Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen - Der 120. Psalm.
1. Ein Lied im höhern Chor. Ich rufe zu dem HErrn in meiner Not, und er erhört mich. 2. HErr, errette meine Seele von den Lügenmäulern, und von den falschen Zungen. 3. Was kann dir die falsche Zunge tun? Und was kann sie ausrichten? 4. Sie ist wie scharfe Pfeile eines Starken, wie Feuer in Wachholdern. 5. Wehe mir, dass ich ein Fremdling bin unter Mesech; ich muss wohnen unter den Hütten Kedars. 6. Es wird meiner Seele lange zu wohnen bei denen, die den Frieden hassen. 7. Ich halte Frieden; aber wenn ich rede, so fangen sie Krieg an.
Der 120. Psalm hat mit vielen nachfolgenden Psalm 1) die Überschrift: Ein Lied im höheren Chor; worüber die Gedanken der Ausleger nicht einig sind: Ob es sich auf die Art der Musik, wie sie beim Gottesdienst abgesungen wurden, oder auch auf den Inhalt des Psalms beziehe? Der jetzt vorhabende Psalm hat in manchen deutschen Bibeln die Überschrift: Stille Tränen in Kedar, und so spürt man auch wirklich im Psalm ein zu GOtt gerichtetes Herz, das sich unter dem Druck im Jammertal fasst, und besonders die Versuchung, von bösen Zungen angegriffen zu werden, überwindet. 2) Er fängt mit einer guten Nachricht an, wie ihn seine Not ins Gebet getrieben, und wie es nicht ohne Erhörung geblieben, V. 1. 2. 3) Er klagt aber doch hernach beweglich, wie viel es ihm zu schaffen gemacht, und wie sich sein Pilgrims Sinn in ein so ernstliches Heimweh treibe, V. 3-7. Selig sind die Sanftmütigen, selig sind die Friedfertigen, das sind die zwei in der Bergpredigt so bedächtlich in einem Bezug aneinander gesetzte Pünktlein. Das erste gehört zum Eintritt in die wahre Gerechtigkeit, das Andere zu derselben Läuterung und Bewährung. Sanftmut legt den guten Grund, und Friedfertigkeit stärkt, dass man nicht von Lügenmäulern und falschen Zungen überwunden wird, sondern ihr Böses mit Gutem überwindet. Ohne Kampf gehts freilich nicht ab, und wenn man sich schon selbst zusprechen will, was ists dann, was kann dir die falsche Zunge tun, so bricht doch die Empfindlichkeit immer wieder, wie eine nicht gründlich geheilte Wunde auf, bis Gebet und dessen Erhörung, Hoffnung, jene Häuser des Friedens in der verheißenen Ruhe zu erreichen, als Balsam darein fließt und gründlich heilt.
Glaub und leid,
Lieb und meid,
In gar wenig Stunden
Ist es überwunden.