Magnus Friedrich Roos - Kreuzschule - Achtes Kapitel.

Magnus Friedrich Roos - Kreuzschule - Achtes Kapitel.

Wie ein Mensch sich unter dem Leiden zu GOtt bekehren solle.

Wenn ein Mensch unter dem Leiden zu sich selbst gekommen ist, und seine Sündenschuld und geistlichen Mangel eingesehen hat: so soll er sich auch zu GOtt wenden und bekehren, von dem er vorher abgewichen war. Auf diese Bekehrung dringt GOtt in seinem Wort. Er sagt Befehlsweise: „Bekehret euch, ein jeglicher von seinem bösen Wege“, Jer. 35,5. 35,15. Ezech. 33,11. „Bekehre dich zu dem HErrn deinem GOtt“, Hos. 12,7.14,2.3. „Bekehret euch ihr abtrünnigen Kinder, spricht der HErr“, Jer. 3,14. „Bekehret euch zu mir mit Fasten, mit Weinen, mit Klagen, zerreisset eure Herzen (durch eine schmerzliche Reue) und nicht eure Kleider, und bekehret euch zu dem HErrn eurem GOtt“, Joel 2,12.13. Er verbindet aber auch diesen Befehl mit den allertröstlichsten Verheißungen, indem er sagt: „bekehret euch zu mir, so will ich mich zu euch bekehren“, Mal. 3,7. „Wo sich ein Volk (oder Haus oder einzelner Mensch) bekehret von seiner Bosheit, dawider ich rede, so soll mich auch reuen das Unglück, das ich ihm gedachte zu thun“, Jer. 18,8. Petrus predigte Apg. 3,19.: „So thut nun Buße und bekehret euch, daß eure Sünden vertilget werden.“ Also ist denn die Buße und Bekehrung der Weg oder die Ordnung, worin man Vergebung der Sünden erlangt; wo aber Vergebung der Sünden ist, da ist Leben und Seligkeit; und deßwegen sagt GOtt Ezech. 18,32.: „Bekehret euch, so werdet ihr leben“, und Jes. 45, 22.: „Wendet euch zu mir, so werdet ihr selig aller Welt Ende.“ Womit auch das Wort Christi übereinkommt, der Matth. 11. sagt: „Kommet her zu mir“, das ist, bekehret euch zu mir, „alle die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“ A. s. w. Das Mittel, wodurch GOtt die Bekehrung wirkt, ist das Wort GOttes, weßwegen David Ps. 51,15. sagt: „Ich will die Uebertreter deine Wege lehren, daß sich die Sünder zu dir bekehren“; und dieses hat David nicht nur mündlich zu seiner Zeit, sondern auch bis auf diese Stunde durch seine Bußpsalmen und andere Psalmen treulich gethan. Wer also dieselben liest, soll bedenken, daß ihn David oder vielmehr der heil. Geist, der ihm alles eingegeben, durch diese Psalmen die Wege GOttes lehre, und dadurch zur Bekehrung berufe und antreibe. Also hat auch der Täufer Johannes der Kinder Israel viele durch seine Predigten zum HErrn, seinem GOtt, bekehrt, Luc. 1,16.17. Und Paulus wurde zu den Heiden gesandt, durch das Evangelium aufzuthun ihre Augen, daß sie sich bekehren von der Finsterniß zu dem Licht, von der Gewalt des Satans zu GOtt, zu empfahen Vergebung der Sünde, und das Erbe, sammt allen die geheiligt werden, durch den Glauben an JEsum, Apg. 26,18. Ein jeder Christ soll also das Wort GOttes hoch . schätzen, und als ein Mittel der Bekehrung gern und fleißig hören, lesen und betrachten. Er soll auch einen Zuspruch aus GOttes Wort gern annehmen, ja darnach begierig seyn, und darum bitten. Auch soll er nicht zürnen, wenn dieser Zuspruch zuweilen scharf lautet; denn die Propheten und der Täufer Johannes und die Apostel, ja Christus, der doch voll Liebe war, haben auch oft scharf geredet, und Paulus hat dem Timotheus, der ein junger Prediger zu Ephesus war, befohlen: „Predige das Wort, halte an, es sei zu rechter Zeit oder zur Unzeit, strafe, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre“, 2 Tim. 4,2., und an den Titus, der ein Prediger in der Insel Crew war, hat er Tit. 1,13. geschrieben: er solle seine Zuhörer scharf strafen, auf daß sie im Glauben gesund seien. Ferner gehört zur Bekehrung ein eifriges und anhaltendes Gebet; wie denn noch kein Mensch ohne dasselbige bekehrt worden ist. Es ist aber das Gebet eine Rede des Mundes und ein Gespräch des Herzens vor GOtt; weßwegen David am Ende des neunzehnten Psalmen, in welchem neben heiligen Betrachtungen, die zum Lob GOttes gereichen, etliche sehnliche Bitten vorkommen, V. 15. hinzusetzt: „Laß dir Wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens vor dir, HErr, mein Hort und mein Erlöser.“ Der Mund und das Herz müssen also bei dem Beten zusammenstimmen: wie es denn ein heuchlerisches Plappern ist, wenn der Mund ein schönes Gebet ausspricht, das Herz aber dabei kaltsinnig bleibt, oder gar in andere Gedanken ausschweift; wie denn diejenige, die also beten, das Wort Christi trifft: „Dieß Volk nahet sich zu mir mit seinem Munde und ehret mich mit seinen Lippen, aber ihr Herz ist ferne von mir“, Matth. 15,8. Der Mund kann nie erhörlich beten, wenn das Herz nicht dabei ist, das ist, wenn das Gebet nicht andächtig geschieht: hingegen kann das Herz mit stillen Seufzern, die der Mund nicht ausspricht, ja die unaussprechlich sind, zu GOtt beten und Trost und Hülfe erlangen. Doch kann auch das Herz nicht ohne den heiligen Geist erhörlich seufzen und beten; denn dieser ist's, der uns bei dem Beten als ein Tröster oder Beistand vertritt, indem er die rechten GOtt wohlgefälligen Seufzer und Bitten in uns wirket. Eben deswegen ist auch ein Christ zum Beten zu einer Zeit nicht so geschickt als zu der andern; denn GOtt läßt ihn zuweilen auch hierin sein Unvermögen und seinen Mangel empfinden; damit er dem heiligen Geist zu Ehren bekenne, daß das andächtige, brünstige und gläubige Gebet von ihm herkomme. Man soll aber keinen Antrieb des heiligen Geistes zum Gebet vergeblich seyn lassen, sondern demselben folgen. Ja man soll oft und fleißig und anhaltend beten: denn der heilige Geist ist immer bereit, eines Betenden Beistand zu seyn, und läßt sich oft im Fortgang des Gebets deutlich spüren, wenn der Mensch auch im Anfang des Gebets seinen Beistand nicht empfunden hat. Es ist auch kein Zweifel, daß, wenn der Mensch sich einbildet, er habe schön gebetet, sein Gebet durch diese Eigenliebe sehr befleckt worden ist, und daß das Gebet hingegen GOtt um Christi willen angenehm ist, wenn sich auch der Mensch dabei als sehr elend fühlt, und kein Gefallen an sich selber hat: „denn das Verlangen der Menden hörest du HErr: ihr Herz ist gewiß, daß dein Ohr darauf merket“, Ps. 10,17. „Ich sehe an, spricht der HErr, den Elenden und der zerbrochenes Geistes ist, und der sich fürchtet vor meinem Wort“, Jes. 66,2. Man muß aber vornehmlich um die rechte hohe, geistliche und ewige Gaben bitten, nämlich um Gnade, um Vergebung der Sünden, um die Annahme zur göttlichen Kindschaft, um die Gabe des heiligen Geistes, um die Errettung von des Teufels Gewalt und der Hölle, und um das ewige Leben; denn ob man wohl auch um das tägliche Brod und die leibliche Hülfe bitten darf: so kann man doch an diesem Brod und an dieser Hülfe noch keine Genüge haben: sondern muß auch jene geistliche Gaben dazu erbitten, wenn man anders nickt zuletzt mit Leib und Seele verloren gehen will. Auch ist es oft ungewiß, ob die irdische Gabe und leibliche Hülfe, um die der Mensch bittet, ihm nützlich und von GOtt bestimmt sei; denn es ist oft besser und dem heiligen Willen GOttes gemäßer, arm seyn, Schmach leiden und sterben, als Ueberfluß haben, geehrt werden und länger leben; weßwegen man in solchen Sachen nichts erzwingen, sondern so beten soll, wie Christus am Oelberg, der gesagt hat: „Vater, ist's möglich - doch nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“ Aber jene geistliche und ewige Gaben sind uns von Christo erworben, und von GOtt verheißen, und es ist sein Wille, daß wir sie erlangen: denn er will nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß sich jedermann zur Buße kehre und lebe; welches aber ohne Vergebung der Sünden, göttliche Kundschaft, und die Gabe des heiligen Geistes nicht geschehen könnte. Um diese Gaben darf also ein Christ ohne Furcht und Zweifel beten; denn er darf gewiß sehn, daß er um etwas Gutes, das ihm GOtt gönnet und geben will, bete. Auch soll er sich seine eigene Unwürdigkeit nicht abschrecken lassen; denn das rechte Gebet geschieht im Namen Jesu Christi, das ist, es gründet sich auf das Verdienst, Gerechtigkeit, Leiden, Tod und Fürbitte Jesu Christi, der in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, und sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung. Auf diesen Heiland siehe also, mein lieber Christ, wenn du beten willst, und glaube, daß dem Gebet niemals um deiner Werke willen, sondern um deines Heilandes willen werde erhört werden, und daß deine Sünden, wenn du auf ihn dich berufst, zu ihm deine Zuflucht nimmst, und auf ihn dein Vertrauen setzest (sollte es auch noch schwächlich geschehen), die Erhörung deines Gebets nicht verhindern, sondern dir vergeben seien. Fechten dich deine Sünden an, und wünschest du, von der Schuld, Strafe und Herrschaft derselben frei zu werden: so bedenke, was der HErr Jer. 29,11-14. sagt: „ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HErr, nämlich Gedanken des Friedens und nicht des Leides, daß ich euch gebe das Ende, deß ihr wartet. Und ihr werdet mich anrufen, und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen und finden. Denn so ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet: so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HErr.“ Diese und dergleichen Verheißungen mache dir zu Nutzen und bete getrost; und wenn auch der Trost und die Hülfe eine Zeit lang ausbleibt: so halte im Gebet an und harre: sie wird gewißlich zur rechten Zeit kommen; und wenn sie auch nicht so kommt, wie du gemeint hast: so wird sie dagegen auf eine bessere Weise kommen; denn es ist unmöglich, daß GOtt ein gläubiges Gebet unerhört lasse, oder daß er einen Menschen zu Schanden werden lasse, der seinen Namen angerufen, zu ihm seine Zuflucht genommen, .und auf ihn seine Hoffnung gesetzt hat.

Mit Beten und Seufzen soll man sich also zu GOtt bekehren. Diese Bekehrung ist aber nicht nur eine äußerliche Aenderung des Gemüths und der Lebensart, dergleichen eine das Alter, der Stand, oder die Furcht vor weltlicher Straft und Schande zuwege bringen kann. Auch besteht sie nicht darin, daß man sich eine oder andere Sünde abgewöhne, wie es etwa Leute gegeben hat, die von einer gewissen Zeit an nimmer gespielt, getanzt, geflucht haben, und doch dabei in andern Sünden verharret sind. Von allen solchen Leuten sagt der HErr: „sie bekehren sich, aber nicht recht“, Hos. 7,16. Die rechte Bekehrung ist eine durch den heiligen Geist gewirkte Veränderung des Herzens, Sinnes und ganzen Zustandes, wobei der aus der Taufgnade gefallene Mensch GOttes Gnade um Christi willen wieder erlangt, und auf ein neues als sein Kind und Erbe aller himmlischen Güter angenommen wird. Das Ziel der Bekehrung ist also etwas sehr Großes und Wichtiges. Man sucht nämlich bei der Bekehrung nicht ein menschliches Lob oder einen scheinbaren Vorzug vor andern; sondern man sucht den HErrn selber und seine Gnade und Gemeinschaft, und kann nicht ruhen, bis man dazu gelange. „So spricht der HErr, wo ist jemand, so er fället, der nicht gern wieder aufstünde? wo ist jemand, so er irre geht, der nicht gern wieder zurecht käme“, Jer. 8,4. Sind wir nun aus der Taufgnade gefallen: warum sollten wir nicht gern wieder aufstehen, damit wir hernach auf ein neues in der Gnade GOttes stehen? Sind wir nach der Konfirmation irre gegangen: warum sollten wir nicht gern wieder zurecht kommen, folglich den schmalen Weg, der zum ewigen Leben führt, wieder suchen und finden. Zu einer solchen Bekehrung ruft und lockt und treibt uns GOtt täglich, doch gibt er uns einen besondern Antrieb dazu, wenn er uns empfindliche Leiden zuschickt; denn die Noth lehrt nach dem alten Sprichwort beten, oder soll es wenigstens lehren, und der Prophet Jesaias sagt Kap. 26,16.: „HErr, wenn Trübsal da ist, so sucht man dich, und wenn du sie züchtigest, so rufen sie ängstiglich.“ Das Leiden selber macht freilich niemand fromm; denn es gibt viele Leute, die ihre Herzen darunter verstecken, wie Pharao unter seinen Plagen: aber doch ist die Absicht GOttes, daß man durch das Leiden zu ihm gelenkt und getrieben werde, und hernach in der Heiligung zunehme. Nur folge ein jeder dem Rath Sirachs, Kap. 5,8.: „Verzeuch nicht, dich zum HErrn zu bekehren, und schieb es nicht von einem Tag auf den andern; denn sein Zorn kommt plötzlich, und wird's rächen und dich verderben“, und Kap. 18, 22. 23. 24.: , Spare deine Buße nicht bis du krank werdest, sondern bessere dich, weil du noch sündigen kannst. Verzeuch nicht fromm zu werden, und harre nicht mit der Besserung deines Lebens bis in den Tod. Und willst du GOtt dienen, so laß dir's einen Ernst seyn, auf daß du GOtt nicht versuchest. Gedenke an den Zorn, der am Ende kommen wird, und an die Rache, wenn du davon mußt„ (und unbußfertig geblieben bist).

Zugabe.

Selneccer im ersten Theil seiner Leichenpredigten S. 68.

Ich kenne einen Hofmann, der in sehr großem Ansehen gewesen, und alles, was er gewollt, hat thun können in seinem Stand. Dieser kommt in ein groß Unglück, und wird abgesetzt von aller seiner Würde, so tief als man's nimmermehr gedenken und sagen kann. Da es nun mit seinem Kreuz lang währet, spricht er dermaleins: „ach GOtt, da ich wohl stund, hörte ich auch manche Predigt, und brauchte das heil. Abendmahl. Aber ich habe nichts rechts verstanden, sondern allein mit Ohren gehört, und bin wieder davon gegangen. Mein Glück und guter Zustand machten mich sicher. Nun aber jetzt, weil ich geistlich und leiblich arm bin worden, verstehe, ich allererst das Evangelium, und habe Lehre und Trost, Leben, Saft und Kraft davon, das ich zuvor alles nicht gewußt habe. O wie schwer ist es, daß ein Weltmann selig werde, er komme dann durch groß Kreuz zum Verständniß des Evangelii. Ich danke GOtt für seine Züchtigung. Denn dadurch bin ich arm, und in GOtt gar reich worden, daß ich nun weiß, das Himmelreich ist mein, und das Evangelium von der Gnade GOttes, vom Verdienst Christi, von Vergebung der Sünden, von der Gabe und Schenkung des heiligen Geistes, vom rechten Sieg wider alle Teufel, und von ewiger Seligkeit wird mir Armen geprediget. Wie könnte ich seliger seyn? Ich wollte nicht römischer Kaiser dafür seyn, wenn's gleich in meiner Wahl stünde. GOtt sei mein Zeuge! O Welt, GOtt behüte mich vor dir, und vor allem deinem Reichthum, Ehre und Herrlichkeit. Zum Teufel mußt du fahren, wenn du nicht geistlich arm wirst. Man höret's wohl predigen, und ein jeder meinet, es sei ein schlecht Ding, er wolle es wohl glauben, und zur Noth brauchen können. Aber es ist mit solchem Obenhinhören nichts. Ich hab's erfahren. Es ist lauter sicherer Wahn, oder teufelische Gleißnerei, oder wohl eitel Verachtung und Spötterei. Ich wollte um aller solcher Leute Glauben und Andacht nicht ein Birnstil geben. Anfechtung lehret auf's Wort merken. Wo das liebe Kreuz nicht ist, da ist auch kein Trost nicht, und kein Evangelium, noch einiger Verstand des Evangelii. Sollen wir die freudenreiche Botschaft, oder das Evangelium verstehen, so müssen wir geistlich arm seyn, unsere Sünden erkennen, Reu und Leid haben, krank im Herzen und Gewissen seyn; nicht ruchlos, nicht hochmüthig, nicht sicher, nicht stolz, sondern demüthig in GOttesfurcht, mit Zittern und Beten von Herzen.“'

Arnd in der Predigt vom verfluchten Feigenbaum, in seiner Evangelien-Postill S. l461 u. f.

Das sollt ihr wissen, daß sich niemand des HErrn Christi und seines theuren Verdienstes zu trösten hat ohne wahre Buße; denn allein ein bußfertiges, gläubiges, zerbrochenes, zerschlagenes Herz ist fähig des theuren Verdienstes, Bluts und Todes Jesu Christi. Bedenket die Ursache, warum Christus unser HErr den schmählichen bittern Tod hat gelitten. Ist's nicht um unserer Sünde willen geschehen? Wie sollte nun einer, der an Christum glaubet, zu denselben Sünden Lust haben, oder von denselben nicht abstehen wollen, welche Christus mit seinem Blut und Tod gebüßt, und mit seinem Leben hat bezahlen müssen? Siehe, wie hat er deine Hoffart mit so tiefer Demuth büßen müssen, und du kannst der Ehre dieser Welt nicht satt werden, da doch Christus der Allerverachtetste unter allen Menschen gewesen. Wie hat er deinen Geiz mit so großer Armuth büßen müssen, und du hast nimmer genug, und kannst der Welt nimmer satt werden. Wie hat der HErr mit so großer Angst und Pein deine Wollust büßen müssen, und du hast alle deine Freude an der tödtlichen Fleischeslust. Wie kann doch das deine Lust seyn, welches deinem HErrn Christo die höchste Traurigkeit gewesen. Siehe, mit was tiefer Sanftmuth, hoher Geduld und herzlicher Liebe er gebüßet hat deinen Zorn, Haß, Neid,' Feindseligkeit, Bitterkeit, Rachgier und Unversöhnlichkeit, und du kannst deinen Zorn nicht ersättigen. Viele Leute sind in dem Wahn, wenn sie zur Beicht und Abendmahl kommen, so haben sie recht Buße gethan, wenn sie gleich in ihrem alten Leben und Wesen immer fortfahren in Geiz, Hoffart und Feindseligkeit. Ja sie meinen, Christi Verdienst, und Gerechtigkeit werde ihnen zugerechnet werden, weil sie wissen, Christus sei für sie gestorben, und weil sie das Wort GOttes und Abendmahl gebrauchen, und mit dem Munde sagen: HErr, HErr, ich glaube, ich glaube, und wissen doch nicht, was der Glaube ist. Der Glaube ist ein Werk GOttes in dir, der dein Herz reiniget, ändert, bessert, erneuert, die Sünde dämpfet, und den ganzen Menschen erneuert, und macht, daß Christus in dir wohnet und lebet.

D. J. Fr. Reuß, Kanzlers in Tübingen, Predigten. Zweite Sammlung. XVIII. Pr. über Jac. 4, 2. 3.

Zur Erlangung der geistlichen Güter ist das Gebet schlechterdings und unumgänglich nöthig. Man erhält sie nicht, wenn man nicht darum bittet; und man verliert sie wieder, wenn man nicht mehr beten mag. Ohne Beten wird keiner bekehrt und der Gnade Christi theilhaftig. Wenn die vorbereitende Gnade alles gethan, wenn es durch dieselbe auch so weit gekommen, daß das Gewissen aufgewecket und das Herz überzeugt ist, auch man sich einen und den andern guten Vorsatz gefasset hat, so ist doch alles nichts, wenn man seine Knie nickt beugen, seine Hände nicht aufheben, und sein Herz mit ernstlichem Beten und Flehen zu GOtt nicht wenden will. O wie manchen wird es am jüngsten Tag offenbar werden, daß alles an ihrer Seele geschehen, daß es an nichts gefehlet, als daß sie dem Zug der Gnade nicht gefolget, daß sie ihre starren Knie nicht beugen, daß sie vor GOttes Angesicht nicht hinliegen, daß sie nicht haben beten und flehen wollen. GOttes Wort wird so reichlich auf die Herzen ausgestreuet: aber warum bringt der an sich lebendige Same keine Frucht? Warum kann der Teufel kommen, wie JEsus sagt, und das Wort vom Herzen nehmen? Warum empfängt man so viele gute Rührungen, so viele kräftige Ueberzeugungen, so viele mächtige Bewegungen vergebens? Ist nicht die Hauptursache der Mangel des Gebets? Manche sind nicht ferne von dem Reich GOttes. Sie sind überzeugt, gerührt, bewegt. O giengen sie da nur gleich hin zu Jesu, klagten sie ihm ihre Noth, schütteten sie ihr Herz ganz vor ihm aus, hielten sie sodann unablässig an mit Beten und Flehen, daß sie Kraft und Leben spürten: gewiß, JEsus würde ihnen bald mit seiner Gnade begegnen, ihnen Friede zusprechen, seinen Geist ihnen schenken, sie beleben, stärken, kräftigen und gründen! Ohne Gebet wird die Gnade auch nicht bewahrt, viel weniger vermehret. - So weit eine Seele vom Beten abkommt; so weit kommt sie ab von ihrer Kraft, und von der Gemeinschaft Jesu Christi. Wird sie schwach und träge im Gebet, so ist auch ihr geistliches Leben im Abnehmen, und ihre Kraft muß sie verlassen. Ist aber die Trägheit und Nachläßigkeit zum Gebet schon so schädlich: wo muß es dann mit einem hinkommen, wenn er gar alle Lust und Kraft dazu verliert? Das Gebet ist der Odem des Glaubens und geistlichen Lebens. So gewiß hat also der kein Leben aus GOtt mehr in sich, der nicht mehr betet, auch nicht im Geist: so gewiß derjenige leiblich todt ist, in dem der Puls nicht mehr schlägt, und der Odem nicht mehr gehet.

Gebet.

Ach du heiliger GOtt und barmherziger Vater in Christo Jesu, ich bin zwar als ein armer Sünder nicht werth zu Dir zu nahen, doch wage ich es in dem Namen deines lieben Sohnes, dessen Blut für mich redet. Ich bekenne vor deinem Angesicht, daß ich wie alle Adamskinder in Sünden empfangen und geboren bin, und also von mir selber nichts kann als sündigen und abweichen. Du hast mich zwar in meiner Taufe von Sünden abgewaschen und gereiniget in dem Blut Jesu Christi, und einen Gnadenbund mit mir aufgerichtet. Und ich habe Dir eine ewige kindliche Treue zugesagt. Aber ich habe leider deine Gnade nicht bewahret, und deinen Bund auf meiner Seiten nicht gehalten, sondern habe gleich in meiner Kindheit viel Böses begangen, und die Zeit meiner Jugend nicht dir, wie ich hätte sollen, geheiliget. Ja ich wäre noch in viel größere Sünde gefallen, wenn nicht deine Gnadenhand mich davor bewahrt hätte. Ach HErr, so gedenke dann nicht der Sünden meiner Jugend, noch der Uebertretungen meiner reiferen Jahre, die ich wider dich begangen habe. Gedenke nicht der Sünden, die ich in meinem Stand und Amt wissentlich und unwissentlich gethan, und was ich darinnen versäumet habe, oder nicht mit genügsamer Treue verrichtet habe. Gedenke nicht der Sünden, deren ich mich in meinem Ehestand vor dir schuldig geben muß, daß ich darinnen nicht so heilig und ernstlich vor dir gewandelt, wie ich hätte wandeln sollen, und meinem Ehegatten nicht so förderlich, ja manchmal hinderlich gewesen bin auf dem Weg zur Seligkeit. Gedenke nicht, wie oft ich meine Pflicht gegen dir, meinem GOtt, gegen mir selbst und meinem Nächsten übertreten habe, und nicht so züchtig, gerecht und gottselig gelebt, wie mich dein Wort gelehrt. Ach, ich muß es eben nur vor dir bekennen: viel Böses Hab' ich gethan, viel Gutes habe ich versäumt. Und wenn ich noch mein Herz ansehe, so ist es von sich selbst eine rechte Quelle alles Bösen. Du kennst aber mein Herz besser, als ich's vor dir sagen kann. Ah! wie viel Leichtsinn und Zerstreuung findet sich immer darinnen! Wie trag ist es in deinem Dienst und zu allem Guten! Wie manche Art der Wollust hängt ihm noch an! Mit was für Unreinigkeit ist es vor dir beflecket? Wie oft wird es von Menschenfurcht und Menschengefälligkeit eingenommen! Wie hat es so viel Ränke und Abweichungen, unlautere Absichten, falsche Gerechtigkeit, Ausflüchten, Verstellungen und unzählige Unarten, die sich im Wandel vor dir und mit dem Nächsten offenbaren! Was soll ich nun sagen? Ich bekenne, daß ich deinen Zorn und Ungnade und allerlei Strafen, ja die ewige Verdammniß wohl verdient habe. Doch weil du nicht willst den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe: so hast du auch mich zur Buße gerufen und aufgeweckt. Darum beuge ich nun meine Knie vor dir, und bitte um Vergebung alles dessen, was ich in meinem ganzen Leben wider dich gedacht, geredt und gethan habe. Ich weiß nichts vor dich zu bringen, als das theure Blut deines lieben Sohnes, welches er auch zur Bezahlung meiner Sünden vergossen hat. Ach sei mir um desselben willen gnädig, und reinige mein Herz und Gewissen von allen todten Werken, zu dienen dir, dem lebendigen GOtt. Mache mich frei von allen Banden, womit mein Herz noch möchte gebunden seyn. Arbeite durch deinen Geist immer kräftiger an mir, daß ich etwas werde zu Lob deiner herrlichen Gnade. Ja laß mich in deiner Gnade täglich wachsen, und durch nichts mehr aus deiner seligen Gemeinschaft gerissen, und an dem Genuß deiner Gnade gehindert werden. Deinem Namen sei für alle deine Gnade und Liebe, die du an mir armen Sünder thust, Lob und Dank in Ewigkeit. Amen.

1. Wer kann o guter GOtt an deine Güte denken.
Und nicht zugleich im Staub vor Scham und Dank versinken?
Ja wohl ist außer dir o GOtt sonst niemand gut,
Der lauter Gutes will und lauter Gutes thut.

2. Der HErr ist gut - gar gut, und (wenn man's dürfte sagen)
Scheint Er oft nur zu gut im Dulden und Ertragen;
Und was Er gutes thut, thut er so herzlich gern,
Wie haben wir an ihm so einen guten HErrn!

3. Wie viele tausend Wort, welch schmeichelhaftes Lügen,
Wie manchen Thränenguß, welch tiefgebeugtes Schmiegen,
Und weiß nicht was für Pein, die Mark und Bein durchgeht,
Erfordert's, bis der Mensch vom Menschen was ersieht!

4. Und GOtt, der gute GOtt, gibt täglich - sattsam - allen,
Rückt's keinem auf, es ist Ihm Lust und Wohlgefallen;
Auch bösen Kindern gibt der gute Vater Brod.
O GOtt wer ist dir gleich? O GOtt! du guter GOtt!

5. Schickt er Sein liebes Kreuz und kommen böse Tage,
So will Er (ach wie gut!), daß man es ihm nur sage:
Er spricht: „am Tag der Noch da rede mich nur an!“
Sagt ob was gütigers ersonnen werden kann?

6. Nur: Reden - ist's denn so? - ja! Reden - und das kindlich,
Getrost - an jedem Ort - bei Tag und Nacht - allstündlich,
Nur reden - grade zu - mit unberedtem Mund:
Dem HErrn ist alles schon voraus genugsam kund.

7. Wohlan! es mag mir wohl An Muth und Kraft gebrechen,
Ich wag's in meiner Noth GOtt also anzusprechen:
Ich kriech, ich geh, ich lauf, ich dringe mich heran,
Ich red, er will's ja so, ich red ihn nur drum an.

8. Ich red - Er hört's, Ich weiß, denn seine Augen sehen,
Daß meine Reden all aus GOttes Glauben gehen.
Das Herz redt wie der Mund, sonst wär's ein leerer Klang;
Ich bin gewiß, daß ich, was ich nur bitt, erlang.

9. Der gute GOtt verspricht, wenn wir ihn so anreden:
„Ich reiße dich heraus aus allen deinen Nöthen,
„Ich GOtt, ich zeige dir, wann du nur gläubig bist,
„Daß meine Macht so groß als meine Güte ist.

10. „All meine Güte will ich reichlich dir beweisen.
„Warum? wozu? - darum:' auf daß du mich sollst preisen.
„Dieß ist mein Ziel und sonst begehr' ich nichts an dich,
„Du redst mich an; ich hilf; und du verherrlichst mich.“

11. O rühme sich kein Fleisch, ihm ist niemand zu gleichen;
Denn diesem guten HErrn muß auch der Beste weichen.
Ist's Wunder, daß man sich in solchen HErrn verliebt,
Der uns so gern - so viel - ja Sich und alles gibt.

12. Ich fühle zwar in mir, o GOtt, manch gute Triebe,
Die rechte Flamm des HErrn, die feurbewährte Liebe
Ist aber nicht so stark, noch standhaft, noch so rein,
Als sie für eine Braut des Lammes sollte seyn.

13. Was Raths? ich möcht' doch gern dir zu gefallen leben,
Und weil ich mir hierzu die Tüchtigkeit nicht geben,
Noch weniger darin mich selbst erhalten kann.
So ist der beste Rath: ich rede dich drum an.

14. Und preis dich immerdar so gut ich es vermöge,
Und wenn ich meine Hütt' (GOtt gebe bald) ablege.
Und mein erblaßter Mund dann nicht mehr reden kann.
So red't der seufzend Geist dich unablässig an.

15. Und bringst du mich nach der genügsamen Bewährung
In die Erlöseten verheißene Verklärung:
So red, ja schrei ich dich, so laut ich immer kann,
Mit den viel taufenden vor deinem Throne an.

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