Römheld, Carl Julius - Predigt am vierten Sonntage des Advents.
Herr Gott, Vater, bereite in dieser Gnadenzeit unsere Herzen durch den Heiligen Geist und schmücke sie mit deinem Frieden, welcher über alle Vernunft ist, zu einer reinen Wohnung deines lieben Sohnes, damit wir ihn mit Freuden aufnehmen und in seiner seligen Gemeinschaft dich allezeit mit fröhlichem Munde rühmen und preisen mögen! Amen.
Text: Ev. Joh. 1,19-28.
Und dies ist das Zeugnis Johannis, da die Juden sandten von Jerusalem Priester und Leviten, dass sie ihn fragten: Wer bist du? Und er bekannte und leugnete nicht; und er bekannte: Ich bin nicht Christus. Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elias? Er sprach: Ich bin es nicht. Bist du ein Prophet? Und er antwortete: Nein. Da sprachen sie zu ihm: Was bist du denn? dass wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben. Was sagst du von dir selbst? Er sprach: Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Richtet den Weg des Herrn; wie der Prophet Jesaias gesagt hat. Und die gesandt waren, die waren von den Pharisäern, und fragten ihn und sprachen zu ihm: Warum taufst du denn, so du nicht Christus bist, noch Elias, noch ein Prophet? Johannes antwortete ihnen und sprach: Ich taufe mit Wasser; aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Der ist's, der nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist, des ich nicht wert bin, dass ich seine Schuhriemen auflöse. Dies geschah zu Bethabara, jenseits des Jordans, da Johannes taufte.
Geliebte in dem Herrn! Von der Zeit, von der religiösen Bewegung und von den Zuständen, von welchen wir eben gelesen haben, können wir uns nur schwer einen Begriff machen. Ich will versuchen, euch ein Bild davon zu geben. Am vorigen Sonntag war schon von dem Wegbereiter des Allerhöchsten die Rede. Wir hörten von seinem entsetzlichen Schicksale und hörten die Leichenrede, welche der Sohn Gottes seinem größten Knechte gehalten hat, wir hörten das Zeugnis Jesu über Johannes den Täufer. Heute müssen wir noch einmal auf sein Wirken, auf sein Amt und seinen Beruf zurückgreifen. O dieser Johannes ist mir immer ein rührendes Bild, er ist wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt, wie ein Stern, der eine kurze Zeit leuchtet, so lange kein Licht am Himmel steht, und der dann, wann die Sonne kommt, bereitwillig Platz macht und selbst die Sonne anbetet. Die Sonne aber ist Jesus Christus.
Dieser Mann hat doch auch gar nichts in dieser Welt genossen, keine Erdenfreude, keine Lust, keinen guten Bissen, keinen stärkenden Trunk. Nichts hat er für sich begehrt, nichts für sich gehabt, nichts, gar nichts wollte er, als den Leuten Jesum zeigen, Jesum preisen, und dann sein Haupt auf den Richtpflock legen, und im Glauben an Jesum und in der Liebe zu ihm unter dem Henkerbeil friedlich und selig einschlafen.
Ich habe in meiner Kindheit einmal gelesen, dass Eltern einst ihr kleines Kind, ihren Liebling, zu Hause in der Wiege ließen, die Stube zuschlossen und dann aufs Feld gingen. Bei dem Kinde aber ließen sie den treuen Hund. Als die Eltern nach Hause kamen und die Stubentür geöffnet hatten, war ihr erster Blick nach der Wiege, und als der Vater Blutflecken auf dem Bettchen und der Erde sah, da schlug er in der ersten Aufwallung des Vaterschmerzes und Zornes den Hund, der neben der Wiege auf dem Fußboden lag, mit der Rodhacke auf den Kopf, so dass das arme Tier, noch in rührender Treue den grausamen Herrn anblickend, starb. Aber wie staunten die Eltern, als sie nun den Säugling unversehrt und mit hellen Augen ihnen entgegenlachen sahen und in der Wiege Stücke einer toten Schlange erblickten! Wie schämten sie sich der Treue des herrlichen Tieres, der Treue, die Gottes Finger in dasselbe hineingebildet hatte! In schwerem Kampfe hatte es den Eltern ihr Kind gerettet und aus dem gewissen Tode herausgerissen, so dass dieses lächelnd gar nicht wusste, in welcher Gefahr es geschwebt hatte. Und zum Lohn für seine Treue und seinen aufopfernden Kampf musste es sein Leben hergeben.
Ähnlich kommt mir dieser Johannes vor. Er hat dem Vater seine Kinder gegen die alte Schlange verteidigt und sie zu retten gesucht. Dafür musste er den Tod leiden; freilich nicht von Jesu Hand, sondern von der alten Schlange selbst, dem Lügner und Mörder von Anfang, der ihn durch seine Werkzeuge umbringen ließ. Und in rührender Treue gegen seinen Herrn hat er noch einen letzten Gedanken, noch einen letzten Blick, und der ist: Jesus. Da schon das Henkerbeil über ihm hing, da schickte er noch zu wem? Zu Jesu, und ließ von ihm Gruß und Segen holen.
Der Wegbereiter des Allerhöchsten muss uns heute beschäftigen.
I. Johannes, der Bußprediger.
Stellt euch die große, glänzende und üppige Hauptstadt des ganzen Volkes vor. Dort lag sie auf einigen Hügeln. Mehrere Stunden davon floss der Jordan durch flaches Land. Aus dieser Jordanebene kam eines Tages eine seltsame Nachricht in die Hauptstadt. Kommt, hieß es dort, kommt einmal mit an den Jordan und seht, was dort für ein merkwürdiger Mann ist, eine Art Einsiedler, seht, wie sonderbar der aussieht, und hört, was er spricht!
So ging's bald wie ein Lauffeuer durch die Häuser und Straßen, durch den Mund und die Herzen der Leute zu Jerusalem. Alles machte sich auf und wollte den sonderbaren Mann, den Einsiedler, sehen, und wollte hören, was er sagte. Bald war der Mann kein Einsiedler mehr, seine Einsiedelei hatte überhaupt nur kurz gedauert. Er war auch nicht in die Jordanswüste gegangen, um dort ein einsames, sondern im Gegenteil, um dort ein sehr bewegtes und unruhiges Leben zu führen, um dort mit tausend und abertausend Menschen zu verkehren. Das war nun freilich sonderbar. Wer mit möglichst vielen Menschen verkehren will, der muss in die großen Städte gehen, aber nicht in eine einsame Wüste. Sonderbar war's, aber Gottes Tun und Wirken ist den Menschen meistens sonderbar, ist meistens grade das Gegenteil von dem, was sie meinen. Johannes hat ganz recht gehandelt; denn er hatte einem Befehle Gottes gehorcht. Und es dauerte nicht lange, da waren die Häuser und Straßen der Hauptstadt leer und für die Einsamkeit geeignet, aber draußen in der Einöde drängte sich Kopf an Kopf. Das war wieder die umgekehrte Welt. - Auch macht es immer einen Unterschied, wer zu dem anderen kommt. Es war durchaus nicht einerlei, ob Johannes zu dem Volke in die Stadt kam, oder ob das Volk aus der Stadt zu Johannes kam. In der Stadt herrschte der Geist der Welt, in der Wüste bei Johannes führte der Geist des Herrn das Regiment. Das bedenken manche Kinder Gottes nicht genug.
Nun, was war denn da zu sehen? Ein Mann, nicht in modischer Kleidung, sondern in einem rauhaarigen Gewande von oben bis unten und mit einem steifen, starren Ledergürtel um die Hüfte. Und sein Haus? Das war die Erde; und der Himmel war sein Dach. Und seine Küche und seine Speise? Nun, er brauchte nicht viel und begehrte keine feine Kost. Er hatte eine andere Speise, einen Hunger, ein Bedürfnis: dem Sohne Gottes den Weg zu bereiten und dem König der Ehren die Tore weit und die Türen in der Welt hoch zu machen, damit er einziehen könne. Er hatte nur ein Begehren, nämlich: Jesum zu verherrlichen. Darum war ihm Essen und Trinken gleichgültig; er aß nur, um sein Leben notdürftig für seinen Herrn so lange zu erhalten, als dieser ihn in seinem Dienste brauchen wolle. Also aß er die schlechte Kost, welche ihm die Wüste darbot: Heuschrecken und Honig wilder Bienen.
Das war's, was hier zu sehen war. Die Städter staunten, als sie den Mann sahen, sie guckten ihn an, wie ein Mirakel, wie eine Rarität. Doch ging auch durch vieler Herzen ein ernster Gedanke beim Anblick des ernsten Mannes, und diesen kam er vor, wie die alten großen, heiligen Propheten, welche ihre Väter fast alle ermordet hatten. Manchem Lüstling, manchem Vergnügungsmenschen, mancher Modedame, manchem Leckermaul schlug doch das Herz, als sie diese ernste, heilige Gestalt erblickten.
Was gab's denn aber zu hören bei dem seltenen Manne? Sehr wenig, und doch sehr viel. Kurz zusammengefasst war's folgendes: Du Volk, tue Buße, und alle ihr Einzelnen, tut Buße, denn ihr habt nur noch kurze Zeit. Der Herr, Jehova, Gottes Sohn, der König des ewigen Reiches ist nun da, er ist nun auf der Erde, er ist in eurem Lande und Volke. Ich bin von ihm gesandt, damit ich's euch sagen soll, dass er da ist, und damit ich ihm den Weg bereite und die Türe auftue. Tut Buße, o tut Buße! Und tut rechtschaffene Früchte der Buße. Denn der Herr bringt Leben oder Tod. Du Volk bist ein Baum von Gott gepflanzt. Schon liegt an deiner Wurzel die Axt, die dich umhauen wird. Du Volk, tue Buße, sonst wird dich Jesus umhauen. All' ihr Männer, Weiber und Kinder, tut Buße, denn ihr seid entweder Spreu, oder Weizen. Jesus ist gekommen und hat die Worfschaufel in der Hand, er wird euch, wie Spreu von dem Weizen, scheiden, und wird den Weizen in die Scheune seines seligen Reiches sammeln, die Spreu wird er mit ewigem Feuer verbrennen. Tut Buße, du Volk und ihr alle mit einander, denn lange habt ihr nicht mehr Zeit zur Buße. Und verlasst euch ja nicht auf ein äußeres Judentum (oder äußeres Christentum), das wird euch nichts nützen.
Den Unbußfertigen und Ungläubigen, die keine Buße zu bedürfen glaubten, ging er am stärksten zu Leibe. Du Schlangenbrut, du Otterngezücht, ihr Teufelskinder! sagte er zu diesen, wer hat euch denn weisgemacht, dass ihr dem nahe bevorstehenden Zorne Gottes entrinnen werdet? Das bildet euch ja nicht ein. Euch tugendstolze und selbstgerechte Menschen wird das Verderben am ersten ergreifen!
Das war's, was hier zu hören war. Der Prediger in der Wüste redete, dass den Zuhörern die Ohren gellten und die Herzen bebten. Besonders erschreckte sie das Wort: Ihr habt nicht mehr lange Zeit. Und tausendweise kamen sie privatim zu ihm, schütteten ihm ihre Herzen aus und beichteten ihm; denn sie wollten doch dem zukünftigen Zorne und Strafgerichte gerne entrinnen.
Die sich nun erschrecken ließen, die einen geängsteten Geist und ein zerschlagenes Herz bekamen, die anfingen über ihr Leben und Ende nachzudenken, und die sich vor Gott fürchteten, taufte er im Jordan. Es hat uns nun zu beschäftigen
II. Johannes, der Evangelist.
Damit meine ich nicht den Apostel Johannes, der das vierte Evangelium im neuen Testamente geschrieben hat, sondern den Täufer Johannes. Denn er war nicht bloß Bußprediger, sondern auch Prediger des Evangeliums, das heißt: er trieb die Leute nicht bloß von der Sünde weg, sondern er wies und führte sie auch zum Heilande der Sünder hin.
Als Johannes in der Wüste als eine Donnerstimme, als eine Posaune Gottes alles Volk zur Buße rief, damit Gottes Gerichte an ihnen vorüber gingen, da gab's eine ungeheure religiöse Bewegung im Volke, die erste große Erweckung seit der Erscheinung des Sohnes Gottes auf Erden. Es ging zu ihm hinaus, nicht bloß die Stadt Jerusalem, sondern auch das ganze jüdische Land, und alle Länder am Jordan. Durch das ganze Volk ging ein Beben, eine verborgene Angst, eine Ahnung: Es steht in der Welt etwas Großes bevor, es gibt große Veränderungen in der Welt, wer weiß, was es gibt! Die Erregung der Gemüter und Geister war so groß, dass die Leute glaubten, dieser außerordentliche Mann, von dem ein solcher Geist der Wahrheit und der Kraft ausging, und von dem ein solcher Geist der Buße auf das ganze Volk überging, sei der erschienene Sohn Gottes selbst, oder doch einer von den alten großen Propheten des Höchsten, er sei der von den Toten auferstandene Elias oder Jesajas. Ihr seht, sie hielten ihn für einen Boten aus der anderen Welt, für einen Gast aus der Ewigkeit.
Also schickte auch die oberste Kirchenbehörde eine Untersuchungskommission an ihn und ließ ihn fragen, ob er der Jehova Christus, oder der Elias, oder einer von den alten Propheten Christi sei? Gott bewahre! sagte er. Weder bin ich ein aus dem Grabe auferstandener Prophet, noch viel weniger bin ich der Christus, der Sohn Gottes selbst. Sondern ich bin nur der Wegbereiter und allernächste Vorläufer des Herrn, ich bin derjenige von seinen vielen, vielen Dienern, der unmittelbar vor ihm hergeht und ihm die Türe aufmacht, der den Leuten sagt: Da ist er! der die Menschen zu ihm treibt und zu ihm weist.
Ja, wie kannst du denn da taufen, fragten sie, wenn du nicht der Jehova Christus selbst bist, noch Elias oder Jesajas oder Jeremias? Das will ich euch sagen, antwortete er. Meine Taufe ist nicht die eigentliche Taufe. Ich taufe bloß mit Wasser, und weiter nichts. Meine Taufe ist bloß ein Sinnbild der Buße, ein Sinnbild der Reinigung von Sünden, und ein Unterpfand, eine Bescheinigung, dass euch Jesus brauchen kann und annehmen wird. Wenn eure Buße und Reinigung von Sünden eben so wirklich ist, wie das Untertauchen im Jordan, dann habt ihr an meiner Taufe eine Versicherung, dass Gottes Gericht an euch vorüber gehen wird. Ich taufe euch bloß auf Jesum hin. Dieser aber, der schon unter euch getreten ist, der tauft die, welche bußfertig zu ihm kommen, mit dem Heiligen Geiste und mit dem Feuer heiliger Jesusliebe, die alle Sünde und Unreinigkeit wegbrennt und wegschmilzt. Denn der ist nicht bloß ein Mensch, wie ich. Zwar ist er als Mensch ein halbes Jahr jünger, als ich; aber er ist dennoch längst vor mir gewesen, denn er ist Gott von Gott, er ist vom Vater in Ewigkeit geboren. Mit Wasser taufen kann ein Mensch, aber mit dem Heiligen Geiste und mit Gottesfeuer taufen kann nur Gott.
So wies Johannes die Leute zu Jesu. Und als er am folgenden Tage den Allerhöchsten selbst hinaus an den Jordan kommen sah, da war sein Tagewerk der Hauptsache nach vollbracht. Da sagte er dem ganzen zahllosen Volke: Dort kommt er selbst! Das ist er, das ist der Herr, Christus, der Ewige; seht, das ist Gottes Lamm, welches eure, welches der ganzen Welt Sünde trägt!
So war er der Evangelist, der seinen ganzen großen Anhang und Zulauf zu Jesu wies, und der noch heute die Menschen zu ihm weist! Amen.