Es muß somit dem Heiligen Geist das eignen, was die Beschneidung abschattet. Daraus ist es auch verständlich, daß in den beiden Grundstellen Epheser 1,13 und 4,30 nicht einfach vom „Geiste Gottes“ geredet wird, sondern daß hier beidemale das Attribut (Eigenschaft) „Heiliger“ beigefügt ist. Nur als der „Heilige Geist Gottes“ kann er in Erfüllung der Beschneidung im eigentlichen Sinne das „Siegel“ des Neuen Bundes sein. Es ist ihm damit zugleich die Aufgabe zugefallen, die Heiligung des Menschen durchzuführen, d.h. dessen Erneuerung und Verklärung bis hin zur Vollendung nach Geist, Seele und Leib.

Es mag hier gleich ausgesprochen werden, daß hiernach die Versiegelung durch den Heiligen Geist mehr ist, als „das Zeugnis des Geistes, daß wir Söhne Gottes sind“ (Römer 8,16). Ein Zeugnis ist die Aussage, durch die ein schon vorhandener Tatbestand bekundet wird. Die Versiegelung des Heiligen Geistes geht aber zugleich auf Zukünftiges, auf etwas, das noch nicht eingetreten ist. Daher heißt es Epheser 4,30: „Ihr seid durch den Heiligen Geist Gottes versiegelt auf den Tag der Erlösung“. Noch deutlicher hatte der Apostel diesen Gedanken schon Kap. 1,13.14 ausgesprochen: „Ihr seid, da ihr glaubtet, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist der Verheißung, welcher ist das Pfand unseres Erbes zu unserer Erlösung, daß wir sein Eigentum würden zu Lobe seiner Herrlichkeit“.

Was die Versiegelung bedeutet, ist hier näher und ausreichend bestimmt. Der Apostel nennt das Siegel ein „Pfand“, genauer „Angeld“ (arrabon). Ein Angeld wird gegeben für etwas, das noch aussteht, aber schon diesem angehört und ein Teil und eine Vorausgabe davon ist; das Wort steht hier in derselben Bedeutung, wie das Wort „Erstlinge des Geistes“ in Römer 8,23. - Was ist es aber, das noch aussteht? Der Apostel nennt es: „unser Erbe“, und er gebraucht hier diese Bezeichnung im Unterschied von 1. Petrus 1,4 in Hinsicht dessen, was uns selbst in unserer eigenen Personenhaftigkeit überkommen und zuteil werden wird, nämlich unsere Erlösung, die abzielt auf Erwerbung des Eigentums„ (wörtlich). Das Wort „Erlösung“ ist hier im weiten vollen Sinne gebraucht, sie schließt in sich ein auch die Verklärung unseres Leibes, der schöpfungsmäßig zum vollen Menschentum gehört; darum heißt es Römer 8,23.24: „Wir warten auf unseres Leibes Erlösung, denn wir sind wohl selig (errettet), doch auf Hoffnung“. Alsdann erst wird „die Erwerbung des Eigentums“ d.h. als „Volk des Eigentums“ (1. Petrus 2,9) zu Ende geführt sein; Jesus selbst ist ebenfalls erst am Ziele seiner Sehnsucht an gelangt, wenn das Wort erfüllt sein wird: „Sein Name wird an ihren Stirnen sein“ (Offenb. 22,4).

Von hier aus gesehen, gewinnt auch die anschließende Ermahnung Kapitel 4,30: „Betrübet nicht den Heiligen Geist Gottes“ ihre volle Bedeutung und den beabsichtigten verstärkten Nachdruck. Jede Betrübung des Heiligen Geistes stört das gute Verhältnis, das zu ihm besteht, und zwingt ihn, sich zurückzuziehen. Das ist aber nicht alles; denn wir liegen ihm mehr an, als wir uns selbst. Der Apostel will daher vielmehr uns zum Bewußtsein bringen, daß jene Störungen sich hemmend auswirken in den Linien, die zu unserer Zubereitung und Vollendung hinführen - eine Einbuße, die für uns als abträglich bestehen bleibt. -

Auch die dritte Grundstelle betreffend die Versiegelung, nämlich 2. Kor. 1,21.22, läßt obige Zusammenhänge erkenne. Es heißt hier: „Gott ist es aber, der uns befestigt samt euch in Christus und uns gesalbt und versiegelt und in unsere Herzen das Pfand, den Geist, gegeben hat.“ Neben die Versiegelung tritt hier die Salbung. Das heilige Salböl diente der Weihe zum Dienst für Gott. Der Gesalbte war fortan ein Heiliger Gottes, unverletzlich und unantastbar. Sobald das Salböl auf ihn ausgegossen, war er dazu da, Gottes Belange zu vertreten und seinen Willen auszurichten. Das Salböl ist Sinnbild des Heiligen Geistes (Hebräer 1,9), der erst befähigt, den Willen Gottes zu verstehen und ins Werk zu setzen. Wenn es heißt: „gesalbt und versiegelt“, so ist dies keine müßige Wiederholung. Durch die „Versiegelung“ wird die Unwiderruflichkeit der Dienstweihe herausgestellt, während der Gesalbte Saul wieder verworfen wurde. Gott schließt auf dem Boden des neuen Bundes keinen Vertrag auf Widerruf; er beansprucht uns bleibend und ausschließlich für sich, in jedem Augenblick zur Ausrichtung seines heiligen Willens für ihn da zu sein. Er hat hierzu ein Recht, und er kann darauf nicht verzichten. -

In gleicher Richtung verläuft die verwandte Stelle 2. Timotheus 2,19: „Aber der feste Grund Gottes besteht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die Seinen; und: Es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer den Namen Christi nennt.“ Noch heute besteht im Morgenlande vielfach der Brauch, ein Siegel zu verwenden, das einen Spruch - meistens aus dem Koran - in sich trägt. Auf diesen alten Brauch ist hier Bezug genommen. Die feste „Gründung“ ist nichts anderes, als die Wahrheit Gottes im Evangelium, und damit Christus selbst; aber das Siegel, das diese Gründung an sich trägt, bezieht sich offenbar auf die Gemeinde, die darauf ruht (Epheser 2,19.20). Die Inschriften des Siegels bezeugen einerseits die unwiderrufliche Zugehörigkeit der Gemeinde zum Herrn und andererseits deren heilige Bestimmung. Beide Male ist es der Heilige Geist, der die Inschriften des Siegels der Gemeinde Gottes aufprägt. Einmal die Zugehörigkeit: „Wer Christi Geist nicht hat, ist nicht sein“ (Römer 8,9); sodann die Bestimmung: „Ihr seid ein Brief Christi, geschrieben mit dem Geist des lebendigen Gottes“ (2. Korinther 3,3), so daß die durch den Heiligen Geist Erneuerten auch „Geheiligte durch den Heiligen Geist“ genannt werden (Römer 15,16; vergl. Epheser 3,16; 2. Thessalonicher 2,13; 1. Petrus 1,2 usw.). Es ist in dieser beachtbaren Stelle nichts weniger gesagt, als daß das Bekenntnis zu Christus unvereinbar ist mit jedweder Ungerechtigkeit, die nicht fahren gelassen wird. Beide Inschriften des Siegels sind zum Bestandteil des Siegels selbst gemacht; die Versiegelung wird damit zum Motiv (Beweggrund) der Heiligung selbst, zugleich aber auch zur Verheißung, daß der Heilige Geist diese Heiligung durchführen wird. Keine Entschuldigung ist uns gegeben. Überweltliche Kräfte sind dem Zugehörigen Christi zur Verfügung gestellt.

Niemals tut Gott etwas Ueberflüssiges. Sobald der Mensch das Gnadenangebot Gottes durch den Glauben bejaht, ist Gott gebunden, die Heilsannahme als wirksam ebenso zu bestätigen, wie er gebunden war, die Opferhingabe seines Sohnes durch dessen Auferweckung und Erhöhung als ausreichend anzuerkennen. Vielleicht jenes - menschlich geredet - noch mehr, weil mit der Glaubensbejahung des Menschen das letzte Ziel der Erlösung noch aufgehoben bleibt und nicht sofort zur vollen Durchführung kommt. Daneben muß aber die Versiegelung zugleich die Ausrüstung dafür darbieten und in sich schließen, daß die Anwartschaft auf die volle Erlösung gesichert ist. Das Siegel kann daher auch nur der Heilige Geist sein, denn er ist von Gott dazu ersehen, das, was er angefangen, auch zu vollenden. Das Werk der Erlösung in Christus ist „mit einem Male“ ohne Abstrich vollkommen. Er hat mit einem Opfer in Ewigkeit vollendet, die da geheiligt werden (Hebr. 14,14). Die Erlösung in Christus gehört damit geschichtlich der Vergangenheit an; hingegen die Zueignung dieser Erlösung durch den Heiligen Geist läuft weiter - daher die Zukunftsform: „die geheiligt werden“. Dieser Werdegang wird bei der Parusie (Ankunft) Christi in seinem endlichen Abschluß dastehen. Bis dahin trägt die Versiegelung gleichzeitig der Welt gegenüber den Charakter des Verschlusses: „Euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott“ (Kol. 3,3).

Man könnte einwenden, daß die Versiegelung eine falsche Sicherheit begünstige und in sie gar einwiege. Gott muß es wissen, warum er es für gut befunden hat, seinen Heiligen das Siegel der unverlierbaren Gnade an die Tafel ihres Herzens zu besten - wenn er angelegentlich versichert, daß keine Macht sie zu scheiden vermag von seiner Liebe in Christus Jesus, unsern Herrn (Römer 8,38.39; vergl. Phil. 1,6 usw.). Er hat sie durch den Heiligen Geist so in die Hand bekommen, daß er es sich erlauben darf, sie seiner Bewahrung zu getrösten in einem Kampf, wo gegenüber den Angriffen Satans die eigene Kraft versagt und wo gegenüber den Anklagen des eigenen Herzens keine andere Berufung möglich ist als zu ihm, der „größer ist denn unser Herz“ (1. Johannes 3,20). Durch das Siegel des Heiligen Geistes sollen sie sich bewußt bleiben, daß sie der schöpferischen Gnade Gottes alles zu verdanken haben und daß alle ihre Quellen allein in ihm sind (Psalm 36,10).

Dazu ein anderes. Der Heilige Geist, unter dessen Bewahrung wir gestellt sind, ist ein Geist der Zucht (2. Timotheus 1,7). Dies soll uns nicht befremden, sondern trösten. Zum Lobpreis soll es uns stimmen, wenn wir nicht so uns überlassen bleiben, wie wir sind, sondern daß es in uns zu heiligen Durchrichtungen kommt und der Heilige Geist schon bei kleinen Verfehlungen uns in peinliches Verhör nimmt und nicht ruht, bis allem der Abschied gegeben wird. Wer diese Zucht des Geistes nicht kennt, mag wohl vom Christentum reden; aber wiedergeboren ist er nicht. Weil wir versiegelt sind durch den Heiligen Geist, kann er nicht anders, als darauf zu halten, daß wir „unsere Seele in den Händen tragen“ (Psalm 119,109) und „mit Furcht und Zittern schaffen unsere Seligkeit“ (Philipper 2,12). Wir leben derweilen noch im Fleisch und befinden uns stündlich in der Gefahrenzone; niemand würde unversehrt das Ziel erreichen ohne die treue Zucht und den Beistand des Heiligen Geistes. Er bleibt seiner schweren Aufgabe getreu darum, weil er das Siegel ist unserer völligen Erlösung.

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