Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen – Der 110. Psalm.
1. Ein Psalm Davids. Der HErr sprach zu meinem HErrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße lege. 2. Der HErr wird das Zepter deines Reichs senden aus Zion. Herrsche unter deinen Feinden. 3. Nach deinem Sieg wird dir dein Volk williglich opfern in heiligem Schmuck. Deine Kinder werden dir geboren, wie der Tau aus der Morgenröte. 4. Der HErr hat geschworen, und wird ihn nicht gereuen: Du bist ein Priester ewig, nach der Weise Melchisedechs. 5. Der HErr zu deiner Rechten wird zerschmeißen die Könige zur Zeit seines Zorns; 6. Er wird richten unter den Heiden, er wird große Schlacht tun; er wird zerschmeißen das Haupt über große Lande. 7. Er wird trinken vom Bach auf dem Wege; darum wird er das Haupt empor heben.
Der 110. Psalm heißt 1) in seiner Überschrift: Ein Psalm Davids. Unser lieber Heiland selbst zieht ihn an, und sagt: David habe darin im Geist geredet; und in der Tat zeugt der Psalm von einer ganz besonderen Erleuchtung, wodurch David im Geist über den Schatten seiner Zeit hinüber gehoben ward, und vom Königreich und ewigen Priestertum Christi, mithin von den größten Geheimnissen des Evangelii, so hell und nachdrücklich zeugen konnte. Zugleich bewies sich auch an ihm ein solch fester Glaube, mit welchem er sich an diese heimlichen Wahrheiten gehalten, eine solche Freude, in welcher er mit GOtt und Seinem Gesalbten darüber geredet, dass es also zusammen ein rechtes Gespräch im Geist heißen mag. Hieraus ergibt sich auch die Einteilung des Psalms am leichtesten, denn es kommt deutlich vor:
Ein doppelter Ausspruch vom HErrn.
Der HErr sprach, V. 1, und der HErr hat geschworen, V. 4, woraus David den großen Aufschluss und hernach über beides eine liebliche Gratulation bekommen, womit sich David in erfreutem Geist teils zu Christo, teils zu dem himmlischen Vater wendet, und damit zugleich seinen erfreuten Glauben über diese großen Dinge also bezeugt.
2) Den Ausspruch GOttes vom Reich Seines lieben Sohnes, und Davids darüber bezeugte Freude, V. 3. Welch einen gnädigen Zutritt David dabei zum Hören bekommen, was der HErr zu Seinem HErrn gesprochen hat! Welch eine Würdigkeit der Schrift: dass in derselben vorkommt, nicht nur was GOtt mit den Menschen redet, sondern auch das, was selbst zwischen dem Vater und Sohn im Schoos vorgegangen und veranstaltet worden ist! Tiefer Verstand vom Reich Christi, wie es mit dem Sitzen zur Rechten angegangen, dieser Thron aber nicht gleich mit der Exekution und Aufreibung der Feinde befestigt worden ist, sondern deshalb eine in Zeiten und Stunden gefasste Haushaltung und Ordnung angegangen ist, in welcher nun Alles nach einander ablauft und gegen welche Verordnung des Vaters der Sohn in einer kindlichen Ergebenheit und Warten steht. Inmittelst wird dies Königreich in der Welt mit Nachdruck und Segen gepredigt, und es gibt ein Herrschen mitten unter den Feinden ab. Die Kraft des Heiligen Geistes, den Jesus vom Thron aussendet, erfüllt die Herzen Seines Volks mit Willigkeit und manchen andern schönen Gaben, und es werden ihm immer Kinder des Reichs geboren, wie der Tau aus der Morgenröte.
3) Kommt vor der Ausspruch GOttes vom ewigen Priestertum Seines Sohnes, und Davids Anrede au den himmlischen Vater, und darüber bezeugte Freude, wie der von Ihm eingesetzte König und Priester sein Amt führen werde, V. 47. Sonst schwöret Der, der das Amt über sich nimmt, hier aber Der, der es überträgt, weil auch so viel daran gelegen ist, von dem festen und unabänderlichen Vorsatz gewiss zu sein, auf welchem Alles beruhet. Gegen den Sohn rühmt David, V. 2. 3., was der Vater an Ihm zur Ausbreitung Seines Reichs tun werde; gegen den Vater aber, wie der Sohn beim Königreich und Priestertum Alles nach dem Willen und zum Wohlgefallen des Vaters ausführen werde. O! wie wird dieser Psalm noch weiter, wenn es auf Offenb. Joh. 16, 13. 14. 19. und 18, 19. hinaus geht, genützt und verstanden werden. „Wie haben die lieben Väter im Alten Testament ihren Artikel vom zukünftigen Christo so wohl und so fest gefasst!“ schreibt unser lieber sel. Luther; wie haben sie so fröhlich und von ganzem Herzen des gewartet, als hätten sie keine andere Freude und Trost auf Erden. Könnten wir unserer fröhlichen herrlichen Auferstehung und des ewigen Lebens auch eben so gewiss und fröhlich warten, wäre unser Herz auch des Glaubens so voll, was würde fehlen, dass wir nicht auch solche schöne fröhliche Psalm sollten machen?