Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen - Der 57. Psalm.
1. Ein goldenes Kleinod Davids, vorzusingen, dass er nicht umkäme; da er vor Saul floh in die Höhle. 2. Sei mir gnädig, GOtt, sei mir gnädig; denn auf dich traut meine Seele, und unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht, bis dass das Unglück vorüber gehe. 3. Ich rufe zu GOtt, dem Allerhöchsten, zu GOtt, der meines Jammers ein Ende macht. 4. Er sendet vom Himmel, und hilft mir von der Schmach meines Versenkers, Sela. GOtt sendet seine Güte und Treue. 5. Ich liege mit meiner Seele unter den Löwen. Die Menschenkinder sind Flammen, ihre Zähne sind Spieße und Pfeile, und ihre Zungen scharfe Schwerter. 6. Erhebe dich, GOtt. über den Himmel, und deine Ehre über alle Welt. 7. Sie stellen meinem Gange Netze, und drücken meine Seele nieder, sie graben vor mir eine Grube, und fallen selbst darein, Sela. 8. Mein Herz ist bereit, GOtt, mein Herz ist bereit, dass ich singe und lobe. 9. Wache auf, meine Ehre, wache auf, Psalter und Harfe; frühe will ich aufwachen. 10. HErr, ich will dir danken unter den Völkern, ich will dir lobsingen unter den Leuten. 11. Denn deine Güte ist so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit so weit die Wolken gehen. 12. Erhebe dich, GOtt, über den Himmel, und deine Ehre über alle Welt.
Der 57. Psalm hat 1) in seiner Überschrift die Anzeige von der Zeit und Gelegenheit, bei welcher der Psalm gemacht worden. Ein goldenes Kleinod Davids, vorzusingen, dass er nicht umkäme, da er vor Saul floh in die Höhle. Bei solcher äußersten Lebensgefahr brauchte es freilich ein solches Eindringen in GOtt, wie im Psalm eines vorkommt, dabei 2) anfänglich noch das traurige Gefühl der Not im Beten und Klagen vorgeschlagen bat, V. 2-6. Wie kann die Not eine Seele im Gebet so freimütig machen, dass sie sich desto näher an den gnädigen GOtt hin hält, je mehr der ungnädigen Menschen auf Erden ihr Zorn drückt. Wie wird alle Trübsal, es mag auch noch so viel Schweres dabei sein, doch dadurch leicht, dass sie zeitlich ist, dass sie ein vorübergehendes Unglück ist. Ach, was wird es sein, wenn vollends das Erste mit allem Erden-Jammer wird vergangen sein, und der HErr Alles neu machen wird, Offenb. Joh. 21,4.5. 3) Nun kommen im Psalm Klagen und Bitten, bei denen aber das freudige Danken den Überschwang gewinnt, V. 7-12. O, wie wird GOtt auch über das, was Er au einem einigen Gläubigen auf Erden für Hilfe beweist, im Himmel gepriesen! Wie wird aus einer jeden einzelnen Probe die ganze Güte und Treue GOttes erkannt, dass daher auch viele Andere im Himmel und auf Erden mit einem im Lob GOttes anstehen! 2 Kor. 1,11. O! wie ist das einem so tröstlich, wenn er weiß, er ist einmal mit dem Reich GOttes, und mit Allen, die am Reich GOttes Anteil nehmen, in eine gute Gemeinschaft gekommen, und was ihm nun von GOttes Güte und Treue wiederfährt, darüber wird GOtt auch von Andern Ehre gegeben.