Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 4, 7-11. Der Ursprung der Liebe aus Gott.

Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 4, 7-11. Der Ursprung der Liebe aus Gott.

Wir lieben einander, V. 7. Das ist das Merkmal der Gemeinde Jesu, die Eigenschaft derer, die das apostolische Wort hören und bewahren, der Beruf und die Art der Christenheit. Und es liegt Johannes daran, uns recht deutlich zu zeigen, dass eben dies unser Beruf ist und dass wir ihn nicht in andern Dingen suchen dürfen. Wo Geist sich regt, der nicht aus Gott ist, da wird der Zweck und das Glück des Lebens in andern Dingen gesucht, etwa darin, dass wir am Wissen reich werden, auch in Gottes Dinge Einblick gewinnen und uns mit heller Erkenntnis in Gottes Geheimnisse vertiefen, oder darin, dass wir über uns selber Macht gewinnen, unsern Leib und seine Regungen beherrschen und von seinen Bedürfnissen frei werden, oder darin, dass wir über die Welt um uns her Macht gewinnen, sie kultivieren, reformieren, verschönern, ja verklären und ihr zu neuen, bessern Ordnungen helfen, in denen sich die menschliche Gemeinschaft bewegen kann. Das alles, sagt Johannes, tun wir nicht. Wir ergründen nicht Gottes Geheimnisse, machen nicht mancherlei Experimente mit unserem Leib, kultivieren und verschönern die Welt nicht. Das vermögen wir nicht und tun wir nicht, es ist nicht unser Beruf. Was tun wir denn? Wir lieben einander. Das macht uns das Evangelium zu unsrem Lebenszweck. Derselbe reicht vollständig aus, wird jeden Tag wieder neu, spannt alle unsere Kraft, beschäftigt unser ganzes Denken, welkt und dorrt nicht ab, wird nie schal und leer, ist immer reich und frisch, süß und ernst zugleich.

So machen wir's und haben darin unser Geschäft, und leben diesem Zweck, und keinem andern; denn die Liebe ist aus Gott. Für jede Regung eines ehrlichen Wohlwollens, womit du an den andern Anteil nimmst, und für sie sorgst, dass ihnen Leben beschert sei, und die vollkommene Freude, und Wahrheit in ihnen sei, und Finsternis, Schmerz, Tod und Bosheit ihnen erspart seien, für jede Regung echter Liebe darfst du Gott danken. Das ist sein Geschenk; das macht er und er allein. So bewegt sich ein Menschenherz, wenn Gott es führt und sein Werk an ihm treibt.

Und jeder Liebende ist aus Gott erzeugt. Das ist nicht nur eine einzelne Gabe, die unsere übrige Art nicht weiter änderte und den Kern unsres Wesens leer und gottlos ließe. So sind wir lebendig worden durch Gott, haben Gott zum Urheber und Schöpfer für das, was uns unsere Art und unser Wesen gibt. Wir sind dadurch Kinder Gottes worden und dürfen ihn mit uns verbunden wissen, wie ein Vater mit dem Kind verbunden ist. Und er erkennt Gott. So lange an uns alles anders ist als bei Gott, ja ihm entgegengesetzt und widerstrebend, können wir ihn nicht fassen und verstehen. Was wir über Gott sagen und denken, nimmt notwendig unsere eigne Farbe an und das ist eine falsche Farbe, die ihn entstellt und unwahr macht, ehe wir zum Lieben bewogen und aus der Einsperrung in unser hohles eigenes Ich befreit worden sind. Wer in seiner leeren, nichtigen Selbstsucht eingeschlossen ist, denkt sich auch die Welt hohl als eine leere Blase, die aus sich selbst entstanden sei; oder wenn er Gott neben die Welt hinstellt, so macht er ihn so geistlos, zwecklos, tot, leer und hart wie sich selbst. Er macht sich eine Welt und einen Gott, wie sie seine Selbstsucht nicht stört, sondern ihr dienlich ist, und ist drum auch gegen alle Zeugnisse, durch die Gottes Gnade unter uns redet und wirkt, blind. Sie passen sämtlich nicht in seinen Gedanken hinein und er geht an ihnen vorbei, weil sie ihn nur stören. Ist uns Liebe geschenkt, jetzt erst haben wir ein Maß, in welches sich Gott wirklich fassen lässt und das uns deutlich macht, soweit wir Menschen es fassen können, was Gott denkt und tut, wie er lebt und selig ist. Sie macht uns auch seine Zeugnisse und Werke verständlich, weil sie alle derselben Quelle entspringen, die auch uns belebt. Sie stammen alle aus seiner Liebe und dienen ihr, und wer sie selber in sich hat, der erkennt sie wieder und sieht, dass sie hier in göttlicher Größe und Heiligkeit vor uns erscheint. Wer nicht liebt - was tut denn ein Mensch, wenn er nicht liebt? Dann klebt er an sich selbst, dreht sich mit seinem Denken und Trachten um sich selbst, sucht seinen Lebenszweck bei sich selbst, und hält es für seinen Beruf, sich selbst zu dienen und alles andre sich dienstbar zu machen: der hat Gott nicht erkannt. Mag er noch so viel Geist haben und Scharfblick, der das natürliche Gefüge der Welt auflöst, deutet und beherrscht, für Gott hat er nur Unverstand und Verachtung, weil er die Liebe verachtet. Sie begleitet Gottes Erkenntnis auf ihrem ganzen Weg von ihrem Anfang bis zu ihrer Vollendung hin. Sie macht uns den Anfang möglich, dass wir ihn spüren und erkennen, und schließt wiederum als Frucht und Gewinn jede Kräftigung unsrer Erkenntnis Gottes ab. Denn sie zieht aus jedem Blick auf Gott neuen Antrieb und Lebendigkeit. Fehlt sie, so fehlt die Bedingung und Wirkung der Erkenntnis Gottes, somit auch diese selbst. Johannes stärkt damit die Gemeinde in ihrem Beruf, einander zu lieben, gegen die stolzen Wissenden, die denselben geringschätzen und ihre Erkenntnis ihr anpreisen als einen viel größeren Schatz, und dabei den Hass in sich erwecken und den Hader und den Zank pflegen, und die herrische Sucht, welche die andern knechten und meistern will. Der Liebende hat den Schlüssel zur höchsten Erkenntnis; sein Auge allein erreicht Gott. Jenes stolze Wissen, das nicht lieben mag, ist vor Gott finster und ohnmächtig.

Denn Gott ist Liebe. Er ist auch Macht, ist Zorn, ist Gerechtigkeit, ist Weisheit. Das alles hat er nicht als etwas Fremdes an sich, sondern er ist's. Und doch lässt sich nicht in derselben Weise sagen, dass er dies sei, wie hier Johannes sagt, dass er Liebe ist, weil sie die höchste und regierende Gestalt des göttlichen Willens ist, die alles, was Gott denkt und tut, durchdringt. Er ist nicht neben ihr noch etwas Anderes und Höheres. Ihretwegen ist er der Schöpfer und Regierer der Welt, und der Ernst seines Zorns und Gerichts entspringt aus ihrer Größe und Wahrhaftigkeit, und seine Gerechtigkeit hat in ihr ihren Grund. Darum macht sie allein alle Worte und Werke Gottes verständlich, und wer sie nicht hat, ist für Gott blind.

Die Liebe bleibt nichts Verstecktes und Verborgenes. Sie lebt ja für die andern, und freut sich an den andern und hat im Geben ihre Art. Auch Gottes Liebe wurde in uns offenbar. Sie hat sich sichtbar gemacht an uns durch die Gabe, mit der sie uns beschenkt, und in uns dadurch, dass wir ihre Gabe empfinden und erkennen und dadurch die Liebe wahrnehmen und schmecken, aus der dieselbe kommt und die sie in sich trägt. Offenbar ist Gottes Liebe dadurch worden, dass er seinen einzigen Sohn in die Welt sandte, damit wir durch ihn leben, V. 9. Seinen einzigen Sohn, nicht bloß mancherlei Boten, die uns an ihn erinnerten, sondern den, der so einzig ist wie Gott selbst und keinen Genossen hat, sondern in einer unvergleichlichen Einheit mit ihm steht, als seines Wesens teilhaft, den sandte er uns, und stellte ihn in die Welt hinein, so nah zu uns, dass er uns offenbar ward, unter uns stand und mit uns ein Glied derselben Welt geworden ist. In die Welt hinein stellte er ihn, wo doch für sein göttliches Wesen und Leben kein Raum ist, wo der Tod und das Kreuz auf ihn warteten. Dennoch sandte er ihn zu uns als den Überbringer des größten Geschenks, und das war für uns erstorbene Leute das Leben. So wurde es an und in uns offenbar, dass Gott Liebe ist, und das Unglaubliche ist uns sichtbar gemacht, dass Gott nicht das Seine sucht, sondern das Unsere, und nicht sich verherrlicht sondern uns, und sich dadurch verherrlicht, dass er uns erhöht.

Nicht darin steht die Liebe, dass wir Gott Liebe erwiesen haben. Wir vergessen ihn mit leichtem Herzen und kümmern uns um seinen Willen wenig. Auch nicht auf die Liebe, die wir durch Christus lernen und empfangen, ist Gottes Liebe aufgebaut. Wie unsäglich kümmerlich bleibt sie in uns, so dass wir uns schämen müssen über die elende Weise, wie wir Gott je und je behandeln. Seine Liebe kommt aus seinem eigenen Herzen, er selbst ist sie. Darum hat er uns Jesus gesandt, als Versöhnung wegen unsrer Sünden, V. 10. So wenig sind wir die Anfänger der Liebe, dass er selbst uns derselben erst fähig und würdig machen muss, dadurch dass er unsern Sünden Vergebung bereitet. Dazu hat er uns seinen Sohn gesandt, damit er die Deckung unsrer Sünden sei, hat selbst dadurch seiner Liebe die Bahn geöffnet, auf der sie zum Sünder, der lieblos und gottlos geworden ist, herniedersteigen kann. Ihr könnt euch nicht besinnen, sagt Johannes, was nun eure Schuldigkeit und Aufgabe ist. Hat uns Gott so geliebt, so sind auch wir schuldig, einander zu lieben. Die Gnade, die uns erwiesen ist, bringt uns nun auch in ihren Dienst und beruft uns dazu, dass auch durch uns Liebe und Hilfe zu denen kommen, die wie wir ihrer bedürftig sind. An Gottes Liebe in der Sendung Christi haben wir's vor uns, was Gott uns als Pflicht und Beruf zuteilt. Gottes Werk bestimmt auch unser Werk.

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autoren/s/schlatter_a/schlatter-johannesbrief_12.txt · Zuletzt geändert: von aj
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