Schlatter, Adolf - Markusevangelium

Schlatter, Adolf - Markusevangelium

Kap. 10

Lasset die Kindlein zu mir kommen. Wehret ihnen nicht. Denn solcher ist das Himmelreich.
Markus 10,14

Da Jesus vom Himmelreich spricht, versinkt alle menschliche Größe, auch alle apostolische Erhabenheit mit dem herrlichen Bewusstsein der besonderen Sendung und dem Hochgefühl der mannhaften Liebe, die zu jeder Leistung und zu jedem Leiden fähig ist. Himmelreich, das wird nicht erarbeitet und errungen und nicht durch Menschenhand aufgebaut. Das Himmelreich ist Gottes schaffende Gnade, Gottes strömendes Geben, Gottes den Menschen zu sich holender Griff. Warum gibt es Gott den Kindern? Weil sie Kinder sind, Menschlein. Diese Menschlein beschenkt, beschützt und regiert er deshalb, weil sie Menschlein sind. Kleine Menschlein sind sie, sind aber dadurch von Gott nicht weiter entfernt als die hohen Apostel. Vielmehr steht der Mensch, wenn er in seinen Augen groß geworden ist, in der Gefahr, dass er fern von Gott ist. Denn Gott zerbricht die Größe, die der Mensch sich gibt. Die Kinder sind noch unfähig zum Glauben; denn sie können noch nicht hören und verstehen. Meine ich etwa, dass mein Glaube Gottes Reich an mich ziehe? Sei kein Narr! Nicht dein Glaube gibt Gott sein Reich, sondern sein Reich gibt dir deinen Glauben. Die Kinder werden noch sündigen. O ja! Was aus ihren Herzen kommt, macht sie gemein. Aber wie sieht es mit meinem reif und reich und groß gewordenen Herzen? Was kommt dort heraus? Meine ich, das Lamm Gottes trage zwar die Sünde der alten Männer und Weiber weg, aber nicht die der Kinder? Solche Blindheit zeigten die Jünger, als sie meinten, Kinder seien für Jesus keine passende Gesellschaft, und solche Blindheit zeigte die Christenheit, als sie sich über die Kinder- oder Glaubenstaufe stritt. Beide Teile, ob wir Gottes Reich in unsere Gläubigkeit oder in das Taufwasser einfassen wollen, wissen nicht, was Gottes Reich ist. Dazu ist aber Jesus gekommen, damit wir sehen und begreifen, was Gottes Reich, Gottes Herrschaft, Gottes uns begabende Gnade sei.
Hättest Du, Herr Jesus, vor Gottes Reich eine Schranke aufgerichtet, so käme niemand hinein. Ich bin in Gottes Reich und Gnade nur deshalb, weil Du auch die Kinder in Gottes Reich hineingestellt hast. Weil Du der Heiland der Kinder bist, bist Du auch der meine. Sei hochgelobt in Ewigkeit. Amen.

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