Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen - Der 50. Psalm.
1. Ein Psalm Assaphs. GOtt, der HErr, der Mächtige, redet, und ruft der Welt vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang. 2. Aus Zion bricht an der schöne Glanz GOttes. 3. Unser GOtt kommt und schweigt nicht. Fressendes Feuer geht vor ihm her, und um ihn her ein großes Wetter. 4. Er ruft Himmel und Erde, dass er sein Volk richte. 5. Versammelt mir meine Heiligen, die den Bund mehr achten, denn Opfer. 6. Und die Himmel werden seine Gerechtigkeit verkündigen; denn GOtt ist Richter, Sela. 7. Höre, mein Volk, lass mich reden, Israel, lass mich unter dir zeugen: Ich, GOtt, bin dein GOtt. 8. Deines Opfers halben strafe ich dich nicht; sind doch deine Brandopfer sonst immer vor mir. 9. Ich will nicht von deinem Hause Farren nehmen, noch Böcke aus deinen Ställen. 10. Denn alle Tiere im Walde sind mein, und Vieh auf den Bergen, da sie bei Tausenden gehen. 11. Ich kenne alles Gevögel auf den Bergen, und allerlei Tier auf dem Felde ist vor mir. 12. Wo mich hungerte, wollte ich dir nicht davon sagen; denn der Erdboden ist mein und alles, was darinnen ist. 13. Meinst du, dass ich Ochsenfleisch essen wolle, oder Bocksblut trinken? 14. Opfere GOtt Dank, und bezahle dem Höchsten deine Gelübde. 15. Und rufe mich an in der Not; so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen. 16. Aber zu dem Gottlosen spricht GOtt: Was verkündigst du meine Rechte, und nimmst meinen Bund in deinen Mund; 17. So Du doch Zucht hasst, und wirfst meine Worte hinter dich? 18. Wenn du einen Dieb siehst, so läufst du mit ihm, und hast Gemeinschaft mit den Ehebrechern. 19. Dein Maul lässt du Böses reden, und deine Zunge treibt Falschheit. 20. Du sitzt und redest wider deinen Bruder, deiner Mutter Sohn verleumdest du. 21. Das tust du, und ich schweige: da meinst du, ich werde sein gleich wie du. Aber ich will dich strafen, und will dirs unter Augen stellen. 22. Merkt doch das, die ihr GOttes vergesst, dass ich nicht einmal hinreiße, und sei kein Retter mehr da. 23. Wer Dank opfert, der preist mich; und das ist der Weg, dass ich ihm zeige das Heil GOttes.
Der 50. Psalm heißt in seiner Überschrift: 1) Ein Psalm Assaphs. Es ist dieser einer der tiefsten Psalm, der weit in das Licht des Neuen Testaments hinein reicht, den man aber nach unterschiedlichem Grad der Einsicht unterschiedlich verstehen kann. Im nächsten, leichtesten und zu allen Zeiten brauchbarsten Sinn, hätte man an diesem Psalm ein nachdrückliches Zeugnis gegen den aus bloßer Gewohnheit mit Unverstand getriebenen Gottesdienst, wobei kein redlicher Sinn auf GOtt, keine Beugung unter GOttes Gerechtigkeit, kein Zugang zu GOtt und Seiner Gnade, keine Freude an Seinem Heil ist, und das bei dennoch viel fleischlicher Ruhm damit getrieben wird. Unter diesem Anblick hat dieser Psalm zu vielen Predigten der Propheten, die aus gleichem Grund gingen, können gebraucht werden. Mit einer weitern Aussicht aber kann man diesen Psalm auch zwischen die Grenzen des Alten und Neuen Testaments setzen, und ihn als eine prophetische Unterweisung ansehen, wie man sich in den Anbruch und vollen Gang des Neuen Testaments schicken soll, und wie sich GOtt dabei in Gnaden und Gericht offenbaren werde. Daraus werden die künftigen Begegnisse des Volks GOttes allernächst nach den Zeiten Christi in diese wichtige Anzeige gefasst. Er wird aber Vielen den Bund stärken, Daniel 9,27. usw. So ists nach der Hand gegangen. GOtt hat eine Woche lang nach den Zeiten Christi Vielen aus Israel den Bund gestärkt, Alles an ihnen getan, was der Bund mit den Vätern mit sich brachte, ihnen als Bundes Kindern den ersten Antrag von dem Segen Christi tun lassen, und aus der Menge derer, die den Bund mit ihrem Glauben versiegelten, den ersten Satz zur christlichen Kirche genommen. Er hat aber auch mitten in der Woche angefangen, das Opfer und Speisopfer aufzuheben. Je mehr nämlich die Predigt des Evangeliums von der ewigen Kraft des vollkommenen Opfers JEsu Christi erkannt und geglaubt wurde, desto mehr kam die Anbetung GOttes im Geist und in der Wahrheit auf, und der Opferdienst zu Jerusalem ward aufgehoben. Zuletzt aber machte der Gräuel an der heiligen Stätte, der Stadt, dem Tempel und allem Gottesdienst darin den völligen Garaus. Jetzt, nach diesen drei merklichen Absätzen kann man auch den vorhabenden Psalm einteilen, wenn man ihn nämlich so in diese Grenzzeiten vom Überschritt des Alten Testaments in das Neue setzt. 2) Ist derselbe ein fröhliches Zeugnis davon, was GOtt allermeist beim Anbruch des Neuen Testaments durch die Verkündigung des Evangeliums von Seinem Reich habe hören lassen, zum Anzeichen, dass es nun mit der Offenbarung Seiner selbst am Weitesten gekommen sei, da Er zuletzt durch den Sohn geredet, V. 16. 3) Bei diesem aufgegangenen Licht solle nun Opfer und Speisopfer aufhören, so, dass diejenigen, die ihr Ohr zur Wahrheit neigen, freundlich und gründlich unterwiesen werden, wie sie von Opfern ab- und zur wahren Anbetung GOttes im Geist und in der Wahrheit kommen sollen, V. 7-15. 4) Da aber bei den ungläubigen Juden der Ruhm vom Gesetz, zur Verachtung des Evangeliums, immer fortgetrieben worden, und inzwischen doch die Ungerechtigkeit in allen Ständen überhand nahm, so kündigt ihnen GOtt ihren völligen Untergang an, bei nochmaliger Aufforderung zur Buße, V. 16-23. O! wie hat GOtt die Verachtung Seines Evangeliums an den Juden heimgesucht, und gezeigt, wie Er ihren fleischlichen Ruhm und ihr Vertrauen auf das Gesetz, Tempel und Opferdienst so für nichts achte, wie hat Er ihnen ihr Haus so wüste gelassen! Wie wollen wir entfliehen, so wir die Seligkeit nicht achten, die uns gepredigt wird, so wir aus JEsu Einsehungen einen neuen Dienst im Buchstaben machen, und den Geist dabei nicht erreichen, noch uns darum bekümmern? O! dass uns der Missbrauch des Evangeliums beim Beharren in der Ungerechtigkeit nicht noch zur Zeit der Not erst mit Schrecken müsse unter Augen gestellt werden!