Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Matthäus.

Ehe uns Matthäus Jesus selbst nach seinem Wort und Werk vorführt, gibt er von einigen göttlichen Zeichen Bericht, die ihn als den Christus offenbarten, zunächst bei seiner Geburt, sodann als er aus Nazareth heraustrat vor sein Volk.

Die Zeichen bei Jesu Geburt. 1 u. 2.

Das erste Kennzeichen Jesu ist seine Abkunft von David und Abraham. In ihm erfüllt sich die Verheißung, die dem Samen Abrahams und dem Hause Davids gegeben ist. 1,1-17.

Aber nicht in der Kraft der Natur, sondern durch Gottes schaffenden Geist wird er in's Davidshaus hineingestellt.1) Joseph empfängt Gottes Gabe mit Argwohn und Verdacht; aber Gott zeigt ihm, was dieses Kindlein ist. 1,18-25.

Es finden dasselbe wohl Sterndeuter aus heidnischen Landen; das schriftkundige Israel dagegen sucht es nicht und sein König will es umbringen. So wird ihm Ägypten zum Zufluchtsort und er erhält den Namen, mit welchem ihn der jüdische Unglaube spottend verworfen hat, daß er nämlich der Nazarener sei. 2.

Diese einleitenden Geschichten machen sofort deutlich, daß hier ein jüdischer Mann zu den an Christus Glaubenden aus Israel spricht. Jesus wird auf's engste mit seinem Volk zusammengefaßt. Ihm ist er verheißen gewesen und ihm von Gott geschenkt worden. Die Hoffnung Israels ist in ihm erfüllt. Das weckt den tiefen Schmerz um Israels Fall. Von Anfang an ward er von Israel verkannt und von den Heiden gefunden. Und weil ihn Israel verwarf, verlief sein Leben von Anfang an in Verborgenheit und Niedrigkeit. Aber der Evangelist beugt sich vor Gott; so hat es Gott geordnet und so wird die Schrift erfüllt. Auf diese wird mit besonderm Nachdruck deshalb hingewiesen, weil sie auch in der Erniedrigung und Verfolgung Jesu den Weg Gottes erkennen lehrt.

Die Zeichen bei Jesu Auftreten. 3,1-4,22.

Gott sendet Israel den Propheten Johannes, der es zum Himmelreich vorbereitet, dadurch daß er es zur Buße beruft. Die Bußmahnung hat ihren besondern Ernst für die geistlichen Leiter des Volks. Ihnen bringt das Kommen Christi das einschneidende Gericht. 3,1-12.

Dem Täufer zum tiefen Erstaunen beugt sich auch Jesus unter den Bußruf und wird gerade jetzt als Gottes Sohn geoffenbart und mit seinem Geist zum messianischen Werk gesalbt. 3,13-17.

Er muß sich seinen Weg wählen gegen satanische Versuchungen, aber er bleibt mit völligem und demütigem Vertrauen Gott allein unterthan. 4,1-11.

Er wählt Galiläa zum Ort seiner Offenbarung und legt den Grundstein zu seiner Gemeinde dadurch, daß er vier Fischer zu Aposteln beruft. 4,12-22.

Diese ersten Schritte bestimmen den Gang Jesu vollständig. Buße, Beugung unter Gott, Verborgenheit, Dienst an den Elenden, ist sein und seiner Gemeinde Amt.

Nun wird uns das Werk Jesu gezeigt:

Wie Jesus Israel hilft. 4,23-9,34.

Er hilft ihnen durch sein Wort, das sie von all den bösen Dingen los zu machen strebt, die sie verderben, 5-7, und er hilft allen Leidenden und Gebundenen durch Thaten voll erlösender Gotteskraft, 8 u. 9.

Die Bergpredigt ist eine Warnung vor den Gefahren, die in der verdorbenen Frömmigkeit Israels liegen. Ihr einleitendes Wort gibt die Zusage des Himmelreichs nicht den Satten und Reichen, sondern den Armen und Hungernden, welche die Barmherzigkeit, Reinheit und Gerechtigkeit lieb haben, und zeigt sodann den Jüngern den Leidensweg, und die Pflicht, Jesu Gabe aller Welt mitzuteilen. 5,1-16.

Die erste Gefahr, die Jesus aufdeckt, ist die Verfälschung des Gesetzes, die in Israel üblich war. Man heißt unschuldig, was sündlich ist, und nimmt das Höchste vom göttlichen Gebote weg. Jesus richtet die Sünde in ihren innersten Regungen und fordert die Liebe in ihrer Vollkommenheit. 5,17-48.

Die zweite Gefahr liegt in der Verderbnis des Gottesdiensts durch eitle ehrgeizige Selbstbespiegelung. Jesus verlangt einen Dienst Gottes, der ihn allein vor Augen hat. 6,1-18.

Die dritte Gefahr bringt Geld und Gut. Er löst die Jünger vom gierigen und sorglichen Haschen nach demselben und heißt sie im Vertrauen auf Gottes Güte zufrieden sein. 6,19-34.

Auch der Verkehr mit den Menschen ist zerrüttet. Sie handeln an den andern wie Richter und werden dadurch zu Heuchlern. Sie drängen den andern das Heilige auf und entweihen es dadurch. Sie müssen bitten lernen und lieben nach der vollkommnen Regel, welche die andern sich selbst gleichstellt. Sie müssen den Mut haben, die Menge stehn zu lassen und allein auf den Jüngerweg zu treten, und auch in ihrem eignen Kreise vor dem unechten Jüngertum sich hüten. Niemand wird in sein Reich eingehen, als wer sein Wort thut. 7,

Aber Jesus lehrt und warnt nicht nur, sondern er handelt und gibt und erweist Israel eine allmächtige Gnade. Er heilt den Aussätzigen seiner gläubigen Bitte wegen, und bestätigt dem heidnischen Hauptmann, daß sein Wort geschieht an jedem, der ihm glaubt. Petrus erlebt seine Hilfe an seiner Schwiegermutter, und Kapernaum an allen seinen Kranken. 8,1-17.

Von denen, die ihm nachfolgen wollen, fordert er unbedingte Hingabe, erweist sich aber auch als der, welcher dem Sturm gebietet und vor dem die teuflischen Geister zittern. 8,18-34.

Der Widerspruch gegen ihn wird rege. Die Pharisäer verbieten ihm Sünden zu vergeben; aber er schlägt ihren Widerspruch mit dem Zeichen darnieder. Sie klagen seinen Umgang mit den Zöllnern an, und er schränkt seinen Beruf ausdrücklich auf die Sünder ein. Sie werfen ihm Leichtsinn vor, weil er die Jünger nicht zum Fasten nötigt, und er schützt die fröhliche Freiheit derselben und warnt zugleich vor dem voreiligen Griff nach ihr. 9,14-17.

Er entfaltet seine höchste Macht, indem er das verstorbene Mädchen erweckt, und schon mit der Berührung seines Gewandes erlangt der Glaube des kranken Weibes sein Ziel. Blinde bringen ihm den messianischen Namen entgegen und werden erhört. Wiederum sind es gerade seine Zeichen, die den Widerstand gegen ihn bis zur Lästerung treiben, als handle er in des Teufels Macht. 9,18-34.

So geht eine doppelte Wirkung von seinen Thaten aus: sie treiben das gläubige Bekenntnis und die feindselige Lästerung hervor. Jenes findet sich aber nur bei den Armen, die bei ihm Hilfe suchen, und Jesus selbst drängt ihr Bekenntnis in die Stille zurück. Die Lästerung dagegen ist das Wort der Machthaber. Damit ist die Stellung Israels zu ihm entschieden.

Die klagenden und strafenden Worte über Israel. 9,35-12,50.

Jesus thut für Israel noch etwas: er sendet ihnen seine Jünger. Ein schmerzliches Wort über die Herde ohne Hirten und die Ernte ohne Schnitter leitet hinüber zum Auftrage an die mit Namen genannten Jünger, Israel das Himmelreich anzubieten. Er verlangt von ihnen die Uneigennützigkeit eines vollen Gottvertrauens, und bereitet sie darauf vor, daß ihre Apostelarbeit ein Weg des Leidens und der Aufopferung bis in den Tod sein wird, doch unter Gottes Schutz und mit dem reichen Lohn des Himmelreichs. 9,35-10,42. Von Israel wird nichts anderes erwartet als ein erbitterter Kampf gegen Jesu Boten. Die Erlösung aus diesem Leidensdruck und den Sieg bringt Jesu Wiederkunft. Warum Jesus Israel für verloren achtet, wird durch die folgenden Worte über das Volk und gegen die Pharisäer erklärt.

Sogar der Täufer schwankt und verlangt ungeduldig nach der Offenbarung der Herrlichkeit Jesu. Wie sollte denn das Volk an ihn glauben? Jesus verweist ihn auf die Macht Gottes in seinen Werken, und preist den selig, der nicht seinetwegen strauchelt und fällt. Das Volk schilt er wegen des kindischen Stumpfsinnes, mit dem es durch den Täufer und Jesus das Höchste umsonst erlebt, und über die Städte, die er besonders bevorzugt hat, spricht er, weil die Buße ausblieb, das verdammende Endurteil. Aber auch bei diesem Gang der Dinge bleibt er Gott freudig und dankbar unterthan. Denn die Unmündigen haben die Offenbarung Gottes empfangen, und er ist der Sohn, vom Vater gekannt, und vermag ihn zu offenbaren, und bringt die, welche sich mit dem Gesetz und Gottesdienst vergeblich abmühten, zur Ruh. 11.

Hieran schließt sich der Kampf mit den harten, stolzen Treibern des Volks. Sie stellen sich Jesu als die Wächter des Sabbaths entgegen, aber Jesus schützt die Freiheit seiner Jünger und verteidigt sein Recht, am Sabbath Gutes zu thun. Und als sie es wagen, sein Wirken aus dem Teufel abzuleiten, erklärt er ihnen, daß solche Lästerung des Geistes ihnen nicht vergeben werden wird. Sie verlangen ein Zeichen und er nennt ihnen das Geschick des Jonas und hält ihnen ihre Blindheit strafend vor. Die Erweckung, die sie durch ihn und den Täufer erlebt haben, nimmt ein schlimmes Ende. Und wie der Abschnitt mit dem Schwanken des Täufers begann, so schließt er mit dem Anstoß der Mutter und Brüder an ihm. Sie werden alle an ihm irre; aber darüber steht Jesu Verheißung, daß ihm der, welcher den Willen Gottes thut, wie ein Bruder verbunden sei. 12.

Jesus zieht sich von Israel zurück. 13,1-16,12.

Sein Lehren wendet sich noch an das ganze Volk; ja es steigt höher als in der Bergpredigt. Er warnt nicht nur, sondern zeigt ihnen, was er ihnen gibt, und legt ihnen des Himmelreichs Art und Wesen aus, aber im Gleichnis, nicht mehr mit jener hellen Verständlichkeit, mit der er dort zu allem Volk von der Gerechtigkeit und von der Sünde sprach. Das Gleichnis will die Hörer scheiden in solche, denen das Wort zur Gabe wird, und in solche, denen es nutzlos bleibt. Auch der Inhalt der Gleichnisse bezieht sich auf die Hemmungen, die dem Reiche Gottes entgegenstehen, und auf die Verhüllungen, die es bedecken. Am Geschick des Samens zeigt er, wie das Wort teilweise vergebens verkündigt wird und nur zum Teil zu seiner Frucht gelangt. Das Unkraut auf dem Acker wird Bild dafür, wie auch in seiner Gemeinde Teufelei und Bosheit erscheint, aber sie nicht verderben kann. Das Senfkorn und der Sauerteig heißen auf den verborgenen, stillen Anfang des Himmelreichs aufmerken. Der Schatz im Acker und die Perle fordern die Hingabe und Unterordnung aller Dinge unter das höchste Gut im Himmelreich, und am Fischzug stellt er den Jüngern dar, wie der wahre Erfolg ihrer Arbeit erst bei seinem Gericht sich herausstellen wird. 13,1-52.

Der Art seines Lehrens entsprechen die folgenden Erzählungen. Jesus stellt zwar dem Volke noch die höchsten Zeichen vor Augen, aber die Kluft zwischen ihnen wird dennoch immer größer und er zieht sich in die Verborgenheit zurück.

In Nazareth ist er gänzlich gehemmt, weil sie sich vor ihm nicht beugen wollen, da er ihres gleichen ist. Herodes ängstigt sich vor ihm, weil er den Täufer ermordet hat. Jesus entweicht in die Wüste und speist hier die Tausende und gibt den Jüngern bei der Fahrt über den See das Zeichen seiner Nähe, auch wenn sie ihn ferne glauben. Petrus greift nach Jesu Macht, aber noch mit schwachem Griffe und Jesus zeigt ihm, daß er nur im Glauben erlangt, was er begehrt. Die Pharisäer hadern mit ihm der Reinigkeit wegen und Jesus deckt auf, was wahrhaft verunreinigt. Der Heidin hält er den Vorzug Israels entgegen; aber weil sie denselben demütig anerkennt und doch an der Macht und Größe seiner Güte nicht zweifelt, wird auch ihr die Bitte erfüllt. Wiederum speist er die Tausende. Aber den Pharisäern helfen diese Zeichen nicht zur Erkenntnis. Sie begehren erst recht ein Zeichen. Aber ihre Unwissenheit ist lediglich Heuchelei und die Zeichen der Zeit sind so deutlich, wie die, welche das Wetter anzeigen. Allein nicht einmal die Jünger verwerten dieselben. Sie verstehen in ihrer Sorge um's Brot die Sorge Jesu nicht, die auf ihre Gebundenheit an den Pharisäismus geht. 13,53-16,12. Die letzte Geschichte leitet schon hinüber zur folgenden Erzählungsreihe:

Jesus unterweist den Jüngerkreis. 16,13-20,28.

Mit den Zwölfen spricht er ohne Hülle von seinem messianischen Amt. Er erwartet von ihnen das Bekenntnis zu ihm als dem Christus und beantwortet es Petrus damit, daß er ihm die Herrlichkeit und Größe seines apostolischen Berufs enthüllt. Doch er bestätigt den Seinigen sein königliches Amt nur dazu, um die Leidensweissagung darauf zu bauen. Der engste Kreis um ihn her sieht auch seine Verherrlichung sich ankünden; denn Jesus wird verklärt. Er löst den Jüngern ihren Zweifel, der noch auf Elias Erscheinung wartet, und zeigt ihnen, als sie sich ohne ihn ohnmächtig fühlen, im Glauben die Kraft, die sie zu dem erhebt, was ihnen nach ihrer eignen Kraft nicht möglich ist. Er bekräftigt die Leidensweissagung und regelt ihre Stellung zum Gesetz, indem er ihnen mit sich selbst als den Kindern Gottes Freiheit zuerkennt und sie dennoch um Israels willen freiwillig unter dasselbe stellt. Darauf gibt er den Jüngern die Regel für ihren Verkehr untereinander. Ehrgeiziger Neid um den Vorzug im Reich schließt von demselben aus. Ihr Beruf ist die demütige, gegen die Sünde ernste, unerschöpfliche Liebe, und wie untrennbar dieselbe mit Gottes Vergeben zusammenhängt, läßt er sie am Bilde von den beiden Schuldnern sehn. Damit sind den Jüngern die Kräfte, welche Jesu Gemeinde bilden, in ihrer Ordnung und Vollständigkeit gezeigt. In ihm den Christus erkennend und dem Gekreuzigten nachfolgend, seiner Verklärung gewiß, obgleich von ihm getrennt, dennoch im Glauben stark, freigemacht vom Gesetz, unter einander in der Liebe verbunden - das ist die Gemeinde, die er schaffen will. 16,13-18,35.

Was noch aussteht, ist der Kampf und das Leiden in Jerusalem. Darum verläßt Jesus Galiläa. Doch folgt noch eine vorbereitende Periode am Jordan und in den Dörfern Judäas. Hiebei ergänzt Jesus die Unterweisung der Jünger, indem er die großen Grundverhältnisse unsrer natürlichen Existenz ordnet. Er heiligt die Ehe zur Unauflöslichkeit, und zeigt zugleich, wann und wie der Verzicht auf dieselbe rein und wertvoll sei. Er nimmt die Kinder in's Himmelreich auf. Er zeigt, als der reiche Jüngling kam, die große Gefahr, die der Reichtum in sich schließt, und der Entsagung, die die Jünger um seinetwillen übten, verspricht erreichen Lohn, bezeugt ihnen aber mit dem Bilde von den Arbeitern im Weinberg die Freiheit der göttlichen Güte, und schneidet jedes vorwitzige und selbstgefällige Urteil, wer erster und letzter sei, weg. Als er sich mit der erneuten Leidensweissagung Jerusalem nähert, greifen die ihm nächststehenden Jünger nach der höchsten Ehre im Reich und werden auf den Leidenskelch und auf die geduldige Ergebung in Gottes Entscheidung verwiesen, und den Murrenden zeigt er an seinem Sterben im Dienen ihre Größe und Ehre. 19,1-20,28.

Der Kampf in Jerusalem. 20,29-23,39.

In Jericho rufen ihn die Blinden als Davids Sohn an. Darauf läßt er sich auf dem Oelberg dem prophetischen Wort zur Erfüllung den Esel bringen und zieht in Jerusalem unter dem messianischen Jubelruf ein. Sein Werk in der Stadt ist die Reinigung des entweihten Heiligtums. Der messianische Name erhält sich nur im Munde der Kinder, allein Jesus freut sich am Lobe der Unmündigen. Er macht den Feigenbaum zum Zeichen der göttlichen Rechtsordnung, nach der, was unfruchtbar ist, verdorren muß, und richtet die staunenden Jünger zum Glauben und Bitten auf. Im Tempel wollen die Machthaber seine Vollmacht prüfen; wer aber am Täufer Gottes Sendung nicht wahrnahm, ist auch blind für seinen Beruf und die Leiter des Volks geben ihre Lügenhaftigkeit offen kund. Er zeigt ihnen die Nichtigkeit ihres Gottesdienstes an den beiden Söhnen, die der Vater in den Weinberg senden wollte, und thut ihnen an den Weingärtnern dar, wie sie Israels Empörung gegen Gott zu ihrem Ende führen. Mit dem Gastmahl deutet er auf eine neue Gestalt des Reiches hin, bei der die Berufung zu demselben frei an alle Völker ergeht. Aber auch über der Freiheit der Berufung waltet der richterliche Ernst Gottes wider die, welche seine Gnade dreist mißachten; wer sich nicht festlich kleiden mag, wird aus dem Festsaal ausgestoßen.

Die Meister Israels suchen ihn mit ihren Fragen zu fangen. Der Pharisäer hofft ihn mit der römischen Staatsmacht in Zwiespalt zu bringen, aber Jesus richtet seinen Blick auf das Eine notwendige, daß er Gott das gebe, was Gottes ist. Der Sadducäer verspottet ihn mit der Thorheit der Auferstehung. Aber Jesus heißt ihn die Art des Himmlischen erwägen und die lebendig machende Kraft bedenken, die in der Verbindung Gottes mit den Menschen liegt. Der Gesetzeslehrer weiß nicht, welches unter den vielen Geboten der Schrift das größte sei, und Jesus sagt ihm, daß die Liebe das ganze Gesetz in sich halte. Und nun fragt er selbst, wie denn der Herr Davids hinabsteige in die Niedrigkeit, so daß er dessen Sohn werde, und widerlegt damit ihre Gedanken über die Herrlichkeit des Christus, von dem sie nichts Höheres zu rühmen wissen als: er sei Davids Sohn. Darauf spricht Jesus die abschließenden Weherufe über die Leiter Israels, welche die innere Gottlosigkeit in ihrem Gesetzesdienst an's Licht ziehen, und verläßt den Tempel, den er dem Untergang verfallen erklärt.

Die letzten Worte an die Jünger. 24 u. 25.

Den Seinigen gibt er die Zusage seiner neuen Erscheinung als Richter und Herr der Welt. Aber die Vorbereitungen und Vorzeichen sind Angst und Not, und Gericht über Israel. Darum gilt es wach zu sein. Der übermütige Knecht, die Thörinnen, welche die Hochzeit versäumen, der Schalk, der das Pfund vergräbt, zeigen ihnen die Versuchungen, die sie zu überwinden haben, und das letzte große Gerichtsbild stellt die Regel fest, nach welcher er das Reich öffnen und verschließen wird, eine Regel voller Gnade, die jede That der Liebe als ihm gethan schätzt und mit dem Reiche vergilt, jedoch dasselbe unerbittlich dem verschließt, der das Werk der Liebe unterläßt. Nun folgt:

Die Kreuzigung und Auferstehung. 26-28.

Nachdem Jesus auch dem Leibe nach aus eines Weibes Hand die Salbung empfangen und Judas ihn verkauft hat, hält er mit den Seinigen das Passa, bei dem er den Verrat an's Licht zieht und den Jüngern den Schlüssel zum Verständnis seines Todes gibt durch das Mahl des neuen Bunds. In der Darstellung der letzten Stunden unterbricht keine That der Macht, kein Wort der Gnade das tiefe Dunkel der Erniedrigung und des Tods. Mein Gott, warum hast Du mich verlassen? ist das einzige Wort, das der Evangelist vom Kreuz anführt. Vom Ende erwähnt er nur den lauten Schrei. Erst nachdem er gestorben ist, erscheinen die Zeichen, die die Heilsmacht seines Todes preisen. Mit der Auferstehung steht der Evangelist an seinem Ziel. Er stellt nur noch die Thatsache in ihren wesentlichen Hauptzügen hin, und führt die Erzählung summarisch zu ihrem Schluß. Den Frauen verkünden Engel am leeren Grab die Auferstehung Jesu, und zur Bestätigung dieser Botschaft erscheint ihnen Jesus selbst. Die Obersten errichten schleunig eine Schutzwehr, damit die Osterbotschaft nicht zu Israel gelange. Den Jüngern erscheint Jesus in Galiläa und sendet sie zu allen Völkern mit der Verheißung seiner Gegenwart.

Die ganze Erzählung ist augenscheinlich in eine starke Einheit gefaßt, nicht als wäre den Geschichten ein künstlicher Plan aufgedrängt, aber der Gang Jesu steht dem Evangelisten als ein einheitliches Ganzes vor der Seele. Der Punkt, der alles beherrscht, ist das Kreuz, sicherlich mit dem, was darauf folgt, mit der Auferstehung Jesu und seiner Erscheinung in Herrlichkeit, zunächst jedoch das Kreuz als seine Verwerfung durch Israel. Matthäus beschreibt uns Jesu Leben als seinen Gang zum Tod, den die unbußfertige Empörung Israels gegen Gott ihm bereitet hat, und seine Arbeit als die Zubereitung der Jünger zum leidenswilligen und hoffenden Warten auf sein Reich. Die Wendepunkte auf Jesu Weg bezeichnet der Evangelist durch seine großen Reden. Während die Geschichten öfter sehr kurz gehalten sind, hat er auf die Reden besondere Sorgfalt verwandt. Sie schließen sich an einander an mit einem einfachen festen Stufengang. Die Bergpredigt, Kp. 5-7, die Gleichnisrede, Kp. 13, die Erklärung Jesu an die Jünger, Kp. 16, und seine Abschiedsrede an dieselben, Kp. 24 u. 25, geben jede etwas neues, was die vorangehenden noch nicht enthielten. Mit zunehmender Klarheit tritt Jesu Sinn und Werk an's Licht und die Art seines Reichs wird immer deutlicher. Die erste Rede unterscheidet den Sinn und Weg der Jünger Jesu von der Frömmigkeit Israels; die zweite zeigt wie das Himmelreich schon gegenwärtig ist und empfangen werden kann; die dritte offenbart Jesus als den Herrn und König, der mit seinem Wort das Reich schafft und der die Jünger zur Teilnahme an seiner Macht und an seinem Leiden beruft; und die vierte zeigt hinter dem Leiden die schließliche Erscheinung des Reichs in Herrlichkeit. Aber diese wachsende Enthüllung und Offenbarung Christi ist nach der andern Seite hin eine zunehmende Verhüllung desselben. Die Warnung vor der falschen Frömmigkeit richtet Jesus an alle in heller Deutlichkeit. Die Art und Regel des Reichs wird auch noch allen erklärt, jedoch in's Bild verschlossen. Von seinem Christusnamen redet Jesus nur mit seinen Jüngern und nur mit ihnen spricht er vor seinem Scheiden von seiner künftigen Verherrlichung. Den Priestern und Schriftgelehrten bezeugt er dies nur in der Stunde seines Todes. Er offenbart sich den Jüngern und verbirgt sich dem Volk. Der Evangelist stellt beides neben einander: Gnade und Gericht.

Es ist überhaupt ein durchdringender Ernst das alles gestaltende Gepräge dieses Evangeliums. Jesus verkündigt uns bei Matthäus Gottes unerschöpfliche Güte, die jede Schuld vergibt, für alles sorgt, die Bitte erhört und keinen Glauben zu Schanden werden läßt. Aber es ist niemals von Gottes Güte die Rede, ohne daß wir auch an den Anspruch erinnert werden, den sie an uns stellt, und an die Schuld, die in ihrer Mißachtung liegt. Christus wird uns vorgestellt als die Fülle der göttlichen Gaben, der seine Jünger mit den höchsten Gütern begabt. Euer, sagt er ihnen, ist das Himmelreich. Aber sie werden zugleich daran gemahnt, daß ihr Fall um so tiefer sein wird, je größer ihre Gabe ist. Es wird schlechterdings kein andrer Weg in's Reich geöffnet als durch die Buße, die mit rundem ganzem Gehorsam Gott unterthan wird. Mag an dieser Forderung fallen, wer es sei, mag Israel an ihr scheitern, sie bleibt bestehn. Dem unbußfertigen Geschlecht hat sich Christus verborgen und vor seinen Augen das Himmelreich verhüllt. Das war der Ernst der Männer, die in Jerusalem die Gemeinde leiteten. Sie standen unter der Judenschaft als Träger des Bußworts und als Zeugen des Gerichts. Sie wußten, daß sie jenes vergeblich ausrichteten und dieses nicht abwandten. Allein sie machten ihre Herzen fest und blieben dabei, daß es zur Erkenntnis Christi und zum Eingang in sein Reich keinen andern Weg gebe als die völlige Unterwerfung unter Gott. Daß sie damit auf Jesu Weg blieben und sein Wort ihnen nichts andres zuließ, dies zu zeigen, ist der Zweck dieses Evangeliums. Wir brauchen und deshalb nicht vorzustellen, daß es seine Leser unter der ungläubigen Judenschaft suche. Vielmehr sollen gerade die, welche sich zu Jesus bekennen, wissen, was sie nach seinem Wort allein vom ungläubigen Israel trennt und statt des Gerichts des Himmelreichs teilhaftig macht.

Matthäus hat stets das im Auge, was man einem jüdischen Mann zeigen mußte, wenn er zu Jesus ein Herz fassen und ihm gläubig sich anschließen sollte. Darum beginnt bei ihm Jesus sein Lehramt damit, daß er kein Strichlein vom Gesetz preisgibt, und denen, die auch nur das kleinste Gebot auflösen, sagt, daß das Himmelreich sie nicht groß machen werde, sondern klein, 5,17-19. Wen diese Worte treffen sollen, ist dort ausdrücklich gesagt. Sie treffen den Rabbi und Pharisäer, der freilich dem Schein und Namen nach das Gesetz hoch hält, aber in Wahrheit nicht nur übertritt, sondern zerreißt, und sich mit seinen Satzungen selbst ein Gesetz zurechtmacht, mit dem er prunkt. Es gab für einen jüdischen Mann gar keinen geraden aufrichtigen Weg zu Christo und keine ehrliche Zuversicht zu ihm, wenn er nicht dessen gewiß war: nicht Jesus, sondern der Rabbi streitet gegen das Gesetz Jesus erfüllt dasselbe. Das war der unentbehrliche Grund und Eckstein seines ganzen Glaubens. Darum zeigt uns Matthäus zu allererst, daß Jesus mit dem Gesetz Gottes vollkommen einig ist. Weiter zeigt er uns alsdann, wie Jesus eben deshalb, weil er mit Gottes Gebot und Willen völlig einstimmig war, was unvollkommen am Gesetz war, abgethan, wie z. B. den Scheidebrief, und die äußern Ordnungen desselben, wie den Sabbath, die Tempelsteuer, die reine Speise, zur Sache der Freiheit gemacht hat.

Weiter schärft uns Matthäus ernstlich ein, daß Jesus nichts gelten ließ, als allein das Werk, welches den Willen Gottes thut. Er hat auch hiebei Israels Art und Schaden im Auge. Freilich wurde in der Synagoge viel gesprochen vom guten Werk. Aber mit dem Reden war das Werk noch nicht gethan. Vielmehr getrösteten sie sich Gottes in trotziger Zuversicht und sagten: wir sind die Söhne Abrahams, also ist uns das Himmelreich gewiß. Nein! antwortet Matthäus mit Jesu Wort: er kennt keine Übelthäter, und wenn ihr ihm Mutter und Bruder wärt. Er setzt der Gabe Gottes damit keine Schranken. Auch er tröstet die Sünder, preist die Armen selig und gibt den Müden die Ruh. Aber er sagt uns zugleich, daß solche Gnade ein Heiligthum ist, das nicht entweiht werden darf, daß man sie mit bösem Herzen nicht empfangen noch behalten kann.

Auch dies war für einen jüdischen Mann sehr wichtig, daß man ihm zeigte, mit welchem Erbarmen und welcher Treue sich Jesus Israels angenommen hat und wie er seine Apostel zu Israel sandte und sie ermahnte, mit aller Geduld bei demselben auszuharren bis in den Tod. Darum berichtet Matthäus den Befehl Jesu an die Jünger, nicht zu den Heiden und Samaritern zu gehn, 10,5, und Jesu Wort an die Heidin, daß das Brot des Lebens den Kindern gehöre und nicht den Hündlein, 15,26. Aber das ist nicht Judenstolz. „Geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Der Judenstolz achtete Israel nicht für eine verlorene Herde. So spricht das Erbarmen. Stellt Matthäus Israel den Heiden voran, so ist dies nicht Ruhm des Fleisches und der Werke, sondern der Blick auf Gottes Berufung und Gnade. Darum steht neben dem Hinweis auf den Vorzug Israels die tiefe Furcht vor Gottes Gericht über das heilige Volk und die völlige Beugung unter dasselbe und die scharfe Verurteilung der jüdischen Sünde, und es ist Raum da für die freie Berufung aller nach dem Reichtum der göttlichen Gnade, Kaum für das Wort an den Hauptmann von Kapernaum und für den Auftrag des Auferstandenen, der die Apostel zu allen Völkern schickt. Matthäus ist überzeugt, daß das kananäische Weib mit seiner Antwort Recht hatte: das Brod, das Jesus bringe, sei so reichlich, daß es die Kindlein sättige und die Hündlein auch. Er achtet Gottes Gabe und Christi Reich für so groß, daß Abraham und seine Kinder darin zur Herrlichkeit gelangen und mit ihnen auch alle Völker von Ost und West.

1)
Der Evangelist bezeichnet Jesus zugleich als Davidssohn um Josephs willen und als Gottes Werk ohne Zuthun Josephs. Man braucht deshalb nicht anzunehmen, der Evangelist habe ein vorgefundenes Geschlechtsregister aufgenommen, das mit seiner eigenen Meinung nicht recht stimme. Ihm ist Jesus gerade dadurch richtig und gültig ins Davidshaus hineingestellt, weil er Joseph durch ein Wunder Gottes übergeben ward.
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