Rieger, Carl Heinrich - Über die zwölf kleinen Propheten - Obadja - Das erste Kapitel
I. Der Prophet setzt einen nachdenklichen Eingang zu seiner Weissagung.
1. Dies ist das Gesicht Obadja. So spricht der HErr HErr von Edom: Wir haben vom HErrn gehört, dass eine Botschaft unter die Heiden gesandt sei: Wohlauf, und lasst uns wider sie streiten.
Ob der Prophet diese Weissagung nach Edom geschickt, und sie daselbst bekannt gemacht habe; oder ob er nur beim Volk Israel eine solche Nachricht von Edom beigelegt, und den Aufmerksamen eine Verwahrung vor Ärgernis und eine Stärkung ihres Glaubens beigebracht habe? steht dahin. Es sei eines oder das Andere, so war dem Propheten meist darum zu tun, dass man dies Wort nicht für eine Mutmaßung, nicht für ein aus politischen Gründen gestelltes Prognostikon ansehe, sondern es als ein Wort des HErrn, das einen Glaubensgrund abgibt, aufnehme. Was als ein Rat der Heiden beschlossen, und unter den Völkern durch Botschaften ausgemacht ward, davon war noch früher was vom HErrn zu vernehmen; denn auch darin liegt ein Beweis von dem Königreich des HErrn, dass Er sich zu allen Zeiten auch anderer Völker, ihres Aufkommens und Unterganges so angenommen hat, und so zuverlässig davon hat verkündigen lassen.
II. Nun wird es umständlich beschrieben, was der HErr HErr von Edom gesprochen habe.
2. Siehe, ich habe dich gering gemacht unter den Heiden und sehr verachtet. 3. Der Hochmut deines Herzens hat dich betrogen, weil du in der Felsen Klüften wohnst, in deinen hohen Schlössern; und sprichst in deinem Herzen: Wer will mich zu Boden stoßen? 4. Wenn du denn gleich in die Höhe führst, wie ein Adler, und machtest dein Nest zwischen den Sternen; dennoch will ich dich von dannen herunter stürzen, spricht der HErr. 5. Wenn Diebe oder Verstörer zu Nacht über dich kommen werden, wie sollst du so zunichte werden! Ja, sie sollen genug stehlen: und wenn die Weinleser über dich kommen, so sollen sie dir kein Nachlesen übrig bleiben lassen. 6. Wie sollen sie den Esau ausforschen, und seine Schätze suchen! 7. Alle deine eigene Bundesgenossen werden dich zum Lande hinausstoßen; die Leute, auf die du deinen Trost setzt, werden dich betrügen und überwältigen; die dein Brot essen, werden dich verraten, ehe du es merken wirst. 8. Was gilt es, spricht der HErr, ich will zu derselbigen Zeit die Weisen zu Edom zunichte machen, und die Klugheit auf dem Gebirge Esau? 9. Denn deine Starken zu Theman sollen zagen, auf dass sie alle auf dem Gebirge Esau durch den Mord ausgerottet werden.
O wie kann GOttes gewaltige Hand Alles zunichte machen, auf was sich ein Mensch, Land und Volk verlassen will. Wie ist Derjenige, welchen sein eigen Herz einmal betrogen und zum Hochmut verleitet hat, so vielem andern Betrug ausgesetzt, denn alles Nichtige, womit er seine hohen Gedanken unterstützt, wird ihn betrügen, und kann ihn nicht retten gegen GOtt, der den Hoffärtigen widersteht. Beim Propheten Obadja ließ sichs zwar ansehen, als ob Edoms Unfall bloß durch Menschenhände ginge, von der Feinde Grausamkeit und List, von der vormaligen Freunde ihrer Untreue so bereitet würde. Aber Jerem. 49,10. schreibt sichs der starke GOtt selber zu: Ich habe Esau entblößt, und seine heimlichen Orte geöffnet, dass er sich nicht verstecken kann. Darum wer sich rühmen will, der rühme sich des, dass er den HErrn kenne, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden. Alles Andere ist wie Heu, wann des HErrn Geist darein blast.
III. Nun wird die Schuld, womit Edom sich solches Gericht zugezogen habe, dergestalt beschrieben, dass die noch besser Gesinnten unter Edom daraus eine Abmahnung nehmen könnten, von ihrem bisherigen Wandel nach väterlicher Weise abzustehen.
10. Um des Frevels willen, an deinem Bruder Jakob begangen. 11. Zu der Zeit, da du wider ihn standest, da die Fremden sein Heer gefangen wegführten, und Ausländer zu seinen Toren einzogen, und über Jerusalem das Los warfen; da warst du gleich wie derselbigen einer. Darum sollst du zu allen Schanden werden, und ewig ausgerottet sein. 12. Du sollst nicht mehr so deine Lust sehen an deinem Bruder zu der Zeit seines Elendes, und sollst dich nicht freuen über die Kinder Juda zu der Zeit ihres Jammers, und sollst mit deinem Maul nicht so stolz reden zu der Zeit ihrer Angst; 18. Du sollst nicht zum Tor meines Volks einziehen zu der Zeit ihres Jammers; du sollst nicht deine Lust sehen an ihrem Unglück zu der Zeit ihres Jammers; du sollst nicht wider sein Heer schicken zu der Zeit seines Jammers; 14. Du sollst nicht stehen an den Wegscheiden, seine Entronnenen zu morden; du sollst seine Übrigen nicht verraten zu der Zeit der Angst. 15. Denn der Tag des HErrn ist nahe über alle Heiden. Wie du getan hast, so soll dir wieder geschehen; und wie du verdient hast, so soll dirs wieder auf deinen Kopf kommen. 16. Denn wie ihr auf meinem heiligen Berge getrunken habt, so sollen alle Heiden täglich trinken; ja sie sollen es aussaufen und verschlingen, dass es sei, als wäre nie nichts da gewesen.
Im 137. Psalm V. 7. haben die Heiligen GOttes in einem durchdringenden Seufzer es Dem übergeben, der da recht richtet: HErr, gedenke der Kinder Edom am Tage Jerusalems, die da sagen: rein ab, rein ab, bis auf ihren Boden. Durch den Propheten wird die göttliche Antwort auf dies Angstgeschrei gegeben, und das göttliche Vergeltungsrecht versichert. Wie genau, wie oft eingeschärft, wie tief in aller Menschen Gewissen gegraben ist das: wie du getan hast, so soll dir wieder geschehen! Und doch wird es so oft aus den Augen gesetzt, und der Mensch ladet sich aus Heftigkeit seiner Passionen, aus betrüglicher Begierde, einen Vorteil zu erjagen, so Manches auf, das ihn ins Verderben und Verdammnis versenkt. Was eine Drohung war, das konnten sich doch immer Solche, die sich noch fürchteten vor GOttes Wort, dahin zu Nutze machen, dass sie sich von Manchem zurückhalten ließen, und also auch an ihrem Gericht wenigstens noch etwas milderten.
IV. Nach der Hauptabsicht aller Propheten, von Christo und Seinem Reich zu zeugen, wendet sich nun auch diese Weissagung dahin, dass für das Haus Jakob eine Errettung verheißen, und die Hoffnung Israels auf das Reich GOttes bestätigt wird.
17. Aber auf dem Berge Zion sollen noch Etliche errettet werden, die sollen Heiligtum sein; und das Haus Jakobs soll seine Besitzer besitzen. 18. Und das Haus Jakobs soll ein Feuer werden, und das Haus Josephs eine Flamme, aber das Haus Esau Stroh; das werden sie anzünden und verzehren, dass dem Hause Esau nichts überbleibe; denn der HErr hat es geredet. 19. Und die gegen Mittag werden das Gebirge Esau, und die in Gründen werden die Philister besitzen; ja sie werden das Feld Ephraims und das Feld Samaria besitzen, und Benjamin das Gebirge Gilead. 20. Und die Vertriebenen dieses Heers der Kinder Israel, so unter den Cananitern bis gen Zarpath sind, und die Vertriebenen der Stadt Jerusalem, die zu Sepharad sind, werden die Städte gegen Mittag besitzen, 21. Und werden Heilande herauf kommen auf den Berg Zion, das Gebirge Esau zu richten: also wird das Königreich des HErrn sein.
Was hat der HErr JEsus im Himmel noch zu betreiben, bis dass Alles herwiedergebracht und so hergestellt werde, wie es GOtt evangelisiert hat Seinen Knechten den Propheten; und bis also auch nach dieser Weissagung das Königreich, des HErrn oder das Reich der Welt GOttes und. Seines Gesalbten sein wird, und die Erben der Verheißung es so genießen werden. Offenb. Joh. 11, 17. Mit großem Kummer müssen wir sehen, wie es jetzt noch so verwirrt aussieht auf dem Erdboden, wie uns nichts als Gerichte bevorstehen; aber unter diesem Allem ist die Verheißung Seines Reichs unser Trost. war die Hoffnung und der Trost Israels, es soll auch unser Trost sein. Schaffe, o Vater des Lichts, in uns, dass wir oft bedenken, wie die ganze Erde darum geschaffen worden, dass Dein Reich auf derselben offenbar werde. So wenig wir noch sehen, dass Deinem zum Erben eingesetzten Sohn Alles untertan ist; so kräftig lass unsere Hoffnung auf das Zukünftige sein, und lehre uns unter Allem, wie wir mitwirken sollen zu der Zukunft Deines Reichs.