Saurin, Jaques - Von der freien Gnade.
Ueber Röm. 9,10,11.
Es sei uns genug, wenn wir, die Meinung von der Vorhersehung ohne Prädestination zu widerlegen, eure Augen auf die drei Capitel der Epistel an die Römer leiten werden. Ich weiß wohl, was man uns einwendet. Man sagt, wir erdichteten uns etwas, damit wir wider sie streiten könnten; die Meinung des Apostels sei daselbst ganz klar, und erscheine in ihrer größten Deutlichkeit, wenn man nur auf den Endzweck sehe, den er sich vorgesetzt. Dieser Endzweck aber hänge mit den unbedingten Rathschlüssen Gottes gar nicht zusammen: folglich könne er um so viel weniger zum Beweise derselben dienen. Der Apostel hatte diesen Satz vorgetragen: von nun an sei das Evangelium der einzige Bund, der die Menschen zur Seligkeit führe; hingegen ziehe die Beibehaltung des levitischen Gottesdienstes das Verderben nach sich. Wider diesen Satz schreien die Juden; sie können es nicht begreifen, wie die Beibehaltung eines Gesetzes, welches von Gott gekommen war, zum Verderben führen könne. Paulus beantwortet diese Klagen. Er sagt, Gott habe ja das Recht, seine Gnade mit solchen Bedingungen zu verbinden, wie ers für gut befinde. Und weil nun die Juden den Messias, der ihnen die Seligkeit brächte, verworfen: so hätten sie nicht Ursache, sich zu beklagen, wenn sie Gott schon der Früchte eines Bundes beraubte, dessen Bedingung sie verworfen. Dieß ist nach der Meinung dieser Gottesgelehrten das ganze Geheimniß dieser Capitel, worinnen, wie sie sagen, nicht das geringste Merkmal von der Prädestination zu finden sei.
Wie kann man doch aber dem Endzweck des Apostels hierinnen Gränzen setzen? Bildet euch nur ein, als wenn ein Jude in dieser Gemeine erschiene, und uns folgenden Einwurf machte: ihr Christen machet euch einen widersprechenden Begriff von Gott. Er hat gesagt, der mosaische Dienst soll ewig bleiben, und ihr behauptet gleichwohl, er habe denselben abgeschafft. Gott hat gesagt: Wer dieses thut, der wird dadurch leben, und ihr sprecht: Die Beobachtung desselben führe zum ewigen Verderben. Gott hat gesagt: der Messias würde dem Samen Abrahams zu gute erscheinen, und ihr sprecht: er sein von seiner Nachkommenschaft gewichen, und habe mit fremden Völkern einen Bund gemacht. Bildet euch ein, es mache uns ein Jude diese Einwürfe, und wir wollten sie blos, ohne uns auf die ewigen Rathschlüsse, die wir in Gott voraussetzen, zu berufen, auflösen; was würden wir diesem Juden wohl antworten? Anfangs würden wir sagen, er habe den Verstand des Gesetzes sehr übel eingesehen. Diese Ewigkeit, die dem mosaischen Dienste versprochen war, sollte nicht weiter, als bis zur Zukunft des Messias gehen. Vornehmlich würden wir sagen, seine Klagen über den Messias wären sehr übel gegründet. Ihr beschweret euch, würden wir sprechen, Gott handele wider seine Treue, wenn er euch verläßt. Aber eure Klage ist ungerecht. Gott hat seinen Bund mit euern Vätern gemacht, er hat versprochen, ihre Nachkommen zu segnen, er hat sich anheischig gemacht, euch einen Erlöser zu senden, der mit Segen und Gnade erfüllet sein sollte. Dieser Erlöser ist nicht nur gekommen, sondern er ist mitten unter euch, aus eurem Volke, aus einem eurer Stämme, aus einem eurer Geschlechter geboren worden; unter euch hat er seine Amtsverrichtungen angefangen; euch hat er die Seligkeit angeboten; ihr habt sie verworfen, ihr habt seine Lehren verachtet, ihr habt ihn Beelzebub geheißen, ihr habt um seinen Tod gebeten, ihr habt ihn gekreuziget, ihr habt ihn hernach in seinen Dienern und Jüngern verfolgt. Die Heiden hingegen nehmen sein Panier an, sie vergießen ihr Blut für seine Ehre. Darf man nun wohl erstaunen, wenn Gott auch in der Austheilung seiner Gnade zwei Völker unterscheidet, die in der Art und Weise, wie sie seiner Stimme gehorchen, so unendlich unterschieden gewesen? Was thut hingegen der h. Paulus? Laßt uns nur seine Worte anhören: Ehe die Kinder geboren waren, und weder Gutes noch Böses gethan hatten, auf daß der Vorsatz Gottes bestünde nach der Wahl, ward gesagt, der Größte soll dem Kleinen dienen. Jacob habe ich geliebet, Esau habe ich gehasset. Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, deß erbarme ich mich. Die Schrift sagt von Pharao: Eben darum habe ich dich erweckt, daß ich meine Macht an dir erzeige. So erbarmet sich denn, wessen er will, und verstocket, wen er will. Wer bist du, daß du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister, warum machst du mich so? Hat nicht ein Töpfer Macht, aus seinem Klumpen zu machen ein Gefäß zu Ehren, und eins zu Unehren? Was ists also, da Gott wollte Zorn erzeigen, und seine Macht kund thun, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die da zugerichtet sind zum Tage des Verderbens. In allen diesen Beantwortungen beruft sich Paulus auf die Rathschlüsse Gottes. Und daß er dieses denjenigen bekehrten Juden habe lehren wollen, ist daraus zu erweisen, weil ihm dieser Jude solche Einwürfe macht, die nach der Meinung, die wir angreifen, hier nicht statt finden, die aber eben dieselben sind, die man von allen Zeiten her wider die Gnadenwahl gemacht hat. Warum beklagt sich denn Gott über uns? Wer kann seinem Willen widerstehen? Also kann die Meinung von der Vorhersehung ohne die Vorherverordnung nicht mit der Schrift bestehen?
Allein wozu ist diese Meinung gut? Setzet sie die Wege der Vorsicht in ein größer Licht? Füllet sie auch einen einzigen von jenen Abgründen aus, worinnen unsere schwache Vernunft versinket? Und ist sie nicht eben so vielen Schwierigkeiten unterworfen, als die Lehre von der Vorherverordnung? Diese Schwierigkeiten aber sind folgende. Wie kann ein unendlich gütiger Gott Menschen erschaffen, von denen er doch weiß, daß sie einmal unendlich unglücklich sein werden? Wie kann ein unendlich heiliger Gott zulassen, daß die Sünde in die Welt komme? Warum giebt ein Gott, der eine unendliche Liebe zur Gerechtigkeit hat, nicht allen Menschen kräftige Mittel, die sie wahrhaftig heilig machen? Warum hat ein Gott, der da sagt, er wolle, daß allen Menschen geholfen werde, seine Gebote in einer Zeit von vier tausend Jahren nur allein dem einzigen jüdischen Volke bekannt sein lassen? Warum breitet er nicht noch heut zu Tage die Grenzen des Christenthums bis ans Ende der Welt aus, damit wir das Licht der christlichen Religion dahin tragen, und der Schall von unserm Predigen in den abgöttischen Gegenden bis ins Innerste ihrer Tempel eindringen möge? Wie kann er der Creatur seine Erhaltung gönnen, wenn sie sich den abscheulichen Lastern ergiebt, davor sich die Natur selbst erschüttert? Sehet, das sind die großen Schwierigkeiten, die man dem Scheine nach wider die Vorsehung machen kann. Man zeige uns eine Meinung, wobei dieselben nicht statt finden, so sind wir bereit, sie anzunehmen. Allein bei der Meinung, die wir bestritten haben, trifft man ebenfalls alle diese Schwierigkeiten an. Und wenn wir auch denen, so dieselbe annehmen, alles, was sie nur wollen, zugeben, so würden sie doch genöthigt sein, beim Anfange der Wege Gottes auszurufen: O welch eine Tiefe! –