Schlatter, Adolf - 1. Korintherbrief

Schlatter, Adolf - 1. Korintherbrief

Kap. 1

Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft.
1. Korinther 1,18

Wie könnte ich es seltsam heißen, dass Paulus von Menschen spricht, denen das Leben durch das göttliche Urteil genommen wird? Wenn er die Menschen einteilt in solche, die sterben, und in solche, die gerettet werden, so ist daran nicht die erste, sondern nur die zweite Aussage wunderbar. Dass wir weggerafft werden und der Blume des Grases gleichen, die abfällt, ohne dass ihre Stätte kenntlich bleibt, das ist die einleuchtende Ordnung Gottes, gegen die es keine Einrede gibt. Aber geheimnisvoll, überraschend und unser Erstaunen erweckend ist die andere Tatsache, dass es in dieser sterbenden Schar solche gibt, die aus dem Tod heraus ins Leben gelangt sind durch Gottes rettende Tat. Wie unterscheiden sich die beiden Klassen von Menschen? Du siehst, sagt mir Paulus, wohin du gehörst, an der Weise, wie du dich zum Kreuz Jesu stellst; sagst du, es sei eine Torheit, so gehörst du zu den Sterbenden. Das Urteil, der Gang Jesu an das Kreuz sei eine Torheit gewesen und die Verkündigung desselben, die aus ihm die herrliche Gnade Gottes macht, sei närrisch, entsteht nicht durch eine Erkrankung unseres Gehirns oder durch eine seltsame Verengung unseres seelischen Vermögens; wir kommen vielmehr alle zu diesem Urteil, wenn wir nur das haben, was die Natur uns gibt. Dem natürlichen Begehren gefällt der, der sich selbst erhöht, nicht der, der sich erniedrigt, der, der für sich sorgt und sich Macht erwirbt, nicht der, der für andere stirbt, und wenn wir fromm sind, wird der Anstoß am Kreuz Christi noch besonders hart.
Werden wir vor sein Kreuz mit der Mahnung: sieh hier, was Gott will und dir gibt, so wenden wir uns ab, weil wir eine Gnade begehren, die uns in die Höhe hebt und uns unangreifbar und selig macht. Es gibt aber unter den Menschen nicht nur Sterbende, sondern auch solche, die gerettet werden, und ihr Merkmal ist, dass ihnen das Wort vom Kreuz Gottes Kraft offenbart. Sie reden nicht von einem tragischen Schicksal, das Jesus erlitten habe, durch das die göttliche Verheißung verkürzt worden und Gott vor der Sünde der Menschen zurückgewichen sei. Die Kraft Gottes war am Werk in dem, was auf Golgatha geschah, und die Kraft Gottes ist in dem Wort verborgen, das mir vom Sterben Jesu erzählt, die Kraft, die vergibt, und Vergebung ist Stärke, weil sie die Sünde ans Licht stellt und überwindet, Kraft, die Versöhnung schafft und Gemeinschaft stiftet, die Kraft der Liebe, die stärker ist als Schuld und Tod. Und nun senkt sich die kraft, die am Kreuz Jesu ihr Werk vollbracht hat, in unsere Seele hinein und macht das Gewissen still, wenn es verklagt, und die Sünde tot, wenn sie uns lockt, und den Glauben wach, der sich Gott ergibt, und die Liebe lebendig, die dem Vater an den Brüdern dient. Weil solche Gotteskraft aus dem Kreuz Jesu strömt, gibt es unter uns Gerettete.
Wenn ich den Blick zu Deinem Kreuz erhebe, Herr Jesus Christ, dann sterben die dunklen Gedanken, die das schwach und töricht nennen, was Gottes Kraft und Weisheit schuf. An Dir, dem Gekreuzigten, erkenne ich, dass Gott Licht ist und ist nicht Finsternis in ihm und dass er Liebe ist in rettender Gerechtigkeit. Wird mein Blick trübe, dann schenke mir aufs neue den Anblick Deiner Gnade. Amen.

Kap. 2

Ich hielt mich nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch ohne allein Jesus Christus, den Gekreuzigten.
1. Korinther 2,2

Den Glanz des großen Denkers und des hinreißenden Redners tat Paulus mit bewusstem Entschluss auf die Seite, obwohl er ihn leicht erreicht hätte. In Korinth hat er seine Wirksamkeit unter die Regel gestellt: Ich weiß nur eines, dieses weiß ich aber mit gesicherter Gewissheit, und dieses eine ist, dass der Christus gekommen und dass er gekreuzigt worden ist. Wenn wir unser Denken anspornen, dass es in die Weite fährt, oder uns dem künstlerischen Trieb hingeben, überschreiten wir immer die Grenzen unseres Wissens. Jeder Philosoph hat unvermeidlich viel mehr gesagt als er wusste, und die Redner erliegen derselben Gefahr. Sowie wir aus unserer Erkenntnis etwas Ganzes machen wollen, füllen wir ihre Lücken mit unseren Vermutungen aus, erfinden zu dem, was uns gezeigt ist, Hintergründe und begleiten das, was geschieht, in seine verborgenen Anfänge. Das verschafft uns aber nicht mehr ein Wissen, sondern stellt uns zur Schar der Dichtenden. Paulus dagegen entschloss sich, streng bei dem zu bleiben, was er wusste. Denn sein Ziel war, in seinen Hörern Glauben zu erwecken. Zum Glauben gelangen wir nur durch eine Wahrnehmung, die uns Gewissheit gibt. Wer in der bunten Fülle seiner Gedanken glänzt und sie mit dichterischer Kraft verschönt, wird Bewunderung ernten, den Menschen aber nicht da fassen, wo die Entscheidung über sein ganzes Denken und Wollen erfolgt. Soll ich fürchten, Paulus mache sein Evangelium eng und klein, wenn es nur aus dem Einen bestehen soll, was Er weiß? Christus kennen, das ist nichts Enges, das ist die gewusste Gnade Gottes in ihrer alles neu machenden Größe, und nun erst noch wissen, dass Christus des Kreuz getragen hat, das ist ein Lichtquell, der alles beleuchtet. Nun weiß ich, was Gerechtigkeit und was Gnade ist, weiß, was Sünde und was Vergebung ist, weiß, was Gehorsam und was Liebe ist. Welch ein Reichtum von Erkenntnissen ist mir damit geschenkt! Sie sind so reich, dass mir durch sie die Kraft und die Pflicht zum Glauben gegeben sind.
Deine Weisheit, Herr Gott, reicht uns dar, was uns heilsam ist. Ich erkenne mit großem Dank, wie Deine Hand befestigt, was in uns schwankt. Den eitlen Drang, der ins Geheimnis führt, bändigst Du. Die Unruhe, die da nicht stille stehen will, wo Du Dich offenbarst, nimmst Du uns weg, und heilst das trübe Auge, das sich nicht zum Kreuze unseres Herrn erheben mag. Du gibst uns die Gewissheit, die uns trägt, das Ziel, das uns bewegt, die Kraft, die Dir uns unterwirft. Amen.

Kap. 3

Ich von Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister. Ein anderer baut darauf. Ein jeglicher aber sehe zu, wie er darauf baue.
1. Korinther 3,10

Paulus verglich die Kirche nicht mit einem fertigen Bau. Die Grundmauer, sagt er, habe er ausgeführt, und damit ist festgestellt, an welchem Platz und in welchen Maßen der Bau entsteht. Bis aber auf die Grundmauer der vollendete Bau gestellt ist, muss noch viel Arbeit geschehen und manche Hand sich regen. Nie dachte Paulus daran, die Kirche bei dem festzuhalten, was sie durch ihn selbst geworden war. Er gab ihr offene Türen, damit jederzeit neue Menschen in sie treten könnten, und neue Menschen bringen neues Leben mit neuer Not und neuer Kraft. Nach dem Weggang des Paulus von Korinth hatte Apollos eine neue Gruppe jüdischer Männer in die Gemeinde geführt und die, die aus der östlichen Kirche zu ihr herüberkamen, trugen mancherlei, zum Teil stürmische Bewegung in sie hinein. Paulus war in Sorge, warnt und verlangt, dass die Gemeinde den Zusammenhang mit ihm bewahre. Dass er sie aber bei sich festhalten dürfte, das gilt ihm als ganz unmöglich. Denn die Kirche steht noch nicht am Ziel, sondern ist im Bau. Ist sie denn nicht Gottes Behausung im Geist und sein Tempel? Kann ein unfertiger Tempel, der erst noch gebaut werden muss, uns Gottes Gnade zeigen? Muss nicht die Kirche ohne Wandel sich selber gleich bleiben im Besitz des Wortes, das sich nicht ändern kann, weil es Gottes Wort ist, und in Gehorsam gegen ein Gesetz, das unwandelbar gilt, weil es Gottes Willen verkündet? Die Grundmauer, sagte Paulus, ist für immer errichtet und bleibt, wie sie ist; denn das ist Christus, unter den jeder gestellt wird, der in die Kirche hineingebaut wird. Christus ist aber nicht der Verkündiger einer Lehre oder der Verfasser eines Gesetzes, sondern der königlich regierende Herr, dessen Wirken sich fortsetzt von Geschlecht zu Geschlecht und nicht vollendet ist, bis Gottes Reich in Herrlichkeit erscheint. Die Kirche kann nicht am Ziel sein, bis Christus sein Werk vollendet hat. Darum bringt die bewegliche Wandelbarkeit der Kirche keine Unsicherheit in sie hinein, weil sie mit Christus verbunden ist. Verändert sich ihr Wort und wandelt sich ihre Arbeit, ihr Herr hat die allmächtige Gnade, die jeder Zeit und jedem Glied der Kirche das gewährt, was sie bedürfen. Ist die Kirche nicht unfehlbar, ihr Gott ist unfehlbar.
Unsere Bauarbeit, lieber Herr, bringt uns mancherlei Unruhe und Verwirrung. Behüte mich vor dem Anstoß, den ich mir leicht an der Unfertigkeit Deiner Schar und an der Unvollkommenheit ihrer Arbeit hole. Lass mich auf Dein Wort sehen, das unserem Bau in Christus den festen Grund bereitet hat, damit ich in der Gemeinschaft mit Deiner Schar bleibe und mit Hand anlege, wie ich es mit der mir gegebenen Gabe kann. Amen.

Kap. 4

Dafür halte uns jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, denn dass sie treu erfunden werden.
1. Korinther 4,1+2

Nach unserer Denkweise, die Torheit ist, sagen wir, Paulus sei ein Original gewesen, sogar ein Genie. Er hat in der Tat vieles gesagt, was vor ihm keiner sagte, und war bei mancher Gelegenheit ein Anfänger, der Neues schuf. Das ergab sich aus seinem Grundsatz, mit dem Wort dahin zu gehen, wo es noch unbekannt war. Weil er die Gemeinde auf einem noch unberührten Boden baute, musste er manches Neue erdenken und tun. Paulus lehnte aber diese Weise, sein Wirken zu betrachten, ab. Er selber sieht in sich einzig den Verwalter, und dieser erwirbt nicht neuen Besitz, sondern macht fruchtbar, was ihm übergeben ist. Die Art und der Umfang des Guts, das er zu verwalten hat, hängt nicht vom Verwalter ab. Darum gab es für Paulus nur eine einzige Pflicht, die, treu zu sein. Das ist Gottes Ordnung für uns alle. Vor allem Erwerben steht das Empfangen und daraus ergibt sich für uns das Ziel, an das wir mit heiliger Pflicht gebunden sind. Verdirb nicht, was du empfangen hast. Freilich ist es wahr, dass die Zeit sich bewegt und die Geschichte nicht stille steht, auch nicht die eines jeden Einzelnen. Wir kommen in neue Lagen und tun Gottes Willen nur dadurch, dass wir unsere Vernunft erneuern. Was gestern richtig war, ist es nicht auch heute. Aber die unzerstörbare Bedingung für jeden neuen Schritt der Christenheit ist, dass sie das ihr Gegebene nicht zerstöre, sondern wirklich besitze, und sie besitzt es nur dann, wenn sie es fruchtbar macht. Wer da hat, dem wird gegeben. Ich kann nicht neue Gabe empfangen, wenn ich das, was mir gegeben wurde, missachte und entkräfte. Wenn Paulus nur die eine Verpflichtung anerkannte, treu zu sein, so stand ihm die Herrlichkeit Jesu vor seinem Auge. Was Jesus uns gebracht hat, bedarf keiner Ergänzung und Verbesserung durch den Apostel oder durch die Christenheit. Weil Paulus an Jesus glaubte, kam es ihm nicht in den Sinn, ein Original zu sein mit dem Anspruch, dass er über Jesus emporwachse. Er empfand das Verwerfliche einer solchen Einbildung deshalb stark, weil er Gottes Willen zu tun hatte. Das stellt ihn vor die Geheimnisse Gottes, in die wir nicht eindringen, als verfügten wir über sie. Darum zeigt er sich und der ganzen Christenheit kein anderes Ziel als das, dass sie treulich verwalte, was Jesus ihr erworben hat.
Dein Geheimnis, Vater, steht auch über meinem Leben. Es ist das Geheimnis Deiner Gnade. Bewahre meine Gedanken, dass sie sich nicht an Deinem Geheimnis vergreifen, und schaffe in mir das reine Herz, das Dir für das dankt, was du mir gabst, und es treulich braucht nach Deinem Willen. Amen.

Mir ist es ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir wohl nichts bewusst; aber darinnen bin ich nicht gerechtfertigt. Der Herr ist es aber, der mich richtet.
1. Korinther 4,3+4

Tief beschämt sehe ich zu Paulus auf. Ein Wirken, das keinen Flecken in das Gewissen legt, eine Arbeit, die durch ein langes Leben hindurch fortgesetzt wird und nicht bloß dem menschlichen Urteil ohne Furcht gezeigt werden kann, sondern sich auch im Urteil des eigenen Gewissens als rein erweist, das hat einzigartige Größe und ist so schön, dass es uns fast unglaublich scheint. Aber diese Schönheit zerränne und verwandelte sich in ein hässliches Bild, wenn Paulus mit Bewunderung sich selbst beschaute und mit dem Freispruch, den sein Gewissen ihm gewährt, zufrieden wäre. Er fährt aber fort und erklärt, dass er damit nicht gerechtfertigt sei. Dass wir versuchen, uns selbst zu rechtfertigen, das hieß Paulus Sünde und an dieser Sünde beteiligt er sich nicht. Sein eigenes Urteil gilt nichts; denn das des Christus allein entscheidet. Er steht ja in Dienst Jesu und arbeitet nicht für sich, sondern für ihn. So hat auch einzig Christus die Macht und das Recht, über ihn zu urteilen und zu erklären, dass er seinen Knecht lobe und sein Werk heilige als in Treue getan, wie sie von dem gefordert wird, der das Gut seines Herrn zu verwalten hat. Dächte er anders, machte er aus seinem guten Gewissen seine Gerechtigkeit, wie könnte er noch mit Freude auf sein Wirken sehen? Dann hätte er den Standort des Glaubens verlassen und sich auf sich selbst zurückgebeugt, um sich in sich den Stützpunkt zu bereiten, der ihm den festen Stand gewähren soll. Dann hätte er, während er doch den anderen Jesus als ihren Herrn verkündigte, sich selbst dem Herrn entzogen, für sich gearbeitet und sich an die Stelle Jesu gesetzt. Hätte ich Recht, wenn ich sagen würde, es sei schwer, in dieser Stellung zu verharren, und es sei kaum begreiflich, dass Paulus das ausgehalten habe, ohne wund zu werden? Würde ich es hart heißen, dass wir uns nicht die Rechtfertigung bereiten können, weder aus dem Zeugnis des Menschen noch aus dem Lob unseres eigenen Gewissens, so hätte ich wieder vergessen, was der Glaube ist und wo er uns den Ort vor Gott anweist. Wie könnte Paulus deshalb wund, schwach und geängstigt sein, weil einzig Jesus ihn rechtfertigen kann? Er glaubt ja an seinen Herrn und kennt seine Gnade. Dadurch erweist er sich als gläubig, dass er nichts als gültig ehrt als allein das Urteil Jesu. Indem er sich nicht nur über das Urteil der anderen, sondern auch über sein eigenes Gewissen erhebt, bleibt er bei dem Satz, dass es keine Gerechtigkeit für uns gebe als den Glauben allein, und diesen Satz hieß Paulus den köstlichen Kernsatz des seligmachenden Evangeliums.
Mache mich frei, Herr, dass ich nicht auf das Urteil der Menschen lausche. Wende mich zu Dir, damit ich nicht selber den Wert meines Lebens messe und die Frucht meiner Arbeit festzustellen suche. Auf Dein Urteil zu warten, ist Freude und Friede; denn ich weiß ja, dass Du gnädig bist. Amen.

Es blähen sich etliche auf, als würde ich nicht zu euch kommen.
1. Korinther 4,18

„Herr eures Glaubens bin ich nicht“, sagte Paulus den Korinthern. Diesen Gedanken stieß er als verwerflich von sich. Wie könnte ein Mensch, und wenn er ein Apostel wäre, über den Glauben des anderen Herr sein wollen? Das wäre Raub an Gott. Weil unser Glaube Gott gehört, sollen wir ihn Jesus geben und niemand sonst. Als es aber in Korinth solche gab, die sagten: Paulus braucht nicht mehr zu uns zu kommen; wir haben ihn nicht mehr nötig, nannte er das aufgeblähte Eitelkeit, vor der er ernstlich warnt. Ähnliche Gedanken gehen mit versuchlicher Kraft durch unsere Zeit. Wozu soll ich immer wieder mein Neues Testament öffnen, warum beständig Paulus zu mir reden lassen? Kann ich mein Leben nicht selber ordnen? Habe ich nicht Augen, die mir zeigen, was geschehen muss, Glauben und Geist, die mich auf Gottes Weg erhalten? Ich muss in der Gegenwart leben und das erkennen, was jetzt richtig und heilsam ist. Ist es nicht die Schwäche der Christenheit, dass sie nur die apostolischen Worte wiederholt und nicht von dem zeugen kann, was Gott heute an uns tut? An solchen Gedanken ist das freilich wahr, dass wir arm und zum Dienst nicht tauglich wären, wenn wir nichts zu sagen hätten als Bibelsprüche und von Gott nichts wüssten als das eine, dass er vor langer Zeit den Aposteln sein Wort gegeben hat. Wenn ich so in der Bibel heimisch würde, dass mir die Gegenwart fremd bliebe, dann hätte sie mir noch nicht gezeigt, dass Christus mir zum Herrn gegeben ist. Ebensowenig entsteht aber aus echtem Glauben Hochmut, der sich selbst genug sein will und auf den Apostel nicht mehr hören mag. Eitelkeit entsteht nicht aus dem Glauben, sondern gedeiht nur da, wo er fehlt. Habe ich gelernt, auf Gottes Hand zu achten, dann nehme ich wahr, dass er den Boten Jesu ein Amt gegeben hat, das niemand wiederholt und keiner entbehren kann. Dann höre ich die Stimme des guten Hirten, der durch den Dienst des Paulus die Seinen führt.

Ich kann nicht bei mir selber weise sein, lieber Herr. Du sprichst zu mir durch die, die Du mit Deinem Wort begnadet hast. Dafür danke ich Dir und bitte Dich: schenke Deiner Christenheit ein offenes Neues Testament, ein waches Ohr für das, was Deine Boten sagen. Amen.

Das Reich Gottes besteht nicht in Worten, sondern in Kraft. 1. Korinther 4,20

Was bedarf ich mehr als Gottes Wort? Mit ihm ist mir alles gegeben. Durch Sein Wort kommt Sein Reich zu mir. Gottes königliche Gnade regiert mich dadurch, dass sein Wort mich erfasst. Kein Dank ist zu stark dafür, dass uns das Wort gegeben ist, kein Lob zu überspannt, das die Herrlichkeit des Wortes preist. Gott ist das Wort. Wenn ich aber vom Wort nur Lust zum Denken und Geschicklichkeit im Sprechen empfange, also aus dem Wort bloß Worte mache, so habe ich das Wort nicht gehört und seine Wirkung nicht empfangen. Gott ist das Wort. Gottes ist aber die Kraft; daher ist sein Wort Kraft und besteht sein Reich, das durch sein Wort zu mir kommt, nicht in Worten, sondern in Kraft. Ich hätte dem Wort mein Innerstes verschlossen, wenn mein Glaube nur dadurch ans Licht träte, dass ich weiß, wie Gott sich zu mir verhält, und davon reden kann. Mich will das Wort fassen, nicht nur meine Zunge, nicht nur mein Gehirn und den Apparat, mit dem ich denke, nicht nur mein Bewusstsein, sondern mich mit dem, was Kraft in mir ist, und mit dem, was Mangel an Kraft, Schwäche, Sünde und Tod in mir ist. Das will es heilen und in mein nichtiges, verwerfliches und totes Wesen Gottes Kraft hineintragen, weshalb es keinen echten Hörer des Wortes gibt, der nicht sein Täter wird. Wenn ich mich der Kraft des Wortes entziehe, so halte ich meinen eigensüchtigen Willen fest, der sich Gott nicht unterstellen will, und ich bleibe an meinen natürlichen Trieb gebunden und decke über diesen Jammer den Glanz der von Jesus mir gesagten Worte, als ob mir geholfen wäre, wenn ich mit Worten verleugne und verhülle, was mich verdirbt. Ich kann Gottes nicht gewiss sein und kann ihn auch keinem anderen zeigen, wenn sich nicht seine Kraft an mir und durch mich offenbart. Darin liegt der Grund, dass keine Theologie uns helfen kann, wenn sie nichts ist als Theologie.
Ich will, Vater, meine Not nicht vor Dir verbergen; Du kennst sie ja. Worte habe ich reichlich; aber Worte sind nicht das Merkmal Deines Reiches. Durch das, was uns fehlt, leitest Du uns zum Bitten. Darum bitte ich Dich: behüte mich vor aller Einbildung, die in Worten schwelgt und mache mich zum Täter Deines Worts. Ich bin nur ein irdenes Gerät. Du aber legst auch in das irdene Gerät den Schatz Deiner Kraft. Darum bitte ich Dich in Jesu Namen. Amen.

Kap. 9

Ich betäube meinen Leib und bezähme ihn, dass ich nicht den anderen predige und selbst verwerflich werde.
1. Korinther 9,27

Die anderen wachsen uns ans Herz, wenn uns die Liebe Jesu treibt. Unablässig beschäftigen sie unsere Gedanken. Wir sorgen für die, leiden mit ihnen, arbeiten für sie, beten für sie. Das ist Christenrecht und Christenpflicht. Habe ich nicht auch für mich zu sorgen? O ja, sagt Paulus; das ist nicht Gottes Meinung, dass du anderen das Heil Gottes zeigst und es selbst verlierst, anderen Menschen Gottes Willen in die Seele legst und ihn selbst übertrittst und andere in die Gemeinde der Erlösten führst und selbst draußen bleibst. So entstände aus meiner Arbeit ein hässlicher Widerspruch. Ich kann die selbstlose Art der Liebe nicht dadurch herstellen, dass ich mich selbst zerstöre. Wie kann ich anderen helfen, wenn ich selbst hilflos bin? Um zu geben, brauche ich eigenen Besitz; um zu lehren, ist mir Erkenntnis unentbehrlich. Soll ich anderen das Wort Gottes sagen, muss es zuerst zu mir selber reden. Unser Verkehr miteinander bleibt nur dann in der Ordnung Gottes, wenn wir alle dabei gedeihen, der Lehrende und der Lernende, der Gebende und der Empfangende, der, der ein Amt hat, und die, für die er es hat. Das zeigte Paulus den Korinthern auch an der Unentgeltlichkeit seines Wirkens. Freilich war es die Liebe, die ihn zu diesem Verfahren trieb. Den bösen Verdacht trieb er dadurch weg, als zöge er seines Gewinns wegen von Stadt zu Stadt, und brachte in den Gemeinden die Arbeit zu Ehren, damit sich keiner an die Gemeinde hänge, um ihre Liebe zu missbrauchen. Was er aber für die anderen tat, das tat er zugleich für sich. Weil er keine Gaben annahm, kam er oft in peinliche Lagen und es gab manchen Tag, an dem er darben musste. Er will aber nicht, dass die Korinther ihn deshalb bedauern. Die harte Zucht, in die er seinen Leib nimmt, ist heilsam für ihn selbst. Dadurch blieb er der Freie, den kein leibliches Bedürfnis knechten und hemmen kann. So einigt er die Sorge für sich selbst mit dem, was er den anderen tut, auch jetzt, da er in besonderem Maß der Gebende ist, der keine Gegengabe begehrt.
Herr, Gott, unser aller Vater! Du hast die anderen neben mich gestellt, damit ich für sie lebe, und hast mir selbst dein Wort geschenkt, damit es mir Dich offenbare und mich ins Leben führe. Ich begehre Deine Gaben für die, die Du mit mir verbunden hast, und ich begehre sie für mich von Dir, der Du reich bist für uns alle. Behüte uns alle vor dem, was uns verdirbt. Amen.

Kap. 10

Ihr esset nun oder trinket oder was ihr tut, so tut es alles zu Gottes Ehre. 1.Korinther 10,31

Alles zeigt mir, wie groß und gnädig Gott ist. Darum kann ich auch alles so tun, dass Gottes Größe dadurch sichtbar wird und Gottes Glanz auf allem liegt und Gottes Lob aus allem entsteht. Ist es wirklich so? Kann ich mit allem Gott ehren? Mit einem Stück meines Lebens kann ich Gott nicht preisen. Greift er nach mir, so erfasst er mich ganz und macht mich mit allem, was ich bin und tue, ihm untertan. Das ist in allem Gottes Merkmal, dass er da, wo er offenbar wird, alles ist. Wenn mein Leben Gottes Gnade sichtbar macht, dann geschieht es durch alles, was es in sich hat. Wo fände ich denn etwas, was nur mir gehörte, womit ich zeigen könnte, wie reich, klug und groß ich bin? Vor allem, was ich tue, steht, was ich empfangen habe. Ich kann nur handeln, weil ich lebe, und dass ich lebe, ist nicht mein Werk, sondern Gottes Gabe. Meinen natürlichen Besitz habe nicht ich gemacht und ebensowenig mein geistiges Eigentum. Meinen Christenstand empfing ich und mein Amt und Dienst ist mir zugeteilt. Ich bin mit allem, was ich tue, nur der Verwalter, der fremdes, nämlich Gottes Gut fruchtbar macht. Wie kann ich nun mit dem, was nicht mein ist, meinen Ruhm herstellen? Das ist der Raub an Gott, den Jesus keinem zulässt, der ihm gehört. Was von Gott kommt, muss sein eigen bleiben und das, was er mir gab, zum Opfer werden, das seinen Ruhm vermehrt. Bin ich für diesen Beruf nicht zu klein? Würde ich nicht Jesus kennen, so wäre mir diese Frage wohl zu schwer, so dass sie mich zu schweigen zwänge. Weil aber Jesus zu uns kam, wissen wir, dass Gott sich dem Kleinen gibt, weil er klein ist, und dem Armen sein Reich aufschließt, weil er arm ist. Nun gibt es kein Gärtchen, das zu klein wäre, als dass das Senfkorn des göttlichen Reichs in ihm Platz hätte, wie es auch keine Mehlmasse gibt, die sein Sauerteig nicht zu durchdringen vermöchte. In jedem Leben hat Gottes ganze Gnade Raum, und es gibt kein Herz, sei es noch so eng, in das nicht Gottes Licht hineintreten kann. Gerade so, dass seine Gnade an uns Kleinen in unserem kleinen Vermögen und kleinen Wirken sichtbar wird, entsteht Gottes großer Ruhm. Soll ich vom Natürlichen, vom Essen und Trinken, von dem Paulus spricht, sagen, es sei für Gottes Ehrung zu klein? Alles Natürliche hat die Wunder in sich, die dem, was geschaffen ist, eingepflanzt sind, und nie tritt das Natürliche für sich an mir hervor, von dem getrennt, was in mir ist. Vom Essen und Trinken sprach Paulus mit den Korinthern, weil sie sich im griechischen Leben frei bewegten und auch an der festlichen Tafel der Griechen Platz nahmen. Esst und trinkt, sagt ihnen Paulus, aber nicht dazu, damit ihr eure Freiheit zur Schau stellt oder gar nur das tut, was die Tiere tun. Esst und trinkt, damit Gottes Gnade strahlend glänze, die euch das Leben gibt und euch in die Freiheit stellt, nicht zu eurer Verherrlichung und Beglückung, sondern zu seinem Ruhm.
Einiger Gott und Vater, aus dem alles ist und wir zu Dir, geheiligt werde Dein Name. Heilig und Dein eigen alles, was Du mir gegeben hast. Einiger Herr Jesus Christus, durch Den alles ist und wir zu Dir, vergib mir den Missbrauch deiner Gaben, mit denen ich mir meine eigene Größe bereite, sei und mache mich Dir in allem untertan, damit die Frucht meines Lebens Deine Ehre sei. Amen.

Kap. 13

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.
1. Kor. 13,1.

Nicht dazu verpflichtet uns Paulus, daß wir über die Liebe reden, sondern dazu, daß wir in ihr reden. Reden wir über die Liebe, so kann die Rede leicht nicht mehr sein als der laute Schall eines Tamburin. Eine Christenheit, die von der Liebe spricht, haben wir in großem Umfang; aber es liegt am Tag, daß sie damit noch nicht zum Dienst Gottes fähig ist und noch kein heilsames Wort besitzt. Ich muß die Liebe haben; das macht mein Wort stark, sieghaft und zum Werkzeug eines fruchtbaren Gottesdienstes. Mein Wort kann zwei verschiedenen Zwecken dienen. Entweder stellt es mich dar, bringt zum Ausdruck, was mich bewegt, zeigt meinen Zustand, sei es meine ARmut, wenn es klagt, sei es meinen Reichtum, wenn es meine Ziele verkündet, die anderen anwirbt, und braucht, an mich anzieht und mir folgsam macht. Paulus sagt, so bleibe das Wort Schellengetön, auch wenn es höchste Wissenschaft und höchste Kunst darstellt. Starken Beifall kann man freilich so erwerben; denn der Mensch bewundert den Menschen gern, wenn er seine Größe vor ihm ausstellt. Aber einen echten Erfolg, der vor Gott besteht und für die Menschen heilsam ist, schafft mein Wort nicht, wenn es in mir seinen Gegenstand hat. Nun kann aber mein Wort auch von der Liebe seine Gestalt bekommen. Dann erhält es sein Ziel und seinen Inhalt durch das, was die anderen sind und bedürfen. Dann spreche ich mit ihnen von ihren Sünden nicht, um sie zu erniedrigen, sondern um sie aufzurichten, spreche von meiner Erkenntnis nicht, um mich als den Wissenden zu beweisen, sondern um ihnen das zu zeigen, was ihr Auge mit Licht und ihre Vernunft mit Wahrheit beschenkt, spreche von Gottes Gnade nicht dazu, um mich oder meine Kirche oder die Christenheit zu erhöhen, sondern um Gottes Gabe denen zu bringen, die mich hören. So wird das Wort dem untertan, was der Hörer ist und braucht, und dadurch ist es mächtig. Es gibt auch für unsere Rede keine Macht anders als durch den Dienst und keinen Erfolg anders als durch die Entsagung. Denn auch unsere Rede gedeiht nur dann, wenn sie Gott vor Augen hat, udn verfällt, wenn der Mensch sie an sich selber kettet.
Unser Mund, der sprechen kann, unser Ohr, das hören kann, sind, Vater, die Zeugen deiner wunderbaren Güte. Mikt dem Wort führst du uns zusammen, öffnest uns für einander, schließest Inwendiges auf und machst Verborgenes wahrnehmbar. Und nun füllst du unser Wort mti deinem Wort und machst, daß wir von deiner Gnade reden dürfen. Aber nur gebeugt und in der Ferne als der, der um dein Vergeben bittet, kann ich vor dir stehen, wenn ich an mein Reden denke. Vergib die eitle Leere und den stolzen Schmutz meiner Worte. Geber der Liebe, heile meine Rede. Amen.

Wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.
1. Kor. 13,2.

Der warnende Finger des Paulus zeigt hier auf ein finsteres Rätsel hin. Ist es denn möglich, daß ein Mensch durch das Vollmaß der Erkenntnis in das Licht gestellt ist und sich doch dem Licht entzieht udn nicht zum Kind des Lichtes wird? Er entzieht sich aber dem Licht, wenn er die Erkenntnis hat, ohne die Liebe zu haben. Kann ich denn Gott kennen, ohne zu sehen, was er ist, nämlich daß er Liebe ist, und kann ich ihn kennen, ohne von ihm gekannt zu sein mit jenem Blick seiner Gnade, die seinen Willen in uns wirksam macht? Und wie ist es möglich, daß ich allen Glauben habe, Glauben, der mich zum Gebieter über die Berge und Herrn der Welt macht, ohne daß ich Liebe habe? Ist nicht jeder Glaube das Ergreifen der göttlichen Liebe? Wie kann ich anders Berge bewegen als so, daß ich Gottes allmächtige Gnade anrufe und sie für mich habe? Nun soll ich aber Gottes Gnade nicht nur wissen, sondern glauben und nicht nur von ihr reden, sondern sie begehren und nicht nur nach ihr verlangen, sondern sie auch erfahren, und dennoch selber ohne Liebe sein? Dieses Rätsel ist aber nicht die Ausgeburt einer düsteren Sorge, die Paulus in einer dunklen Stunde grundlos gequält hätte, sondern hat in dem, was wir sind und tun, starken Grund. An allem, was uns begabt, bereichert und stärkt, entsteht eine Frage, die nicht von selbst ihre Antwort findet, die, ob ich das mir Gegebene an mich ziehe und deshalb schätze, weil es mich stärkt und mein Leben verklärt, und daran satt bin, daß ich selber zur Erkenntnis gelangt und zum Glauben gekommen bin, oder ob ich mir von Gottes Liebe und Gabe die Verwerflichkeit meiner Eigensucht zeigen lasse und sie in den Tod gebe. Gewiß gibt es keine Erkenntnis Gottes, die uns nicht zur Tat beruft und in den Dienst seiner Güte stellt, und gewiß gibt es keinen Glauben, der nicht geschäftig und tätig wäre, wobei das, was der Glaube begehrt, durch die Liebe geschieht. Allein dies tritt dann ein, wenn nich mein boshafter Wille dazwischen fährt und aus dem, was Gottes ist, mein Eigentum macht, das ich mißbrauche, indem es mir einzig mir selber dienen soll. Keine Steigerung der Erkenntnis und keine Kräftigung des Glaubens überwindet diese Gefahr; denn sie steigt mit der Größe unserer Begabung. Abgewehrt wird sie nur durch die Buße, durch die Oeffnung des Ohrs für Gottes Gericht, das meine Eigensucht verdammt, und für sein gnädiges Wort, das mir Gottes helfenden Willen teuer macht.
Ich erschrecke vor dem, was wir Menschen fertig bringen, vor der Allgewalt unserer Eigensucht, die auch im Licht deiner Erkenntnis nicht ersterben will. Darum aber weil dein Wort mir die Größe meiner Not und Schuld enthüllt, ist es mein Heil. So führt es mich zu dir. Amen.

Wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre es mir nichts nütze.
1. Korinther 13,3

Liebestat ohne Liebe, das ist die schlimmste Entstellung, zu der es unsere Frömmigkeit bringen kann, die hässlichste Verkleidung unserer Eigensucht. Paulus denkt an die beiden Wege, auf denen die Liebe zur Tat und Arbeit gelangt. Sie gibt dem Menschen, was er bedarf; ihm dienen wir mit unserer Habe; und sie opfert für Gottes Ehre, was sie kann; weil er Gott ehren und ihm allein gehorchen wollte, gab der jüdische Märtyrer den Leib den Flammen preis. Von dem, was hier wie eine Tat der Liebe aussieht, nimmt Paulus alle Beschränkung weg. Nicht nur eine ärmliche Gabe wird hier dem Darbenden gereicht; das geschieht freilich oft genug, ohne dass die Liebe das Geben beseelt; vielmehr wird hier die ganze Habe für die anderen fruchtbar gemacht; und nicht nur eine kleine Entsagung, die bald überstanden ist, bezeugt hier, dass der Opfernde Gott vor Augen hat, sondern das bitterste, qualvollste Martyrium, das den Leib völlig zerstört, soll hier bezeugen, dass der Entsagende die Größe Gottes ehrt. Aber keine Häufung der Wohltat und des Leidens schafft für die fehlende Liebe den Ersatz. Wie viel fällt von dem, was wir tun, als leer und vergeblich dahin! Wir geben oft und es sieht so aus, als ob es eine Wohltat sei, und doch ist keine Liebe drin, die wirklich zu helfen versucht. Uns soll in Wahrheit nützen, was wir tun, und doch nützt uns diese falsche Liebe nichts. Manches geschieht eifrig und willig zu Gottes Ehre und doch klebt unser Blick dabei an uns selbst. Der Märtyrer besteigt den Scheiterhaufen und greift dabei nach dem ewigen Kranz, der ihn nun immer schmücken soll, flucht denen, die ihn töten, und erhebt sich über die, die nicht desselben Heldentums fähig sind. Das von deiner Eigensucht befleckte Opfer, sagt Paulus, nützt dir nichts. Auch ein solcher Vorgang legt, so traurig er ist, für die Herrlichkeit der Liebe Zeugnis ab. Es gäbe keine unechte Liebe, würde uns nicht die echte gegeben, Wohltat, die wirklich helfen will, Opfer, das Gott in Wahrheit preist. Was die Liebe tut, würde nicht nachgemacht, strahlte nicht ihr Glanz in jedes Auge, auch in das, das von der Eigensucht geblendet ist, und von den Gaben der echten Liebe hat Paulus nicht gesagt, sie nützen dir nichts. Sie tragen eine segnende Kraft in sich, nicht nur für den, der sie empfängt, sondern auch für den, der sie gibt.
Das, Vater, ist die wonnige Süßigkeit Deiner Gnade, dass sie uns zum Geben rüstet. Du machst aus allen Deinen Gaben die Liebe zur größten. Schenke sie mir. Bleibe ich in Deinem Wort, dann ist meine Liebe behütet und vor dem geschützt, womit meine Eigensucht sie verderben will. Amen.

Die Liebe glaubt alles.
1. Korinther 13,7

Wirklich, alles glaubt sie? Haben wir nicht reichlich Grund zum Verdacht und zur bangen Sorge im Verkehr mit den Menschen? Wird nicht die Liebe, wenn sie alles glaubt, dem Spiel und Trug der Menschen ausgeliefert? Spricht nicht tausendmal die Erfahrung von Aufopferung, die vergeblich geschah, von Liebe, die umsonst sich mühte und schließlich, vielleicht erst nach heißem Kampf, zusammenbrach? An dem, was die Menschen sind und tun, entsteht die Furcht oft genug und Grund zum Zweifel bieten sie uns reichlich dar und sie haben das Vermögen, der Liebe hartnäckig zu widerstehen. Das hat Paulus noch viel reichlicher erfahren als wir, weil seine Liebe weit stärker war als die unsrige. Er bleibt aber dabei: aus der Liebe entsteht kein Zweifel, keine Ermüdung, kein Unterliegen. Ich freilich kann zweifeln, mich fürchten, erliegen und in Lieblosigkeit, die die Menschen verachtet, versinken; aber die Liebe kann dies nicht. Sie glaubt alles. Im Verkehr mit jedem Menschen, sei er, was er sei, vor jeder Lage, mögen Schuld und Elend so gewaltig sein, kann sie nur das Eine, nur glauben. Wie kommt denn die Liebe in mich hinein? Sie ist die Wirkung und Frucht der göttlichen Liebe und deshalb glaubt sie und hat eine gewisse und starke Zuversicht in sich, die keinen Bruch erträgt und keine Schranken kennt; denn sie hat Gott vor Augen und seine sieghafte Macht. Wollte ich nur mit dem rechnen, was mein Wohlwollen einem Menschen bieten kann, so müsste ich freilich auf den Erfolg meiner Liebe verzichten. Dürfte ich das aber noch Liebe heißen? Ist ein gottloser Verkehr mit den anderen Liebe? Solche Liebe, die sich auf das gründet, was ich in mir selber finde, bleibt verhüllte Eigensucht. Meine Liebe muss reicher sein als mein Besitz, wie könnte sie sonst dem anderen geben, was er braucht? Sie muss sehender sein als mein eigenes Auge, wie könnte sie ihm sonst helfen? Sie muss stärker sein als meine Kraft. Diese reicht nicht aus, um einen Menschen zu seinem Ziel emporzutragen. Das ist sie dadurch, dass sie mit Gottes Liebe einig ist. Weil ich bei der Arbeitsamkeit meiner Liebe Gott für mich habe, kann ich den Zweifel vertreiben, der an meiner Liebe nagt und sie lähmt, und kann im heißen Ringen, mit dem sich die Furcht der Liebe widersetzt, den Sieg gewinnen nach dem Wort des Johannes: die vollendete Liebe vertreibt die Furcht.
Glauben, Vater, kann ich für die Menschen nur, weil ich Dir glaube, und sie lieb haben kann ich nur, weil ich Deine Liebe kenne. Mit meiner müden, zagenden und zweifelnden Liebe flüchte ich mich zu Dir. Schütze, pflege und stärke das Pflänzchen, das Deine Hand in mich gepflanzt hat. Amen.

Unser Wissen ist Stückwerk und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge. Da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war.
1. Kor. 13,9-11.

Gibt es ein einziges Wort Jesu, das ich ganz richtig und vollständig verstanden habe? Das gibt es nicht und kann es nicht geben. Gibt es in meinen Gedanken über die Natur, über die Weltgeschichte, über die gegenwärtigen Zustände unseres Volks und unserer Kirche, über mich selbst und meinen eigenen Zustand, einen Gedanken, der ganz richtig und völlig wahr wäre? Das gibt es nicht und kann es nicht geben. Es gibt keine Erkenntnis, die bleibt. Was war doch Paulus für ein wunderbar begnadeter Lehrer gerade auch in diesem Wort, mit dem er die verwelkende Vergänglichkeit aller unserer Gedanken ausgesprochen hat! Warum gibt es keine vollständige Erkenntnis, nicht einmal dann, wenn sie zur Weissagung wird, also mit der inneren Ermächtigung verbunden ist, dieses Wort im Namen Gottes zu sagen? Weil ich, der Erkennende, nicht vollkommen bin. Warum denkt ein Kind nicht wie ein Mann? Weil es ein Kind ist und erst dann wie ein Mann denken kann, wenn es ein Mann geworden ist. So kann auch ich erst dann Vollkommenes denken, wenn ich vollendet worden bin. Ich bin aber noch unfertig, nicht am Ziel, sondern unterwegs, und darum ist mein geistiger Besitz provisorisch und mir für die jetzige Stunde gegeben. Zwar ist mir Großes geschenkt, was ich nicht vergeuden darf; es ist mir aber bis auf dei Zeit gegeben, in der mir noch Größeres geschenkt werden wird. Soll ich deshalb schweigen, weil ich nichts Vollkommenes sage? Damit würde ich Gottes Gabe mißachten. Ich bin nicht allein das Kind, während die anderen die Vollkommenen sind. Wir wandern Hand in Hand und handeln gegen Gottes guten Willen, wenn wir stumm nebeneinander wandern. Das Wort ist uns gegeben, damit es von einem zum andern ströme, weil jeder dem andern mit seinem Besitz dienen soll. Dies aber ist uns unmöglich geworden, wenn wir auf Paulus hören, da wir eigensinnig unsere Gedanken zanken und sie den anderen herrisch aufzwingen. Sind wir nicht am Ziel, sondern auf der Wanderung, so bedeutet dies: auch das, was wir denken und wissen, ist bewegt und muß beweglich bleiben, nach beiden Seiten hin, so, daß wir lernen, und so, daß wir verlernen.
Du bist nicht der Gott der Weisen, sondern der Gott der Glaubenden und machst nicht unsere Gedanken zu unserer Gerechtigkeit, sondern unseren Glauben. Ich danke dir für jede Erkenntnis, die du mir geschenkt hast, und danke dir, daß das, was ich erfaßt habe, nicht deine letzte und höchste Gabe ist, weil du uns zu jenem Tag bereitest, an dem wir erkennen von Angesicht zu Angesicht. Amen.

Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei.
1. Kor. 13,13.

Diese drei bleiben, nur diese drei. Die Erkenntnis bleibt nicht. Kann ich denn gauben, ohne daß Gewißheit in mir ist? Geschieht nicht das Glauben dadurch, daß ich das, was sich mir zeigt, als Wahrheit erfasse, und ist die Wahrheit nicht gestern, heut und in Ewigkeit wahr? Den, dem ich glaube, behandle ich als Wirklichkeit. Wer an die Natur glaubt, sagt, daß die natürlichen Vorgänge, die ihn berühren, die wirksamen Mächte seien, die sein Erleben bestimmen. Dagegen sagt er damit nicht, daß seine Vorstellungen und Deutungen der natürlichen Vorgänge vollkommen und unwandelbar seien, sondern weiß sehr wohl, daß jeder Vorgang ein unergründliches Geheimnis bleibt. Ich glaube an Jesus; das heißt, ich sehe in seiner irdischen Geschichte und in seiner gottheitlichen Gegenwart die wirksame Macht, die mich erfaßt. Deshalb sind aber meine Gedanken über Jesus und sein Wirken nicht von jeder Beschränkung und Beengung frei. Ich glaube an Gott, das heißt, ich weiß mich von seinem Willen regiert und von seinem Wirken umfaßt, sage aber nicht, daß meine Gedanken so hell und reich wären, daß er für mich aufhörte, der verborgene Gott zu sein. Von unserem Anschluß an Jesus, den wir im Glauben herstellen, hat Paulus gesagt, er bleibe, weil durch den Glauben zwischen mir und ihm ein Band geschaffen ist, das nicht zerreißt. Dasselbe hat er von unserem Hoffen gesagt, weil unserem Leben damit die Bewegung gegeben ist, die uns bis zum Ziele trägt. Aber auch das Dritte, auch die Liebe bleibt, obwohl das, was sie schafft, dem Bedürfnis des heutigen Tages dient und sich darum beständig wandelt, wie unsere Verhältnisse sich ändern. Dennoch bleibt die Liebe, weil sie Gottes Willen tut, und was eins mit Gott geworden ist, das hat Bestand und unvergängliche Wirkung, die beide reich macht, den, der in der Liebe handelt, und den, dem er sie gibt. Wir haben beide durch die Liebe etwas empfangen, was der Zeit überlegen ist. Denn indem sie unseren Willen mit Gottes Willen einigt, stiftet sie zwischen uns eine Gemeinschaft, die nicht vergeht.
Du bleibst für und für, ewiger Gott. Darum bleibt dein Werk in mir. Denn mein Glauben führt zum Schauen und mein Hoffen zum Empfangen und meine Liebe wird von jeder Hemmung frei. Amen.

Kap. 14

Strebet nach den geistlichen Gaben, am meisten aber, dass ihr weissagen möget. 1. Korinther 14,1

Strebt danach, dass ihr weissagt, sagte Paulus seinen Gemeinden. Es gibt unserem Handeln Stärke und Glanz, wenn wir bei unseren Entschlüssen von einer prophetischen Gewissheit getragen sind, dass eben dies, was wir jetzt tun, Gottes Wille sei. Ich darf aber, wenn ich den Wunsch nach einer deutlich vernommenen Leitung in mir trage, nie vergessen, dass ich damit nach Gaben strebe, und bei Gaben hat die Begehrlichkeit und Eigenmächtigkeit keinen Raum. Ich darf nie versuchen, das Grundverhältnis, in dem wir alle zu Gott stehen, anzutasten, und dieses ist der Glaube. Die prophetischen Erlebnisse werden missbraucht, wenn wir mit ihnen das Glauben herabsetzen und verdächtigen. Wenn ich im Glauben handle, ist mit der Gewissheit immer auch eine Ungewissheit verbunden. Dass ich in Gottes Gegenwart und in seiner Gnade handle, das ist die Gewissheit des Glaubens. Dagegen bleibt mir der Erfolg und Ausgang meines Handelns verhüllt. Auf das, was kommt, muss ich noch warten und ich kann ruhig darauf warten, weil alles mir zum Guten mitwirkt. Alles, was sich als prophetische Gewissheit darüber erhebt, wird der Christenheit nicht dazu gegeben, um den Glauben zu ersetzen, sondern um ihn zu befestigen. Wollte ich sagen: ohne völlige Sicherheit, bloß mit wagendem Glauben handle ich nicht, so hätte ich mich der Leitung des Geistes entzogen; denn der begehrliche Eigensinn stammt aus dem Fleisch. Damit verlöre ich auch die Gemeinschaft mit den anderen und ginge einen völlig einsamen Weg und auch dies wäre ein sicheres Kennzeichen, dass ich nicht dem Geist gehorche. Denn der Geist ist nicht einzig mir, sondern der Christenheit gegeben. Darum gibt es keine Gewissheit, und sei sie noch so prophetisch, die sich der Beurteilung durch die anderen entziehen dürfte, weil der Geist nicht nur zu mir, sondern auch zu den anderen spricht.
Du hast, gnädiger und herrlicher Gott, mancherlei Weise, um mir Deine Wege zu zeigen. Von außen und von innen umfasst mich Deine Hand. Meine Lage zeigt mir, was ich soll. Dein Wort beschreibt mir Deinen Willen. Dein Geist leitet mich auf ebener Bahn. So bleibt es Tag für Tag dabei: Deine Wege sind gerade und Du bist denen gut, die reines Herzens sind. Amen.

Kap. 15

Ich (Paulus) bin der Geringste unter den Aposteln, weil ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, darum, dass ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber von Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle, nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.
1. Korinther 15,9+10

An der Weise, wie Paulus sein Leben betrachtet, will ich lernen, wozu ich die Vergebung der Sünden empfangen habe und was sie als ihre Frucht in uns wirken soll. Paulus konnte jene Stunde, in der sich ihm Jesus zeigte, nur mit einem einzigen Vorgang vergleichen, nur in der Weise, wie der Auferstandene in den Ostertagen seine Gemeinschaft mit seinen ersten Jüngern erneuert hat. Er sagt darum von dem, was Jesus ihm damals gab, es habe ihn in die Reihe der Apostel gestellt. Aber nun prägt er seinen Gemeinden ein, er sei nicht etwa nur der letzte, sondern auch der geringste unter den Aposteln und denke nicht daran, sich neben oder gar über Jakobus und Petrus und Johannes zu stellen. Er wäre nicht Apostel, sähe er nicht in der Weise, wie Jesus an ihm handelte, die Herrlichkeit des völligen Vergebens, durch das das Alte vergangen ist. Das ermächtigt ihn aber nicht, seinen Fall zu vergessen. Dieser bleibt ihm gegenwärtig und zeigt ihm beständig, wie groß die ihm erwiesene Gnade war. Er hat aber auch erfahren, wie Gottes Gnade unsere Sünde in ihr Wirken aufnimmt und aus ihr einen Segen macht. Wie Jesus gesagt hat, dass der viel liebe, dem viel vergeben sei, so hat auch Paulus durch seinen Fall die große Liebe empfangen, die stets zur Arbeit bereit war, vor keiner Entbehrung zurückwich und jeden Dienst freudig übernahm. Nicht seinen Erfolg verglich er mit dem, was die anderen erreichten; denn der Erfolg ist nicht allein von unserem Verhalten abhängig; dagegen heißt er die Anstrengung und Belastung, die er auf sich nahm, größer als die, die die anderen anfassten. Aber alle Eitelkeit und Selbsterhöhung bleibt ihm fern und er löscht jeden derartigen Gedanken sofort aus. Denn seine Liebe, die keine Arbeit scheut, ist Gottes gnädiges Geschenk. So spricht und handelt ein Mensch dann, wenn er Gottes Vergebung hat.
Du, großer Gott, verwandelst in Deiner Gnade unseren Fall in Heil und unsere Not in Kraft. Schenke mir den klaren Blick in unsere Not, in meine eigene und in die unseres Volks, damit aus der Erkenntnis unserer Sünden die Liebe hervorwachse, die wache, sehende, unermüdliche, die gerne dient. Amen.

Wenn aber alles Christus untertan sein wird, alsdann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles untergetan hat, auf daß Gott sei alles in allen.
1. Kor. 15,28.

Paulus stellt mich mit diesem Wort dahin, wo der Strom der Zeit, auch die meine, mündet. Weil er Christus kennt, der den Willen Gottes tut, kennt er auch das Ziel der Zeit, nicht als ob der die Herrlichkeit jenes Lebens beschrieben, das zur Ewigkeit erhöht ist. Wollte er vor uns hinmalen, was kein Auge sah, so ergäbe dies ein undeutliches, täuschendes Bild. Nur von dem spricht Paulus, was er deshalb mit Gewißheit weiß, weil er Jesus kennt. Wenn Jesus in seiner königlichen Sendung alles vollbracht hat, was Gottes Gnade ihn tun heißt, und seine Herrschaft über alle unerschütterlich befestigt hat, dann folgt nicht eine Stunde der Selbstbewunderung, nicht ein Loblied auf den errungenen Sieg und die alles überwindende Macht, sondern die höchste und seligste Tat des Sohnes, die Beugung vor dem Vater, der ihm alles gegeben hat, die Herrschaft und den Sieg, und alles ihm unterworfen hat, damit er Gott alles untertan mache. Das Ziel des ganzen Werkes Jesu ist die Fier der vollkommenen Liebe, die mit sich selbst zugleich alles, was von ihr das Leben empfangen hat, Gott zu Füßen legt, so daß alles Gottes Willen ganz erfüllt. Nun sind alle nichts, als was Gott aus ihnen macht, und haben in sich nichts, als was Gott in ihnen wirkt, und haben allein von Gott ihren Besitz, ihre Kraft und Herrlichkeit. Das ist das Ziel des Christus und der Wille Gottes. Hier mündet der Strom der Zeit, auch der Fluß meiner Jahre.
Ewiger Gott, Vater deiner Kinder, die du zum ewigen Leben berufen hast, dir untertan sein, das ist unser ziel und unsere Seligkeit. Meine Gedanken sind nicht die deinen und mein Wille ist nicht der deine. Du weißt, was in mir deinem heiligen Willen widerstrebt. Du aber hast die starke Gnade, die alles Widerstreben überwindet. Dich preise ich, daß du mir ein ewiges Ziel in deinem Sohne zeigst, damit ich nicht im Strom der Zeit versinke, sondern zu dir aufschaue und das neue Jahr beginne als der, der zum völligen Gehorsam und ewigen Leben berufen ist. Amen.

Der erste Mensch ist von der Erde und irdisch; der andere Mensch ist vom Himmel. Welcherlei der irdische ist, solcherlei sind auch die irdischen, und welcherlei der himmlische ist, solcherlei sind auch die himmlischen, und wie wir getragen haben das Bild des irdischen, also werden wir auch tragen das Bild des himmlischen.
1. Korinther 15,47–49

Es war ein wunderbarer Vorgang, als der erste Mensch aus der vor ihm vorhandenen Natur heraus entstand. Mögen wir uns den Vorgang noch so unscheinbar denken, so dass er eng mit dem verbunden bleibt, was schon vorher geschaffen war, ein Wunder bleibt er, das mit der Unbegreiflichkeit eines neuen Anfangs ausgestattet ist. Nun geschieht noch ein zweiter Vorgang, der mit dem Erwachen des ersten Menschen vergleichbar ist, aber Gottes gnädigen Willen noch herrlicher vollzieht. Das ist jenes Wirken Gottes, das in der Menschheit den Sohn Gottes schuf. Beide, der Anfänger der natürlichen Menschheit und der Christus, sind Gottes Werk und haben, was sie sind, durch Gottes Willen empfangen. Aber für den natürlichen Menschen nahm Gottes schaffende Hand den Stoff aus der Erde, für die er geschaffen ward. Jesus dagegen bekam, was ihn zum Anfänger eines neuen Lebens macht, aus dem Himmel durch den Geist, der ihn macht, ihm das, was er inwendig ist, darreicht und ihn aus dem Tod erweckt und verklärt. Darum nennt ihn Paulus den himmlischen Menschen nicht erst, als er in den Himmel fuhr, sondern auch, als er unsere Art an sich trug, weil er im Besitz des Geistes war und darum das besaß, was den Himmlischen das Leben gibt. Darum wird uns erst an Jesus unser Ziel sichtbar, nicht schon am Reichtum der Kräfte, die uns durch unsere Geburt gegeben sind, nicht schon an dem, was die Natur aus uns macht. Weil wir nicht nur an einem irdischen Ahnherrn hängen, sondern mit dem himmlischen Menschen im Glauben verbunden sind, fährt unsere Hoffnung über alles empor, was die Natur uns zeigt, löst sich vor unserem ganzen natürlichen Eigentum und begehrt nicht für unseren gegenwärtigen Zustand die Fortsetzung und Verstärkung, sondern unser Hoffen hebt sich empor und begehrt nach jenem Bild, das uns unser durch den Geist vollendeter Herr an sich selber zeigt.
Heiliger Gott, Geber des Lebens, der Du zeitliches und ewiges Leben schaffst und uns Irdisches und Himmlisches bereitest, durch Deinen Schöpferwillen bin ich geworden und durch Deine allmächtig schaffende Gnade werde ich verklärt werden. Gib mir die lebendige Hoffnung, dass mich nicht fange und fessle, was irdisch ist, damit ich nach dem Kleinod laufe, das mir die himmlische Berufung von oben zeigt. Amen.

Kap. 16

So jemand den Herrn Jesum Christus nicht lieb hat, der sei Anathema.
1. Korinther 16,22

Die korinthischen Christen waren recht verschieden. Die einen hatten Jesus durch Paulus kennengelernt. Andere hatten sich, solange Paulus in ihrer Stadt war, von ihm ferngehalten und waren erst später durch Apollo gewonnen worden. Wieder andere waren aus den östlichen Kirchen nach Korinth gekommen und hatten das Evangelium durch Petrus gehört, und dazu gab es solche, die keinen Anschluss an irgendeinen Apostel begehrten, sondern der Meinung waren, ihre Verbundenheit mit Christus mache sie von allen Menschen frei. Was gäbe dieser mannigfaltigen Schar die Einheit, so dass aus ihr eine geeinte Kirche entstand? Mit dem letzten Wort seines Briefes sprach Paulus aus, wie weit er die Gemeinschaft ausdehnt und wo sie endet. Von Gott verworfen und geschieden, sagt er, ist jeder, der für Jesus keine Liebe hat, jeder, der für seinen eigenen Vorteil arbeitet, für seine eigene Größe wirkt und in seiner Frömmigkeit, sei sie, wie sie sei, nur an sich selber denkt. Wer aber Jesus lieb hat, den kann nichts von Paulus trennen. Das gibt die Einigkeit über alle Unterschiede in der Herkunft und Rasse, in der Erkenntnis und Sitte hinweg. Die eine Liebe, die dem Herrn gegebene, einigt ganz.
Es ist Deine Gnade, lieber Herr, die uns in Deine Gemeinde gebracht hat, die dadurch verbunden ist, dass Du ihr Deine Liebe zeigst und sie in uns erweckst. Es will mir manchmal scheinen, ich sei einsam und gehe meinen Weg allein. Das meint aber nur mein törichtes Herz. Du schaffst Dir die, die Dich lieb haben, und machst aus ihnen in der weiten Welt Deine große Gemeinde. Erhalte mich in Dir, indem Du mich in Deiner Liebe erhältst. Amen.

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