Riggenbach, Johannes - Der apostolische Glaube nach Geschichte und Bedeutung - IV. Folgerungen.

Riggenbach, Johannes - Der apostolische Glaube nach Geschichte und Bedeutung - IV. Folgerungen.

Im Bisherigen versuchten wir in Kürze klar zu machen, wie das sogenannte apostolische Symbolum entstanden ist, wie sein Inhalt sich biblisch rechtfertigt, wie sein Kern durchaus das Bekenntniß ist, zu glauben an Jesum Christum, den eingebornen Sohn Gottes, den gekreuzigten und auferstandenen Erlöser von Sünde und Tod. Darum also handelt sich's bei den Kämpfen um dieses Bekenntniß: nicht um irgendwelche menschliche Satzung, sondern dem Gehalt nach wirklich um den apostolischen Glauben, um das Bekenntniß zu Jesu Christo, wie ihn die Apostel verkündeten. Es konnte scheinen, das sei ja das Gleiche, was die „Zeitstimmen“ als einzig zuläßiges Bekenntniß vorschlagen: Jesus Christus, der einzige Heilsgrund (X, 188); und doch ist diese Formel dort im Gegensatz zum apostolischen Symbolum gemeint, nicht um den Hauptinhalt desselben auszudrücken, sondern um es zu verdrängen. Das wird man auch inne, sobald man der Sache näher tritt. Ihr redet von Heilsgrund, Heil; aber meint ihr's auch im biblischen Sinn, nämlich vor allem als Rettung vom Verlorengehen? Ihr bezeichnet als diesen Heilsgrund Jesum Christum; aber was dünkt euch von Christo? Da hören wir euch von der religiösen Persönlichkeit oder von der Religion Jesu reden, von dem Prinzip, das in ihm auftrat, sagen wir etwa: von dem Trieb und Bewußtsein der Gotteskindschaft, wodurch er ein Neues, Höchstes in die Menschheit brachte; denn auch nachdem er für seine Person den Weg alles Fleisches gegangen, ist das Prinzip, das in ihm war, nicht untergegangen, sondern hat sich auf Tausende verbreitet und wirkt noch immer fort und gibt uns Theil am ewigen Leben - bis auch wir dahin gehen. So etwas lehrt ihr von Christo, und habt dabei Mühe genug, euch mit der Schwärmerei abzufinden, daß er behauptete der Mitregent Gottes und Richter aller Welt zu sein (Match. 26, 64; Kirchenfr. II, 90 ff.). Die Apostel dagegen predigten nicht ein Prinzip, sondern eine Person, in deren Namen einzig der Welt das Heil, das ist Rettung und seliges Leben, Vergebung und Auferstehung geschenkt sei (Apg. 4, 12; Joh. 1, 12).

Man meint nun freilich, der Fortschritt der Neuzeit verlange diese Umwandlung der Lehre; vergißt aber leicht der alten Wahrheit, daß nichts Neues unter der Sonne geschieht. In der That gab es dergleichen Umdeutungen schon viel früher, als manche meinen. Schon um das Jahr 200 beschreibt Tertullian die Redensarten solcher Leute folgendermaßen (de resurreotione carnis 19):

„Indem sie sich auf eine sehr häufige Form der prophetischen Rede berufen, die bildliche nämlich, die aber doch nicht immer stattfindet, verdrehen sie auch die deutlichsten Weissagungen von der Auferstehung der Todten und legen sie bildlich aus, wobei sie versichern, auch der Tod sei geistlich zu verstehen. Nicht das, was vor Augen liegt, nämlich die Trennung von Leib und Seele, sei in Wahrheit der Tod, sondern die Unkenntniß Gottes, durch welche der Mensch Gott absterbe und im Irrthum wie in einem Grabe liege. So sei auch das die rechte Auferstehung, wenn einer durch Erreichen der Wahrheit für Gott neu belebt werde und aus dem Tod der Unwissenheit wie aus dem Grab des alten Menschen hervorgehe; wie denn Jesus die Schriftgelehrten und Pharisäer mit übertünchten Gräbern verglichen habe. So hätten sie die Auferstehung durch den Glauben erlangt, da sie den Herrn in der Taufe anzogen. In solchem Sinne pflegen sie manchmal auch im Gespräch die Unsrigen zu täuschen, als gäben auch sie die Auferstehung des Fleisches zu. Wehe dem, sagen sie, der nicht in diesem Fleisch aufersteht. So reden sie, damit sie die Gläubigen nicht sogleich vor den Kopf stoßen, wenn sie die Auferstehung ohne weiteres leugnen. Stillschweigend aber nach ihren Gedanken meinen sie: Wehe dem, der nicht, so lange er in diesem Fleisch ist, die häretischen Geheimnisse kennen lernt. Denn das ist ihnen die Auferstehung. Manche jedoch behaupten auch eine Auferstehung, wenn die Seele scheidet, indem sie den Ausgang aus der Welt als ein Hervorgehen aus dem Grabe bezeichnen, weil die Welt eine Wohnung der Todten sei, das ist derer, die Gott nicht kennen. Oder sie denken an das Scheiden aus dem Leibe, weil der Leib wie ein Grab die Seele im Tode des Weltlebens festhalte.“

So redeten die Gnostiker, das waren die Wissenden, welche sich damals der Erkenntniß als eines Privilegiums rühmten. Man begreift, daß die Kirche sich genöthigt sah, durch Zusammenstellung eines Inbegriffs der apostolischen Predigt genauer zu bestimmen, in welchem Sinne die Taufe auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes (Matth. 28) verstanden sei. Dieses Bedürfniß ist heute wieder so stark als je. Wollen wir uns davon überzeugen, so genügt ein Blick auf diejenigen Gebete der neuen Zürcher Liturgie, worin die Bestrebungen der Zeitstimmenleute zum Ausdruck kamen. Es. könnten mehrfache Beispiele vorgeführt werden; doch kann uns eines genügen, ein Ostergebet, das im Entwurf weiter oben zu lesen war, in der 1870 gedruckten Liturgie unverändert wiederholt ist.

„Preiset den Herrn, alle Völker, dient ihm mit Freuden. Kommet vor sein Angesicht mit Frohlocken; denn der Herr ist gütig, seine Gnade währet ewig und seine Wahrheit von einem Geschlecht zum andern.
Allmächtiger, ewiger Gott, himmlischer Vater! Wie können wir dir genugsam danken für das Wunder deiner Gnade, daß du unsern Herrn Jesum Christum von den Todten wiedergebracht hast! Frohlocken schallet in den Hütten der Gerechten, und alle Lande sind voll der freudigen Botschaft: Der Herr ist auferstanden! Die Welt hat ihn mit Schmach bedeckt, aber du hast ihn hoch zu Ehren gebracht und ihm einen Namen gegeben über alle Namen. Die Welt hat ihn überliefert zum Tode, aber du hast ihn erhoben zur Macht und Herrlichkeit, daß in seinem Namen alle Kniee sich beugen. Du hast zu Schanden gemacht alle Arglist des Bösen und hinweggenommen alle Verzagtheit der Schwachen, und mit aufgedecktem Angesichte schauen wir in der Verherrlichung deines Sohnes deine ewige Herrlichkeit. Nun ist der Tod verschlungen in den Sieg und das Licht hat die Finsterniß überwunden. O, Herr, wie unergründlich ist deine Weisheit, wie unerforschlich deine Liebe. Dir sei Dank in Ewigkeit, daß du uns den Sieg gegeben hast durch unsern Herrn Jesus Christus. Segne jetzt das Wort deiner Knechte in der ganzen Christenheit, daß sie das Evangelium von dem Auferstandenen predigen als das Wort des Lebens zum Leben. Laß die Osterfreude also mächtig in uns werden, daß wir auferstehen zu einem neuen Leben, wo Sünde und Tod keine Macht mehr über uns haben, und wir nur dir leben und unserm verherrlichten Erlöser Jesus Christus.“

Als wir dieses Gebet einer gescheiten Frau vorlasen, die gar nicht wußte, um was es sich handelte, urtheilte sie, das laute ganz schön, aber man wisse nicht recht, woran man damit sei. Das trifft wohl so ziemlich den Sachverhalt bei diesem wie bei den andern neusten Erzeugnissen. Ein gewisser Schwung der Sprache muß die Kraft des Inhalts ersetzen. Dabei zieht man solche Ausdrücke vor, die sich etwas leichter bloß psychologisch deuten lassen, ohne daß damit die wirklichen wunderbaren Thatsachen anerkannt wären. So heißt es wohl in den Worten, die wir unterstrichen haben, daß Christus von den Todten wiedergebracht sei, daß die freudige Botschaft durch alle Lande gehe: Christus sei auferstanden; und so können die arglosen Leute meinen: es sei der christliche Glaube recht schön ausgesprochen; andern aber ist der Vorbehalt offen gelassen, daß es sich mit jener Botschaft etwas anders verhalte. Ist das ein würdiges Kunststück?

Immerhin ist auch hier noch bemerkenswerth, welchen Einfluß der apostolische Glaube selbst auf diejenigen übt, die sich von ihm losgesagt haben. Denn nur aus dieser Rücksicht erklärt sich das Bedürfniß, so zweideutig zu reden. Diejenigen aber, die im Ernst an die Person Jesu als an den eingebornen Sohn Gottes, den fleischgewordenen, gekreuzigten, auferstandenen, ihren persönlich lebenden Erlöser glauben, sollen sich die Wahrheit nicht schief rücken und sich nicht einreden lassen, als könnte man allenfalls das apostolische Symbolum preisgeben und den Glauben der Apostel gleichwohl festhalten.

Aber kann und darf man denn das Bekenntniß des Glaubens solchen aufnöthigen, die nichts davon begehren, weil, wie sie sagen, der Fortschritt der Bildung es ihnen unmöglich mache? Wir antworten mit der Gegenfrage: aber ist denn die Kirche eine beliebige Vielheit von Menschen, deren jeder seiner eigenen Meinung folgt nach freiem Belieben, die durch keinerlei Bekenntniß zu einer gemeinsamen Wahrheit zusammen gehalten sind? !Die Reformblätter haben es neulich wie einen Fund aufgebracht, durch den alle Schwierigkeiten auf einmal gelöst würden, wenn nämlich das Band der Einigung statt im Bekenntniß fortan in einem Gelübde gesucht würde: sie meinen im Gelübde der christlichen Thal, der unbedingten Opferwilligkeit für die Zwecke des Reiches Gottes (IV, 325). Aber was will das heißen? Lag Kenn nicht auch bisher im Bekenntniß das Gelübde, diesem Bekenntniß treu zu bleiben? Und würde nicht auch in einem Gelübde, wenn es nicht ganz nichtssagend sein soll, irgend ein Bekenntniß mitbeschlossen sein? Es soll sich ja um das Gelübde der christlichen Thal handeln, also nicht um etwas, das Juden, Heiden, Türken mit uns geloben könnten; oder wie auch gesagt wird: um Opferwilligkeit für die Zwecke des Reiches Gottes; da muß man doch wissen: welches Gottes? und was glaubst du von seinem Reich, von der Gründung und Vollendung desselben? Ohne eine klare und tiefe Ueberzeugung davon wird es mit der Opferwilligkeit für die Zwecke dieses Reiches nicht weit her sein. Gebt ihr aber auf jene Fragen eine deutliche Antwort, so ist es eben - ein Bekenntniß. Dem ist nicht zu entrinnen. Dem wollen wir uns auch gar nicht entziehen, freuen uns vielmehr und danken Gott, daß wir zuerst bekennen dürfen, was Gott für uns ist und gethan hat, und nicht vor allem auf unser Geloben abstellen müssen, von dem der Apostel uns vorhält, daß wir leider so oft thun, was wir nicht wollen, und nicht vollbringen, was wir möchten.

Aber wenn sie auch gegen diese Wahrheit nichts triftiges einwenden können, das apostolische Bekenntniß ist ihnen zuwider, und mehr und mehr suchen sie auch im Volk umher die Unzufriedenen aufzuweisen: sie sollen sich diesen Zwang nicht mehr gefallen, sich durch die Pfarrer nicht mehr bevormunden lassen. Die Pfarrer seien ja nicht die Kirche.

O nein, gewiß nicht! und auch gar oft nicht die zuverläßigen Wächter der Wahrheit. Geht doch gerade in der Sache, von der wir reden, die Zerrüttung meist von den Pfarrern aus. Gerade weil die Pfarrer nicht die Kirche sind, ist es ein Bedürfniß, daß die Gemeinden einen Schutz gegen die Willkür der Pfarrer haben. Sonst kommt es immer mehr zu dem, was ein einsichtiger Mann gesagt hat: „Wo alle möglichen Lehren öffentlich dürfen auf die Kanzel gebracht werden, da existiert faktisch die Kirche nicht mehr, sondern nur noch ein Aggregat von Gemeinden, welche einen Mann im schwarzen Rock wählen, um ihnen gerade das zu predigen, was ihnen oder was ihm gefällt.“ Wie traurig man damit bestellt wäre, hat ein Vertheidiger des Schlagwortes: keine Dogmatik mehr! in den Reformblättern gezeigt (IV, 275): „Wir geben unsere persönliche Ueberzeugung ohne Anspruch, daß irgend Jemand sie annehme.“ Wahrscheinlich sollte das ein Ausdruck großer Bescheidenheit sein. Aber was ist das für eine elende Tugend! Ja, der hat Ursache zu solcher Bescheidenheit, der sich in nichts als in den eigenen Hirngespinsten umtreibt. Aber ist das ein Prediger des Evangeliums? Warum steigt er denn auf die Kanzel, wenn ihm nicht daran gelegen ist, daß die Leute annehmen, was er ihnen zu sagen hat? Die Griechen hatten einen solchen Redekünstler einen Sophisten genannt. Wer aber von einer Wahrheit, wer von der göttlichen Wahrheit durchdrungen ist, der würde sich schämen den Mund aufzuthun, wenn es nicht sein Ernst wäre, auch die Hörer zum Annehmen dieser Wahrheit zu bewegen. Ich glaube, darum rede ich, sagt er mit dem Apostel.

Wo die Kirche lebendig ist, steht das, was geltende Wahrheit sei, nicht im Belieben der Pfarrer, aber auch nicht der Gemeindeglieder. Denn so wenig die Pfarrer die Kirche sind, ebenso wenig ist es ohne weiteres das Volk, so daß wie in allen andern demokratischen Dingen die Abstimmung heute so, morgen anders über die Wahrheit verfügte. Das heißt: es kann ja wohl in einer Kirche dahin gekommen sein, daß die demokratische Mehrheit solche Gewalt ausübt, also z. B. das apostolische Glaubensbekenntniß verwirft. Aber je mehr sie das thut, desto weiter entfernt sie sich vom wahren Wesen der Kirche. Nicht nur die Geistlichkeitskirche des Mittelalters ist von der Wahrheit gewichen, auch der heutigen Volkskirche droht es, wenn auch nach entgegengesetzter Richtung. Es bleibt wahr, ob viele oder wenige darauf hören: die Kirche ist nicht ein Erzeugniß des natürlichen Volkslebens, sie ist eine Stiftung Christi in der Menschheit, durch sein Wort und seinen Geist zu Stande gekommen und an diese Kraft auch für ihr Bestehen gebunden. Darum müssen Pfarrer und Gemeinden an der Grundwahrheit des Evangeliums festhalten.

Davon gieng der vielgeschmähte Kirchenvorstand zu Caen im nördlichen Frankreich aus, als er auch von denen, die in der Kirche ein aktives Recht ausüben wollten, eine persönliche Zustimmung zum apostolischen Glaubensbekenntniß verlangte. Man erinnert sich, welch ein Sturm von sogenannter liberaler Seite sich dagegen erhob, wie der Minister Baroche den Beschluß des Kirchenvorstandes aufhob, wie des Ministers Verfügung wiederum vom Staatsrathe beseitigt und das Recht der Kirchenvorsteherschaft anerkannt wurde. Es wird nicht ohne Interesse sein, wenn wir eine Stelle aus der Rede von Alfred Monod mittheilen, der als Anwalt der kirchlichen Behörde gegen den Minister auftrat. (Wir übersetzen aus der Revue chrétienne vom 5. Januar 1870, S. 60). Er sagt unter anderem:

„Man schreit über Intoleranz. Haben die Worte ihren gewöhnlichen Sinn verloren? Wenn die Anhänger der freisinnigen Meinungen das Recht begehrten, ihre Ansichten außerhalb der reformierten Kirche kund zu geben, so würden wir zwar ihre Lehren tadeln, aber für ihre Forderung Partei nehmen. Wir würden sagen, daß sie auf einem geheiligten Recht, dem Recht der Gewissensfreiheit bestehen, und daß man dieses respektieren müsse. Aber behaupten, daß solche Lehren innerhalb einer christlichen Kirche Bürgerrecht haben, das heißt Freiheit und Zuchtlosigkeit zusammenwerfen. - Die gesunde Vernunft und das Gewissen fordern, daß jeder frei sei, Gott anzubeten, wie er will, ihn zu leugnen sogar, wenn er unsinnig genug ist, um es zu thun. Aber wollen, daß im Schooß der gleichen Kirche, der gleichen Gemeinschaft von Gläubigen, die sich versammelt, um sich in einem gemeinsamen Glauben und in der gemeinsamen christlichen Lehre zu erbauen, man tonne die entgegengesetztesten Behauptungen vorbringen, darunter solche, die in den Augen der Mehrzahl diejenigen, die sie annehmen, gefährden: nein, das ist nicht mehr Freiheit, das ist Despotismus, und vom allerschlimmsten; denn er greift die Seelen an.“ In diesen Worten prägt sich der Geist der Franzosen aus, der nach Klarheit und Folgerichtigkeit verlangt. Unsere Lage freilich ist vielfach eine solche, wie jener Sachwalter sie als unerträglich bezeichnet. In mehr als einer Kirche, von Zürich, von Glarns und Graubünden, von St. Gallen und Genf ist es schon durchgesetzt, was in andern erstrebt wird, daß das apostolische Symbolum dem Belieben anheimgestellt ist. Scharf angesehen haben wir hier das Ungeheuerliche, daß innerhalb der gleichen Kirche das Ja und das Nein auch in Betreff der Grundwahrheiten gleiches Recht hat. Wer mit Herrn Lang sagt, Jesus habe den Traum des Messias am Kreuze gebüßt, will nichts destoweniger ein Glied derselben Kirche sein mit denen, die dem Herrn Jesu danken, daß er ihre Sünden am Kreuze gebüßt. Das ist widernatürlich. Aber einstweilen besteht es noch so. Man sah in dieser Richtung während der letzten Jahre eine Reihe von Kirchengesetzen in einem Kanton nach dem andern entstehen.

Im Jahr 1870 ward in Zürich ein solcher Entwurf berathen. Er hat unstreitig gegenüber dem Gesetz von 1861 den Vorzug größerer Einfachheit. Durch Ausscheiden dessen, was Sache der kirchlichen Verordnung sein werde, sind es der Paragraphen statt 261 jetzt nur 55 geworden. Aber sie beschlagen auch nur das Aeußerlichste einer leidlichen Ordnung. Von dem, was Wesen und Kraft der Kirche ausmacht, findet sich kaum eine Spur darin. Wohl ist in § 1 von der evangelischen Landeskirche die Rede, und in § 2 wird von ihr gesagt sie bezwecke die Pflege der christlichen Gemeinschaft und die religiössittliche Erziehung ihrer Glieder nach Christi Lehre und Vorbild, und suche diesen Zweck auf dem Wege geistiger und sittlicher Einwirkung ohne Anwendung von Zwangsmitteln zu erreichen; endlich nach § 3 werden die Glieder der Landeskirche so lange als zu ihr gehörend betrachtet, als sie nicht die Trennung von derselben erklärt haben. Aber das ist auch alles. Und in diesem wenigen, welche Stellung wird der Kirche gegeben? Da kann sich einer gründlich vom Glauben der Landeskirche getrennt haben, aber er erklärt die Trennung nicht, erklärt Vielmehr, daß er innerhalb derselben bleibe, ja Meister bleiben wolle: er hat das Recht dazu; denn jegliche Zucht ist zum Voraus als Zwang verschrieen und ausdrücklich verboten. Ja, einen Glauben der Landeskirche gibt es eigentlich nicht mehr bis auf die blasse Spur davon in 8 2. Das alles sei nicht als Vorwurf gesagt. Es wäre schwerlich unter den jetzigen Umständen etwas besseres zu erreichen gewesen, wenn man sich nicht grundsätzlich auf einen ganz andern Boden stellte. Nur so viel sollte bezeugt sein, und dem werden die Einsichtigern kaum widersprechen: eine solche Gesetzgebung kann höchstens ganz äußerlich einen erträglichen Zustand regeln; die Wesensgestalt der Kirche Christi ist eine ganz andere; ihr Bestand ruht auf Grundlagen, von denen hier kaum eine Spur sich zeigt; der apostolische Glaube ist dafür unendlich wichtiger, als alle Gesetzesparagraphen zusammen.

Dazu stehen wir und hoffen stehen zu bleiben, wenn auch die Strömung, die dem Ja und Nein gleiches Recht gibt, immer mehr in der Schweiz überhand nehmen sollte. Wir sind nicht geneigt, der „öffentlichen Meinung“, diesem wandelbaren Wind der Lehre, päpstliche Unfehlbarkeit einzuräumen. Die Bekenntnißlosigkeit können wir nur als eine Zersetzung und Auflösung ansehen, in deren Schooß sich neue Gestaltungen bilden müssen und werden. Die Untergrabung des öffentlich geltenden Bekenntnisses ist für jeden Einzelnen die Probe, wie treu er innerlich dazu stehe; ob ihm der apostolische Glaube im Herzen wurzle und er entschlossen sei, sich denselben nicht entreißen zu lassen. Die neue Zürcher Verfassung enthält im Art. 63, der vom Kirchenwesen handelt, unter anderem die Bestimmung: Jeder Zwang gegen Gemeinden, Genossenschaften und Einzelne ist ausgeschlossen. Wir wollen nun hier nicht erörtern, weder ob überhaupt eine Gemeinschaft bestehen könne ohne irgend etwas von Zucht, das man als Zwang verschreien kann, noch ob diejenigen, die mehr und mehr die Uebermacht bekommen, von allem Zwang gegen Altgläubige jederzeit fern bleiben werden. Beides wird die Erfahrung lehren. Einstweilen aber hat der dortige Diener des Evangeliums sich nach dieser Richtschnur zu halten: Jeder Zwang auch gegen Einzelne ist ausgeschlossen; somit auch der Zwang gegen mich. Es soll mich Niemand zwingen, den apostolischen Glauben aus den Gebeten oder heiligen Handlungen wegzulassen.

Wir wollen hier nicht vom heiligen Abendmahl reden. In Basel ist seit 1826 das Symbolum aus dessen Feier weggeblieben, ohne daß es auf völlige Beseitigung desselben abgesehen war. Natürlich steht die Sache anders, wo Weglassen soviel als Verwerfen bedeutet. Da wird das Festhalten zur Pflicht. Schwierig wird die Frage nur da, wo mehrere Pfarrer neben einander stehen, und wenn der eine funktionirt, der andere stillschweigend zudient. Da wird man sich unter der Voraussetzung, daß Gegenrecht gehalten werde, daran halten dürfen, daß das wesentliche Bekenntniß beim heiligen Abendmahl die ungefälschten Einsetzungsworte seien. Bei der Taufe hingegen hat das apostolische Symbolum recht eigentlich seine Stelle. Ist es doch das uralt kirchliche Taufbekenntniß und als solches weiterhin die Grundlage der Unterweisung im Glauben. Da ist von jedem Pfarrer, der für seine Person am apostolischen Glauben hängt, zu erwarten, daß er fest dabei bleibe: ich lasse mir den Zwang nicht anthun, anders als mit dem apostolischen Symbolum zu taufen.

Aber kann man ihm nicht den Vorwurf machen: damit zwingst du die andern? Wir antworten: ganz und gar nicht. Denn es ist kein Zwang zu nennen, wenn ich demjenigen, der eine Taufe ohne Symbolum verlangen wollte, ohne herrisches Wesen, ganz freundlich, aber fest erklärte: Das kann und werde ich nicht thun. Du bist ja nicht an mich gebunden, wenn du anderwärts einen Täufer findest, der dir willfahrt. Hingegen darfst du auch mich nicht zwingen, daß ich dir nach deinem Belieben müsse zu Gebote stehen. Es ist ein falscher Eifer, den sie in dir zu wecken suchen, wenn sie dir einreden wollen, im Namen der Wahrhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit habest du das Recht zu protestieren. Du solltest einsehen können, daß wenn du wirklich in das apostolische Symbolum dich so gar nicht finden kannst, du nur dann völlig wahrhaft und gewissenhaft handeln würdest, wenn du überhaupt gar nicht taufen ließest. Denn du kannst dich dann auch zu dem Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, so wie die Worte gemeint sind, nicht in Wahrheit bekennen. Es wird auch kaum sehr lange anstehen, wo einmal das apostolische Symbolum abgeschafft ist, bis konsequenter Weise der weitere Schritt gethan und auch die Einsetzungsworte Match. 28 beseitigt sind. Bereits hat im Juni 1870 eine wallonische Synode, die in Utrecht tagte, mit 22 gegen 1,4 Stimmen dieselben freigegeben. Dann bleibt von der Taufe nur noch das Wasser, in Verbindung mit beliebigen Worten eigener Erfindung. Da kann man ebenso gut darohne sein.

Also gerade um der Wahrhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit willen ist es Pflicht des Dieners am Evangelium, in diesem Stück nicht nachzugeben; auch nicht halb und halb, so daß er etwa nach dem jeweiligen Belieben der Eltern bald mit, bald ohne Symbolum taufte. Ein Gastwirth mag gewisse Gerichte bald mit, bald ohne Zuthat je nach dem Geschmack der Gäste servieren. Hier aber ist die Sache zu heilig, auch sind wir nicht Diener der Leute nach ihren wechselnden Wünschen, sondern Diener Christi, dem Volk zu gut.

Aber ist denn nicht auch Paulus allen alles geworden, ja den Schwachen ein Schwacher, damit er ihrer etliche gewinne? Gewiß, das that er. Aber hütet euch, daß ihr euch nicht fälschlich auf sein Beispiel berufet. Vor allem sind ja die Leute, von denen wir reden, nicht Schwache gleich denen, welche Paulus so nennt. Sie wollen vielmehr die starken Geister sein und in der Kirche, ja über sie herrschen. Und dann konnte der Apostel sich den Schwachen gleich stellen in äußern Dingen, welche nicht die Hauptsache betrafen, nimmermehr aber um ihretwillen den Kern des Glaubens preisgeben. Durch ein Nachgeben darin die Leute gewinnen wollen, das wäre ja gar kein rechtes Gewinnen. Du hattest sie gewonnen, aber wofür? allenfalls daß sie von dir nicht weggehen! aber was ist damit geholfen? Du sollst sie ja für die Kirche Jesu Christi gewinnen, und das erreichst du nimmermehr, wenn du das wesentliche Gut derselben zum Opfer bringst. Statt sie zu gewinnen, hast du dich, ja das dir anvertraute Kleinod an sie verloren gegeben. Damit hast du sogar ihnen eine schlechte Liebe bewiesen und sie mächtig in der Einbildung bestärkt, daß sie vortreffliche Christen seien, auch wenn sie die Grundlagen des Evangeliums verwerfen. Du thust an ihnen eine größere Liebe, wenn du das Kleinod bewahrst, welches sie noch nicht als solches erkennen, das sie aber noch einmal anziehen und trösten kann, wenn die Noch der Sünde und des Todes über sie kommt.

Es handelt sich aber nicht nur um das Ablehnen unzulässiger Zumuthungen und das Festhalten am Bekenntniß der Kirche. Es gilt auch den wirklich Schwachen, Irregemachten, Zweifelnden zurechtzuhelfen und kritisch, aber ernst gesinnten Gemeindegliedern mit Geduld und Weitherzigkeit zu begegnen. Nicht alle, die mit Einwürfen kommen, sind für Aufschlüsse, die ihnen Licht geben, unzugänglich. Manche stehen unter der Ansteckung des Zeitgeistes, ohne daß sie viel selbständig nachgedacht hätten. Ihnen kann es wohlthun, wenn sie wahrnehmen, daß es sich nicht um einen blinden Glauben handelt und daß es auch ein ernstliches Denken gibt bei denen, die glauben. Andere haben wirklich ihre eigenen Zweifelsgedanken, und wenn man auch versucht, ihre Anstände z. B. über die vaterlose Geburt des Herrn oder über seine Höllen- und Himmelfahrt durch Erörterungen zu heben, wie wir sie früher gaben, so genügt es ihnen nicht. Es können edle, gebildete Geister darunter sein, die vielleicht lebendiger und treuer ihres Glaubens leben, als manche, die für ein volleres Maaß von Rechtgläubigkcit eifern; und es könnte leicht zur Verkümmerung der Kirche ausschlagen, wenn sie durch eine Strenge ohne Geduld und Schonung ausgestoßen würden.

Wie denn aber soll die Weitherzigkeit, die wir wünschen müssen, mit dem Festhalten am Bekenntniß, das die Treue fordert, vereinigt werden? Das wird von gegenseitiger Verständigung abhangen. Fassen wir gerade die erwähnten Bedenken gegen das Empfangen vom heiligen Geist oder gegen die Himmelfahrt ins Auge, um von der ausführlich behandelten Höllenfahrt nicht noch einmal zu reden. Unsre Erläuterungen befriedigen euch also nicht völlig. Aber ihr haltet doch fest daran, daß Jesus unser sündlos heiliger Erlöser ist, und daß er persönlich lebt in verklärtem Leben? Wohlan, wenn ihr diesen Kern festhaltet, so verstehet einstweilen das andre, was ihr buchstäblich noch nicht annehmen könnt, als sinnreichen Ausdruck der Wahrheit, die auch euerm Herzen theuer ist. Im Kern sind wir eins, im Glauben an Jesum Christum, den eingebornen Gottessohn, den persönlich lebendigen Erlöser von Sünde und Tod. Um dieses Kernes willen lasset euch das altehrwürdige Bekenntniß der Kirche gefallen, das Band der Gemeinschaft, das uns auch mit den getrennten Gliedern verbindet. Im Kampf dagegen wird von den Gegnern der Kern angegriffen, den werdet ihr nicht wollen wegwerfen helfen.

Ein Gleichniß gab mir eine Begebenheit aus der Geschichte des neusten Kriegs an die Hand. Ich sprach mit einem gefangenen französischen Soldaten, dem die Heimkehr gestattet wurde. Da ich ihn fragte, ob er auch darum wisse, daß seine Landsleute auf Häuser mit der Genfer Fahne geschossen hätten, erzählte er, daß er allerdings einmal, schon als Gefangener, dabei gewesen sei, da solches geschehen. Aber da sei eben das Fähnlein zu klein und fast unmerklich gewesen. Die Preußen hätten dann, um dem abzuhelfen, aus einem Nachbarhaus ein großes Leintuch geholt und mit dem Blut der Erschlagenen ein rothes Kreuz darauf gemalt. Da habe das Schießen aufgehört. Sicher hat es niemand kritisiert, wenn die Linien der rothen Farbe nicht kunstgerecht gezogen waren. Ist nicht auch das apostolische Glaubensbekenntniß eine mit theuerm Blut gemalte Friedensfahne? Wem dieß Licht aufgegangen, der wird das Kritteln aufgeben.

Daß nicht auf jede Einzelheit im Symbolum ein gleich großes Gewicht zu legen sei, hat das Pariser Konsistorium wohl erkannt, da es im Anfang des Jahres 1870 dem Vorgang von Caen mit folgender Anordnung sich anschloß: „Wer als Wähler will eingeschrieben sein, muß erklären: daß er als Grundlage der reformierten Kirche, deren Glied er sein will, das göttliche Ansehen der heiligen Schrift in Sachen des Glaubens anerkennt und annimmt, und demgemäß an die Wirklichkeit der wunderbaren Thatsachen glaubt, zu deren Gedächtniß die großen christlichen Feste gefeiert werden, und die im apostolischen Glaubensbekenntniß bezeugt sind.“ Es ist schwer einzusehen, wie man das hat schmähen und dagegen einwenden können: soll ich denn eine Eigenschaft erst erhalten, die ich seit meiner Admission tatsächlich besitze? Der Pariser Vorschlag will ja nichts anderes, als darauf dringen, daß das Admissionsgelübde keine leere Form, sondern eine Wahrheit sei.

Wir wissen nicht, ob es Gott gefällt, die Angriffe, die gegen den apostolischen Glauben geführt werden, für einmal noch zu Nichte zu machen, oder ob es uns bevorsteht, daß die positiven Grundwahrheiten beinahe nur noch in derjenigen Kirche Gültigkeit behaupten, worin die damit vermengte Unwahrheit durch die Beschlüsse des Concils auf eine so unheilvolle Spitze getrieben wurde. Es wäre unsäglich traurig, wenn je länger je mehr nur die Wahl bliebe zwischen einer Kirche, die den apostolischen Glauben mit der Unfehlbarkeit des Papstes verbindet, und einem Protestantismus, der gegen alles, auch gegen das Evangelium protestiert. Das wäre freilich ein starker Schritt naher zu den letzten Kämpfen, und für die kleine Heerde, welcher Jesus das Reich zuspricht, eine wachsende Vereinsamung, eine härter und härter werdende Prüfung. Soll es dazu kommen, so dürfen sich die Jünger dessen nicht weigern, auch nimmermehr das Vertrauen wegwerfen. Aber eben sowenig sollen sie einen Posten voreilig aufgeben. Da wir Zeit und Stunde nicht wissen, sollen wir uns an das halten, was jedem an seinem Orte befohlen ist, und allzeit bedenken, daß nur von persönlicher Treue im Einstehen für die evangelische Wahrheit eine bessere Zukunft zu hoffen ist. Allerdings genügt dafür noch nicht die rechtgläubige Lehre. Es kann ein Eifern für die Wahrheit geben, dafür einen der Vorwurf trifft: du hast die erste Liebe verlassen. Es kann einen Zustand geben, wobei man nicht am Glauben rüttelt, aber dem Wandel und Leben gilt der Vorhalt: du hast den Namen, daß du lebest, und bist todt. Darüber geht die Kirche eines Landes zu Grunde. Gott wolle nicht nur das Bekenntniß bei uns schützen, sondern die Zahl der Bekenner mehren, die es außer den Worten auch in der That sind.

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