Savonarola, Girolamo - Auslegung des heiligen Vaterunsers
Unter allen Gebeten, die der Geist eingibt, ist das Vaterunser das herrlichste. Es ist so voller Zuversicht; wer es betet, irret nicht, denn es ist gegeben von dem Weisesten, ja von der ewigen Weisheit selbst, die niemals irren kann, von unserm Mittler Jesus Christus, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt, der uns selbst erhöret in Einheit des Vaters und des Heiligen Geistes. Wir können dies Gebet nie beten ohne Frucht, so wir es nur beten mit rechtem Sinne.
Ein rechtes Gebet ist es, denn um nichts Unziemliches bittet es bei Gott, um nichts, das nicht für alle Menschen zu wünschen wäre. Sie wollen ja Alle Gutes erlangen und vom Uebel erlöset werden. Unter dem Guten aber ist das Gute Gottes unserm Gute vorzuziehen, denn wir sollen Gott mehr lieben, als uns selbst. Um sein Gutes bitten wir zuerst in diesem Gebete, wenn wir beten: geheiliget werde dein Name; dann bitten wir in den folgenden Bitten um unser Gutes, zuerst um das Gut der Seele, weil sie höher ist als der Leib. Aber zwiefach ist das Gut der Seele, ihr Ziel und das, was zum Ziele führt. Um jenes beten wir zuerst mit den Worten: dein Reich komme, dann um das, was zu ihm führt: dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden. Nun erst flehen wir um das leibliche Gut. - Die Uebel aber sind solche, die das Gegentheil sind von dem göttlichen Gute, und solche, die das Gegentheil sind von dem unsern. Gegen Gott sind die Uebel der Schuld, gegen uns die Uebel der Strafe. Darum bitten wir zuerst um Freiheit von der Schuld und Freiheit von der Strafe. Von dem Bösen ist vieles vergangen, vieles erst zukünftig. Wir bitten dann erstlich um Vergebung des Uebels vergangener Schuld, wenn wir flehen: vergib sie uns; alsdann um Stärkung zum Guten, um die Tugend der Versöhnlichkeit, damit wir aufs Zukünftige nicht wieder in Schuld fallen, und uns Gott nicht in Versuchung führe. Zuletzt noch flehen wir um Freiheit vom Uebel der Strafe, wenn wir bitten: erlöse uns von dem Uebel.
Siehe also, was du von Gott nur bitten kannst, es ist enthalten in diesem Gebete. Und Ihm ist es das angenehmste, weil er selber es gegeben. Darum setzt er ein gar holdselig Wort an den Anfang und heißt uns beten: Vater unser, nicht unser Herr oder unser Gott. Er hält uns, obwohl wir Sünder sind, des Kindes namens nicht unwerth; er lehrt uns, wie vertrauensvoll wir ihm nahen und bitten sollen um das, was er selbst zu bitten uns gebeut. Das könnte er nicht gebieten, so ers nicht wollte geben, könnte nicht unser Vater heißen wollen, so er uns nicht annehmen möchte an Kindes. Statt.
So ist in diesem Gebete die ganze Fülle geistlichen Lebens mit der Süßigkeit aller Gottesgaben. Und wundervoll sind die Früchte, die wir durch dieses Gebet erlangen. Verschieden beten es die heiligen Beter; nicht alle haben des Gebetes gleiche Weise, wenn auch den gleichen Geist. So will ich denn beten auf meine Weise: Gehe ein in die Stille, meine Seele, schließe deine Sinne zu und deine Bilder aus, sammle dich in deiner Kraft und tritt vor Gott, den Allgegenwärtigen.
Vater unser, der du bist im Himmel.
Mein Gott, dich rufe ich als Vater an, dich, den Seligen und allein Gewaltigen, der du bist der König aller Könige und Herr aller Herren, der du allein Unsterblichkeit hat und wohnest in einem Lichte, da Niemand zukommen kann, welchen kein Mensch gesehen hat, noch sehen kann. Du schufest. Alles, was ich sehe und nicht sehe, nicht als ob du sein bedürftest, sondern daß du es theilhaftig machet deiner Güte. In dir und aus dir selber bist du selig, und nichts außer dir kann deine Seligkeit mehren noch mindern. Vater, du kannst Alles, der du Alles aus Nichts gemacht, das nimmermehr bestände, so es nicht gehalten würde von deiner Hand. Allwissender, nichts ist dir verborgen; es ist Alles bloß und entdeckt vor deinen Augen. Alles Gute will ausströmen seine Güte; du bist die Fülle der Güte und Liebe, trittst aus dir heraus und breitest dich aus über Alles. Was du bist, bist du der ganzen Welt und jedem ihrer Theile. Du bist größer als unsere Erkenntniß und ist kein Gott außer dir; Gott bist du als Vater, Gott als Sohn und Gott als Heiliger Geist. Drei Personen, doch nicht drei Wesen, nicht drei Herren, noch drei Götter: Ein Herr, Ein Gott, Ein Wesen, Eine Herrlichkeit. Und Herr mein Gott, was bin ich, der aus Nichts. Erschaffene! Staub und Asche bin ich, der ich nicht ein einziges Haar auf meinem Haupte weiß kann machen, der ich lebe und doch todt bin in der Nacht meiner Unwissenheit, voller Sünden, deren mehr sind, als Haare auf meinem Haupte. Herr, mein Gott, wer bin ich, der ich ein Wurm nur bin, nur ein Unrath vor dir, dem Allmächtigen, Wunderbaren, Unerforschlichen in seinen zeitlichen Werken! Wer bin ich, daß ich mich unterwinde, dich meinen Vater zu nennen und mich deinen Sohn? Ich wagte es nicht, hättest du es mir nicht geboten. O du Freund der Menschenkinder, wie theuer ist deine Güte, daß du der Vater der Sünder genannt sein willst! Du Vater der Barmherzigkeit, der du deine Sonne scheinen lässest über Gute und Böse und lässest regnen über Gerechte und Ungerechte; also hast du uns geliebt, daß du deinen eingeborenen Sohn dahingabt, auf daß Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Herr, mein Gott, vergib es mir, wenn ich mich unterwinde, dich anzurufen als meinen Vater, ich thue solches nicht aus Vermessenheit, sondern um deiner wunderlichen Güte willen. Groß fürwahr muß das Vertrauen sein, mit dem wir uns zu dir nahen und dich anbeten sollen, den wir schon im Anfang unserer Bitten Vater nennen dürfen. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht liebe? Und was ists, das der Sohn vom Vater nicht erlangte? Ich schaue auf dein unaussprechliches Erbarmen und vertraue von Herzen, von dir zu erlangen, um was ich flehe für meiner Brüder Heil, o Vater, der du nicht nur mein, der du auch unser Vater bist. Zu dir komme ich mit Zuversicht. Nicht nur Kleines und Großes, der Gaben höchste hoffe ich zu empfangen, wenn ich für mich nicht nur, wenn ich bete für Eltern, Verwandte und Vertraute, für Freunde und Feinde.
Zwar weiß ich es, Herr mein Gott, allmächtiger Vater, daß du selber an allen Orten zugegen bist, wie du selbst. Alles ohne Mittelwesen schufest und Allem beisteht, es zu erhalten, damit es nicht wiederum vergehe und dahin fahre wie ein Hauch und Dunst. Alles siehest du, der du allenthalben bist; Nichts kann deinem Auge entgehen, die Finsterniß kann dich nicht decken, denn auch die Nacht wird Licht um dich; Alles durchdringet deine Kraft und wirket Alles in Allem, der du Alles lenkest mit der Macht deines Armes. Nirgends bedarf ich darum dich zu suchen, als allein in meinem Herzen. Denn wo soll ich hingehen vor deinem Geist? und wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da. Bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist du auch da. Nähme ich die Flügel der Morgenröthe und bliebe am äußersten Meere, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich halten.
Herr, mein Gott, warum sprach ich denn: Der du bist im Himmel? bist du denn nicht auch auf Erden? Im Himmel wohnen die Engel und die Seligen, und sie sind der Himmel des Himmels; in ihnen bist du viel herrlicher, als in den übrigen Wesen, die doch, mit jenen verglichen, wie gar nichts sind. Auch deine Heiligen sind der Himmel, weit erhöhet über Alles, was von dieser Welt ist. Lauter und voller Einfalt, im nie entweiheten Lichte, im Himmel ist ihr Wandel immerdar. Du bist in ihnen durch deine Gnade, ohne die Alles in dieser Welt. Nichts ist. In diesem Himmel bist du nach deiner Güte und Freundlichkeit und du gebietest uns, unser Herz dorthin zu erheben, aller Unmäßigkeit zu entsagen und nichts Irdisches zu verlangen auf Erden, da du doch im Himmel bist und nicht auf Erden. Der Himmel ist dein Stuhl, die Erde nur deiner Füße Schemel. Nicht das Geringe, vielmehr das Höchste sollen wir von dir erflehen.
Geheiliget werde dein Name.
Wie dein Name, so werde dein Ruhm erkannt und geliebet, gepriesen und erhöhet, verherrlicht und verkündigt aller Orten. Denn du bists allein. Du allein bist mächtig, du allein bist weise und gütig. Barmherzig und gepriesen bist nur du allein von Ewigkeit zu Ewigkeit. Vor dir ist keine Kreatur löblich und ruhmwürdig, keine gut noch heilig, denn vor dir ist die Welt nichts, und vor deinen Augen sind die Sterne nimmer rein. Du bist das Licht, in dir ist keine Finsterniß; dunkel ist alles Licht vor deinem Lichte. Vor deiner Güte ist alle andere Güte eitel Sünde. Deiner Herrlichkeit kann nichts Widerstand thun, vor dir beugen sich alle Kräfte, die den ganzen Weltkreis tragen. Zu dir flehen wir, dem guten, Heiligen Vater, daß dein Name geheiligt und groß geachtet werde; daß der Name deiner Majestät, Weisheit und Güte, deiner Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gefürchtet und geliebet werde von Allen, so in der Welt sind, daß im Namen Jesu, der da ist in der Herrlichkeit des Vaters, sich alle derer Kniee beugen sollen, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß du Gott seiest im Vater und im Sohne und im heiligen Geiste.
Was sollen wir die Menschen loben? Welchen Namen sollen wir preisen? Warum loben die Menschen den Staub und die Asche? Was sollen wir die Schatten zu Göttern machen und segnen? Was haben die Großes gethan vor dir? Hast du, Herr, nicht. Alles in ihnen gethan? Was sollen wir die Säge und den Hammer groß achten und nicht den Künstler, der sie führt? Sei du denn allein gepriesen, und dein Name werde geheiligt auf Erden überall, weil du allein wunderbar bist in deinen Werken wie in deinen Heiligen. Geheiligt werde dein Name in allen Landen, denn wo man deinen Namen nicht kennt und weiß, da ist die Wurzel alles Uebels und Unrechts. Wer erkennet deine Herrlichkeit und fürchtet dich nicht; wer deine Weisheit, und ehret dich nicht; deine Güte, und liebt dich nicht? Wer ists, der da glaubt an deinen Sohn, den Gekreuzigten, und nicht sein Kreuz auf sich nimmt und ihm nachfolgt? So gieße deines Namens Erkenntniß und Liebe aus über alle Völker der Erde, die ohne dich allzumal den Weg des Verderbens gehen; gieße aus deinen heiligen Namen, daß sie zu dir zurückkehren und dich lieben, daß du in ihnen verherrlicht werdest und verklärt in aller Welt von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Dein Reich komme.
Erhebe über uns das Licht deines Antlitzes und so komme uns dein Reich. Wer dein Angesicht schauet, der hat. Alles, denn das ist das ewige Leben, daß wir dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hat, Jesum Christum erkennen. Was sollte dem mangeln, der dich hat, der du Alles hat? Was der nicht sehen, der dich den Allsehenden siehet? Wer dich siehet, der herrschet mit dir und besitzt dein Reich in alle Ewigkeit. So komme denn dein Reich bald zu uns, die wir Fremdlinge sind in diesem Thale des Jammers, von Todesschmerz und Höllennoth umgeben, da wir das Böse nicht meiden können, da wir tragen der Leiden endlose Last, und nicht. Einer glücklich ist, er sei arm oder reich, weise oder thöricht, denn hienieden ist eitel Arbeit und Herzeleid. Wir sehen es diesem Thale der Thränen an, daß es nicht unser Erbe ist, das wir anderswo unser Reich suchen müssen. Fremdlinge und Pilgrime sind wir, wie alle unsere Väter, und flehen zu dir, o Vater, daß du uns bescheiden wollest das Reich, welches von dir bereitet ist vom Anbeginn der Welt, daß wir befreiet werden von dieser bösen Zeit und mit dir und deinen Heiligen regieren im Frieden deiner Ewigkeit. O wie erhaben ist jenes Reich, darin wir als Bürger eingeschrieben und angenommen sind. Da ist, wie Augustinus sagt, keine Furcht der Armuth und keine Schwäche des Leibes; da wird Niemand verletzt, Niemand erzürnt, Niemand beneidet; da brennt keine unreine Lust, da ist kein Verlangen nach Speise, kein Buhlen um Ehre und Macht; da ist keine Furcht vor dem Satan, da sind keine Nachstellungen der bösen Geister, ferne ist der Schrecken der Hölle, ferne der Tod des Leibes und der Seelen, wohl aber ein liebliches Leben mit der Gnadengabe der Unsterblichkeit; da wird kein Leid noch Streit sein, sondern Einmüthigkeit, denn alle Heiligen leben in vollkommener Eintracht. Und über das Alles: wir sind zugesellet den Chören der Engel, Erzengel und aller himmlischen Heerschaaren; wir schauen die Patriarchen und Propheten, sehen die Apostel und alle Heiligen und dazu unsere Eltern. Das sind herrliche Dinge, aber weit herrlicher ists, zu schauen das gegenwärtige Angesicht Gottes, zu schauen das unumschränkte Licht. Das wird eine Alles übertreffende Herrlichkeit sein. Was wäre der größte Schmerz, was die tägliche Marter und das zeitliche Erdulden der Hölle, wenn wir dafür Christum schauen dürften in seiner herrlichen Zukunft, wenn er uns zugesellte der Zahl seiner Heiligen und uns werth achtete solcher Gabe und solchen Ruhmes? Ja mit allem Verlangen wollen wir rufen zum Herrn: Dein Reich komme, und dagegen alle Reiche dieser Welt mit ihrem Ruhm für Schaden achten.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.
Dem Frommen gehet das Licht auf in der Finsterniß. Fromm ist, wer deinen Willen thut, und denselbigen kann. Niemand thun, es werde ihm denn gegeben von dir; denn Niemand kommt zu dir, du ziehest ihn denn. So geschehe dein Wille: gib uns, daß wir durch deine Gnade deinen Willen thun auf Erden, wie er im Himmel zu deinem Ruhm geschieht von deinen Seligen. Sie thun allezeit deinen Willen, wandeln in ewiger Wahrheit und haben volle Genüge. Die Gottlosen aber sind wie ein ungestüm Meer, das nicht still sein kann, dessen Wellen Koth und Unflath auswerfen. Die Gottlosen haben nicht Frieden, spricht mein Gott, (Jes. 57, 20 f) Sie irren und gehen fehl in all ihrem Thun, elend und jämmerlich sind sie, sintemal sie nur verlangen, was sie nimmer erlangen. Sie sind verkehrt auf ihren Straßen, wer dar auf gehet, hat nimmer Frieden. Dein Wille aber ist unsere Gerechtigkeit.
O so läutere denn, du seliges Licht, unsere Herzen, daß wir völlig ablegen alle Eigenliebe und allen Eigenwillen und daß ganz dein Wille geschehe in uns und der unsere je mehr und mehr untergehe. Laß es vollkommen geschehen, daß nichts des Untern in uns sei und uns in Allem dein Wille besitze. Vater, reinige du unsere Herzen, bis wir nichts Irdisches mehr lieben, unser Fleisch kreuzigen und den Ruhm der Welt von uns ausschließen, bis wir vollkommen dich erkennen, der du Alles in Allem wirkest, vor dem wir nichts sind, nichts vermögen und nichts wissen; bis wir gering sind in unsern Augen und dich lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüthe und aus allen Kräften, und unsern Nächten als uns selbst, denn in diesen zweien Geboten hänget das ganze Gesetz und die Propheten.
Unser täglich Brot gib uns heute.
O meine Seele, du bist besser denn dein Leib; vor seiner Speise laß uns die deine suchen und solche ist Gottes Wort und der Leib Christi. Gib uns denn heute, o Vater, das Brot deines Wortes und Sakramentes. Oeffne uns die Augen, daß wir sehen, was geschrieben steht in deinen Propheten und Evangelisten. Du hat den Schlüssel zu jeglicher Schrift; du schließest zu und Niemand thut auf, du thut auf und Niemand schließet zu. Gib, daß wir in Demuth und Andacht hinzugehen zu dem wunderbaren Gnadengut des köstlichen Leibes und Blutes Jesu Christi, deines eingeborenen Sohnes. Laß uns wachsen in der Kraft dieser Speise von Tugend zu Tugend, daß wir eingehen in dein himmlisches Reich. Solche Speise, dazu Geschmack und Gaumen und Zunge für sie wollest du uns täglich bereiten, daß wir nicht müde werden, noch umkommen auf dem Wege, denn wir sind schwach und sterben gar bald, so wir nicht täglich gespeiset werden. - Weil du aber dem Säemann den Samen gibt und dem Geiste die Speise, so sollen wir auch von dir des Leibes und Lebens. Nahrung und Nothdurft erbitten, so lange wir Pilger sind in diesem Leben. Bewahre unser Herz, daß wir nicht zu sündiger Lust mißbrauchen, was du uns darreichest aus milder Güte. Laß uns nicht trachten nach dem ungewissen Reichthum, nach Ehre und Macht dieser Welt. Gib uns Nahrung vom Erwerb unserer Hände, wir wollen dein Brot nicht essen wie die Müßiggänger und Diebe, denn wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen. Du lehrest uns um Tägliches bitten, damit wir von Tage zu Tage fliehen und nicht sorgen auf lange Zeit und alle möglichen Fälle. Du nähret die Vögel unter dem Himmel und kleidet die Lilien auf dem Felde. Darum wollen wir nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? was werden wir trinken? womit werden wir uns kleiden? Nach solchem Allen trachten die Heiden. Denn du, lieber himmlischer Vater, weißt, daß wir des Alles bedürfen.
Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern.
Wir sind deine Schuldner so vielfach, denn wer kann die Sünden zählen, die wir thun und wer könnte ertragen, was wir täglich um unserer Missethat willen verdienen? Unsere Gerechtigkeit ist wie ein unfläthiges Kleid und unzählbar groß ist die Menge unserer bösen Gedanken. Was kann ich von unsern Worten sagen, da auch die vollkommensten Männer ihre Zunge kaum im Zaum zu halten wissen? Ohne Maß sind unsere Uebelthaten, kaum thun wir jemals etwas Gutes; ja, wenn wir uns mit Fleiß prüfen, so sind wir nicht deine Mitarbeiter, sondern die Zerstörer deiner Werke. Wie Sand am Meere ist die Menge unserer Unterlassungssünden. Wer ist so hart und weiß Stirn ist so ehern, daß er sich unterwinden sollte, vor dein Angesicht zu treten, hättest du uns nicht getrost gemacht durch den Tod deines Sohnes, der uns geliebet hat und rein gewaschen von unsern Sünden mit seinem Blut? O wie groß ist deine Güte! Sie gehet unendlich über unsere Sünden und will Barmherzigkeit, nicht Opfer. Ein Opfer vor dir ist das zerschlagene Herz, das wirst du, Gott, nicht verachten. So du willst, Herr, Sünde zurechnen, Herr, wer wird bestehen? Aber unser Herz ist getrost, denn Jesus Christus ist die Versöhnung für unsere Sünden. Siehe an, o Vater, das Antlitz deines lieben Sohnes und vergib uns.
Vergib uns, wie wir vergeben. So Großes erlässest du uns, wie sollten wir so Kleines nicht erlassen. Wir wollen unsern Beleidigern also vergeben, daß wir ihnen nicht nur kein Böses thun, sondern Gutes, wo es sich ziemt und wir es vermögen. So, Vater, vergib du uns, strafe nicht unsere Missethat, erbarmend tilge sie und gewähre uns alle zukünftigen Güter, daß wir zwiefach von deiner Hand empfangen für die Sünden alle, die wir gethan.
Führe uns nicht in Versuchung.
O meine Seele, wer vermöchte ohne Gottes Gnade in dieser verderbten Natur die Sünde zu meiden? Wer das sucht, der wende sich eilend zu dem Herrn und flehe ihn an um solche Gnade. Aber schwach bist du, und viel und täglich sind die Hindernisse; stehest du schon in der Gnade, so bedarfst du doch des Beistandes Gottes, um in ihr zu bleiben, und mußt täglich darum fliehen, denn Vielen ist Gnade geworden, aber nicht Beharrlichkeit. Wer beharret bis ans Ende, der wird selig, wer aber nicht beharret, der wird verloren gehen.
Aber Gott ist es, der Alles in Allem wirkt, der Alles trägt mit seinem kräftigen Wort, der beides wirkt, das Wollen und Vollbringen; Gott ists, in dem wir leben, weben und sind; ohne seine besondere Gnade können wir das Gute weder thun, noch in Guten bleiben, denn alle gute und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts. Solche Gabe der Beharrlichkeit erlangen wir nur durch anhaltendes Gebet, zu dem der Herr uns ermahnt, indem er uns aushalten heißt und nicht müde werden, bis wir Gott, so er ein Mensch wäre, ermüdeten. Ueberall streiten wider uns die Welt, das Fleisch und die bösen Geister. Das Fleisch ist der Hausfeind, der sich immer einschmeichelt, die Welt ist voll Truges und Verrathes, der Satan. der alte böse Feind, ist so verschlagen und immerdar bereit, uns zu fällen. Die Welt ist voller Schlingen, und wir wandeln in Finsterniß. Da thut es Noth, daß wir vorsichtig wandeln. Hier reicht unsere Weisheit nicht aus, noch unsere Tugend; da gilt es, zu flüchten in Gottes Hand und zu flehen: führe uns nicht in Versuchung, da wir in unserer Schwachheit so vielen Feinden nicht widerstehen können.
Herr, der du Alles geschaffen durch dein Wort, und bei dem kein Ding unmöglich ist, verlaß uns nicht, denn wo du uns verlässest, da fallen wir in Versuchung und willigen in die Sünde. Laß dein Erbarmen uns geleiten unser Lebelang. Wende dein Angesicht nicht von uns und vergilt uns nicht nach unserer Missethat. Sei unser Helfer, unser Heil, daß wir unsere Seelen fassen mit Geduld.
Erlöse uns von dem Uebel.
Ob wir gleich leiden sollen um deines Namens willen und begehren müssen, zu deiner Ehre mit deinem Sohne gekreuzigt zu werden, so wollest du uns dennoch befreien von der täglichen Drangsal, ehe denn sie unser Gewissen verwundet. Wer kann ohne deine Gnade bestehen zur Zeit der Anfechtung? Hast du nicht den Märtyrern den Sieg gegeben? Mußten nicht alle bekennen: „Wo der Herr nicht bei uns wäre, wenn die Menschen sich wider uns setzen, so ersäufte uns Wasser, und Ströme gingen über unsere Seele. Unsere Hülfe stehet im Namen des Herrn!“ Erlöse uns von dem Uebel, o Vater, nicht als ob es nicht kommen sollte, sondern damit es uns nicht in Sünden stürze. So folgen wir Jesu mit unserm Kreuze nach, der versucht ward allenthalben, gleich wie wir, doch ohne Sünde, der vom Leidensbach auf dem Wege trank und darnach das Haupt empor hob.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
So geschehe denn, Herr, darnach wir uns sehnen, auf daß wir nicht fruchtlos vom Gebete deines lieben Sohnes gehen, der mit dir in Einigkeit des Heiligen Geistes lebet und regieret immer und ewiglich. Amen.