Rieger, Carl Heinrich - Sacharia - Das elfte Kapitel
besteht aus gewaltigen Zeugnissen von GOttes Güte und Ernst über Israel, oder bildet ab wie es vom letzten Umgraben und Bearbeiten dieses Baums so plötzlich zum Umhauen und Ausrotten desselben gekommen sei.
I. Die Zerstörung des Tempels wird als eine, den bösen Hirten sehr empfindliche Strafe angekündigt.
*1. Tue deine Tür auf, Libanon, dass das Feuer deine Zedern verzehre. 2. Heult, ihr Tannen, denn die Zedern sind gefallen, und das herrliche Gebäude ist verstört. Heulet, ihr Eichen Basans, denn der feste Wald ist umgehauen. 3. Man hört die Hirten heulen, denn ihr herrliches Gebäude ist verstört, man hört die jungen Löwen brüllen, denn die Pracht des Jordans ist verstört.
Zu den Zeiten Sacharjä war der Tempel kaum wieder aus seinem ersten Brand und Ruin ein wenig aufgerichtet, und die damaligen Knechte GOttes hatten sonst genug zu tun, den Glauben und die Hände der Leute zu diesem Werk zu stärken. Wie soll denn schon die Drohung vom abermaligen Untergang dazwischen kommen? Hat doch GOtt auch gleich bei der Aufrichtung des ersten Tempels dem Salomo 2. Chron. 7, 20. 21. im Gesicht gesagt: und dies Haus, das ich meinem Namen geheiligt habe, werde ich von meinem Angesicht werfen usw. Doch hat GOtt hier beim Sacharja diese Drohung in eine gewisse Dunkelheit eingewickelt, dass man es zu Sacharjä Zeiten nicht gleich so offenbar auf den Tempel deuten konnte. Denn der Tempel ward nicht gleich so kostbar gebaut, mit Zedern aus Libanon, sondern in kümmerlichen Zeiten kümmerlich. Aber je näher es zu dem hier angedrohten Untergang kam, je prächtiger ist er worden. Zu Christi Zeiten sagten die Juden: Schon 46 Jahre baue und repariere man daran, Joh. 2, 20. und noch in seinen letzten Tagen heißt es: sie zeigten ihm das Bauwesen am Tempel, welches bis gegen die letzten Jahre hin soll gedauert haben. Also je mehr seine äußere Pracht stieg, desto näher war sein Zerfall. Wenn es oft am meisten ins äußerliche Aufnehmen geht, so nimmt die innere Kraft ab, und man wird vor GOtt zum Aas, und für die Adler oder Heere GOttes zur Strafe reif. Euer Haus soll euch wüste gelassen werden, war der letzte Ruf JEsu in demselben, Matth. 23, 38. Das eine Mal heißt es: die Hirten heulen, und das andre Mal: die jungen Löwen brüllen. Im Tempel GOttes saßen sie sonst als Hirten, und wollten diesen schönen Namen haben. Aber nachdem sie dies Bethaus zur Mördergrube gemacht, so war auch für sie der rechte Name: junge Löwen.
II. Zur Zeit, da es so dem Untergang zuging, ward doch der gute Hirte bestellt.
4. So spricht der HErr, mein GOtt: Hüte der Schlachtschafe. 5. Denn ihre Herren schlachten sie und halten es für keine Sünde, verkaufen sie und sprechen: Gelobt sei der HErr, ich bin nun reich; und ihre Hirten schonen ihrer nicht. 6. Darum will ich auch nicht mehr schonen der Einwohner im Lande, spricht der HErr. Und siehe, ich will die Leute lassen einen Jeglichen in der Hand des Andern, und in der Hand seines Königs, dass sie das Land zerschlagen; und will sie nicht erretten von ihrer Hand.
So hat der HErr JEsus den Zustand im jüdischen Land mit Jammer angetroffen. Durch innerliche Uneinigkeit, Neid, Begierde, Schaden zu tun, lieferte immer Einer den Andern zu desto härterem Druck in die Hand ihres Königs. Dadurch ist der Römer Macht über die Juden so groß worden, weil immer Einer den Andern zu Rom verklagt, und mit Hilfe Roms den Andern unterdrückt hat. Wie auch nachgehends der weltliche Arm über die Kirche so stark worden, da der Priester Neiden und Streiten unter einander dem König Alles in die Hände spielte. So mitten unter den Wölfen traf der HErr JEsus die Schlacht Schafe, die Kinder des Todes, an, denen Er zum Heil gesandt war.
III. Wie der liebe Sohn GOttes diesen Ruf Seines himmlischen Vaters angenommen, und demselben nachgekommen sei?
7. Und ich hütete der Schlachtschafe um der elenden Schafe willen; und nahm zu mir zwei Stäbe, einen hieß ich Sanft, den andern hieß ich Weh; und hütete der Schafe.
Er achtete also der Schafe, und hielt es um der elenden Schafe willen, denen aber noch zu raten war, wohl der Mühe wert, sich an diesen verdorbenen Zustand zu machen. Aber freilich mit zwei Stäben gerüstet, deren Gebrauch nun weiter gemeldet wird. IV. Was tat er denn mit dem Stab Wehe?
8. Und ich vertilgte drei Hirten in Einem Monat; denn ich mochte ihrer nicht, so wollten sie meiner auch nicht. 9. Und ich sprach: Ich will eurer nicht hüten; was da stirbt, das sterbe; was verschmachtet, das verschmachte; und die Übrigen fresse ein Jegliches des Andern. Fleisch.
So ging es nach den Zeiten Christi vor und bei der Zerstörung Jerusalems her, wie Er ihnen treulich zuvor bezeuget hat. Da wurden Hausväter mit ihren Lämmern, Lehrer mit ihren Schafen, Obrigkeiten mit ihren Untergebenen mit Einem Male vertilgt, nachdem die Langmut des guten Hirten an ihnen ausgegangen, und sie auf ihrem Nichtwollen bestanden. Was war das für ein sonderbarer Grimm, in welchem sie auf die holdselige Hirtenrede JEsu, Joh. 10., antworteten: Er hat den Teufel, und ist unsinnig, was hört ihr ihm zu? Vers 20.
V. Wie ging es aber bei solchen Umständen mit dem Stab Sanft?
10. Und ich nahm meinen Stab Sanft, und zerbrach ihn, dass ich aufhöbe meinen Bund, den ich mit allen Völkern gemacht hatte. 11. Und er ward aufgehoben des Tages. Und die elenden Schafe, die auf mich hielten, merkten dabei, dass es des HErrn Wort wäre.
Des Weidens in der Jüdischen Kirche wurde ein völliges Ende gemacht, der Bund, in dessen Betracht zur Bestätigung der Wahrheit GOttes alles Bisherige geschehen, ward aufgehoben, und dagegen mit allen Völkern aufgerichtet; das Reich GOttes wurde von ihnen genommen und den Heiden gegeben. Welches zwar auch von Seiten der Gläubigen aus den Juden nicht ohne manchen Kampf abgegangen ist, doch aber endlich zu ihrer merklichen Stärkung und Freudigkeit im Glauben gedient hat, nachdem sie sahen, dass das Christentum nicht hätte aufkommen können, wenn nicht das Judentum so tief wäre heruntergesetzt worden.
VI. Was wird als die Hauptverschuldung angeführt, womit sich Israel dies Gericht zugezogen, dass sich GOttes Bund von ihnen zu den Heiden gewendet?
12. Und ich sprach zu ihnen: Gefällt es euch, so bringt her, wie viel ich gelte; wo nicht, so lasst es anstehen. - Und sie wogen dar, wie viel ich galt, dreißig Silberlinge. 13. Und der HErr sprach zu mir: Wirf es hin, dass es dem Töpfer gegeben werde. Ey, eine treffliche Summe, der ich wert geachtet bin von ihnen. Und ich nahm die dreißig Silberlinge, und warf sie ins Haus des HErrn, dass dem Töpfer gegeben würde.
Mit der Übergabe des HErrn JEsu an die Heiden wird auch nachmals in der Evangelischen Geschichte dieser leidige Kauf der dreißig Silberlinge verbunden, Matth. 17, 9. 10., und durch den davon erkauften Töpfers Acker ist die Wahrheit besser ans Licht gebracht worden, da sie selbige sonst gern vertuscht hätten.
VII. Wie ging es endlich mit dem andern Stab Wehe?
14. Und ich zerbrach meinen andern Stab Weh, dass ich aufhöbe die Brüderschaft zwischen Juda und Israel.
So sieht nun schon geraume Zeit der Zustand des Jüdischen Volks aus - GOtt ist nimmer mit dem Stab Weh hinter ihnen drein, wie in vorigen Zeiten, sondern sie können meist so ruhig und gemächlich in ihrer Zerstreuung leben, als sonst andere Völker. Es legitimiert sich daher nimmer an eines Juden Gewissen, wenn man sie so als ein unter dem Fluch liegendes Volk vorstellen will. Sie spüren es vielmehr, dass der Stab Wehe zerbrochen ist, und dass sie zwar nicht so viel zu Kräften kommen, und wieder in Ein Volk zusammenfließen können, das fürs Christentum gefährlich werden könnte, aber doch, dass ihnen GOtt Ruhe lässt, in ihrer Zerstreuung an den GOtt ihrer Väter zu gedenken, ihre Wege zu betrachten. Dabei es dann freilich ihrerseits nicht ohne nähere Neigung zum Evangelio Christi abgeht, und auch unter den Christen nach und nach manche Ärgernisse weggeräumt werden, z. E. der gar bittere Hass im gemeinen Volk, manche Streitigkeiten unter den Gelehrten usw., aus welchem Allem zusammen man wohl sehen kann, was es ist, dass der Stab Wehe über das Jüdische Volk zerbrochen ist. Was aber das Aufheben der Brüderschaft zwischen Juda und Israel sagen wolle, davon merke man sich etwa folgendes: Seit der Trennung der beiden Reiche hat diese Brüderschaft mancherlei Veränderungen erlitten, sonderlich nachdem die zehn Stämme meist in ihrer durch die Assyrische Gefangenschaft veranlassten Zerstreuung blieben, Juda aber sich nach seiner Wiederkunft aus Babel in seinem Land baute, und noch je und je das Haupt aufrichtet. Auf Juda hauptsächlich haftete die Verheißung, dass aus ihm der König Israels kommen sollte, weil aber eben diese aus Juda Den, der da kam im Namen des HErrn, nicht erkannten, sondern an Ihm der Propheten Schriften erfüllten, und darum in der nachmaligen Predigt des Evangeliums sich es mussten sagen lassen, dass sie den guten Hirten getötet hätten, so wurden sie dadurch dem Evangelio besonders abgeneigt. Eben das war auch für die unter den Griechen und Heiden Zerstreuten aus Israel ein Hindernis am Glauben, so lange sie noch über dieser Brüderschaft Juda hielten, und aus derselben eines andern warteten, der Israel erlösen sollte. Je mehr aber durch die ganze Folge der Zeit sich zeigte, dass aus Juda so wenig mehr was zu hoffen sei als aus Israel, je weniger stand diese Brüderschaft mehr im Weg, und es hat jetzt Einer so wenig mehr auf den andern zu sehen, man mehr den Unterschied der Stämme aus einander sehen kann.
VIII. Wie ist es aber mit dem Reich GOttes unter den Heiden gegangen, und haben die schönen Früchte desselben Bestand gehabt?
15. Und der HErr sprach zu mir: Nimm abermals zu dir Geräte eines törichten Hirten. 16. Denn siehe, ich werde Hirten im Land aufwecken, die das Verschmachtete nicht besuchen, und das Zerschlagene nicht suchen, und das Zerbrochene nicht heilen, und das Gesunde nicht versorgen werden; aber das Fleisch der Fetten werden sie fressen, und ihre Klauen zerreißen. 17. Götzenhirten, die die Herde lassen. Das Schwert komme auf ihren Arm und auf ihr rechtes Auge. Ihr Arm müsse verdorren, und ihr rechtes Auge dunkel werden.
Was es unter dem Jüdischen Volk verderbt hat, das ist auch das Verderben in der Christlichen Kirche worden. Das Gemenge des Geistlichen und Leiblichen, da man bei geistlichen Sachen und unter ihrem Vorwand sich nach aller Welt Weise Ehre, Reichtum, Gewalt suchen und ausüben wollte, darüber aber vom Geist und der Kraft, vom Balsam und Öl des Evangelii, von der Pflege der Schwachen ganz abkam. Das machte den großen Schaden im Papsttum. Davon hat GOtt zwar einige Hilfe geschafft durch die Reformation. Aber da man freilich weder allen Lehrern noch Zuhörern den Geist Christi geben, und sie unter dessen Regiment bringen konnte, so hat man eben auch in der evangelischen Kirche die Ordnung beibehalten müssen, dass Kirchensachen unter dieser weltlichen Form mit obrigkeitlicher Autorität betrieben werden, worunter Manches übertrieben, Manches versäumt wird. Ein gewissenhafter Christ aber muss sich nun damit leiden, bis GOtt weitere Hilfe schaffen wird, und inzwischen fleißig beten:
Ach, segne all' Dein Wort mit Kraft an unseren Seelen,
Lass Deinen Schäflein nie an guter Weide fehlen ;
Such' das Verirrte Selbst, bind' das Verwund‘te zu;
Das Schlafende weck' auf, das Müde bring' zur Ruh'.