Rieger, Carl Heinrich - Sacharia - Das fünfte Kapitel

enthält zwei Gesichte, die aber keine so fröhliche Bedeutung mehr haben, wie die bisherigen, sondern vielmehr zu erkennen geben, wie falsche Lehre und Ungerechtigkeit im Handel und Wandel das neuangebaute Land Israel wieder verwüsten, und neue Gerichte über das Volk ziehen werde.

1. Das erste Gesicht mit seiner Deutung.

1. Und ich hob meine Augen abermals auf, und sah, und siehe, es war ein fliegender Brief. 2. Und er sprach zu mir: Was siehst du? Ich aber sprach: Ich sehe einen fliegenden Brief, der ist zwanzig Ellen lang und zehn Ellen breit. 3. Und er sprach zu mir: Das ist der Fluch, welcher ausgeht über das ganze Land; denn alle Diebe werden nach diesem Briefe fromm gesprochen, und alle Meineidige werden nach diesem Brief fromm gesprochen. 4. Aber ich will es hervor bringen, spricht der HErr Zebaoth, dass es soll kommen über das Haus des Diebes, und über das Haus derer, die bei meinem Namen fälschlich schwören; und es soll bleiben in ihrem Hause, und soll es verzehren samt seinem Holz und Steinen.

Bisher waren dem Propheten meist fröhliche oder doch auf das Fröhliche ausschlagende Dinge gezeigt, nun kommt was Betrübtes und Gerichtliches vor. Einige deuten diesen fliegenden Brief auf die unter dem Judenvolk aufgekommene Lehre der Pharisäer und Schriftgelehrten, bei deren falschen Erklärung des Gesetzes Diebe und Meineidige sich fromm machen und rechtfertigen konnten, welches viel Verderben und Zorn GOttes nach sich zog. Andere aber wollen lieber den fliegenden Brief für ein wirkliches Dekret GOttes ansehen, darin der Fluch oder GOttes Zorn und die daraus kommen den Strafen Allen, die im Lande wohnen, angekündigt werden, eben über die schreckliche Sicherheit, bei welcher sich jeder Dieb fromm und jeder Meineidige unschuldig gemacht hat. So beschreibt wenigstens Malachia die Versuchungen der nächstfolgenden Zeiten, Malach. 3, 15. wir preisen die Verächter, die Gottlosen nehmen zu, sie versuchen GOtt, und geht ihnen Alles wohl hinaus. Aber eben dieser Beredung und allem an der Langmut GOttes genommenen Ärgernis sollte durch diesen fliegenden Brief, durch dies göttliche Patent, gesteuert, und behauptet werden, dass sich zwar Mancher lange an dem Schatz des Zornes sammeln könne; GOtt aber Alles hervorbringen, und Keiner sein ungerechtes Gut gegen den Fluch GOttes sicher stellen werde.

II. Das zweite Gesicht mit seiner Deutung.

5. Und der Engel, der mit mir redete, ging heraus und sprach zu mir: Hebe deine Augen auf und siehe, was geht da heraus? 6. Und ich sprach: Was ist es? Er aber sprach: Ein Epha geht heraus, und sprach: Das ist ihre Gestalt im ganzen Lande. 7. Und siehe, es schwebte ein Zentner Blei; und da war ein Weib, das saß im Epha. 8. Er aber sprach: Das ist die gottlose Lehre. Und er warf sie in den Epha, und warf den Klumpen Blei oben aufs Loch. 9. Und ich hob meine Augen auf, und sähe, und siehe, zwei Weiber gingen heraus und hatten Flügel, die der Wind trieb; es waren aber Flügel wie Storchsflügel, und sie führten den Epha zwischen Erde und Himmel. 10. Und ich sprach zum Engel, der mit mir redete: Wo führen die den Epha hin? 11. Er aber sprach zu mir: Dass ihm ein Haus gebaut werde im Lande Sinear, und bereitet, und daselbst gesetzt werde auf seinen Boden.

Ein Epha ist ein Kornmaß zur selbigen Zeit gewesen, wie bei uns heutigen Tags ein Simri oder Vierling. An dessen Gestalt und Größe muss etwas Betrügliches gewesen sein; wie denn der tapfere Nehemia schon zu seiner Zeit an dem aus Babel zurückkommenden Volk der Juden, und sonderlich an den Angesehenern und Vermöglichern unter ihnen das sehr geahndet, dass sie mit Geld, Getreide, Most und Öl so an ihren Brüdern wucherten. Nehem. 5, 1. 2. 7. S. 11 - 13. und diese Gottlosigkeit muss dann immer wieder das Haupt aufgerichtet haben. Luther gibt es gar oft, gottlose Lehre, eitle Lehre, falsche Lehre, wenn es überhaupt heißt: Gottlosigkeit, Eitelkeit, Falschheit. Weil er zu seiner Zeit allermeist mit der Lehre zu kämpfen hatte; und es überhaupt häufig geschieht, dass die Gottlosigkeit auch mit eigenen ihr günstigen Lehren unterstützt wird. Nach diesem Gesicht des Propheten aber sollte diese Gottlosigkeit so heimgesucht, und von der gewaltigen Hand GOttes durch den Engel so niedergedrückt und in ihrem eigenen Bösen so verstrickt und gefangen werden, dass kein Ausgang mehr zu finden. Wenn von den vielen Geschichten, was sich von den mit ungerechtem Gut Verstrickten nach ihrem Tod habe spüren lassen, auch nur das Tausendste wahr ist, so könnte man daraus sehen, wie Mancher auch nach dem Tod in seinem verfälschten Epha sitzen bleiben, und noch selber ein Augenzeuge sein müsse, wie sein Haus vom Fluch GOttes verzehrt wird. Wenigstens bringen besonders Sünden der Ungerechtigkeit am Nächsten begangen in den Kerker, darin auf Bezahlung des letzten Hellers gedrungen wird. Dass der Epha von zwei Weibern, die man bei ihrem Geschäft und Munterkeit, den Willen GOttes auszurichten, für nichts anders als für zwei gute Geister ansehen kann, ins Land Sinear geführt worden ist, deutet man insgemein auf die nochmalige und bis jetzt anhaltende Zerstreuung des jüdischen Volks, wodurch sie zwar unter alle Völker getrieben wurden, anfänglich aber doch die Mehrsten noch in den morgenländischen Gegenden, Persien und ihren Grenzen blieben, und daselbst ihren Talmud mit großer Verleugnung alles geistlichen Sinnes schmiedeten, und auch dadurch in dem irdischen Sinn schrecklicher verstrickt wurden, in welchem sie noch vor aller Welt Augen als ein im Handel und unersättlicher Begierde, Geld und Gut zu gewinnen und Betrug zu spielen, versenktes Volk wie in ihrem betrüglichen Epha gefangen sitzen. O wie hat es der HErr JEsus schon zu seiner Zeit als das beträchtlichste Hindernis angetroffen, warum Sein Wort nicht unter ihnen fange: die Dornen, die Sorgen und Lüste dieses Lebens, der betrügliche Reichtum erstickten es. Die Pharisäer waren geizig, und verspotteten Seine Lehre. Sie fraßen der Witwen Häuser unter dem Vorwand langer Gebete. Darum ist auch der HErr JEsus mit der Wahrheit Seiner Lehre diesem jüdischen Sinn so oft entgegen gegangen.

Selig sind die Armen; sammelt euch nicht Schätze auf Erden; wie schwerlich wird ein Reicher ins Himmelreich kommen; du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; es war ein reicher Mann, der kleidete sich alle Tage usw.

O welch ein Unterschied, ob einer im irdischen Sinn immer tiefer in die Erde hineinwächst, oder ob eine Seele durch heilige Begierden und Seufzer so im Unsichtbaren wurzelt, dass am Ende sie die Engel dahin bringen können, wo Schatz und Herz schon längst beisammen gewesen sind.

Wo JEsus wird geschaut,
Da sehn' ich mich hinein,
Wo Jesus Hütten bauet,
Denn dort ist gut zu sein!

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autoren/r/rieger_k/12_kleine_propheten/sacharia/rieger_-_sacharia_5.txt · Zuletzt geändert: von aj
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