Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 1, 1-4. Woher Johannes sein Wort hat und wozu.
Seinen Namen hat Johannes nicht hergesetzt, auch nicht den Apostelnamen; dafür hat er uns aber die Herrlichkeit des apostolischen Worts und Amts ans Herz gelegt, damit wir gleich von Anfang an bedenken, dass durch das Evangelium eine heilige Macht und unschätzbare Gabe zu uns kommt.
Es wird uns durch ihn verkündigt, was vom Anfang her war, V. 1. Am Anfang, über der Welt, vor dem wechselnden Lauf der Geschichte, ehe der Menschen Geschäftigkeit begann, steht Gott und sein Wort, das alles ordnet, und seine Macht, die alles schafft. Wer uns das zeigt, was vom Anfang her war, der führt uns zur Wurzel unsrer Existenz, zum Grund, auf dem die Welt steht, zum Ewigen, das nicht gemacht und nicht geworden ist, sondern uns macht und hält, was darum auch bleibt, und im Weltlauf nicht verändert und entkräftet wird.
Johannes will von Jesus reden: er ist vom Anfang her; denn er kam von oben als Gottes ewiges Wort und einiger Sohn. Darum bestehen seine Gnade und sein Reich von Anfang an als der Grund der Schöpfung und ihrer Erhaltung. Darum sind sie auch unzerstörbar wirksam bis zur Vollendung derselben hin.
Wie kennt Johannes das Ewige, vom Anfang her bestehende? Wir verkündigen, was wir gehört haben. Das göttliche Wort öffnete den Himmel und enthüllte das Ewige und machte ihn mit dem bekannt, was bei Gott verborgen war. Nicht was Johannes selber meint und denkt, macht ihn zum Apostel. Er gibt uns nicht die eigene Erfindung seines Geists. Sein Wort ist ihm anvertraut; er hat's, weil er es gehört hat, weil es zu ihm gekommen ist durch den Dienst der Schrift und vollends durch Jesu Dienst, durch welchen er das göttliche Wort vernommen hat.
Er hat es aber auch mit seinen eignen Augen gesehen. Es gab hier nicht bloß ein Wort zu hören. Was Gott sagte, wurde Tat, Geschichte, volle Wirklichkeit. Johannes ist beim Sohne Gottes gewesen und hat ihn gesehen. Er hat nicht nur eine Verheißung über ihn gehört, wie er dereinst sein werde, und nicht nur eine Beschreibung erhalten, wie er droben im verborgenen Wesen Gottes sei. Er war da und sein Auge nahm ihn wahr.
Das gibt Johannes in seinem Apostelamt die freudige Sicherheit und seinem Wort die schlichte Klarheit und Festigkeit: er hat die Dinge erlebt, von denen er spricht. Er konnte sie betrachten und mit den Händen angreifen. Es war keine Einbildung oder Erscheinung; es war greifbare Wirklichkeit. Seine Hand hat Jesus oftmals angefasst.
Wenn wir uns über das verwundern, was uns das Auge oder das Ohr melden, so rufen wir die Hand zu Hilfe, damit sie uns von der Wirklichkeit und Gegenwart der Dinge überzeuge. So steht auch Johannes in tiefer Verwunderung vor Christus: Gottes Sohn war wirklich da, in der vollen Wahrheit eines Menschenlebens, für die Hand der Jünger so greifbar wie jeder andre Mensch.
Es ist den Jüngern besonders eindrücklich gewesen, dass sie mit ihrer Hand den Auferstandenen berührt haben. Doch denkt Johannes schwerlich nur an den Ostertag. Dass das Wort Fleisch ward, dass Christus bei den Jüngern war und mit ihnen lebte, dass sie den Sohn Gottes unter sich hatten als ihresgleichen, schon dies war ein unergründliches Wunder und Johannes freut sich, dass er desselben sicher und gewiss ist durch unmittelbare Wahrnehmung.
Nun wissen wir, auf welchem Wege Johannes zum Evangelium gekommen ist: Ohr und Auge und Hand haben es ihm zugebracht. Was war's denn? was hat das, was er hörte und sah, bedeutet? Es war das Wort des Lebens. Johannes geht gleich zur Hauptsache hin. Die herrlichsten Gaben können dem verdorbenen und erstorbenen Menschen nichts nützen. Unser erstes Anliegen muss sein: wie wir lebendig werden. Die natürliche Regsamkeit unsrer Seele und unsres Leibes reicht hierfür nicht aus. Da ist immer schon das Sterben und Verderben drin. Johannes weiß, wo das Leben ist; das Wort, das er hörte und sah, das gibt Leben und nimmt uns das Sterben und Verderben ab.
Das Wort des Lebens war vom Anfang her. Das Sterben und Verderben kam hernach. Erst die Kreatur hat dasselbe durch ihren Fall erfunden; Gott hat mit dem Wort des Lebens den Anfang gemacht. Das hat Johannes bei Jesus gehört; denn vom Leben handelten alle seine Worte und zeigten uns, wie wir lebendig würden. Und das war an ihm nicht nur zu hören, sondern zugleich zu sehen. Das lebendig machende Wort war in ihm als sein Eigentum. Deswegen hat ihn kein Verderben angerührt, auch als er die Sünde der Welt und die Versuchung des Teufels trug, und das Kreuz auf sich nahm. In all dem blieb er dennoch der Lebendige.
Denn das Leben wurde offenbar, V. 2. Vorhanden war es von Anfang an, weil Gott der lebendige ist, und alles, was in seiner himmlischen Gemeinschaft und Nähe steht, im Leben strahlt. Es war auch für uns von Anfang an bereitet, weil uns Jesus zum Herrn und sein Reich zum Erbe von Anfang an geordnet ist. Aber wir hatten es noch nicht, und auf Erden war es eine verborgene Sache. Wir Menschen standen unter der Macht des Todes und waren erstorbene Wesen, bis es durch Jesus sichtbar ward, dass ein Mensch wie wir wirklich das Leben in sich haben kann, und dass es uns durch ihn gegeben ist.
Weil Johannes dies gesehen hat, ist er ein Zeuge geworden. Durch das, was er erlebt hat, hat er einen Beruf erhalten. Es liegt ihm nun ob, dass das, was Gott getan hat, unvergessen bleibe, und nicht durch den Widerspruch und die Blindheit der Menschen verdeckt werde. Darum verkündigt er der Gemeinde das ewige Leben, welches beim Vater war, solange Christus noch beim Vater war, und uns offenbar geworden ist, dadurch dass er zu uns kam.
Dies Glück, dass er im Umgang mit Jesus das ewige Leben vom Vater her in die Welt kommen sah, ist nicht der Gemeinde, sondern nur Johannes selber widerfahren. Um dieses Vorzugs willen ist er Apostel und der Gemeinde vorgesetzt. Ihr war das nicht gegeben, weil sie Jesus nicht selber sah. Damit dieser Unterschied ausgeglichen sei, eben dazu ist Johannes zum Apostel bestellt. Dazu verwaltet er das Wort, damit ihr mit uns Gemeinschaft habt,
V. 3. Er will mit uns teilen, was er vom Herrn empfangen hat, und uns auch dorthin führen, wohin ihn der Umgang mit Jesus gebracht hat. Jesus hat ihm das Wort des Lebens dazu gegeben, damit es durch ihn zu vielen komme.
Er hält es wie Paulus: werdet wie ich! empfangt mit mir, was mir gegeben ist. Denn unsre Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohne Jesus Christ. Jesus hat ihn herangezogen zur Gemeinschaft mit sich und ihm an dem Anteil gegeben, was er selber hat. Das gibt ihm Gemeinschaft mit Gott, Anteil an dem, was Gottes ist. Das ist das höchste Wort, was ein Mensch von sich sagen kann: Gemeinschaft mit Gott. Johannes hat empfangen und trägt in sich, was Gottes ist. Göttliches hat bei ihm Wohnung gemacht und ihn in die Einigkeit und Eintracht mit Gott gestellt. Gott ist ihm zum Vater geworden. Zwischen dem Vater und seinen Kindern waltet Gemeinschaft. Das kann uns Jesus geben, weil er der Sohn ist, mit dem der Vater alles teilt. Und nun lädt Johannes die Gemeinde ein, das mit ihm zu teilen, und sagt, hierin stehe der Zweck des Evangeliums, dass auch wir empfangen, was Jesus seinen Aposteln gab. Es überträgt sich durch ihr Wort auch auf uns.
So bildet sich eine Kette, die von Gott bis zu uns herniederreicht. Der Vater hält Gemeinschaft mit dem Sohn, und der Sohn Gemeinschaft mit den Jüngern, und die Jünger Gemeinschaft mit der Kirche. Hier waltet überall dieselbe Regel der Liebe. Wie der Vater den Sohn lieb hat und ihm nichts vorenthält, so hat der Sohn seine Jünger lieb und stellt sie neben sich und so hat wiederum der Apostel die Gemeinde lieb und wünscht nichts anderes, als dass sie mit ihm Gemeinschaft habe in allem, was er vom Herrn empfangen hat.
Johannes hat in diesem ersten Wort wunderschön ausgedrückt, wieso er gleichzeitig über der Gemeinde und in ihr steht, worin die Apostel von der Kirche unterschieden und worin sie ihr gleichgestellt sind. Der Unterschied entsteht daraus, dass nur der Apostel Jesus selber kennt. Darum ist die Kirche auf sein Wort gegründet und kann es nicht entbehren oder ersetzen, sondern ist demselben unterstellt, weil sie Jesus nicht anders kennt als durch das apostolische Wort. Daher stehen die Apostel für immer über der Kirche und diese ist von ihnen abhängig und ihnen Gehör und Gehorsam schuldig.
Aus dem Vorzug der Apostel fließt aber ihr Dienst, durch welchen sie uns in die Gemeinschaft mit sich führen, in denselben Anteil an Christus und an Gott. Darum ist die Gemeinde mit ihnen in der Gabe Jesu verbunden und eins. Deswegen schreibt Johannes dazu, damit die Freude der Gemeinde vollkommen sei. V. 4. Wenn wir sehen, wie Gott der gebende ist, und wie Christus Gemeinschaft mit uns hält, und wir freuen uns darob nicht, dann hätten wir doch wahrlich ein zerrüttetes und totes Herz. Hier geht uns die vollkommene Freude auf, die keinen Schatten bei sich hat. Die tiefen Schatten und stechenden Schmerzen, die das Christenleben bei sich hat, entstehen nicht aus dem, was Gott ist und Christus tut, sondern steigen aus dem empor, was wir selber sind; die Freude dagegen entspringt am Herrn.
Auch im Briefe des Jakobus war das erste, dass er uns zur vollkommenen Freude anleitete, 1, 2. Beide Apostel beginnen mit der lebendigen Dankbarkeit für das, was uns das Evangelium verliehen hat. Sie sehn aber nach der entgegengesetzten Seite hin. Jakobus sieht auf das Menschenherz und seinen Kampf, wie es durch die Versuchung erschüttert wird und dennoch die Freude in sich bewahren muss, ja selbst aus der Versuchung einen neuen Grund der Freude ziehen darf. Johannes schaut zur Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn empor. In der Weise, wie Johannes von seinem apostolischen Amte spricht, hat er Jesu Beispiel vor Augen. Jesus hat mit seinen Jüngern dazu geredet, damit seine Freude in ihnen sei und ihre Freude vollkommen sei, Ev. 15,11. Dazu hat er sie auch zu Zeugen seines Gebetes gemacht, damit sie aus der Weise, wie er mit dem Vater redete, die vollkommene Freude schöpften, 17,13. Zuerst hat ihm Jesus durch sein Wort gegeben, was ihn selig macht; jetzt tut er dasselbe an der Kirche.