Riggenbach, Christoph Johannes - Vorwort zur ersten Auflage.

Riggenbach, Christoph Johannes - Vorwort zur ersten Auflage.

Ueber Entstehung und Zweck der vorliegenden Vorträge giebt der Eingang zum ersten derselben einige Andeutungen. Noch etwas mehr davon zu sagen, ist unumgänglich, wenn nach vielseitig geäußertem Wunsch das mündlich gesprochene Wort durch den Druck soll festgehalten werden und auch in weiteren Kreisen Eingang suchen. Wir glauben mit der Herausgabe der Vorträge wie mit dem ersten Halten derselben eine deutliche Pflicht zu erfüllen. Hier in Basel wird es Manchem lieb sein, zu dem gehörten Wort zurückkehren zu können, um es noch einmal ruhig zu überlegen; Andere, welche den späten Abendversammlungen nicht beiwohnen konnten, werden gerne das Gedruckte zur Hand nehmen; auch manche von unsern Frauen wird dasselbe willkommen heißen, nachdem sie es bedauert hatte, von der Versammlung ferne bleiben zu müssen.

Aber nicht nur an hiesige Leser denken wir. Wohl haben lokale Angriffe auf das Evangelium das ganze Unternehmen hervorgerufen. Das ist auch den Vorträgen in manchen Partien anzuspüren, namentlich wo sie eine polemische Haltung annehmen. Nicht aber als ob nicht auch anderwärts dieselben oder ähnliche Einwürfe laut würden. Wir dürfen darum hoffen, mit dem gleichen Worte, das hier in Basel einem weitverbreiteten Bedürfnis entgegenzukommen versuchte, auch auswärtigen Lesern etwas anzubieten, das ihnen im Suchen nach der Wahrheit behilflich sein könne.

Es ist uns aber im Blick auf diesen doppelten Leserkreis wichtig, zu bezeugen, wie wir zum Halten dieser Vorträge gekommen sind. Vielleicht ermuntert unser Beispiel auch andere, Aehnliches zu versuchen. Nur daß es nach dem eigenthümlichen Bedürfniß jedes Ortes geschehe. Nicht überall und jederzeit ließe sich Gleiches machen. Der Boden muß vorbereitet sein. Bei uns nun hatten die Gegner des Evangeliums angefangen ihn aufzuwühlen und für das Aufnehmen des Samens - man konnte sagen: zu ackern. Ueber vier Jahre lang hatten sie in allerlei Weise, durch Zeitungsartikel, durch ein eigenes Journal, durch mehrere Bücher, durch wiederholte Großrathsverhandlungen, durch Vorträge und Disputationen das Publikum, soweit sie es erreichen konnten, bearbeitet. So wurde Mancher irre gemacht, Mancher mit tiefem Mißtrauen gegen das biblische Christenthum erfüllt, Andere beunruhigt und veranlaßt zu fragen: Ist es denn wirklich so, wie uns da gesagt wird? Verstoßen denn in der That die Resultate der neueren Wissenschaft wider den alten Christenglauben? Ist es wahr, daß unsre Pfarrer diesen Thatbestand nur eben nicht sehen wollen, oder was noch schlimmer wäre: daß sie wohl wissen, wie es steht, wollen es aber nicht öffentlich bekennen? Sind sie denn wirklich, diese Männer, die wir kennen, entweder beschränkte Ignoranten oder aber wissentliche Heuchler? Und ist in Wahrheit das tüchtige Denken, die echte Wissenschaft, Vernunft und Einsicht nur bei den Gegnern des evangelischen Glaubens zu finden?

Der Ungrund dieser Behauptungen war freilich zum Theil schon in den Disputationen offenbar geworden, die in den ersten Monaten des Jahres 1860 auf Veranstaltung eines Gegners in einem Kaffeehause stattgefunden hatten. Aber dieser Anfang ließ in Vielen gleichzeitig das Verlangen nach etwas Weiterem entstehen, das völliger genügen könnte. Dieß um so mehr, da gleichfalls im letzten Winter ein Einfluß von ganz entgegengesetzter Art die Gemüther Vieler aufs Mächtigste für und wider aufgeregt hatte. Ein heimgekehrter Missionar hatte durch seine täglichen Vorträge vielen Zuhörern aus allen Klassen der Gesellschaft tiefe Lebenseindrücke hinterlassen; freilich auch durch das Auffallende, das ihm anhaftete, Manche gestoßen, ja den Gegnern neuen Anlaß zum heftigen Widerspruch gegeben. Die heilsamen Eindrücke aber, die von ihm geblieben waren, ließen bei Manchen, besonders Nichttheologen, den Wunsch immer entschiedener werden, daß für weitere Pflege hauptsächlich auch der Erkenntniß christlicher Wahrheit noch mehr als bisher möchte versucht werden.

So waren die Gemüther bearbeitet, als wir aufgefordert wurden, eine Reihe von Vorträgen zur Verantwortung unseres Glaubens auf den Winter 1860/61 vorzubereiten. Ohne diese vorausgegangenen Bewegungen der Geister wäre wohl der Gedanke nicht entstanden, hätten wir uns schwerlich entschlossen, wäre eine Zuhörerschaft, wie sie uns zu Theil wurde, gewiß nicht zu hoffen gewesen.

Es haben die Christen mannigfach um ein kräftigeres Wehen des Geistes gebetet. Gott hat nicht nur einerlei, sondern die verschiedensten Wege, solches zu geben. Wären wir nicht undankbar, wenn wir nicht einen dieser Wege in dem erkennen wollten, was Er uns in diesen Abendstunden beschert hat?

Ueber die Ausführung des Unternehmens erlauben wir uns für auswärtige Leser noch eine kurze Mittheilung. Von vorneherein stund es uns fest, daß die Vorträge, wenn es damit gelingen sollte, nur vor Männern und Jünglingen dürften gehalten werden. Wir schlossen also die Frauen aus, wahrlich nicht aus Mißachtung derselben, oder weil wir nicht bedacht hätten, daß auch sie in ihrer Weise an den Kämpfen theilnehmen, welche die Männer und insonderheit ihre Angehörigen bewegen. Aber es war uns klar, daß, wenn diejenigen kommen sollten, die wir am meisten wünschten als unsre Zuhörer vor uns zu sehen, daß dann nicht die Frauen dürften die Plätze, die ihnen bei andern Gelegenheiten gebühren, vorweg nehmen. In eine Kirche, die freilich mehr Raum geboten hätte, wollten wir nicht gehen, denn es sollte auch durch das Lokal ausgedrückt werden, daß es sich jetzt nicht um eine Predigt, sondern um wissenschaftlich gehaltene Vorträge handelte.

Eben darum mußten wir uns auch sagen, daß jetzt eine andere Behandlung des Stoffes von uns gefordert werde, als wenn wir eine gemischte Gemeine von Männern und Frauen vor uns hätten; wir mußten es als unsre Aufgabe erkennen, die diesmal nicht gestört werden dürfe: zu Männern männlich vom Glauben und auch von den Zweifeln am Glauben zu reden. Die Aufgabe war auch so noch schwierig genug. Es galt, die höchsten und tiefsten Probleme des Glaubens so populär zu behandeln, daß auch der weniger Gebildete möglichst folgen könnte, und doch wiederum den Ernst und die Strenge der Wissenschaft nicht zu verleugnen. Es galt von biblischer Wahrheit zu reden und wo möglich Zweifelnde zu überzeugen, ohne doch auf die Bibel kurzweg als Autorität sich zu berufen, und wiederum ohne den Schein zu erwecken, als sollten erst unsere Gründe der Bibel Beweiskraft schenken. Es ist gewiß kein unbilliges Verlangen, wenn wir unsre Beurtheiler bitten, daß sie diese Schwierigkeiten in Anschlag bringen.

Wie es uns mit der Ausführung gelungen sei, darüber steht nicht uns das Urtheil zu. Das aber dürfen wir wohl mit Dank gegen Gott aussprechen, daß es uns selber zur wachsenden Freude wurde, bei der Verschiedenheit der Gaben und der Behandlungsweise des Einklangs in der gleichen großen Grundwahrheit inne zu werden. Hat der eine mehr ein Gemälde von der Schriftwahrheit hingestellt, um ohne viel Polemik die Fernestehenden einzuladen: kommet und sehet, wie anziehend die Wahrheit ist! so hat der andere einen schärferen Angriff geführt, aber doch einen solchen, von dem, wie wir hoffen, niemand sagen wird, daß er unwürdig und gehässig sei.

Doch wir wollen uns nicht selbst recensieren, und auch über den Erfolg nichts aussprechen, das am wenigsten uns geziemte. Gehoben und getragen wurden wir durch die wohl 600 Zuhörer, Männer, Jünglinge, Greise aus allen Ständen, die so beharrlich und aufmerksam den Vorträgen folgten und sich wohl noch zahlreicher eingestellt hätten, wenn nicht das überfüllte Lokal mehr als Einen zurückgeschreckt hätte. Welcherlei Wirkung aber bleibe, dieses sagen zu wollen, wäre eine Vermessenheit. Wir empfehlen es unserm Gotte. Nur eines wollen wir hier aussprechen: was als Wirkung nicht zu erwarten ist. Es ist nicht zu erwarten, daß diese Vorträge als solche in den Hörern oder Lesern den Glauben zu Stande bringen.

Was wir damit bezwecken konnten, war und ist vielmehr nur dieses: die Hörer und Leser zur Prüfung aufzufordern. Und so möchten wir Alle, welche dieses Buch zur Hand nehmen, seien es Aerzte, Fürsprecher, Fabrikanten, Lehrer, Arbeiter, seien es Jünglinge oder gereifte Männer, wir möchten sie einladen: prüfet, was wir sagen; prüfet, ob es wirklich mit der Sache des evangelischen Glaubens so stehe, wie Manche sagen, daß man keinem vernünftigen, denkenden, wissenschaftlich gebildeten Menschen mehr ein Annehmen desselben zumuthen dürfe; das prüfet noch einmal genauer; es ist ja doch der Mühe werth und ist ein Vorrecht des denkenden Geistes.

Aber wenn es uns nun auch gelänge, mehr als Einen auf den Punkt zu führen, wo er uns beistimmte, daß die tiefsten und mächtigsten Gründe für den Glauben sprechen, ja daß es in der That weit vernünftiger sei, zu glauben, als nicht zu glauben; so wäre diese Beistimmung zwar ein hoffnungsreicher und erfreulicher Anfang, aber es wäre durchaus noch nicht der Glaube selber. Du kannst vollkommen überzeugt sein, wie gesund das Schwimmen im kalten Strome sei, und auch wie leicht zu lernen, wenn einer nur des Schreckens vor dem Wasser Herr zu werden wisse; und mit all diesem Wissen und all dieser festen Ueberzeugung kannst du noch nicht schwimmen, und es ist die Frage, ob du es lernest. Du sagst wohl: das sei eine körperliche Kunst, dazu helfe das Ueberzeugtsein im Geiste noch nicht; hingegen die Ueberzeugung von der Vernünftigkeit des Glaubens und das Glauben selber sei das Eine wie das Andre Sache des Geistes und sollte darum auch das Zweite aus dem Ersten folgen.

Es ist wahr, der Unterschied zwischen den beiderlei Thätigkeiten des gleichen Geistes ist nicht so handgreiflich, wie zwischen dem Thun des Leibes und demjenigen des Geistes; aber dennoch ist ein Unterschied, und zwar ein tiefgreifender Unterschied vorhanden zwischen dem, was Sache des Verstandes, des Kopfes und dem, was Sache des Willens, des Herzens ist. Es ist durchaus zweierlei: einsehen, und sei es auch noch so klar einsehen, daß es vernünftig wäre, zu glauben, und dagegen wirklich, lebendig selber glauben. Auch ist dieses Zweite durchaus nicht eine unausweichliche Folge des Ersten. Das wirkliche lebendige Glauben ist nimmermehr nur auf dem Wege des kühlen logischen Beweises zu erreichen. Es kommt unfehlbar ein Punkt, wo das eintreten muß, was der Apostel bezeugt (vgl. 1 Cor. 1,21): diejenigen, die wollen selig, das heißt gerettet werden, müssen sich zum Glauben entschließen; sie müssen ihren Willen daran geben, sich in die Gnade Christi hineinzuwerfen; sie müssen nicht nur mit dem Denken, sondern mit Verstand und Willen, von ganzem Herzen, mit dem ganzen Menschen, wirklich nicht mit weniger, als wie die Schrift sagt: aus allen Kräften müssen sie den Herrn ergreifen, der sie zuerst ergriffen hat.

Dieß aber, wie könnten es menschliche Vorträge in einem Menschen zu Stande bringen? Vorbereiten können sie, einladen, aufmuntern, Hindernisse wegräumen, und wenn Gott Gedeihen giebt, überzeugen. Aber jene Hingebung des ganzen Menschen selber kann nur der heilige Geist bewirken. Er wolle es auch bei den Hörern und Lesern dieser Vorträge thun; das ist der Wunsch und das Gebet

der Verfasser.

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