Rieger, Carl Heinrich - Micha - Das fünfte Kapitel.
Mit der großen Verheißung von Christo und Seinem Reich tröstet der Prophet alle geängstigte Herzen, dass wenn es auch noch so weit mit dem Volk Israel herunter käme, so solle man das Vertrauen auf die Verheißung nicht wegwerfen, denn diese werde doch erfüllt werden zur Zeit, da es das wenigste Ansehen dazu habe.
1. Und du Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel HErr sei, welches Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. 2. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, so gebären soll, geboren habe; da werden dann die Übrigen seiner Brüder wieder kommen zu den Kindern Israel. 3. Er aber wird auftreten, und weiden in Kraft des HErrn, und im Siege des Namens seines GOttes. Und sie werden wohnen; denn er wird zu derselbigen Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. 4. Dazu werden wir auch Frieden haben vor dem Assur, der jetzt in unser Land gefallen ist, und unsere Häuser zertreten hat. Denn es werden sieben Hirten und acht Fürsten über ihn erweckt werden, 5. Die das Land Assur verderben mit dem Schwert, und das Land Nimrod mit ihren bloßen Waffen. Also werden wir von Assur errettet werden, der in unser Land gefallen ist, und unsere Grenze zertreten hat. 6. Es werden auch die Übrigen aus Jakob unter vielen Völkern sein, wie ein Tau vom HErrn und wie die Tröpflein aufs Gras; das auf Niemand harrt, noch auf Menschen wartet. 7. Ja, die Übrigen aus Jakob werden unter den Heiden bei vielen Völkern sein, wie ein Löwe unter den Tieren im Walde, wie ein junger Löwe unter einer Herde Schafe, welchem Niemand wehren kann, wenn er dadurch geht, zertritt und zerreißt. 8. Denn deine Hand wird siegen wider alle deine Widerwärtigen, dass alle deine Feinde müssen ausgerottet werden. 9. Zu derselbigen Zeit, spricht der HErr, will ich deine Rosse von dir tun, und deine Wagen umbringen; 10. Und will die Städte deines Landes ausrotten, und alle deine Festen zerbrechen; 11. Und will die Zauberer bei dir ausrotten, dass keine Zeichendeuter bei dir bleiben sollen. 12. Ich will deine Bilder und Götzen von dir ausrotten, dass Du nicht mehr sollst anbeten deiner Hände Werk. 18. Und will deine Haine zerbrechen, und deine Städte vertilgen. 14. Und ich will Rache üben mit Grimm und Zorn an allen Heiden, so nicht gehorchen wollen.
So leicht man den Hauptinhalt und die Hauptabsicht dieses Kapitele treffen, und auch in seinem Herzen vergnüglich genießen kann; so schwer ist es, und so manches Unausgemachte bleibt einem noch übrig, wenn man die nähere Deutung eines jeden Verses aufsuchen, und den Sinn eines jeden Ausdrucks treffen soll. Man kann aber in dem, was deutlich und gewiss ist; seine Weide finden, und vor dem Schwereren so viel Ehrerbietung haben, dass man glaubt, es liege auch darin etwas, daraus entweder schon Andere vor uns ihren Glauben gestärkt' haben, oder auf das Andere nach uns noch besser achten lernen.
Aus dem Anfang des Kapitels hat man Bethlehem, das Stammhaus Davids, für die Geburtsstadt Christi erkannt, wie nicht nur die Hohepriester und Schriftgelehrten die Frage Herodis: wo Christus sollte geboren werden? so beantwortet haben „zu Bethlehem im jüdischen Lande“; sondern auch unter dem Volk es eine gemeine Rede war: spricht nicht die Schrift von dem Samen Davids und aus dem Flecken Bethlehem, da David war, solle Christus kommen? Christus wird aber auch hier vornehmlich als Der, so über Israel HErr sein sollte, verheißen, mithin in Seinem Königreich. Wo bleibt denn Sein Hohenpriestertum, Seine Versöhnungsarbeit und Alles, was uns sonst im Evangelium von Ihm gepredigt wird? Das Alles hat seine Beziehung und Erfüllung im Königreich. Denn das Königreich setzt seine ganze Erlösung in Gang und seligen Genuss, und verschafft aller Gerechtigkeit GOttes ihre Erfüllung. Das war der Juden Fall, dass sie im irdischen Sinn aufs Königreich allein hineingefallen sind, und das Übrige an Christo nicht als den Weg dazu angesehen, sondern sich vielmehr daran geärgert haben; und jetzt kommt es bei Manchen in der Christenheit fast umgekehrt heraus, dass sie au Christo wohl Seine Versöhnung und Seine heilige, Lehre erkennen, aber nichts vom Königreich nach der Verheißung der Propheten wissen wollen. Wie trennt man doch so gern, was zusammen gehörte, und was gibt ein geringer Missverstand oft für Anlass zum Unglauben.
Vom zweiten Vers an fangen nun die Schwierigkeiten an. Durch die, so gebären sollte, verstände man am leichtesten die Maria, und die zu Bethlehem geschehene Geburt ihres hochgelobten Sohnes. Nur will damit, nicht ganz übereinstimmen, teils dass die Plage der Gefangenschaft darum weit nicht bis an die Geburt Christi hingereicht hat; teils, dass es nach dieser Geburt sogar nicht besser gegangen ist, sondern vielmehr der größte Teil des jüdischen Volks sich zu ihrem bisherigen Gericht vollends reif gemacht hat. Deswegen haben Andere den Gedanken, diese Stelle weise auf Offenb. 12, 1 5 hinaus, und verstehen unter der, die gebären sollte, das im Gesicht erschienene Weib, die Christum in Seinem Königreich gebären sollte; durch und nach welcher Geburt die Bekehrung Israels und alle im Kapitel noch weiter verheißenen Erweisungen Seines Reichs in Gang kommen würden. Dem Glauben ist es nicht so schwer zu fassen, dass wie Christus einmal Seiner Person nach zu Bethlehem geboren worden, und von da an durch alle Stufen des Alters und Wachstume durchgelaufen ist; also Er auch in Seinem Reich, als der durch so manche Schmerzen und Seufzer aller Gläubigen ausgeborne Nationen-Hirte sich einmal zeigen, und Alles zu dem im Vorsatz GOttes gefassten, Viel bringen werde. In solchem Sinn könnte man wohl auf Maria, und was auf ihre Geburt erfolgt ist, und auf das Weib in der Offenbarung, und was auf ihre Geburt erfolgen wird, zugleich sehen, und sich im Glauben und Hoffnung des Reichs Christi, stärken, auf die gegenwärtige Führung desselben in Verborgenheit verständig werden, und zum Warten auf die Offenbarung wacker bleiben, ja auch zum Misstragen an den noch nötigen Geburtsschmerzen oder doch Leiden, die es über der jetzigen Verborgenheit gibt, sich willig machen lassen. wer nur gern in seiner eigenen Fassung und Führung, und sodann in seinem Warten auf das Reich GOttes dem Gräslein gleich ist, das auf Niemand harrt, noch auf Menschen wartet, V. 6.; O wer nur gern die Rosse und alles Vertrauen auf ihre Stärke so von sich tun lässt, V. 9.; und an dem allein bleibt, dass man den HErrn fürchtet und auf Seine Güte wartet; der wird das Zeugnis fühlen, das denen so wohl tut, die auf Ihn alleine zielen, wann sich Not und Trübsal find't!