Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 3, 19-24. Die Frucht der Liebe im Verkehr mit Gott.
Daran, dass wir's zur redlichen Liebe bringen, die keine Lüge, sondern Wahrheit ist, und darum nicht bloß Worte, sondern Werke bei sich hat, werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind. Johannes möchte uns gern zum guten Gewissen helfen, dass wir wissen, wie es um uns steht, und nicht dem Gewoge des Meeres gleichen, Jak. 1,6, durch unsere Haltlosigkeit und Unsicherheit. Das ist der Segen und Gewinn, den uns selbst das redliche Handeln und die treue Liebe bringt, dass wir dadurch inwendig zur Ruhe kommen und zum festen Stand.
„Aus der Wahrheit sein“ ist auch eines der Worte, die Johannes von Jesus gehört hat. Jesus hat die Leute unterschieden in solche, die aus der Wahrheit sind, und in solche, die es nicht sind, und hat gesagt: wer aus der Wahrheit sei, der höre seine Stimme, Ev. 18,37. Wir können in der Wahrheit unsern Boden und unsere Wurzel haben, an der wir festgeheftet sind, und aus der wir herauswachsen, weil sie uns unsere Gedanken gibt und unsern Willen leitet. Wenn wir einander redlich dienen mit der Liebe, wie sie uns beschrieben ist, dann bewährt es sich, dass wir durch die Wahrheit gehalten sind. Sie zeigt, dass unsere frommen Gedanken nicht Einbildung sind und unsere Gemeinschaft mit Gott keine Selbsttäuschung, und unser guter Wille keine Lüge.
Jedes ernste Gebet und jeder gesammelte Aufblick zu Gott lässt es uns empfinden, dass Gott Licht ist und alle Täuschungen vor ihm zergehen. Dann zeigen und regen sich alle Unaufrichtigkeiten und inwendigen Schäden und belasten unser Gewissen, lassen unser Gebet verstummen und machen uns zum Glauben unfähig. Wenn wir dagegen den Brüdern in redlicher Liebe dienen, so werden wir unser Herz vor ihm beruhigen. In demjenigen Christenstand, zu dem uns Johannes anleitet, gibt es keine stolze Sicherheit. Unser Herz wird oftmals beben, und gegen die Freudigkeit des Glaubens Einsprache erheben, und es nicht wagen, Gottes Verheißung an sich zu ziehen. Ja, es wird verklagend wider uns reden und unsere vielfältige Schuld uns vorhalten. Und doch müssen wir's verstehen, unser Herz zu beruhigen, damit der Friede bei uns sei und wir mit ungeteiltem Herzen auf Gott blicken und ein Gebet gewinnen, das aus einer gesammelten Seele kommt. Deswegen genießen nicht bloß die andern, sondern auch wir selbst unmittelbar und reichlich den Lohn und Segen jeder treuen Arbeit in Gottes Dienst. Sie hilft uns glauben, hilft uns über die Einrede und Anklage unsers Herzens hinweg, und wir vermögen es damit zu beruhigen, dass Gott größer ist als unser Herz und alles kennt. Unser Herz hat mit seiner Anklage vollständig recht und wir können seiner Beschuldigung nicht widersprechen. Aber unsres Herzens Urteil gilt hier nicht, sondern Gottes Urteil. Hier spricht der, der größer ist als unser Herz. Kann unser Herz nicht vergessen, Gott kann vergeben; muss unser Herz die Schuld empfinden, Gott macht uns rein und gerecht; muss unser Herz den Schaden für unheilbar achten und sich vor der Gefahr des Sturzes ernstlich fürchten, vor Gott ist das kein Hindernis. Er kennt alles, weiß, was unsere Sünde ist, weiß aber auch, wie's mit unsrer Liebe steht, weiß, dass wir ihm redlich dienen und sein Gebot in unserem Herzen lebt. Aber wie soll es uns ein Trost sein, dass Gott alles weiß, wenn wir nicht aus der Wahrheit sind, sondern bei Täuschungen, leeren Worten und unredlichem Schein unsere Hilfe suchen? Aller lügnerische Trost und falsche Schein zergeht vor Gottes Blick. Wenn wir aber an der Wahrheit hängen und aus ihr erwachsen, dann freilich ist's ein süßer Trost und tiefer Friede, dass das ganze Geflecht unsres Lebens ihm völlig bekannt und verständlich ist, und sich nichts in uns regt, was er nicht nach seinem Grund und seiner Art durchschaut. Er, der alles weiß und uns vollständig kennt, hat uns Jesus offenbar gemacht und uns sein Wort ins Herz gelegt, das uns von seiner Gnade und Gemeinschaft Zeugnis gibt. Das tut er nicht, weil er uns nicht kennt, sondern weil er uns kennt.
Jakobus hat uns an Abraham gezeigt, wie das Werk den Glauben völlig macht, und Johannes zeigt uns hier, dass der sein Herz stillen kann, der aus der Wahrheit ist. Beide führen uns denselben Weg.
Wenn Freude und Stille in unsrem Herzen ist, dann besitzen wir das freie, freudige Wort zu Gott, und wir können das Größte, was in unserem irdischen Leben Raum hat: beten, so beten, dass unser Gebet uns die Gabe Gottes bringt. Unbegrenzt ist die dem Gebet gegebene Verheißung: was wir bitten, empfangen wir von ihm, V. 22. Sowie es zu einem wirklichen Gebete kommt, nicht nur zu einem vergeblichen Versuch, zu beten, der in sich selbst wieder zusammensinkt, zu einem Anlauf gegen Gott, der einem ungläubigen, also sündlichen Trieb entspringt und darum niemals gelingen kann, wenn wirklich unser Herz nach der göttlichen Gnade greift, da ist das Bitten nicht vergeblich, sondern trägt uns Gottes Gabe zu, deswegen, weil wir seine Gebote bewahren und tun, was vor ihm wohlgefällig ist. Gott kann uns nicht dienen, wenn wir ihm nicht dienen, kann uns nicht unsern Willen tun, wenn wir nicht seinen Willen tun. Ein Gebet, das unsern und Gottes Platz vertauscht und uns zum Herrn, Gott zum Knechte macht, steht jenseits der Verheißung. Wie uns Jakobus sagt, dass das Gebet des Gerechten viel vermag, während ein Gebet, das unsrem Vergnügen dienen soll, ein übles Beten ist und nichts empfängt, so mahnt uns Johannes, dass es sich an Gottes Gebot entscheidet, was aus unserem Beten wird, weil unser Gebet nur dann richtig und kräftig ist, wenn wir uns in Gottes Dienst gestellt haben, und was ihm wohlgefällig ist, auch uns wohlgefällt. Auch wenn ein zerrüttetes Herz unter dem Druck schwerer Sünde und Not zur Anrufung Gottes kommt, hat es an der dem Gebet gegebenen Verheißung teil. Jede Bewegung des Glaubens, einerlei, wie's um unser Werk steht, findet die Gnade sich zugewandt. Aber aus dieser ersten Zuwendung zu Gott soll eine Gebetsübung werden, die unsern ganzen Christenlauf durchzieht, und diese stirbt unfehlbar ab und wird zum leeren Wort, das keine Erhörung hat, wenn Gottes Gebote von uns verlassen sind.
Damit wir uns aber über Gottes Gebote nicht täuschen und nicht eine eigenwillige Frömmigkeit aufrichten, nennt uns Johannes dieselben. Zwei Worte sprechen sie aus; das eine sagt, was wir Jesus, das andre, was wir einander schuldig sind: dass wir dem Namen seines Sohnes Jesu Christi glauben und einander lieben nach seinem Gebot, V. 23.
Das erste Gebot macht uns Jesu Namen heilig und gültig, dass wir ihn stehen lassen, wie ihm Gott denselben gegeben hat, als Zeugnis seiner Einigkeit und Gemeinschaft mit dem Vater und seiner Salbung zur Herrschaft und Macht über die Welt. Tragen wir seinen Namen als gewisse Wahrheit in uns, so dass wir uns auf ihn verlassen und unsere Hoffnung auf ihn sehen, so tun wir, was Gott von uns will. Glauben kann man freilich nicht dadurch erwecken, dass man ihn gebietet. Er wächst freiwillig hervor als die eigene Bewegung des Herzens, die Gottes Wahrheit und Gnade in Jesus schaut und sich ihm deswegen untergibt. Hierbei sollen wir aber wissen, dass wir damit an demjenigen Orte stehen, den Gott uns angewiesen hat, und ihm die Ehre und den Dienst erweisen, den er von uns verlangt. Nun bleibt uns nur noch eines übrig, dass wir einander lieben. Dadurch ist das ganze göttliche Gesetz von uns erfüllt.
Somit ist unser Beten nichtig und leer, wenn es vergisst, was Jesu Name sagt, und den Sohn Gottes und sein Werk für uns nicht kennen will und sich vor Gott auf andres stützt, als auf ihn, und weiter dann, wenn der Wunsch unsres Gebets nicht aus der Liebe stammt. Beten wir für einander, nicht wider einander, mit dem gläubigen Blick auf Christus, als in seiner Versöhnung stehend, wie sie sein Name uns bezeugt, dann bewahren wir auch in unsrem Gebet Gottes Gebote und tun auch betend, was ihm wohlgefällig ist.
Johannes hat Jesu Verheißung gehört: was ihr in meinem Namen bittet, wird euch der Vater geben, und hat sie uns hier ausgelegt. Dadurch, dass wir in unserm Gebet dem Namen Jesu ein herzliches Vertrauen erweisen, wird es Gott gehorsam und wohlgefällig. Weil es sich auf Jesu Namen gründet und im Glauben an ihn seine Wurzel hat, wird ihm die Erhörung zu teil.
Das erhält uns in Gott und Gott in uns. Gott nimmt uns auf bei sich, dass wir bleibend von seiner Liebe umfasst, von seinem Licht durchleuchtet, von seinem Leben durchdrungen sind, und kommt auch wiederum zu uns, dass wir ihn in uns tragen dürfen als den, der uns leitet, unsere Gedanken regiert, unsere Liebe entzündet und in unser Herz den Frieden gibt. Und das Zeichen dieser lebendigen Gemeinschaft zwischen ihm und uns, an welchem wir sie inne werden und woran wir wahrnehmen, dass er für immer in uns ist und uns bleibend durch seine Gegenwart bei uns geheiligt hat, ist der Geist, den er uns gab.
Gemeinsamkeit des Geistes, das macht eben jene lebendige Gemeinschaft, die Johannes zwischen uns und Gott beschrieben hat. Geist ist das, was unser Inwendiges belebt und bewegt, unsere Gedanken sprossen macht und den Trieb unsres Herzens erzeugt, und wir können es wissen, ob der Geist, der uns treibt, uns von Gott gegeben ist oder nicht, ob er heilige oder unheilige Art hat, ob er unser Trachten und Sinnen nach außen kehrt dem Fleische zu, oder nach oben zu Gott empor. Wenn der Geist, der uns bewegt, uns von Gott gegeben ist, so sehen und genießen wir die Frucht jener Verbindung mit Gott, durch die er bei uns gegenwärtig worden ist, und wir in ihn hinein versetzt sind zum bleibenden Anteil an ihm.
An alle Worte, die Gottes Gnade und Gabe ausdrücken, heftet sich der Missbrauch und die Verführung an. Von seinem Geiste gibt uns Gott! Das ist das Evangelium und ein unermesslich großes und tiefes Wort. Man kann es mit unheiligem Sinn verkehren und sich daran überheben und „aus dem Geist“ eine Verführung machen für sich und andere. Darum beschreibt Johannes ernst und nüchtern das Merkmal des göttlichen Geists. Nur dann macht sich Gott in uns gegenwärtig, wenn wir seine Gebote halten; deswegen ist dies der einzige Weg, wie wir göttlichen Geist empfangen und bewahren. Wo Glaube an Jesus und Liebe zum Bruder ist, nur da kann Geist Gottes sein. Wenn wir seine Gebote verwerfen, Jesu den Glauben und dem Bruder die Liebe versagen, sind wir von Gott verlassen und seiner Gegenwart beraubt und sein Geist ist nicht in uns. Darum haben wir hierin das sichere Kennzeichen, an welchem wir bei uns selbst und bei den andern prüfen und erfahren können, was für ein Geist uns treibt. Denn ein Geist, der mit einem glaubens- und lieblosen Sinn zusammen ist, der ist nicht Gottes Geist.