Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 2,18-27. Der Schutz gegen die Widerchristen.

Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 2,18-27. Der Schutz gegen die Widerchristen.

Der Verkehr mit der Welt ist nicht die einzige Versuchung und Schwierigkeit, in welcher Jesu Gemeinde den Sieg behalten muss. Aus ihrer eigenen Mitte erwachsen ihr die Widersacher, und diese sind ihr um so gefährlicher, weil sie sich nicht als solche zeigen, sondern nach ihrer wahren Absicht und Art durch einen erleuchteten Blick erkannt werden müssen. Johannes tröstet und stärkt die Gemeinde gegen diese Gefahr.

Es sind jetzt viele Widerchristen geworden. Das heißt nicht nur: es findet mancher den Glauben nicht, auch nicht: es ist mancher wieder vom Glauben abgetreten und hat sich von der Gemeinde wieder geschieden und sich an seinen alten Ort zurück gewandt. Weder der Unglaube noch der Abfall vom Glauben macht den Widerchrist. Dieser Name geht auf den, der tätig und arbeitsam Christus entgegenwirkt. Wer ihn zu verdrängen sucht und sich selbst an dessen Stelle setzt, und einen andern Weg zu Gott einrichtet, und tut, als wäre er der Erlöser und Heiland der Welt, der ist ein Widerchrist. Er lässt Jesus seinen Namen nicht, zieht ihn vielmehr auf sich, stellt ihn in den Schatten und sich selbst ins Licht.

Nicht aufs Wort und den Titel kommt es hierbei an, ob er sich selbst den Gesalbten Gottes heiße oder nicht. Was er tut, macht ihn zum Widerchrist, dass er Gottes Gemeinschaft, Leben und Reich in seiner eigenen Kraft gewinnen, seine Sünde selbst tilgen, und sich und die andern selbst erlösen und heiligen will, und Christus nicht mehr braucht.

Solche Widerchristen hat der Apostel viele gesehen. Sie haben Israel verführt und in den Krieg und Untergang gerissen. Dazu haben es jene stolzen, hochfahrenden Männer gebracht, welche Jesus als ohnmächtig und nutzlos verachteten, dagegen die Verheißung Gottes auf sich zogen und sich für tüchtig achteten, das Himmelreich zu gründen und Gottes erlösendes und verklärendes Werk in Gang zu bringen. Es traten aber auch in den christlichen Gemeinden ähnliche Erscheinungen auf, nur dass sie weniger stürmisch und kriegerisch handelten, sondern sich ihren Beruf innerlicher und geistiger dachten. Aber auch sie erschienen sich als neue Religionsstifter, als Empfänger neuer himmlischer Kräfte, und redeten von neuen Mitteln der Erlösung und Heiligung, und hielten Jesu Werk für unvollkommen, und wollten es ergänzen und überschreiten, und stellten sich auf eine Höhe, die Jesus verdunkelte.

Solches Widerchristentum geht seither mächtig durch alle Zeiten der Kirche hindurch. Es ist in der römischen Kirche groß geworden und nicht weniger groß auch unter uns.

Johannes erinnert die Gemeinde an die Weissagung. Sie haben gehört, dass der Widerchrist kommt. Es ist ihnen nicht versprochen worden, dass Jesu Wort ohne Widerspruch die Welt erfülle, Jesu Werk ohne Störung die Menschheit durchdringe, dass in seiner Gemeinde nur Glaube und Dank und Anbetung für ihn sich finde, und niemand seinen Beruf leugne und seine Ehre sich selber beimesse. Vielmehr hat sie die Weissagung darauf vorbereitet, dass Christi Herrschaft bestritten werden und sein Reich durch einen großen Kampf hindurch zur Vollendung kommen wird.

Bisher sprach die Weissagung von einem einzigen Antichrist. Dem einen Christus stellte sie den einen Antichrist entgegen, dem eingebornen Sohn von oben den hoffärtigen, sich selbst überhebenden Menschen, der von unten her seine Kraft empfängt, dem, der in die Knechtsgestalt trat, den nach der Herrschaft verlangenden, dem, der sich Gott zum Werkzeug dargab und den Willen des Vaters tat, den, der seinen eigenen Willen tut. Allein die Gemeinde soll nicht bloß auf die Form der Weissagung achten, als wären die vielen Widerchristen deswegen ungefährlich und von andrer Art, weil sie viele sind. Eben auf solche Dinge, wie sie damals geschahen, rüstete sie die Weissagung. Diese ist der Gemeinde dazu gegeben, damit sie ein helles Auge gewinne, um das, was in ihrer Mitte geschieht, in seinem inwendigen Wesen zu sehen und zu verstehen.

Es ist eine verwirrende schwere Sache, dass in der Kirche selbst fortwährend laut und heftig gegen Jesus gestritten und neben den wirklichen ein vergeblicher Heilsweg gestellt wird. Das erschüttert und erschwert den Glauben und lähmt die Freudigkeit. Johannes aber zieht auch hieraus einen Trost: Daher erkennen wir, dass es letzte Stunde ist, V. 18.

Johannes meint das ernst. Was in der letzten Stunde versäumt wird, lässt sich nicht mehr nachholen. Jetzt gibt's die Entscheidungen, bei denen es bleiben wird. Und doch liegt nicht bloß die Mahnung darin, dass sie im Kampf feststehen und sich der Versuchung erwehren, sondern auch ein Trost, jener Trost, den auch Jakobus den Leidenden gegeben hat: Der Herr ist nahe. Die Frist, wo man sie noch versuchen, erschüttern und irre machen kann, ist bald vorbei. Es gilt nur noch ein wenig auszuharren, nur noch diese letzte Stunde zu überstehen. Dann kommt er, macht der Verwirrung ein Ende, bringt die Wahrheit ans Licht, lässt die Lüge der Widerchristen zerschellen und erfüllt seine Verheißung an denen, die in ihm geblieben sind. Aus der Not und Verwirrung in den Gemeinden schöpft Johannes den Antrieb zur innigen und völligen Betätigung des Glaubens. Wird jene groß, so ist dies das Zeichen, dass Christus nahe ist. Erhebt sich vielfältiger Widerspruch gegen ihn, nehmen ihm viele seine Ehre und verleugnen sie seinen heiligen Beruf, so wird er sich nun bald offenbaren, bald seinen Namen bezeugen in Macht und Herrlichkeit, bald die Lügner beschämen, bald sich kundtun als den, der vom Anfang her gewesen ist.

In solchem Glauben soll die Kirche mit dem Apostel immer eins bleiben, wie lange auch Gottes Regiment den irdischen Lauf der Dinge sich dehnen lässt. Sie soll und darf es festhalten, dass die Not die Gnade entflammt, dass die Nacht der Finsternis den Aufgang des Lichts zur Folge hat, dass Christus immer wieder dafür sorgen wird, dass sein Name unvergessen, sein Werk in seiner Heilandskraft gültig und wirksam bleibt, dass niemand ihn verdunkeln kann. Wie er dies bewirkt, ob er sich neue Werkzeuge schafft, die von ihm zeugen, oder ob er selber sich der Welt wieder sichtbar macht in kurzer Frist, das steht in seiner Hand.

Die Männer, vor denen Johannes die Gemeinde warnt, haben zuerst zur Christenheit gehört. Aus uns gingen sie hervor. Darum sind sie der Gemeinde besonders gefährlich. Es scheint, als ob man's mit einer neuen und höheren Form des Christentums zu tun habe. An Worten, die dem Evangelium entnommen waren, hat es ihnen nicht gefehlt. Sie sprachen auch von Gott und seiner Erkenntnis, vom Geist und seiner Freiheit, von der Erlösung und Verklärung und vom ewigen Leben. Es klang wie Evangelium, und war's doch nicht, weil sie sich selbst dadurch priesen und nicht Jesus, sondern ihn gering schätzten, als genüge er nicht zur Erfüllung der göttlichen Verheißung und zur Ausrichtung des göttlichen Rats. Lasst euch nicht täuschen, sagt Johannes, das ist keine Frucht des Evangeliums, kein Gewächs, das Christus gepflanzt hat. Es besteht keine Verwandtschaft und Gemeinschaft zwischen euch und ihnen: sie gingen aus uns hervor, aber sie waren nicht aus uns; sonst wären sie bei uns geblieben.

Was sie inwendig erfüllt und treibt, hat mit uns, sagt Johannes, nichts gemein. Er hängt mit seinem ganzen Herzen an Jesus, sieht in ihm den Vater, hat in ihm das ewige Leben und in ihm den Sieg über die Welt. Wie kann denn hier ein widerchristlicher Sinn entstehen, die Verleugnung Jesu, ein Unbefriedigtsein durch ihn, eine höhere Form der Frömmigkeit, als wie er sie gibt? Das sind grundverschiedene Triebe, die wider einander stehen. Wer aus uns ist, der bleibt bei uns, sagt Johannes, kraft der Treue Gottes, kraft der Festigkeit seiner Gnade, weil sein Wort bei dem bleibt, dem er es gab, und Glauben wirkt, der nicht nur jetzt Jesus ergreift, sondern bei ihm bleibt. Darum erhält er uns auch bleibend in der Gemeinschaft mit den Aposteln und bei ihrem Wort, und bleibend in der Gemeinschaft mit denen, die an ihn glauben. Und wenn uns diese Gemeinschaft entleidet, dann war das, was uns inwendig bewegte, von Anfang an nicht Christus und sein Wort, sondern unsere Einbildung. Doch sie sollten offenbar werden, dass sie nicht alle aus uns sind. Auch der Streit in der Gemeinde ist von Gottes Regierung umfasst und hat deshalb einen guten Zweck. Es soll ans Licht kommen, dass nicht alle Glieder der Gemeinde auch innerlich am Evangelium Anteil haben und in der lebendigen Verbindung mit Christus stehen. So wird die Gemeinde zum Glauben genötigt, der auf Christus blickt und an ihn sich hält, und sich nicht damit beruhigt, dass wir der Kirche uns angeschlossen haben und der Mitgliedschaft in derselben teilhaft geworden sind. Dass wir uns tiefer gründen, und nicht an der Kirche unser Genüge haben, sondern Gott suchen, dazu dienen uns solche Ereignisse, die offenbar machen, dass in der Kirche vielerlei beisammen ist und der Stand in derselben uns noch nicht gegen uns selber schützt.

Johannes war für seine Leser getrost. Sie haben das Vermögen, sich in der Wahrheit zu erhalten, und die verführerischen Gedanken abzuweisen. Ihr habt die Salbung vom Heiligen und wisst alles, V. 20. Der Widerchrist stellt sich in seiner Hoffart Christo gleich. Was jener mit sündlichem Griff an sich reißen will, das hat der Glaubende von Jesus empfangen, eine Salbung, die ihm am Namen Christi Anteil gibt. Er ist durch ihn auch ein Christ geworden, einer, den Gott durch eine Salbung bezeichnet und geheiligt.

Alles, was von Jesus gilt, fällt seiner Gemeinde zu; er behält nichts als sein Vorrecht für sich, woran er uns keinen Anteil gäbe. Er ist der Sohn Gottes, und macht uns zu Gottes Kindern. Er ist der Auferstandene, und hat für uns das Leben offenbar gemacht. Er ist der Gesalbte, und gibt uns die Salbung. Eben dann, wenn wir dies erkennen, wird er vor uns recht groß, immer größer und herrlicher. Denn je reicher seine Gabe für uns ist und je mehr er uns zu sich erhebt, um so tiefer sind wir vor ihm, dem Geber solcher Gnade, gebeugt.

Jesu Salbung geschah im Geist, durch den ihn der Vater zu seinem königlichen Beruf bestimmt und ausgerüstet hat. Haben auch wir eine Salbung empfangen, so geschah sie dadurch, dass auch uns der Geist unsern Ort zuteilt, bei Jesus, dass wir ihm gehören und verbunden sind. Ist's sein Beruf, königlich zu regieren, so ist's unser Beruf, ihm zu dienen. Ist's sein Amt, uns zu erlösen, so ist's unser Amt, als die Erlösten ihn zu preisen. Zu solchem Amt sind auch wir ausgesondert und ausgerüstet, wie Christus zu dem seinigen. Vom Heiligen haben wir die Salbung, von Christo her, den uns Johannes hier als den Heiligen beschreibt, damit wir den Wert seiner Salbung recht erkennen. Der Heilige hat recht und behält die Macht und ist die lebendige und sichere Schutzwehr gegen alles Böse. Was der Heilige salbt, ist durch seine Heiligkeit geschützt, unantastbar für jeden Widersacher, und vor dem Verderben behütet. Darum sieht der Apostel mit freudigem Trost auf die Gemeinde: euch hat der Heilige die Salbung gegeben; was sollte euch verführen oder verderben?

Mit der Salbung ist ihnen ein klarer Blick geschenkt, der alles weiß. Sie sollen sich nicht mit der Sorge quälen, ob sie auch die Verführung erkennen und Christus unverwirrt im Auge behalten werden. Sie haben die Klarheit und Urteilsfähigkeit und wandeln nicht im Finstern. Denn ihre Salbung ist nicht durch ein totes Zeichen an ihnen geschehen, sondern durch den Geist, der erleuchtend und leitend in ihnen ist.

Alles1), sagt Johannes; er umspannt mit seiner Zuversicht jede Schwierigkeit, die ihnen widerfahren mag. Gott wird sie durch alles durchleiten, und ihnen überall zur richtigen Entscheidung helfen. So lesen wir auch bei Jakobus, dass Gott dem, der ihn bittet, mit seiner erleuchtenden Weisheit nahe ist, und bei Paulus lesen wir dasselbe gläubige „alles“, wenn er sagt: der vom Geist Geleitete erforscht alles, nichts bleibt ihm dunkel, alles löst sich ihm, 1 Kor. 2,15.

Dieses alles empfängt sein Maß nicht aus unsrer Neugier, die unsere Gedanken ohne Zügel und Regel schweifen lässt, weit über unsern Beruf hinaus, sondern durch die Führung unsres Lebens, durch das, was Gott uns in die Hand gibt, dass wir's überwinden und ihm daran dienen. Da wird sich in allem der richtige Weg uns zeigen und wir brauchen nirgends töricht und verführbar zu sein. Die Gemeinde soll auch den Brief des Apostels nicht so verstehen, als schwebte er in Angst und Sorge um ihren Christenstand. Er will sie nicht hinunterbeugen in die Furcht, sondern aufrichten durch Glauben zum ungebrochenen Mut, und deshalb versichert er sie, dass er nicht deshalb schreibe, weil sie die Wahrheit nicht kennen, V. 21. Sie stehen bei Christus und damit in der Wahrheit, und deren Leitung versagt nicht; sie wird sie wohl beschirmen gegen alle, welche wider sie reden und sie irre leiten möchten. Darum fehlt es aber Johannes nicht an einem starken und kräftigen Grund zu seinem Brief. Er schreibt, weil sie die Wahrheit kennen. Das macht sie ihm teuer; darum will er sie in derselben erhalten und befestigen, und darum wird sein Brief bei ihnen seine Frucht schaffen. Denn weil sie die Wahrheit haben, lassen sie sich dankbar von ihm mahnen und weisen, und haben ein offenes Ohr und gehorsames Herz für sein Wort.

Sodann schreibt Johannes deswegen, weil alles Erlogene nicht aus der Wahrheit kommt, weil es von der Wahrheit zur Lüge keine Brücke gibt. Aus der Wahrheit erwächst in unserem Denken und Wollen nur Wahrheit, nur helle Gedanken, die Gottes gewiss sind und Christum verstehen. Weil Wahrheit und Lüge in der Gemeinde beisammen sind, scheint es, als ob beides aus derselben Wurzel käme, als ob das Evangelium auch diese trüben Dinge hervorbringe und solche Verirrungen erzeuge. Und doch besteht hier keine Gemeinschaft und kein Übergang. Es gibt keine Lüge, die sich der Wahrheit als ihrer Mutter rühmen dürfte, und sich damit entschuldigen könnte, dass sie sich in richtiger, gerader Ableitung aus der Wahrheit ergebe. Wegen dieses gänzlichen und scharfen Gegensatzes schreibt er der Gemeinde, damit sie gegen jede Lüge verschlossen und sich der Kluft bewusst sei, die sie von jeder Verfälschung der Wahrheit und Verleugnung Christi trennt.

Lügen heißt leugnen, dass Jesus der Christus sei. Um Jesus ging der Kampf in der Gemeinde: was er sei, was man von ihm erwarten und von ihm glauben dürfe. Johannes fasst es in den einfachsten Ausdruck: Jesus ist der Christus. Das war das Bekenntnis der Jünger vor Jesus selbst und nachher beständig in ihrer ganzen apostolischen Arbeit, und das Bekenntnis der gesamten Gemeinde, die sich um sie sammelte. Er, dessen Lebenslauf die Jünger kannten von Nazareth bis zum Kreuz und zum Ostertag, er, nicht eine Lehre, nicht eine geheimnisvolle Kraft, nicht ein von oben niedersteigender Geist, nicht eine himmlische Offenbarung irgend welcher Art, nein, er, dieser Mensch Jesus, er ist der Christus, der mit der Salbung begabte, der zum Herrn der Gemeinde erwählte, der zum König berufene, der über Gottes Reich gesetzte. Das leugnen heißt lügen.

Wer ist der Lügner, wenn's nicht der ist, der das leugnet? Jesus kennen, und sich vor ihm als dem Christus beugen, ist für den Apostel eins. So hell leuchten an ihm die Kennzeichen seiner Sendung, so vollkommen steht er mit seinem Beruf in Übereinstimmung, so offenbar ist der Vater in ihm. Dass er der Christus sei, war nicht eine Vermutung der Apostel oder ein tastendes Hoffen und Raten, ob's wohl so sein möge. Ich müsste lügen, sagt Johannes, wenn ich's leugnen wollte, und ihr auch, und mehr lügen, als irgend ein Lügner, müsste mich eigenwillig der Macht der Wahrheit entziehen, und mich mit hartem Trotz wider sie setzen. Denn das ist das offenbarste, deutlichste, allergewisseste, was im Bereich unsrer Augen liegt.

Keine andre Wahrheit, die uns vorgehalten wird, fasst und bewegt so mächtig alle unsere Kräfte, durch die wir der Wahrheit fähig sind, wie Jesu Bild. Es erweckt das Andenken an Gott, das in jedem Menschen schlummert, und mit Macht erwacht, wenn er auf Jesus blickt; es erweckt das Gewissen, das Jesu Zeugnis gibt mit unbestechlichem Wohlgefallen; es erweckt die Bewunderung, die seine Hoheit empfindet, und spürt, dass hier der Heilige zum Sünder tritt; es erweckt die Empfindung unsrer Not und Gefahr, und lässt uns erkennen, dass uns in ihm die Hilfe erscheint. Das alles müssen wir ersticken und töten, wenn uns Jesus nichts gelten soll, und müssen alle diese Züge zu ihm hin entkräften und uns ihnen entwinden. Wer das kann, sagt Johannes, der ist der Lügner, der das Lügen versteht und treibt als seine innerliche Art und Eigenschaft.

Was soll er noch klar und hell erfassen, wenn er sich Jesu Bild entstellt und verkehrt? Soll er der Wahrheit gemäß von sich selber reden? Täte er's, so würde er in Jesus seinen Herrn erkennen. Oder von Gott? Täte er's, so sähe er im Sohn den Vater. Oder von der Welt? Dann sähe er, dass sie ihn bedarf.

Dies ist der Widerchrist. Kommt's zum Leugnen, so kommt's auch zum Widerstand und Streit mit ihm. Wer ihn leugnet, will ihn verdrängen und ersetzen und überträgt Jesu Namen auf sich selbst. Niemand kann Christi Stelle völlig leer lassen. Wir brauchen jemand, der uns führt, auf den wir blicken dürfen, als auf unsern Herrn, der uns verzeiht, heilt und lebendig macht, durch den Gott bei uns ist. Ist's nicht er, so ist's ein andrer. Auf einen andern warten, nachdem er gekommen ist, das eben ist das Widerchristliche. Wer ihn leugnet, dem gefällt er nicht in seiner Menschlichkeit, in seiner Knechtesart, in seiner Kreuzesgestalt. Es fehlt ihm die Herrlichkeit der Macht, die welterneuernde Wirkung. Sein Wort verachtet er; was ist doch sein Wort! Dafür malt er sich einen andern Heiland, will auch wohl sich selber Heiland sein. Das ist der Widerchrist.

Er leugnet den Vater und den Sohn. Die Widerchristen, die aus der apostolischen Gemeinde herauswuchsen, haben sich auch irgendwie zu Gott bekannt. Sie haben nicht die Natur angebetet, sondern Gott und seine himmlischen Geister über sie gesetzt. Und doch sagt Johannes: sie verleugnen den Vater. Denn der Vater hat Jesu sein Wesen gegeben und seinen Weg geordnet und hält ihn gerade so, wie er gekommen ist, als Sohn in seiner Liebe und Gemeinschaft und macht ihn uns zum Mittler des Lebens. Wem darum der Sohn missfällt, dem missfällt auch der Vater, und der Streit gegen Jesus trifft Gott. Eben dasselbe, was den Glauben an Jesus wirksam und zu unserem größten Reichtum macht, eben dies macht auch die Lüge, die ihn beiseite wirft, verderblich, giftig und zu unserem Sturz. Beides rührt daher, dass Gott mit Jesus und Jesus mit Gott eins und verbunden bleibt. Darum hat der, der sich zu Jesus bekennt, auch den Vater. Wem aber Jesus missfällt, so dass er ihn verleugnet, der hat auch den Vater nicht. Denn der Vater lässt sich nicht von seinem Sohne trennen, so dass er für uns wäre, auch wenn wir den Sohn schelten, bestreiten und verleugnen. Er hält es nicht mit uns gegen seinen Sohn. Zwischen dem Vater und dem Sohn vermag der Mensch nicht Zwietracht zu stiften. Wir haben sie in ihrer Eintracht für oder wider uns.

In manchem lebt die Furcht Gottes und ein redliches Vertrauen zu seiner Regierung und Gnade, ohne dass er zum deutlichen Blick auf Jesu Werk und zum klaren Glauben, der ihn bekennt, gelangt. Wir dürfen unsern Spruch nicht dazu missbrauchen, um solche Frömmigkeit zu schelten. Sie hat Gottes Verheißung und steht unter der Gnade Jesu. Es ist ein Unterschied zwischen dem, der Jesus verleugnet, nachdem ihm sein Name bezeugt, sein Wandel erzählt und sein Werk von ihm verstanden ist, und dem, der ihn nicht versteht und nicht fasst, dass er der Sohn ist, während die mancherlei Zeugnisse Gottes, die in der Natur und im Gewissen zu uns kommen, ihn bewegen. So war's ja auch in Israel. Sie hatten vor Jesu Zeit noch keinen deutlichen Blick, wie Christus kommen und was er tun sollte, und dienten doch Gott ihm zum Wohlgefallen und hatten den Vater und waren nicht in der Fremde, fern von ihm, sondern dienten ihm in seinem Haus. Und Ähnliches wiederholt sich immer wieder in der Christenheit. Wenn uns aber Gott durch die Führung unsres Lebens zu Jesus bringt, dass uns das Evangelium vom Sohne Gottes hell und stark erfasst, dann sollen wir's wissen und bedenken: jetzt handelt es sich für mich um Gott, und wie ich mich zu Jesus stelle, so habe ich den Vater für oder wider mich.

Darum mahnt Johannes die Gemeinde, dass sie beim apostolischen Worte bleibe, wie sie es von Anfang an gehört hat. Denn wenn das Wort in ihnen bleibt, bleiben sie im Sohne und im Vater. Das ist die Macht des Worts, dass es uns zu ihm stellt und in ihn versetzt, und zwar nicht in den Sohn allein, und nicht in den Vater allein, sondern in den Sohn und in den Vater zugleich, so dass wir die einträchtige, untrennbare Gnade und Liebe beider haben, und von beider Hand getragen sind.

Jeder Widerchrist will Jesus auch in seiner Verheißung überbieten und gibt denen, welche dem neuen Wege folgen, prächtige Versprechungen. Darum erinnert Johannes die Gemeinde an das, was uns Jesus versprochen hat. Seine Verheißung ist das ewige Leben, V. 25. Niemand kann uns ein größeres Versprechen geben und nirgends uns ein herrlicheres Ziel locken. Wer Jesu Verheißung als ein wahres Wort verstanden hat, der bleibt bei ihm. Johannes konnte die Gemeinde nicht allein gegen die Verführer schützen; sie müssen selbst je und je den rechten Weg erkennen und gehen. Er kann nicht für sie handeln; sie müssen sich selber schirmen, selbst den Kampf durchfechten und den Sieg behalten. Er stärkt ihnen hierzu den Mut: Die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, die bleibt in euch, V. 27. Sie sind nicht nur für jetzt mit dem Siegel Christi versehen und nicht für eine vergängliche Frist durch seinen Geist geweiht. Das ist eine ernst gemeinte Gabe; sie bleibt bei ihnen, weswegen sie keiner menschlichen Unterweisung bedürftig sind. Wären sie an die Menschen gebunden, so würde aus ihrem Christenweg ein ungewisser Gang; denn unter den Menschen, die uns leiten, kann ein Verführer sein. Hängen sich Menschen aneinander, so kommt es leicht so, dass ein Blinder den andern in die Grube leitet. Aber sie haben einen höheren und zuverlässigeren Führer. Jesu Salbung lehrt sie. Er selbst ist der lebendig gegenwärtige Leiter der Gemeinde, und das Mittel, durch welches er sie inwendig hell und klar macht und ihren Blick auf ihn richtet, dass sie ihn nicht verlieren kann, und auf den Vater, dass er ihr nicht verdunkelt wird, das ist sein Salböl, der Geist, durch den er sie als sein Eigentum bezeichnet hat.

Auch hier setzt Johannes sein glaubensstarkes „alles“ hin. Über alles lehrt euch die Salbung. Sie lässt euch niemals stecken und verstummt nicht, wenn ihr sie braucht, und ist wahr und ist nicht Lüge, wie die eigenen Erfindungen der menschlichen Religionsmacher. Darum liegt ihnen nur eine ob, dass sie sich der inneren Unterweisung gehorsam untergeben und wie's ihnen durch dieselbe gezeigt wird, in ihm bleiben. Das ist das Ziel der ganzen uns innerlich geschenkten Wahrheit und Erkenntnis, dass wir sehen und merken mögen, wie wir uns von Jesus entfernen würden, was uns mit ihm zusammenhält und wie wir seinen Willen tun. Der Geist ist uns nicht als Ersatz für Jesus gegeben, sondern als Band mit ihm.

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Andre alte Bibeln geben: ihr wisst alle. So beschreibt Johannes alle Glieder der Gemeinde, die hochbegabten und die schwachen, ohne Ausnahme, sowie Christi Wort bei ihnen ist, als der Verführung überlegen und geschickt ihren Weg zu finden. V. 27 sagt er aber auch „alles“.
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