Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen - Der 44. Psalm.
1. Eine Unterweisung der Kinder Korah, vorzusingen. 2. GOtt, wir haben es mit unseren Ohren gehört, unsere Väter haben es uns erzählt, was du getan hast zu ihren Zeiten vor Alters. 3. Du hast mit deiner Hand die Heiden vertrieben, aber sie hast du eingesetzt; du hast die Völker verderbt, aber sie hast du ausgebreitet. 4. Denn sie haben das Land nicht eingenommen durch ihr Schwert, und ihr Arm half ihnen nicht, sondern deine Rechte, dein Arm, und das Licht deines Angesichts, denn du hattest Wohlgefallen an ihnen. 5. GOtt, Du bist derselbe mein König, der du Jakob Hilfe verheißt. 6. Durch dich wollen wir unsere Feinde zerstoßen; in deinem Namen wollen wir untertreten, die sich wider uns setzen. 7. Denn ich verlasse mich nicht auf meinen Bogen, und mein Schwert kann mir nicht helfen; 8. Sondern du hilfst uns von unseren Feinden, und machst zu Schanden, die uns hassen. 9. Wir wollen täglich rühmen von GOtt, und deinem Namen danken ewig, Sela. 10. Warum verstößt du uns denn nun, und lässt uns zu Schanden werden, und ziehst nicht aus unter unserm Heer? 11. Du lässt uns fliehen vor unserm Feinde, dass uns berauben, die uns hassen. 12. Du lässt uns auffressen wie Schafe, und zerstreust uns unter die Heiden. 13. Du verkaufst dein Volk umsonst, und nimmst nichts darum. 14. Du machst uns zu Schmach unseren Nachbarn, zum Spott und Hohn denen, die um uns her sind. 15. Du machst uns zum Beispiel unter den Heiden, und dass die Völker das Haupt über uns schütteln. 16. Täglich ist meine Schmach vor mir, und mein Antlitz ist voller Schande. 17. Dass ich die Schänder und Lästerer hören, und die Feinde und Rachgierigen sehen muss. 18. Dies alles ist über uns gekommen; und haben doch deiner nicht vergessen; noch untreulich in deinem Bunde gehandelt; 19. Unser Herz ist nicht abgefallen, noch unser Gang gewichen von deinem Wege, 20. Dass du uns so zerschlägst unter den Drachen, und bedeckst uns mit Finsternis. 21. Wenn wir des Namens unsers GOttes vergessen hätten, und unsere Hände aufgehoben zum fremden GOtt: 22. Das möchte GOtt wohl finden; nun kennt Er ja unsers Herzens Grund. 23. Denn wir werden ja um deinetwillen täglich erwürgt, und sind geachtet wie Schlachtschafe. 24. Erwecke dich, HErr, warum schläfst du? Wache auf, und verstoße uns nicht gar. 25. Warum verbirgst du dein Antlitz, vergisst unsers Elends und Dranges? 26. Denn unsere Seele ist gebeugt zur Erde, unser Bauch klebt am Erdboden. 27. Mache dich auf, hilf uns, und erlöse uns, um deiner Güte willen.
Der 44. Psalm heißt in seiner Überschrift: Eine Unterweisung der Kinder Korah, vorzusingen. Seinem Inhalt nach hat er ganz was sonderbares; er enthält nämlich eine bewegliche Klage der Heiligen über eine allgemeine schwere Drangsal.
Bei solchen Umständen haben nun sonst die Gnadengenossen GOttes in ihren Bußgebeten demütige Sünden-Bekenntnis für sich und ihr ganzes Volk abgelegt, z. E. Dan. 9,5. 5.15. und Esaj. 64. In diesem Psalm aber berufen sich die heiligen Beter vielmehr auf ihren treulichen Wandel im Bunde GOttes, V. 18. Es liegt freilich unter solchen Gebeten etwas Unaussprechliches, das eigentlich Dem allein bewusst ist, der an des Herzens Grunde ersieht seine Lust, es ist etwas tiefes, warum der Geist der Gnade und des Gebets die Heiligen GOttes das einmal so stimmt, dass sie sich bei der Demütigung vor GOtt und Bekenntnis der Sünden unter dem allgemeinen Haufen der Übertreter hinstellen, und allen Ruhm und Trost ihres guten Gewissens gleichsam darüber vergessen; das anderemal aber sie mit so vieler Freudigkeit zu GOtt ausrüstet, dass sie ihren geängsteten Geist und zerschlagenes Herz darbringen, als ein Opfer, das Er nicht verachten werde, und dabei sie von ihrem rechtschaffenen Anhangen an GOtt so reden, als wie wenn sie ihrer selbst und ihres Volks halber keine Anklage zur Beschämung wider sich hätten. Der Geist vertritt die Heiligen, je nachdem es GOtt gefällt. Sieht man in jüdischen Geschichten nach, in welche Zeit man diesen Psalm sehen könnte, so taugt er entweder um die Zeit der Babylonischen Gefangenschaft und selbige Zertretung des Volks, wiewohl damals der Gläubigen wenig worden ist unter dem Volk, oder man kann ihn auch in die Zeit der Makkabäer zu selbigem Druck rechnen, und da scheint es, es habe noch mehr redliche Bekenner gegeben. Aus Röm. 8,36. ist abzunehmen, dass man solchen Psalm noch weiter hinaus, auch auf die Versuchungen der christlichen Kirche deuten darf, als von welcher Paulus den Psalm anzieht. Übrigens kann man im Psalm folgende Abteilung bemerken; 2) Die gläubigen Beter halten es dem lieben GOtt vor, wie Er sich ehemals zu ihnen und ihren Vätern so nahe getan habe, V. 29. 3) Sie stellen beweglich vor, wie GOtt hingegen jetzt so ferne trete, und sie doch unter allen Versuchungen so treulich an ihm gehalten haben, V. 10 23. 4) Den Beschluss macht eine sehnliche Bitte um baldige Hilfe, V. 24-27. O, was ist GOtt für ein verborgener GOtt, wie muss man auch beim Glauben nicht meinen, dass man Ihn am Schnürlein habe, Er kommt durch Umwege, durch widrig scheinende Wege zu Seinem Zweck, Er kann abbrechen, was Er selbst gebaut, Er kann ausrotten, was Er selbst gepflanzt hat, Sein Reich verliert dabei doch nichts, was die Kirche GOttes unter solcherlei Druck zu verlieren scheint, das wird durch den Sieg der rechtschaffenen, durch der Überbleibenden bewährte Gottseligkeit, und durch die unter dem Leiden erlangte heilsame Erfahrung reichlich ersetzt. Pauli Sieges-Lied: Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe GOttes, die in Christo JEsu ist, unserm HErrn, findet sich erst nach dergleichen Kreuzes-Psalm, wie dieser 44. Psalm einer ist.