Sarcerius, Erasmus - Auslegung über das Evangelium Matth. am 8. Capitel (V. 23 – 27) auf den vierten Sonntag nach der heil. drei Könige Tag.
(Auslegung über die Evangelia der Sonntage von dem ersten des Advents bis auf der heiligen Dreifaltigkeit Tag. Leipz. 1852. 8. Ohne Seitenzahlen.)
Frage. Wie viel vornehmlicher Artikel hält uns für dies heutige Evangelium?
Antwort. Neun, welche uns unterrichten, wie es eine Gelegenheit um uns habe im Kreuze.
Sage an den ersten Artikel.
Der erste Artikel erzählet, dass Christus eher in das Schiff getreten sei, als seine Jünger. Und wiewohl es scheinet, dass solche Unbeständigkeit der Zeit Wenig thue zu einer solchen lehre, noch gleichwohl hat Christus mit seinem Vorgehen in das Schiff seinen Jüngern wollen ein Exempel geben, ihm hierin nachzufolgen und in gleich Schifflein zu gehen.
Was lernen wir aus diesem Artikel?
Tröstlich ist es, dass Christus mit uns in gleichem und einem Schifflein ist, das ist, in gleichem Kreuz und Verfolgung. Denn durch das Schifflein wird das Kreuz figürlich bedeutet. Dass wir aber im Kreuze nachfolgen mögen, Das haben wir aus Christi Wohlthat. Denn dieweil er uns im Kreuze ist vorgegangen, derhalben können wir nun nachfolgen. Und daher trägt Christus auch den herrlichen Namen, den ihm der Apostel giebt zu den Colossern am 1. Cap., da er ihn nennt den Erstgeborenen aus dem Tode. Denn wie er erstlich den Tod und Alles, was daran hänget, überwunden hat, dass wir hernach dieselbigen Feinde durch den Glauben an ihn überwinden: also ist er uns auch im Kreuz vorgegangen, dass wir nachfolgen mögen. Und der Vorgang hat sich ihm gebühret, damit er in allen Dingen den Vorzug hätte; zu den Coloss. am 1. Capitel.
Sage an den anderen Artikel.
Der andere Artikel hält in sich eine Beschreibung einer grossen Ungestümigkeit auf dem Meer, welche so gross gewesen, dass auch das Schifflein mit Wellen bedeckt worden. Aber solche grosse Ungestümigkeit hat sich nicht umsonst zugetragen, sondern hierum, dass hernach Christi Ehre viel desto herrlicher erschiene, welcher dieselbige hat stillen können. Item, auf dass die Jünger Ursache hätten, desto ernstlicher zu beten und Christum um seine Hilfe anzurufen, item, desto fester ihm zu gläuben, dass er die Ungestümigkeit des Meeres stillen möchte.
Was lernen wir aus diesem anderen Artikel?
Dass Kreuz, Verfolgung und Unglaube überhand nimmt und wächst, Das geschicht darum, dass zugleich mit überhand nehme und wachse Christi Glorie und Ehre, und dass wir Ursache kriegen, desto heftiger und ernstlicher zu beten und ihn in unserer Noth anzurufen, ja, ihm desto fester und stärker zu gläuben um Hilfe und Beistand.
Und diese Stücke des Wachsens und Zunehmens des Kreuzes und der Noth dienen hierzu, dass wir uns die Grossheit des Kreuzes und Unglücks nicht sollen lassen verdriesslich sein, sondern hierinnen des Herrn Hilfe und Errettung geduldiglich erwarten. Item ist Das auch wahr, dass mit Zunehmung des Kreuzes und der Betrübniss zugleich auch wachse Gottes Gnade, Barmherzigkeit, Liebe, Hilfe, Beistand, item in uns das Gebet und der Glaube. Welches Alles zu hören sehr tröstlich ist.
Sage an den dritten Artikel.
Der dritte Artikel zeigt an, wie sich nun Christus gegen seine Jünger gestellt hat in solcher grossen Ungestümigkeit des Meeres und also in solcher grossen Gefährlichkeit. Wahrlich, hierinnen hat er sich nicht anders gestellt und gebärdet, denn als schliefe er, das ist, als achte er seiner Jünger Nichts, und als wäre ihm nicht Viel daran gelegen, ob sie zu Boden gingen und ersöffen, oder nicht. Und dass ich es mit wenigen Worten sage, als hätte er seine Jünger ganz und gar verlassen. Und ob nun gleich sich alle Sachen also haben lassen ansehen, doch hat er sie nicht verlassen gehabt, sondern ihnen allein eine kleine Zeit seine Hilfe entzogen, auf dass er ihren Glauben, Hoffnung, Geduld und Standhaftigkeit probierete.
Was lernen wir nun aus diesem dritten Artikel?
Das ist die ewige Weise Gottes, dass er in Kreuz und Verfolgung sich also stellet, als hätte er seine Gottseligen ganz und gar verlassen und sie nicht achtete, gleich wie die Schlafenden sich um anderer Leute Betrübniss und Unglück Nichts bekümmern. Daher denn die Welt nicht anders vermeinet, wenn es den Gottseligen hie zeitlich übel gehet, Gott habe sie gar verworfen und verlassen. Denn Das ist der Welt Art, aus Anleitung der Vernunft und menschlichen Weisheit, dass sie die Personen und Gottes Gunst oder Ungunst an sie achtet aus dem Glück und Unglück. Geht es einer Person wohl, so muss ihr Gott günstig sein. Geht es einer Person übel, so muss ihr Gott feind sein. Gleichwie sie auch die Personen fromm und unfromm achtet, nachdem es ihnen wohl und übel geht. Und des falschen Urtheils und Gerichts der schnöden und gottlosen Welt gedenkt auch David am 3. Psalm: Viele sagen von meiner Seele, sie hat keine Hilfe bei Gott.
Aber die Welt findet sich hierinnen betrogen. Denn ob sich Gott gleich stellet und gebärdet, als schliefe er, achtete der Gottseligen nicht, und als hätte er sie ganz verlassen, noch dennoch schläft er nicht. Am 121. Psalm: Er schläft nicht, der dich bewahret. Siehe, er schläft, noch schlummert nicht, der da Israel bewahret. Also, ob Gott gleich sich stellt, als hätte er uns alle seine Hilfe entzogen, noch dennoch hilft er uns. Dass er aber sich also gebärdet, als schliefe er, und entzeucht uns eine Zeit lang seine Hilfe, Das geschieht allein darum, dass er unsern Glauben, Hoffnung, Geduld und Standhaftigkeit probieren will, dass wir beten lernen und unseren Kräften und Vermögen gute Nacht sagen und uns durch den Glauben an Gottes Macht und Gewalt halten.
Sage an den vierten Artikel.
Der vierte Artikel hält für uns, was nun die Jünger gethan haben in solcher grossen Ungestümigkeit des Meeres. Sie sind zu Christo getreten und haben ihn aufgeweckt. Mit diesem Wecken haben sie zu verstehen gegeben, dass es mit ihnen und ihren Kräften und Vermögen gethan sei, und dass sie ihnen aus solcher grossen Noth nicht können helfen.
Was lernen wir nun aus diesem vierten Artikel?
Dass es wahr sei, was der Prophet Esaias am 16. Cap. schreibt: Herr, in der Noth haben sie dich gesucht. Item, dass das gemeine Sprüchwort wahr sei: Noth lehrt beten. Item, dass es in menschlichen Kräften und Vermögen nicht stehe, sich in Kreuz und Verfolgung, in Betrübniss und Elend aufentzuhalten.
Sage an den fünften Artikel.
Der fünfte Artikel vermahnet uns, was für einen Glauben die Jünger in ihrer Gefahr, von wegen der Ungestümigkeit des Meeres, gehabt haben, wahrlich einen schwachen und kranken Glauben, durch welchen sie wohl zu Christo getreten sind und haben ihn aufgewecket und gebeten mit diesen Worten: Herr, hilf uns, wir verderben; aber solcher Glauben ist gleichwohl nicht ohne Zweifel gewesen.
Was lernen wir aus diesem fünften Artikel?
Dass unser Glaube in Kreuz und Verfolgung etwas kränker und schwächer ist. Ursache aber solcher Schwachheit und Krankheit sind die Vernunft und menschliche Weisheit, welche Schulmeister allein von dem Glauben halten, welcher für sich zugegen siehet die Mittel der Erhaltung, und so diese nicht vorhanden, zagen und zweifeln sie an der Hilfe. Und wird hie der Vernunft und menschlichen Weisheit Glauben also beschrieben: Fides est credere ea quae vides, d.i. der Glaube ist ein Werk, dadurch man gläubet, das man siehet und greifen kann.
Sage an den sechsten Artikel.
Der sechste Artikel legt uns zwo Fragen für, ob auch Christus seiner Jünger schwachen und kleinen Glauben gewusst habe, item, ob er auch daran einen Gefallen getragen. Und ist auf die erste Frage Ja die Antwort und auf die andere Frage Nein. Und ist solche Antwort offenbar aus den Worten Christi: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?
Was lernen wir nun aus diesem sechsten Artikel?
Gott weiss wohl, wie es um unsern Glauben stehet, ob er klein, schwach und krank, oder gross, stark und fest ist; item, dass Gott an unserm schwachen und kranken Glauben kein Gefallen trägt, wiewohl er denselbigen nicht verwirft als eine Ursach zu einem grösseren; item, dass Gott allein an dem Glauben ein solches Gefallen trägt, der da ausschleusst den Zweifel. Item wird hier verdammt der Mönche und Schulschreiber Lehre, welche zanken und dafür halten, dass der rechte Glaube mit Zweifel bestehen mag, und dass Gott mit dem Glauben will zufrieden sein, der mit Zweifel vermischt ist. Dawider ist hie Christi Capitel und Strafe an seine Jünger, aus welcher Herzen er will den Zweifel reissen und sie zu dem Glauben führen, der mit Zweifel nicht vermenget. Welches rechten und wahren Glaubens hast du ein schön Exempel in Abraham zu den Römern am 4. Cap.: Und er hat geglaubt auf Hoffnung, da Nichts zu hoffen war. Item: Und er ward nicht schwach im Glauben. Item: Er zweifelte nicht an der Verheissung Gottes durch Unglauben, sondern war stark im Glauben und gab Gott die Ehre und wusste auf das allergewisseste, dass, was Gott ihm verheisst, Das konnte er auch thun. Und also erfordert auch Christus Matth. am 9. Cap. von dem Gichtbrüchtigen einen Glauben ohne Zweifel. Denn er sagt zu ihm also: Vertraue mir, Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Und endlich so beschriebet der Schreiber der Epistel zu den Hebräern am 11. Cap. den Glauben, dass er sei eine gewisse Zuversicht Dess, das man hoffet cet.
Sage an den siebenten Artikel.
Der siebente Artikel gedenkt der Frucht, die da an dem kleinen Glauben hängt, welche ist furchtsam sein und also nicht wissen, wo man für Furcht und Angst bleiben soll. Und wenn wir möchten wissen der Jünger Affect und Gedanken, so sie in der Gefahr von wegen der Ungestümigkeit des Meeres gehabt haben, so würden wir von gräulichem Schrecken wissen zu sagen. Hierum Christus hie in ihnen zusammensetzet kleinen Glauben und Furcht.
Was lernen wir nun aus diesem siebenten Artikel?
Dass Furcht, Zittern und Beten Werke sind des Unglaubens oder kleinen Glaubens. Daher denn kommt, dass die Leute nicht wissen, wo sie für Zittern und Beben bleiben sollen. Wiederum aus dem Gegenthiel sind des rechten und wahren Glaubens Früchte, der da ist ohne Zweifel, Freude, Fröhlichkeit, Ruhe u.s.w.
Sage an den achten Artikel.
Der achte Artikel meldet, wie Christus die Ungestümigkeit im Meere gestillet habe. Daher wir denn sehen, dass eben der Christus, der die Jünger in Gefahr des Meeres geführet hat, der führe sie auch wieder daraus. Derhalben hie geschrieben stehet: Und stand auf und bedräuete den Wind und das Meer, da ward es ganz stille.
Was lernen wir aus diesem achten Artikel?
Von dreien schönen Lehren. Erstlich, dass Christus in’s Kreuz und Verfolgung führet und wieder herausführet, wie die Schrift von Gott zeuget: Gott führet in die Hölle und wieder aus der Hölle; Gott tödtet und macht wieder lebendig. Zum Andern, wer Christus, der Sohn Gottes, sei, nämlich ein Herr über das Meer, über alles Kreuz und Verfolgung und alles Unglück und Betrübniss. Welches den Zuhörern sehr tröstlich ist. Zum Dritten, dass die Glorie und Ehre, so da erfolget auf das Kreuz, weit übertreffe alles Unglück, Leiden und Betrübniss, wie denn auch der Apostel Paulus anzeiget zu den Römern am 8. Cap.: Denn ich halte es dafür, dass dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht werth sei, die an uns soll offenbaret werden. Dieser dreien Lehren mögen auch diese zugethan werden, die vierte und die fünfte. Was der Gottseligen Kreuz ist, Das ist wahrlich nichts Anderes, denn dass sie eine kleine Zeit leiden und hernach zu vielen grösseren Ehren kommen, denn ihr Leiden gewesen. Item, welches die rechte Form und Weise ist, das Kreuz recht zu betrachten, nämlich nicht allein sehen auf das Leiden, sondern vielmehr auf die herrliche Erlösung aus den Leiden.
Sage an den neunten Artikel.
Der neunte Artikel vermeldet, was nun erfolgt ist auf die Stillung der Ungestümigkeit des Meeres, nämlich, dass sich die Menschen verwundert haben und gesprochen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam ist! Sich aber so verwundern und sprechen sind Werke gewesen einer Erkenntniss der übernatürlichen Macht und Gewalt Christi, daher sie leichtiglich befunden, dass Christus müsste mehr sein, denn ein schlechter und purer Mensch.
Was lernen wir nun aus diesem neunten Artikel?
Wozu es dienstlich ist, dass wir aus dem Kreuze erlöset werden, wahrlich hierzu, dass Christus hernach gelobet und gepreiset werde und seine Ehre habe. Item, dass seine Macht und Gewalt erkannt werde. Item, dass wir hieraus Ursache kriegen, indem wir einmal erlöset, weiter ihn um Errettung aus anderer Noth anzusprechen. Amen.
Quelle: Beste, Wilhelm - Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters