Schlatter, Adolf - Der Römerbrief - Kap. 5, 1-11. Die Hoffnung des Glaubens.
Immer heller, Strahl um Strahl lässt Paulus Licht fallen auf Gottes Gabe. Die Gnade ist stets und von Anfang an eine vollkommene; darum finden wir, sowie wir uns ihr zuwenden, gleich das höchste Gut, die Gerechtigkeit, und der Fortschritt und das Wachstum im Christenleben besteht darin, dass wir uns in zunehmender Kraft und Fülle das aneignen, was schon mit dem ersten Aufleuchten des Glaubens unser Eigentum geworden ist. Daher erhält auch der Brief des Apostels die Gestalt, dass er vor unsern Augen aufrollt, was Gottes Werk für uns in sich schließt. Das nächste hierbei ist, dass wir zu Gott emporschauen: wie gestaltet sich nun unser Verhältnis zu Gott?
Wir haben den rechtfertigenden Spruch Gottes in Christo vor uns, im Glauben in uns. Das ist die Voraussetzung zu dem, was der Apostel uns nunmehr sagt. Dazu gehört auch das, dass wir den Zugang, die Hinzuleitung erlangt haben zu der Gnade, in der wir stehen, Vers 2. Mit der Sendung Christi in die Welt und seiner Erhöhung aus dem Tode in die Herrlichkeit ist noch nicht alles getan, was zu unserer Rettung geschehen muss. Es müssen uns weiter die Wege geöffnet werden zu Christo hin und die Bande geknüpft werden, die uns hinziehen zu ihm. Das ist wieder ein großes, vielfältiges Wirken Gottes, das jedem einzelnen in besonderer Art und Weise zu teil wird. Durch die Verkündigung des Evangeliums, durch den Dienst der Apostel, durch die Arbeit der Kirche, im Zusammenwirken innerer und äußerer Erlebnisse und Führungen werden wir hinzugeleitet zur Gnade, die uns in Christo bereitet ist. Auch diese Hinzuführung ist nicht unser, sondern Christi Werk; das bildet die Fortsetzung seiner Arbeit auf Erden, die immer wiederholte Erneuerung seines Rufs: kommt her zu mir alle, den er nun als der Verherrlichte ins Werk und Leben setzt, mit einer die Welt umfassenden Tätigkeit.
Sind wir durch ihn zur Gnade geleitet und haben wir bei ihr unsre Rechtfertigung gefunden, so haben wir Frieden mit Gott. Wir hören ja in Christo nicht das Wort des Zorns und werden von Gott nicht zurückgestoßen und verworfen, vielmehr an und aufgenommen und gerecht gesprochen. Haben wir solches Urteil Gottes im Glauben ergriffen, als uns gegeben und uns eingeschlossen in die Rechtfertigung, die uns bereitet ist, wie sollten wir nun nicht mit Gott zufrieden sein? Da ists mit dem Murren und Klagen wider ihn aus, und die Flucht von ihm weg und der stille und doch so giftige Ärger über ihn hat keinen Raum mehr in uns: wir lassen uns ihn und seine Wege wohlgefallen. Und wenn je wieder die Stimme der Unzufriedenheit in uns sich regen will, sie muss ersterben, wenn wir uns dies neu vergegenwärtigen : Gott hat mir, dem Gottlosen, Gerechtigkeit bereitet aus Glauben heraus. Als das Ziel und Ende des Gesetzes hat uns Paulus Ergebung vor Gott gezeigt, dass wir vor ihm verstummen und uns in seinen Entscheid und seine Hand legen, 3, 19. 20. Nun stehen wir höher; nun ist nicht mehr nur Ergebung unser, sondern Frieden. Wir müssen uns nicht bloß wohlgefallen lassen, was Gott tut, nein es gefällt uns wohl. Diese Änderung kommt von Gott; sie rührt daher, dass uns Christus vor die Augen. tritt und wir an ihm sehen, wie Gott sich väterlich in reicher Gnade zu uns hält. Es ist der Friede Gottes, den Gott uns entgegenbringt, an welchem unser Herz zufrieden wird.
Und nun geht uns auch der Mund auf zum freudigen Ruhm. Wir rühmen uns der Gerechtigkeit, aber eben darum auch der Herrlichkeit Gottes. Was die Lebensfülle Gottes bildet, das lässt Paulus unzerteilt. Wo Gerechtigkeit ist, da ist Herrlichkeit. Wird die Gerechtigkeit für uns wirksam uns zur Rechtfertigung, so steigt auch die Herrlichkeit zu uns herab, uns zur Verherrlichung. So erlebt es schon der Sünder, dass er um seiner Ungerechtigkeit willen auch der Herrlichkeit verlustig geht, vgl. 3, 23. So sehen wir's an Christo, den die Gerechtigkeit Gottes in den Tod gegeben und darum die Herrlichkeit Gottes auferweckt hat, vgl. 6, 4. Und so handelt Gott auch an uns, den Glaubenden, als der einige und unteilbare, der seine Herrlichkeit nicht vergisst und verleugnet, wenn er sich zu uns kehrt, sondern sie auf uns legt und in sie uns kleidet, dass wir ein Abglanz und Abbild werden seiner Herrlichkeit. Hat er seines eigenen Sohnes nicht verschont, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Dass wir ungeteilt lassen, was Gottes ist, in der Gewissheit, dass wir den ganzen Gott finden, sowie wir herzutreten zu ihm, das eben ist des Glaubens Art.
Dies ist Hoffnung, vorerst noch - Christus kam zwar als der Bote der unendlichen Gerechtigkeit, aber noch nicht als der Träger und Bringer der göttlichen Herrlichkeit. Darauf warten wir. Aber schon dies ist ein großer Gewinn, dass wir nun hoffen lernen. Solange wir ferne von Gott sind, wissen wir gar nicht, was hoffen heißt. Wir hegen wohl beständig Bilder und Träume von Glück und Lust in uns, aber sie haben stets den innern Zeugen wider sich, der sie als Täuschung und Traum kennzeichnet und unsere Erwartungen widerlegt. Und die wahrhaftigen Güter schauen uns, ehe der Glaube erwacht, leer und frostig an; für ein paar Silberlinge verkaufen wir sie. Erst glaube, dann wirst du sehen, was hoffen heißt, eine Hoffnung, deren man sich rühmt, weil sie eine lebendige und wahrhaftige Hoffnung ist.
Die Gegenwart unsers Lebens steht freilich oft genug zu unsrer Hoffnung in hartem Widerstreit. Die Trübsale stellen sich ein, wobei wir nicht nur an die natürlichen Mängel und Schmerzen unsers leiblichen Lebens denken dürfen, sondern auch an den Druck, welchen die Welt im Verkehr mit den Menschen um uns her auf uns legen kann, so dass sich das Leben zum aufreibenden Kampf gestaltet. Paulus kannte ja diese Trübsale aus besonders reichlicher Erfahrung; sein Christenleben war ein beständiger Leidenslauf. Aber auch das erschüttert unsre Hoffnung nicht, sondern befestigt sie vielmehr. Je mehr Druck, desto mehr Tragkraft; denn unter der Last erstarkt die Kraft. Je mehr ausharrende, tragende Geduld, desto mehr Bewährung; da erprobt sich unser Glaube, dass er nicht Einbildung und Phantasterei ist, sondern ein reelles Halten und Hängen an Gott. Je mehr Erprobung, desto mehr Hoffnung; jene erst gibt das gute Gewissen zu Gott, das freudige Bewusstsein, dass wir in Aufrichtigkeit mit geradem Herzen auf seinem Wege wandeln und seine Hilfe suchen dürfen. Und die Hoffnung lässt nicht zuschanden werden. Dass wir umsonst auf Gott hoffen, wenn wir nur wirklich auf ihn hoffen, das ist eine Unmöglichkeit; denn Gott verleugnet sich nicht und seine Güte bleibt ewig in ihm. So kommt Paulus zu dem Resultat: je mehr Leiden, desto mehr Hoffnung und desto mehr Erfüllung der Hoffnung. Die Trübsal kann allerdings auch die entgegengesetzte Wirkung haben, dass sie Ungeduld wirkt, und die Ungeduld führt nicht zur Bewährung, sondern zum Fall, und der Fall nicht zur Hoffnung, sondern zur Furcht, und die Hoffnungen, die wir uns dennoch einbilden, werden zuschanden und die schlimme Ahnung unsrer Furcht behält recht. Ob die Trübsal für uns zum Anfang der einen oder andern Kette von Erlebnissen wird, hängt davon ab, ob wir im Glauben an Christum stehen und bleiben oder nicht.
Für den Glaubenden aber tritt das Leiden unter die Mittel, die ihm seine Hoffnung beleben und kräftigen und eben dadurch deren Erfüllung herbeiführen. Und darum stellt der Apostel auch die Trübsal unter die Dinge, deren wir uns rühmen und freuen. Sie bleibt Leiden und tut weh, sonst wäre es keine Trübsal mehr, aber wir vermögen im Blick auf das Ende zu sprechen: ich will leiden, Herr, wenn du es willst. Und darin, dass wir auch zur Trübsal willig und freudig werden, bewährt es sich, dass wir Frieden haben mit Gott und mit ihm einverstanden sind.
Unsere Hoffnung hat aber noch eine andere Erprobung als die Trübsal zu bestehen im Blick auf das, was uns die Zukunft bringen wird. Nicht so lässt der Apostel die Sorge um unsere Zukunft zum Worte kommen, dass er fragen würde: werde ich wohl beharren und im Glauben bleiben? Diese Sorge kann leicht ungläubig sein und der Apostel würde antworten: statt zu zweifeln, ob du beharren wirst, glaube doch! fasse nur die Hand Gottes, die dich ergriffen hat! Was er vor uns hinstellt, damit die Zuversicht und Hoffnung des Glaubens sich daran bewähre, das ist das kommende Gericht Gottes, die Offenbarung des göttlichen Zornes, der wir entgegen gehen. Wir werden Jesum als unsern Richter sehen. So gewiss wir auf Verklärung und Herrlichkeit hoffen, so gewiss erwarten wir auch Gericht. Gottes Werk hat stets Recht und Gericht in sich und je mächtiger und herrlicher sich das Reich Gottes offenbart, um so ernster und schärfer ist auch das damit verbundene Gericht. Wie nun? erträgt unser Glauben und Hoffen den Blick auf den Richter, vor dem unser Verborgenes offenbar ist? Wir werden, sagt Paulus, durch ihn behalten werden vor dem Zorn. Diese Zuversicht gründet sich nicht auf unser Wirken und Handeln, auch nicht auf das, was wir im Glauben tun Gott zur Ehre in Christi Dienst, sondern sie stützt sich auf die Gabe, die Jesus uns bereits gegeben hat, auf die Liebe, die er uns schon jetzt erwiesen hat. Und um dieser Gaben willen sagt der Apostel mit fröhlichem Triumph: dann werden wir noch viel mehr behalten werden. Was Christus während seines irdischen Lebens für uns tat, das war die vollkommene Feindesliebe. Wir waren schwach, krank, sündig, Feinde Gottes; er musste uns in unsrer Tiefe suchen, und dennoch hat er uns so wert gehalten, dass er für uns starb. Dann aber stehen wir vor ihm im Schmuck seiner Gaben als die in seinem Blut gerechtfertigten und durch seinen Tod versöhnten; wie sollten wir uns fürchten vor ihm? Als würde er seines Todes Frucht und Wirkung zerstören an uns! Aus der empfangenen Gnade strömt neue Gnade, und die suchende Liebe, die uns mitten in unsrer Sünde fand, erwarb und verbürgt uns die vollendende Liebe, die uns auch am Tag des Zornes zu erhalten weiß. Hat uns, schließt der Apostel, schon sein Tod so viel gebracht, wie viel mehr wird uns sein Leben bringen, Vers 10. Was wir jetzt besitzen, das ist alles Folge und Frucht des Todes Christi; dann in seiner Erscheinung in himmlischer Herrlichkeit kommt sein Leben zur Offenbarung; dann tut er kund, was er als der Lebendige uns geben kann. Sollten wir uns vor dem Leben dessen fürchten, der für uns gestorben ist? Da haben wir wieder unmittelbar den Glauben des Apostels vor uns in seiner Kraft und Fülle, wie er von der Gabe zur Gabe aufwärts dringt: du bist für mich gestorben, so wirst du auch für mich leben; Gott hat mich in deinem Blut gerechtfertigt, er wird mich auch rechtfertigen in deiner himmlischen Herrlichkeit. So schließen, das heißt auf Jesum trauen, gläubig sein.
Paulus knüpft unser Hoffen an den höchsten Punkt au, der unserm Auge erreichbar ist, an Gottes Liebe. Darum hoffen wir auch in der Trübsal und wissen, dass unsere Hoffnung uns nicht beschämt, weil Gottes Liebe in unsern Herzen ausgegossen ist, Vers 5. Darum gehen wir hoffend dem Richter entgegen, weil Gott seine Liebe zu uns gepriesen und verherrlicht hat in Christo, durch welchen wir ihm versöhnt sind, Vers 10. Das ist das Tiefste und Innerlichste in Jesu Kreuz: Gott versöhnte uns mit ihm selbst. Seine Liebe brach durch alle Hemmungen und Trennungen hindurch, die unser Abfall von ihm hervorgebracht hat und zog uns neu zu ihm. Dazu hat er uns Rechtfertigung bereitet und alle Verurteilung, die auf uns lag, abgetan, damit die Feindschaft zwischen ihm und uns aufgehoben sei. Unser Richter, der uns freispricht und für gerecht erklärt, ist unser Vater, der den verlornen Sohn neu in seine Liebe schließt.
Seine Liebe sucht die unsrige, wie es der Liebe Art und Wesen ist. Sie gießt sich aus und strömt über in unser Herz; sie gründet selbst den Quell der Liebe in uns, indem sie uns heiligen Geist verleiht; wo aber Geist in unserm Willen ist und wirkt, da ist derselbe entbunden und gereinigt zur Liebe dessen, der uns geliebt hat.
Wie reich sind wir schon bei diesem ersten Blick auf die Entfaltung des Christenlebens geworden! Der Glaube ist nicht mehr allein, sondern die Hoffnung steht neben ihm und die Liebe ist geboren. Und die Hoffnung pflanzt auch dem Leiden Freude und dem Blick auf das Gericht Zuversicht ein. So triebkräftig und lebensvoll ist die Wurzel, die Gott im Glauben unsrer Seele eingesenkt hat.