Schlatter, Adolf - Der Römerbrief - Kap. 15, 14-16, 27. Die persönlichen Angelegenheiten.

Schon im Eingang des Briefs hat Paulus angedeutet, was ihn zum Schreiben des Briefs bewegt; nun erklärt er dies den römischen Christen nochmals ausführlicher. Er schreibt nicht aus Besorgnis oder Misstrauen gegen sie, sondern hat zu ihnen die gute Zuversicht, dass sie voll Gütigkeit sind in einem rechtschaffenen wackeren Anschluss an das Evangelium, und dass sie auch die ganze volle Erkenntnis Christi haben und nicht erst dunkel und unvollständig erfassen, was Christus ist und wirkt, 15, 14. Aber wenn sie auch nicht unmittelbar bedürfen, dass Paulus ihnen beisteht, so kann ihnen sein Brief doch einen großen Dienst leisten und sie reichlich in ihrer Erkenntnis Christi fördern und in ihrem Glauben stärken. Er hat freilich zum Teil etwas kühn geschrieben, wie er nun im Rückblick auf den Brief sagt, Vers 15. Derselbe steigt ja tief hinab und hoch hinauf. Kühn hat er allen Ruhm des Menschen vernichtet und kühn die von Gott dem Glauben gegebene Gerechtigkeit in ihrer Allgenugsamkeit gepriesen. Er hat's gewagt und Israel ohne Vorbehalt unter Gottes Gericht gestellt, und er hat's gewagt und seine Berufung in ihrer Unwandelbarkeit verherrlicht, die Gott nicht gereut. Werden sie ihm überall folgen? Vielleicht wird es ihnen manchmal scheinen, als ob er mit Zungen rede. Er schreibt ja an solche, die er noch nicht kennt.

Er schrieb ihnen, weil er Apostel ist und ihm von Christo ein heiliges, priesterliches Werk übertragen ist, Vers 15 u. 16. Das Heiligtum, das er als ein wahrhaftiger Priester zu bedienen hat, ist das Evangelium, und das Opfer, das durch seinen Dienst zu Gott herzu gebracht und ihm zu eigen gegeben wird, sind die Heiden, und die Heiligung, die diesem Opfer widerfährt, ist voll Wahrheit, Kraft und Wesen; denn sie steht im heiligen Geist. Es ist das Amt des Geistes, das er führt, durch das Evangelium unter den Heiden, die er zu Christo rufen und in ihm zu Gott herzuleiten darf. Darum hat er Ruhm vor Gott, und darum auch vor den Menschen, und tritt frei und offen vor alle, ob sie ihn kennen oder nicht, und er ist gewiss, dass sie auch in Rom darüber nicht im Zweifel bleiben werden, dass er in der Sendung und im Auftrag Christi eine heilige Arbeit betreibt in der Kraft des Geistes.

Es sind ja nicht nur Worte, leere Ansprüche und Titel, deren er sich rühmt, sondern Werke Christi in Tatsachen, die jedermann vor Augen stehen, Vers 18 ff. Er würde nicht von sich selber sprechen, wenn er nur Worte aufzuweisen hätte, aber er kann hinzeigen. auf das, was Christus durch ihn gewirkt hat. Es zieht sich nun von Jerusalem durch Syrien, Kleinasien und Griechenland bis nach Illyrien hin ein Kreis von Gemeinden, die durch seinen Dienst entstanden sind. Und er teilt der Gemeinde seinen Grundsatz mit, nur da das Evangelium zu verkündigen, wo Christus noch ganz unbekannt ist. Er setzt seine Ehre darein, dass er nicht andere vorangehen lässt, und die Frucht ihrer Arbeit für sein Werk benutzt, sondern selbst dem Evangelium die Bahn bricht und die grundlegende Arbeit tut, auf der dann die andern weiterbauen. Dadurch werden den römischen Christen nun auch seine Pläne verständlich. Er hat auf seinem bisherigen Arbeitsfeld keinen Raum mehr, trotzdem es hier noch viel Heidentum gab. Allein es reihen sich jetzt daselbst fest begründete Gemeinden an einander und ihnen überträgt er es, das Evangelium in ihren Gegenden auszubreiten. Aus demselben Grunde kommt er nur zu einem Besuch nach Rom und nicht, um daselbst zu bleiben. Denn dort besteht schon eine Gemeinde und diese soll den Namen Christi in Italien vertreten. Er sucht das nächste noch ganz heidnische Land, Spanien. Dort kann er dann seinen eigentlichen Beruf, seine bahnbrechende Arbeit wieder aufnehmen.

Aber auf dem Wege nach Spanien wird er die römischen Christen besuchen, und es liegt ihm sehr viel an diesem Besuch. Er rechnet darauf, dass sie ihn nach Spanien geleiten, er hofft auf ihre Mitwirkung. Wie die Gemeinde in Rom sich gestaltete, das war von Anfang an für die ganze Christenheit von großer Bedeutung, und sie erhielt durch die spanischen Pläne für den Apostel noch eine besondere Wichtigkeit. Sie hätte das Mittelglied zwischen seinem alten und seinem neuen Arbeitsfeld gebildet, und die Verbindung zwischen ihm und seinen Gemeinden lebendig erhalten, denen er nun durch das Evangelium zum Vater geworden war. Darum hat er ihnen schon jetzt so eingehend und mächtig den Kern seines Evangeliums vorgelegt, damit kein Missverstand und Misstrauen sich zwischen sie stelle, sondern sie mit ihm darin eins seien, Christo allein zu leben und alles bei ihm zu suchen, der allein ihre Gerechtigkeit ist.

Vorerst geht er nach Jerusalem mit der Unterstützung, die er in seinen Gemeinden für die jüdischen Christen mit großem Eifer gesammelt hat, damit sie ein Zeichen des Danks der Heidenchristenheit sei für die ungleich größere Gabe, die diese aus Jerusalem empfangen hat. Er kann diesen Dienst nicht andern übertragen; denn niemand kann in derselben Weise im Namen der Heidenchristenheit danken wie er. Er tut's auch um seiner eigenen Gemeinden willen. Denn Dank und Liebe sind auch für den, der sie erweist, eine Frucht, die auch ihm selbst zu Gute kommt, und diese Frucht will er ihnen besiegeln, zum sichern Schluss und Ende bringen, dadurch dass er ihre Gabe selber in die Hand derer legt, denen sie danken soll. Aber das ist ein ernstes, schweres Werk, wohl würdig, dass ihn auch die römischen Christen hierbei mit ihrem Gebet begleiten. Es ist ein Gang mitten in die Todesgefahr um des wütenden Widerstands willen, mit dem die Judenschaft gerade ihn verfolgt, und er denkt zugleich daran, wie leicht zwischen der Gemeinde in Jerusalem und ihm Entfremdung und Zwiespalt hervortreten könnte, die seine Gabe ihres Zwecks berauben würde, ein Band brüderlicher Einigung zwischen beiden Teilen der Christenheit zu sein.

In einer Art Nachschrift erfahren wir zunächst, durch welche Gelegenheit Paulus seinen Brief nach Rom gelangen ließ, 16,1 u. 2. Phöbe, eine Frau aus Kenchreä, einem Hafen bei Korinth, die in der dortigen Gemeinde den Dienst einer Armenpflegerin versah, war durch irgend welche Geschäfte genötigt nach Rom zu gehen. Paulus hat sie offenbar als Botin benutzt und empfiehlt sie zugleich den römischen Christen, damit sie ihr bei ihren Anliegen behilflich seien.

Und nun vergegenwärtigt er sich all die Männer und Frauen, die er in Rom bereits kennt, und deutet zugleich an, dass ihnen ihre Arbeit und Hingebung, die sie Christo und ihm selber leisteten, unvergessen sind. Voran stehen Aquila und Priscilla, die mit Paulus von Korinth nach Ephesus gezogen und daselbst geblieben sind, solange Paulus in Ephesus verweilte, vgl. 1 Kor. 16, 19. Sie sind somit erst vor kurzem nach Rom gezogen, woher sie ursprünglich stammten, vielleicht direkt des Apostels wegen, um ihn in Rom in ähnlicher Weise zu unterstützen, wie sie es in Korinth und jedenfalls auch in Ephesus getan hatten. Auch die römischen Christen sollen wissen, wie sehr ihnen Paulus zu Dank verpflichtet ist. Sie haben die höchste Probe der Aufopferung und Hingebung bestanden und ihr Leben für ihn preisgegeben. Dazu fand sich bei der steten Todesgefahr, dem „täglichen Sterben“, in dem Paulus stand, auch für seine Freunde vielfach Anlass und Nötigung; sie mussten zum Sterben willig sein gleichwie er selbst.

Aber auch sonst kennt er schon manchen Mann in Rom, teils jüdische Christen, wie jene Maria, Vers 6, oder Andronikus und Junias, die wohl das Evangelium in Jerusalem empfangen haben, da sie Christum schon vor Paulus kennen lernten und den Aposteln in Jerusalem bekannt sind, die sich auch kräftig an der Missionsarbeit beteiligt zu haben scheinen, da sie einst bei einem uns unbekannten Anlass zugleich mit Paulus Gefangenschaft litten; teils Kleinasiaten und Griechen, die seither nach Rom gezogen sind, wie jener Epänetus, der zuerst auf der Westküste Kleinasiens Christum gefunden hatte1), teils aber auch römische Männer, die ihn auf Reisen irgendwo in Griechenland oder Kleinasien getroffen hatten, oder von denen ihm Nachricht zugekommen war.

Mitten in die Grüße hinein stellt er noch ein warnendes Wort, 16, 17-20. Er hat ihnen den Gruß von allen seinen Gemeinden ausgerichtet, die alle an seinem Wunsch nach Rom zu gehen, lebhaften Anteil nehmen und den dortigen Christen ein warmes Interesse entgegenbringen. Aber der Blick auf seine Gemeinden stellt ihm auch die Gefahr vor Augen, die ihnen allen droht, durch Männer, die sie mit großen und prächtigen Worten locken, vom Segen und Wert des göttlichen Gesetzes, von der christlichen Vollkommenheit, die sich mit dem Wandel in allen Ordnungen Gottes einstelle, von der Weisheit, welche die Geheimnisse der Schrift zu fassen und in den Rat Gottes hineinzublicken vermöge, und sie damit von der Lehre, die sie gelernt haben, abführen und den Angelpunkt des Werkes Christi, sein Kreuz und seine Auferstehung, bedecken. Sie dienen damit doch nur ihrem Bauch, nicht in grober Ausschweifung, sondern deshalb, weil sie nicht von sich selbst loskommen, und solange der Mensch nur für sich selber lebt, ist eben doch der Bauch die einflussreichste Macht und der gewaltigste Herr, den er kennt. Statt sich Gott zum Werkzeug hinzugeben und Christo zu dienen, sind sie, ob sie es wissen oder nicht, Organe des Satans, durch welche er die Gemeinden versucht und ihrer Verbindung mit Christo nachstellt. Gerade der gute. Ruf, in dem die römischen Christen überall stehen, die Nachricht von ihrem freudigen Gehorsam, mit dem sie das Evangelium aufgenommen haben, könnte auch solche schlimme Gäste zu ihnen ziehen, und sie sind noch arglos und unerfahren, da sie sich noch in den Anfängen des Gemeindelebens befinden und noch nicht erlebt haben, welch schlimme Störungen aus scheinbar unschuldigen Vorgängen erwachsen können. Der Apostel mahnt deshalb zur weisen Vorsicht und richtet sich zugleich an der Hoffnung auf, dass Christus in seiner königlichen Macht bald alle Wirksamkeit des Satans vernichten und zerstören wird.

Auch diese Nachschrift schließt mit einem anbetenden Wort, Vers 25-27. Paulus überblickt den Reichtum dessen, was der Gemeinde zur Stärkung und Befestigung von Gott dargeboten ist. Sie hat das Evangelium des Apostels empfangen und zugleich auch Christi Predigt; sie hat gehört, was Paulus als Jesu Bote der Welt verkündigen darf, und weiß auch, was Jesus in den Tagen seines irdischen Wandels zu uns geredet hat. Dieses doppelte Zeugnis kann und soll sie erhalten zu festem Bestehen. Es enthüllte sich ihr durch dasselbe das Geheimnis des göttlichen Rats, das in den langen Zeiten, welche der Sendung Christi vorangegangen sind, verborgen blieb. Die früheren Geschlechter vernahmen es nicht; die Gemeinde dagegen durfte sehen und hören, was jenen versagt geblieben ist. Allerdings gab Gott den Propheten sein weissagendes Wort, aber dasselbe ließ Gottes Rat doch ein Geheimnis bleiben, und sie mussten auch so warten, bis die Stunde der Erfüllung kam. Nun aber ist es offenbar, was Gottes Reich in sich hat, wie er es gründet, wen er in dasselbe ruft. Vor den Augen der Gemeinde steht das alles nun in hellem Lichte als vollbrachte Tat. Nun erst kommt auch die prophetische Schrift zu ihrer rechten Geltung und Bedeutung. An der Erfüllung wird sie hell, und sie tritt nun zum apostolischen Evangelium und zu Christi Predigt hinzu als ein dritter Zeuge, welcher der Gemeinde ebenfalls zur Stärkung und Befestigung dient. Die Schrift hilft ihr nun, Christum zu erkennen als den, der Gottes Reich und Wille zur Erfüllung bringt, und deutet ihr sein. Werk. Und zwar erstreckt sich ihr Dienst nicht mehr bloß auf Israel, sondern sie lehrt nun auch die Heiden glauben und im Glauben Gott untertan sein. Indem Paulus so den Gang der göttlichen Offenbarung und Bezeugung überblickt, was soll er andres sagen als das: Gott ist weise, und zwar er allein! Niemand teilt die Weisheit mit ihm; er aber hat durch Christus eine Weisheit vor uns entfaltet und an uns betätigt, die alles herrlich macht. So gebührt ihm die ewige Anbetung.

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In V. 5 geben gute Handschriften statt Achaja: Asien.
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