Reinhard, Franz Volkmar --Ermahnungen zu bürgerlicher Eintracht.

Predigt am Feste der Erscheinung 1799 bei Eröffnung des allgemeinen Landtages über Matth. 2, 1-11.

Es sind große, seelenerhebende Vorstellungen, meine Zuhörer, welche das heutige Fest in Jedem erwecken muss, der den Zweck und die Bedeutung desselben kennt und erwägt. Der Sohn Gottes war nicht der besondere Heiland des jüdischen Volks, unter welchen er auftrat; auch den Heiden ist er erschienen, als den gemeinschaftlichen Retter aller Völker hat er sich dargestellt; dies ist die merkwürdige Sache, an die uns dieser festliche Tag erinnern soll. Unmöglich kann unser Geist etwas Erhabeneres denken, als diesen Rat Gottes. Unser Friede ist also Christus, wie Paulus es ausdrückt; er hat aus Beiden, aus Juden und Heiden, Eins gemacht, und den Zaun abgebrochen, der dazwischen war. Welch ein Endzweck seiner Erscheinung! Er kam, der Stifter eines allgemeinen Einverständnisses zu sein. Verschwinden sollte nun Alles, was die Völker der Erde bisher getrennt hatte; jenes Misstrauen, jene Geringschätzung, jene Erbitterung, mit der sie sich einander zu betrachten und anzufeinden pflegten, sollte nun aufhören; das Schwert des Kriegs, das so lange gewütet hatte, sollte ruhen und der Erdkreis nicht weiter das Blut seiner Bewohner trinken. Dagegen sollten Empfindungen der Achtung, des Wohlwollens und der Liebe in dem Herzen aller Menschen erwachen; sie sollten es Alle mächtig fühlen, wie sehr Natur und Pflicht und Bestimmung sie miteinander vereinige; und ergriffen von diesem Gefühl, miteinander ausgesöhnt durch den Glauben an ihren gemeinschaftlichen Schöpfer, sollten sie sich unter dem Oberhaupt, das er ihnen vom Himmel gesandt hatte, brüderlich in ein Reich der Wahrheit, Sittlichkeit und Wohlfahrt versammeln. Die Stiftung des heiligsten Bundes, der jemals auf Erden geschlossen worden ist, die Vermittlung eines allgemeinen redlichen Zusammentretens, wodurch unser ganzes Geschlecht eine einzige Familie Gottes werden sollte, feiern wir demnach heute; ihr habt den Sinn und die Bedeutung dieses Tages vollkommen gefasst, wenn ihr ihn für das Fest haltet, das der Eintracht der ganzen Menschheit geweiht ist.

Doch für uns, meine Brüder, für uns hat dieses Fest heute eine ganz eigene Wichtigkeit. Nicht allein, wie sonst, haben wir uns diesmal hier versammelt. Ankömmlinge aus allen Gegenden des Vaterlandes; Abgeordnete, mit dem Vertrauen und den Aufträgen unsrer Mitbürger beehrt; ausgezeichnete Männer, die unser Regent zu seinem Throne ruft, um sich über die Angelegenheiten und das Wohl des Vaterlandes mit ihnen zu beratschlagen; mit einem Worte: die ehrwürdigen Stände der Nation erblicken wir heute in unsrer Mitte; sie sind da, noch vor dem Anfang der wichtigen Verhandlungen, deren Eröffnung in den nächsten Stunden bevorsteht, an der Feier dieses Tages mit uns Teil zu nehmen. Nein, unter günstigeren Vorbedeutungen und auf eine würdigere Weise konnten Sie, verehrte Mitbürger, Ihr erstes Zusammenkommen unmöglich anordnen. An dem Orte, wo Sie Alles an die Heiligkeit dessen erinnert, der das Schicksal aller Völker lenkt, und der Schöpfer, Gesetzgeber und Richter aller vernünftigen Wesen ist; an dem Orte, wo die Wahrheit ihre Stimme frei und laut erheben, wo sie das Gebot der Pflicht nach seiner ganzen Strenge erklären und den Übermut der Leidenschaften ohne Schonung niederschlagen darf; an dem Orte, wo die Religion der Liebe in sanfteren Tönen zu den Herzen der Menschen spricht und sie mit dem Geiste dessen beseelt, der sein Leben für uns gelassen hat: an diesem Orte des Ernstes, der Überlegung und der Ermunterung wollen Sie sich also zum ersten Mal einander sehen, hier wollen Sie sich zu Ihren wichtigen Geschäften gleichsam weihen. Und o, das Fest der Eintracht ist es, welches Sie heute mit uns feiern; das Fest des Friedens, den Christus auf Erden stiften, unter dessen glückliche Herrschaft er alle Nationen versammeln wollte! Was darf der edle Fürst, der Sie zu sich beschieden, was darf das Vaterland, das Sie gesendet hat, von Ihren Beratschlagungen erwarten, wenn Sie heute vor allen Dingen der Eintracht, dieser Tochter des Himmels, dieser Stifterin aller bürgerlichen Ordnung, dieser Erhalterin aller öffentlichen Wohlfahrt, voll Ehrfurcht gegen Gott, und mit redlicher Treue huldigen!

Von ihr, von ihr will ich also diesmal sprechen. Im Namen dessen, der gekommen ist, ihr die Herzen aller Menschen zu einem Tempel zu heiligen, will ich sie euch Allen verkündigen, die ihr mich heute hört. Noch ist ihr der schöne Sieg nicht gelungen, der ihr gebührt. Ach, es ist die Zwietracht, meine Brüder, die Zwietracht, die im Stillen daran arbeitet, das gute Vernehmen ruhiger Nationen zu stören; die öffentlich in so manchem Lande die Fackel des Aufruhrs schwingt und Bürger wider Bürger bewaffnet; die ihr auf den Leichen der Erschlagenen, auf den Ruinen verheerter Städte, auf den Trümmern ganzer Reiche ihre schrecklichen Triumphe feiern seht. Wie? auch über unsre Grenzen sollte sie hereinbrechen? Auch unsre Herzen sollte sie trennen und wider einander empören? Auch deinen Frieden sollte sie vernichten, mein teures Vaterland, und dein bisheriges Glück in Jammer und Elend verwandeln? - Doch nein, nein, der Eintracht zu huldigen sind wir ja jetzt vor Gott versammelt! Und sie, sie wird jede Regung des Misstrauens in uns unterdrücken; sie wird alle unsre Kräfte zu einer einzigen unbezwinglichen Macht verknüpfen; sie wird unsre Gedanken, Wünsche und Anstrengungen auf das schönste Ziel richten, das sie haben können, auf die Sicherheit, den Frieden und das Wohl des Vaterlandes. Und so rege sich denn das Gefühl, dass wir Christen, dass wir Anhänger und Erlöste dessen sind, der uns Alle geliebt und sein Blut für uns vergossen hat, heute mächtig in unserm Herzen, und öffne es der Stimme der Wahrheit. Wir flehen um Segen von Oben herab mit stiller Andacht.

Evangelium: Matth. 2, 1-12.

Unverkennbar sind in der Erzählung, die ich euch jetzt vorgelesen habe, meine Zuhörer, die Spuren jener Zwietracht, die schon damals, als Jesus geboren wurde, in allen Teilen des jüdischen Staates sich regte, und in der Folge mit immer zunehmender Gewalt und unter den schrecklichsten Kämpfen die Auflösung desselben bewirkte. Einen König, der seinem Volk nicht traut und daher einen Säugling für gefährlich hält; ein Volk, das diesen König hasst und, unzufrieden mit der bestehenden Verfassung, nach einer Veränderung sich sehnt, erblicket ihr in unserm Evangelio. Nein, Herodes würde nicht erschrocken sein, als die gelehrten Fremdlinge nach dem neugeborenen König der Juden fragten, wenn er einverstanden mit seinem Volke gewesen wäre, wenn er nicht gewusst hätte, es gehorche ihm nur mit Widerwillen. Eben so wenig würde Jerusalem über jene Frage betroffen gewesen sein, wenn es nicht gefürchtet hätte, der argwöhnische Tyrann, den es in seinen Mauern hatte, werde Veranlassung zu neuen Verdachten davon hernehmen und neue Grausamkeiten verüben. Und doch waren diese Misshelligkeiten nur erst schwache, noch gleichsam schüchterne Regungen der herrschenden Zwietracht. In welche Kämpfe, zu welchem Aufruhr, in welchen Alles zertrümmernden Sturm brach sie erst in der Folge aus! Ach, unter ihrem Einflusse stieg die Erbitterung streitender Sekten immer höher; die Anmaßungen eigennütziger Laster wurden immer verwegener; die Unternehmungen verblendeter Schwärmer, welche dem Vaterlande die Freiheit erringen wollten, immer tollkühner; und sie, sie war es, was den Römern zuletzt den Sieg erleichterte und noch auf den rauchenden Ruinen des unglücklichen Jerusalems mehr Bürgerblut vergoss, als das Schwert der Feinde.

Das Schauspiel redet also selbst, meine Brüder, auf das unser Evangelium hinzeigt. Auf dem Wege zum Untergang befindet sich jeder Staat, wo das gute Vernehmen zwischen dem Regenten und seinem Volke gestört und das Volk selbst in Parteien getrennt ist, die sich eifersüchtig einander bekämpfen.

Die Eintracht, die Eintracht allein kann ein solches Volk retten und es wieder ruhig, glücklich und unüberwindlich machen; dies sind die Belehrungen, die uns das Evangelium, die uns das Schicksal der Nation, von der es redet, gleichsam aufdringen. Ich werde sie auffassen, diese Belehrungen und weiter entwickeln. Denn Ermahnungen zu bürgerlicher Eintracht sollen der Inhalt meiner heutigen Predigt sein. Lasst mich vor allen Dingen erklären, was zu dieser Eintracht gehöre; hernach zeigen, wie sehr wir dazu verpflichtet sind; und zuletzt eine Anwendung auf die Stände der Nation machen, die sich jetzt zu so wichtigen Verhandlungen anschicken.

Das Wort Eintracht, meine Zuhörer, gehört unter die Zahl jener treffenden ausdrucksvollen Benennungen, an welchen unsre Sprache so reich ist, und man darf es nur hören, um sogleich einen Begriff von der Sache zu fassen, die es bezeichnet. Es ist nämlich das Trachten nach Einem, es ist das Streben nach einerlei Ziel, was damit angedeutet werden soll. Wollen Viele nur Eins, wollen sie es ernstlich und mit Nachdruck, geben sie allen ihren Bemühungen ganz dieselbe Richtung, befördern sie mit vereinigten Kräften einen und eben denselben Endzweck: so sind sie durch Eintracht verknüpft. Die Eintracht wird also so vielfach sein können, als die Endzwecke sind, zu deren Beförderung man zusammen tritt. Nun sind aber die Endzwecke der häuslichen, kirchlichen und bürgerlichen Gesellschaft unter allen den Absichten, welchen man eine gemeinschaftliche Anstrengung widmen kann, unstreitig die wichtigsten. Von allen Arten der Eintracht verdient also die häusliche, welche Übereinstimmung in unsre Familien; die kirchliche, welche Gleichförmigkeit in unsre Glaubensbekenntnisse und gottesdienstliche Übungen; die bürgerliche endlich, welche Ordnung, Kraft und harmonische Tätigkeit in die Angelegenheiten und Unternehmungen ganzer Völker bringt, die meiste Aufmerksamkeit. Jetzt verweilen wir uns bloß bei der Letzteren, und es fällt in die Augen, dass sie bei einem christlichen Volk aus eben der Quelle fließen muss, aus welcher alle christliche Tugenden hervorkommen, nämlich aus lebendigem Glauben an Gott und Jesum. Sie kann daher, wenn ich sie kurz erklären soll, nichts Anderes sein, als das pflichtmäßige Streben aller Bürger eines Staates, den großen Endzweck ihres Vereins so vollkommen als möglich zu erreichen. Hieraus seht ihr aber auch zugleich, was dazu gehöre, wenn diese Eintracht bewiesen werden soll. Notwendig muss dann jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft den gemeinschaftlichen Endzweck derselben richtig kennen, redlich wollen, kräftig befördern und ihm seine besonderen Zwecke willig und großmütig unterordnen.

Mit Bedacht behaupte ich, richtig kennen müsse jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft den gemeinschaftlichen Endzweck, wenn Eintracht möglich sein soll. Vielleicht ist man nie mehr in Gefahr gewesen, meine Zuhörer, in diesem Endzwecke sich zu irren und ihn mit verführerischen Blendwerken zu verwechseln, als in unsern Tagen. Merket auf die Forderungen der Unzufriedenen, die sich überall regen und Unordnungen stiften. Eine Freiheit ohne Abhängigkeit und Beschränkung; eine Gleichheit ohne Unterschied und Abstufung der Stände; ein Zustand, der alle Vorteile des bürgerlichen Vereins gewähren und doch keine Last desselben enthalten soll; eine Macht und Ehre der Nation, bei der sie ihren Nachbarn Gesetze vorschreiben und Alles nach Willkür entscheiden kann: dies ist's, was man jetzt häufig für den Zweck des Staats erklären, was man, wenn es nicht anders sein kann, durch eine Auflösung aller bisherigen Ordnung, durch eine Zertrümmerung uralter Verfassungen, durch alle Schrecken der Gewalt, des Aufruhrs und blutiger Kriege bewirkt wissen will. Aber o, ein unglückliches Ganzes, wo alle Teile einander widerstreben, wo alle Bewegungen einander beschränken und vernichten, wo Alles im Streit und immerwährenden Aufruhr ist; eine wilde, gefährliche Macht, die nicht bestehen kann, wenn sie nicht Alles um sich her anfällt und den Geist der Zwietracht ausbreitet, soweit es möglich ist, wird der Staat, der solche Endzwecke verfolgt, der diese Blendwerke des Eigennutzes, diese Träume einer entbrannten Einbildungskraft zum Ziel seiner Bestrebungen macht. Soll sich bei dem bürgerlichen Verein etwas Vernünftiges und Ausführbares denken lassen, meine Zuhörer, so muss er ein rechtlicher Zustand sein; ein Zustand, wo nicht die Willkür, nicht die Gewalt, nicht die Leidenschaft, sondern bloß das gilt, was recht ist; wo sich Alles nach den Gesetzen der Sittlichkeit, die uns ins Herz geschrieben sind, und nach den Verträgen, über die man eins geworden ist, mit unverbrüchlicher Treue richtet. Darum retteten sich ja einzelne Menschen und Familien von jeher in den Schoß der bürgerlichen Gesellschaft; darum wünschen wir uns ja eben Glück dazu, in diesem Schoße geboren zu sein und von Jugend auf in demselben gelebt zu haben, weil die Vernunft uns gebietet, einen Zustand zu suchen, wo wir Schutz wider die Gewalt und Freiheit für die Ausübung aller unsrer Rechte finden können. Hat dies aber seine Richtigkeit, so glänzt er euch unverhüllt und in seiner ganzen Heiligkeit und Würde entgegen, der wahre Endzweck der bürgerlichen Gesellschaft. Dass jedem Mitgliede derselben sein Recht geschehe, oder, welches einerlei ist, dass jeder Einzelne so sicher, frei und glücklich sei, als er ohne Verlegung der Übrigen sein kann, dies ist's, was durch den bürgerlichen Verein erhalten werden soll. Und zu welcher Eintracht wird sich Alles stimmen, wenn es der feste, sich immer gleiche und Alles unparteiisch entscheidende Begriff des Rechts ist, was den Bürgern eines Staats unaufhörlich vorschwebt, was in ihren zarten Seelen entwickelt wird, sobald sie zum Bewusstsein erwachen, was ihren Urteilen und Unternehmungen zur Richtschnur dient, wonach sie ihre Forderungen und Obliegenheiten bestimmen, was sie als das Ziel aller geselligen Wirksamkeit betrachten. Nur Eins ist in allen Fällen recht. Soll also Eintracht in der bürgerlichen Gesellschaft herrschen, so müssen Alle wissen und überzeugt sein, dass dies Eine stets und überall zur Wirklichkeit komme, dies sei die Absicht ihres Bundes; sie müssen diese Absichten richtig kennen.

Aber auch redlich wollen. Lasst es uns eingestehen, meine Zuhörer, beschwerlich für unsre Neigungen und fast empörend für sie ist der ernste Endzweck des bürgerlichen Vereins, der jetzt angezeigt worden ist. Er gebietet Ordnung und sie streben nach Ungebundenheit; er verpflichtet uns, die Rechte Anderer heilig zu halten und sie sind immer aufgelegt, dieselben zu verlegen; er untersagt uns, irgendeinen unsrer Mitbürger zum Werkzeug unsers Eigennutzes herabzuwürdigen und sie hören nicht auf, Alles um sich her zu ihrem Vorteile zu missbrauchen. Eine Gewalt, welche ihren Ungestüm bändigen und sie durch Zwangsmittel zähmen kann, hat daher jeder Staat nötig; es muss eine Macht vorhanden sein, welche fest und streng darüber hält, dass dem Zweck der allgemeinen Vereinigung nicht entgegen gehandelt werde. Aber wehe dem Lande, wo das Racheschwert der Gerechtigkeit unaufhörlich über den Häuptern der Bewohner schweben muss, wenn sie nicht einander anfallen und verlegen sollen; die dumpfe Stille, die vor einem wilden, noch mit Hindernissen kämpfenden Sturm hervorgeht, ist die trügliche Ruhe, die ein solches Land genießt und eher, als man denkt, wird sie sich in Verwirrung und Aufruhr verwandeln. Eintracht, meine Zuhörer, wahrer dauerhafter Friede kann nur dann unter einem Volke herrschen, wenn es den großen Zweck, dass Jedem sein Recht widerfahre, will; wenn es, auch ohne Zwang und aus eigner freier Bewegung, zur Beförderung desselben übereinstimmt; wenn Jeder die Neigungen seines Herzens, welche sich dawider auflehnen, durch Selbstbeherrschung bändigt. Und nicht ohne Ursache setze ich hinzu, redlich wollen müsse jeder Einzelne den gemeinschaftlichen Endzweck; ohne allen Vorbehalt, ohne alles arglistige Vernünfteln müsse man sich demselben unterwerfen. Denn wie leicht flüstert unser Stolz uns zu, wir seien im Grunde doch besser, als Andere! Wie leicht verleitet uns der Eigennutz, unter tausend Vorwänden mehr zu fordern, als uns gebührt! Wie geneigt macht uns die Trägheit, Andern Lasten aufzubürden, die wir selber tragen sollten! Wie fein weiß die Herrschsucht Maßregeln der Unterdrückung zusammen zu weben, die wohl gar den Schein der Gerechtigkeit an sich haben. Nein, wahres Trachten nach Einem Zweck ist gar nicht möglich, wenn man sich Unredlichkeiten erlaubt. Ein wechselseitiges Überlisten, ein immerwährendes Spiel mit Betrügereien, ein trauriger Kampf heimlicher Misshelligkeiten und Nachstellungen wird dann Alles, was geschieht und, bei dem größten Anscheine von Einigkeit, trennt Misstrauen und Furcht die erbitterten Gemüter. Sind uns dagegen die Rechte jedes Menschen, er sei auch, wer er wolle, so heilig, wie unsre eignen; ist es reine Achtung gegen die freie vernünftige Natur, die wir mit unsern Mitbürgern gemein haben, was uns Jeden wert und teuer macht; enthalten wir uns aus Gehorsam gegen unsre Pflicht jeder Beleidigung und jedes Unrechts; ist es der Alles belebende Geist christlicher Bruderliebe, was uns sogar antreibt, Beschützer und Wohltäter aller derer zu werden, auf die wir wirken können, so schlagen unsre Herzen harmonisch, so begegnen sie sich einander durch ähnliche Gesinnungen und Gefühle, so ist jener allgemeine Einklang vorhanden, der das Wesen der bürgerlichen Eintracht ausmacht.

Denn die, welche so zusammenstimmen, werden den Endzweck der bürgerlichen Gesellschaft auch kräftig befördern. Ein rauer schneidender Misston, der die Harmonie des Ganzen stört, ist jedes Unrecht, meine Zuhörer, das da, wo Eintracht in den Gemütern herrscht, verübt wird. In dem Herzen einhelliger Bürger ist das Gefühl für Alles, was recht ist, viel zu stark, und ihr Eifer, den großen Zweck ihres ehrwürdigen Bundes gegen jede Verlegung zu sichern, viel zu lebhaft, als dass sie nicht alle ihre Kräfte aufböten, ihn durchzusetzen. Und dazu können sie auch Alle mitwirken, die Plätze, welche sie einnehmen, die Stufen, auf welchen sie stehen, die Geschäfte, welche sie treiben, die Verhältnisse, in welchen sie tätig sind, mögen übrigens sein, welche sie wollen. Wer das Mitglied einer bürgerlichen Gesellschaft ist, hängt auf allen Seiten mit seinen Mitbürgern zusammen; er kann sich gleichsam nicht regen, ohne Jemand zu berühren; seine Rechte grenzen überall an die Rechte Anderer; auf tausenderlei Art kann er also beitragen, die Lettern zu schonen oder zu verletzen, zu erhalten oder zu kränken. Beseelt nun der friedsame, ordnende und verknüpfende Geist der Eintracht die Bürger eines Staates, so wirkt das edle Bestreben, Jedem sein Recht widerfahren zu lassen, als die gemeinschaftliche Bewegkraft in allen Gliedern des großen Körpers. Der Mächtige beschirmt dann die Rechte des Schwachen und der Schwache ehrt die Rechte seines Beschützers; der Vornehme schätzt dann jedes Recht des Geringeren und der Geringere betrachtet die Vorzüge des Höheren mit neidloser Achtung; dann sind alle Verträge heilig, alle Verhältnisse sicher, alle Verhandlungen zuverlässig, alle Dienstleistungen pflichtmäßig, dann fordert Niemand mehr, als er darf und gibt Alles, was er soll; dann herrscht die Obrigkeit mit Gerechtigkeit und Jeder gehorcht mit Pünktlichkeit und Treue; selbst die Gerechtsame des Säuglings sind dann sicher und auch außer dem Schoße der elterlichen Zärtlichkeit findet er überall einen Pfleger und Vormund. Kommt es endlich darauf an, die Rechte des Ganzen zu behaupten, ihm zu verschaffen, was ihm gebührt und fremde Gewalt abzuwehren, so spannen sich alle Kräfte zu einer gemeinschaftlichen Anstrengung; so erheben sich alle Arme zu einer männlichen Verteidigung; so bezeichnet Ernst, Nachdruck und Ordnung alle Bewegungen und Schritte; so lebet und wirkt, so duldet und kämpft, so blutet und stirbt Alles füreinander, sobald die Pflicht es gebietet.

Lasst es uns nämlich nie vergessen, meine Zuhörer, willig und großmütig unterordnen muss endlich jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft seine besonderen Zwecke dem Allgemeinen, wenn wahre Eintracht bewiesen werden soll. Je größer die Ansprüche einzelner Bürger werden, je mehr sie sich mit ihren Absichten und Unternehmungen ausbreiten, je hartnäckiger sie auf jedem Rechte bestehen, das ihnen entweder die Natur oder die Verfassung gibt, desto gewisser erheben sich Widersprüche, desto unvermeidlicher entstehen Trennungen, desto weniger ist es möglich, dass der Endzweck der bürgerlichen Vereinigung glücklich erreicht werden könnte. Denn hörst du bloß die Stimme deines Eigennutzes, treibst du deine Forderungen so weit, als er dir anrät, wirst du dann nicht mehr verlangen, als dir gebührt und Andern nachteilig werden? Bist du bloß von deinen Absichten voll und erweiterst deine Unternehmungen mit frecher Unverschämtheit auf allen Seiten, wirst du dann die heiligen Grenzen des Rechts nicht bald da, bald dort überschreiten, wirst du nicht Andern in den Weg kommen? Willst du deine erweislichen Rechte stets nach ihrer ganzen Strenge behaupten, und von den Vorteilen, welche die Verfassung dir gewährt, auch dann nichts fahren lassen, wenn deinen Mitbürgern unleugbar wehe dabei geschieht, wirst du dann nicht Eifersucht und Neid erwecken, die Verfassung, die dich so sehr begünstigt, verhasst machen und den unleugbaren Zweck der geselligen Ordnung, dass Jedem sein Recht widerfahre, so viel an dir ist, vereiteln? Es ist klar, meine Brüder, es ist klar, will Jeder an sich reißen, so viel er kann, will Niemand nachgeben, Niemand dem Ganzen ein Opfer bringen, so löst sich Alles auf, so stößt Alles sich einander ab, so gerät Alles in jenen feindseligen Kampf, wo bloß die Gewalt und der Arm des Stärkeren entscheidet. Eine weise Vermittlerin, eine glückliche Erhalterin des Gleichgewichts und der Ordnung ist dagegen die Eintracht. Das Recht Aller, Aller ohne Ausnahme, ist das große Ziel, welches sie stets vor Augen behält. Und so mildert sie denn die Ansprüche aller Einzelnen; sie bringt Bescheidenheit und Mäßigung in alle Forderungen; sie gleicht streitende Rechte friedlich mit einander aus; sie verbreitet den Geist der Billigkeit und Schonung; sie macht die Günstlinge der Verfassung willig zur Nachgiebigkeit und zu edelmütigen Opfern; sie bessert die Fehler der Verfassung selbst mit sanfter Hand und ohne gewaltsame Erschütterung; sie arbeitet unablässig daran, dass sich alle Teile des Ganzen freundlich in einander fügen, dass sie Alle frei und zufrieden, Alle sicher im Genuss ihrer wahren Befugnisse, Alle getrost und fröhlich sind. Glückliches Volk, das die Eintracht beseelt; das einstimmig denkt, einmütig will, einhellig handelt und durch das Band einer großmütigen Liebe verknüpft ist! Wer wagt es, dich zu reizen? Wer bleibt ungestraft, wenn er deine Rechte kränkt? Wer kann dich sehen, ohne sich deiner, ohne sich um deinetwillen der Menschheit selbst zu freuen?

Möchtet ihr dieses glückliche Volk schon sein, geliebte Mitbürger! Möchtet ihr nie aufhören, der Welt das rührende Schauspiel einer bürgerlichen Eintracht zu geben, wie sie jetzt beschrieben worden ist! Höret die Gründe, die nicht nur jedes Volk überhaupt, sondern auch euch insbesondere, und zwar jetzt am meisten, zu einer so innigen Vereinigung, zu einem so edlen Streben nach dem hohen Ziel aller geselligen Ordnung verbinden.

Es ist schon an sich vernünftig und recht, es ist die einzige Bedingung, unter der man das Mitglied einer bürgerlichen Gesellschaft sein kann, dass man an seinem Teile Alles beitrage, wahre Eintracht zu befördern und zu erhalten. Denn handelt man nicht töricht, verwickelt man sich nicht in den schimpflichsten Widerspruch, wenn man einem Bunde beitritt, ohne den Zweck desselben zu wollen; wenn man das Dasein einer bürgerlichen Vereinigung wünscht und doch Alles tut, sie zu vernichten; wenn man für seine Person Sicherheit, Freiheit und Wohlfahrt in derselben sucht und doch seinen Mitverbundenen diese Vorteile versagt? Doch ich irre mich! Wahrlich, nicht sowohl Torheit, nicht sowohl Mangel an Zusammenhang im Denken und Urteilen ist es, was euch zu euren Ausschweifungen verleitet, ihr Störer der öffentlichen Eintracht, ihr Feinde des guten Vernehmens. Fehler des Herzens, Leidenschaften, die keine bürgerliche Gesellschaft dulden kann, die aller Ordnung entgegen wirken, spornen und empören euch. Ein Eigennutz, der nur an sich denkt; ein Ehrgeiz, der keine Grenzen kennt; eine Herrschsucht, die Alles zu unterdrücken strebt; ein Leichtsinn, der mit den wichtigsten Angelegenheiten tändelt; ein Hang zur Unordnung, der Vergnügen an Verwirrungen findet; ein wilder Trieb zur Tätigkeit, der sich in die gefährlichsten Unternehmungen stürzt; ein Hass gegen die Menschen, der sie misshandelt und zu Werkzeugen seiner Willkür erniedrigt; ein roher Sinn, der weder an Gott, noch an die Tugend glaubt und nichts sucht und will, als die Befriedigung seiner unersättlichen Lüste; irgend eine oder mehrere dieser Leidenschaften sind die wahren Ursachen eurer unaufhörlichen Beschwerden, eurer arglistigen Verhetzungen, eurer schändlichen Meutereien, eurer wilden Empörungen, eurer mörderischen Kämpfe. Zwar der heilige Name des Rechts und der Gerechtigkeit schwebt auf euren Lippen; es ist die beleidigte und unterdrückte Menschheit, die ihr rächen, befreien, beglücken zu wollen vorgebet; es ist eine bessre Ordnung der Dinge, die sich aus dem Chaos entwickeln soll, worin ihr Alles verwandelt. Aber wer, wer kann euch glauben, wenn er auf eure Gesinnungen merkt; wenn er die Treulosigkeit, die Wut, den Blutdurst wahrnimmt, mit welchem ihr zu Werke gehet, so bald ihr die Oberhand gewinnt; wenn er sieht, was ihr den Unglücklichen, deren Ruhe, Freiheit und Wohlstand ihr vernichtet habt, zum Ersatz darbietet? Doch wohl dir, wohl dir, mein teures Vaterland, bloß aus der Geschichte, bloß aus dem, was andern Völkern begegnet, kennst du bis jetzt die Wut der Leidenschaften, die in den Feinden der bürgerlichen Eintracht Aber seht ihr nicht, meine Zuhörer, dass Beförderung der Eintracht die erste, die unerlässlichste Pflicht eines jeden Bürgers, dass sie die einzige Bedingung ist, unter der ihn die Gesellschaft für ihr Mitglied erkennen kann? Heißt es nicht Alles verachten, was Menschen wichtig und heilig sein muss, wenn man nicht mitwirken will, dass Jedem in der Gesellschaft sein Recht widerfahre? Heißt es nicht die Treue brechen, die man dem Vaterlande geschworen hat, wenn man den Frieden desselben stört und seine Verfassung erschüttert? Heißt es nicht die Menschen treulos verletzen, welche uns näher sind, als Andere und auf unsre Redlichkeit rechnen, wenn man Mitbürger verräterisch antastet? Heißt es nicht die Menschheit selbst entehren und sich an ihrer Würde freventlich vergreifen, wenn man die Rechte, welche man schon bei Fremden achten muss, nicht einmal bei seinen Mitverbundenen gelten lässt? Betrachtet die Sache, wie ihr wollt, es ist schon an sich vernünftig und recht, dass jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft die Eintracht derselben befördere.

Doch ich rede zu Christen. Für euch, meine Brüder, die ihr Bekenner Jesu sein wollt, kann nichts wichtiger sein, als ein herzliches brüderliches Einverständnis mit euern Mitbürgern. Denn hört die Stimme der Religion, der ihr geweiht seid, und die ihr als die heilige Verkünderin des Willens Gottes an euch zu betrachten habt. „Seid fleißig,“ ruft sie euch zu, „zu halten die Einigkeit im Geist, durch das Band des Friedens. Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eures Berufs; Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater Aller, der da ist über euch Alle, und durch euch Alle, und in euch Allen. Erfüllt meine Freude,“ fährt sie fort, „dass ihr Eines Sinnes seid, gleiche Liebe habet, einmütig und einhellig seid; nichts tut durch Zank oder eitle Ehre, sondern durch Demut achtet euch untereinander Einer den Andern höher, als sich selbst, und ein Jeglicher sehe nicht auf das Seine, sondern auf das des Andern ist. Daran haben wir erkannt die Liebe,“ setzt sie endlich hinzu, „dass er sein Leben für uns gelassen hat, und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Wie heilig und fest, wie wohltätig und sanft sind die Banden, meine Brüder, mit welchen das Christentum unsre Herzen umschlingt! Wir sind Alle die glücklichen Kinder eines Vaters im Himmel, der seine Sonne aufgehen lässt über die Bösen und über die Guten und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte. Darf eine solche Familie sich entzweien; wird er es ungeahndet lassen, wenn Jemand ihren Frieden stört? Wir sind Alle die Erlösten eines Mittlers, der uns mit seinem Blute erkauft hat. Dürfen Menschen, die ihre Rettung einer solchen Liebe verdanken, einander hassen; sich vor den Augen dessen hassen, der sein Leben für sie gelassen hat? Wir sind Alle das Eigentum eines Herrn, der den Ausspruch getan hat: „Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, gleich wie ich euch liebe.“ Dürfen wir uns die Seinigen nennen, wenn wir dieses Gebot verletzen, wenn wir die Liebe, dieses Hauptmerkmal seiner echten Freunde, verleugnen und uns einander anfeinden? Wir sind Alle die Erben einer besseren Welt, in welcher Gerechtigkeit wohnt, wo ein himmlischer Friede die edelsten Geschöpfe Gottes auf ewig vereinigen soll. Werden wir fähig, werden wir würdig sein, in dieses Reich der Eintracht und der Liebe aufgenommen zu werden, wenn feindselige Leidenschaften unsre Herzen beherrschen, wenn wir uns irdischer Kleinigkeiten wegen einander verfolgen und drücken? Nicht bloß schonen und unverletzt lassen müsst ihr, wenn ihr Christen sein wollt, die Rechte eurer Mitbürger, meine Zuhörer; müsst nicht glauben, eure Pflichten hinlänglich zu tun, wenn ihr äußerlich ein gutes Vernehmen mit ihnen unterhaltet: Einigkeit im Geist, brüderliche Zärtlichkeit, eine Liebe, die euch fähig macht, das Leben für sie zu lassen, seid ihr ihnen schuldig; euer Glaube an Jesum muss euch zu einer Selbstverleugnung, zu einem Edelmute beseelen, dem kein Opfer zu schwer ist. Ersterben werden in eurem Herzen alle Gefühle des Eigennutzes und der Eifersucht, wenn ihr es auch in euern bürgerlichen Verhältnissen nicht vergesset, dass ihr Christen seid; wenn ihr eure Mitbürger nie anders, als in dem sanften Licht und in der rührenden Würde betrachtet, in der das Evangelium Jesu sie euch zeigt.

Und nie habt ihr wohl mehr Ursache gehabt, geliebte Mitbürger, euch zur unverbrüchlichsten Eintracht zu verbinden, als jetzt. Denn auch in den Umständen der Zeit liegen Gründe, die euch bestimmen müssen, euch fester als jemals aneinander anzuschließen. Ihr habt ein Schauspiel vor Augen, das auch den Gleichgültigsten aufmerksam machen, auch den Fühllosesten erschüttern muss. Im Schoß einer inneren Ruhe, die bisher durch nichts unterbrochen worden ist, seht ihr die meisten Völker Europas unter den Waffen und in einer geräuschvollen Bewegung; seht Reiche zusammenstürzen, die so vielen Jahrhunderten getrost haben, und ihre Ruinen vom Blut unglücklicher Bürger rauchen; seht die traurigen Kämpfe derer, die übrig geblieben sind und eine neue Ordnung der Dinge bald billigen, bald wieder verwerfen; seht vergebliche Anstrengungen, die einmal aufgelösten widerspenstigen Teile ganzer Staaten mit einander zu verknüpfen und auszusöhnen; ihr seht endlich überall den schrecklichen Triumph der Gewalt über das Recht; seht, wie unter ihrem eisernen Arm das Blut unzähliger Schlachtopfer fließt, Gefilde des Überflusses sich in Wüsteneien verwandeln, die Ruhe, das Glück, selbst die Sitten der Familien verloren gehen; seht, wie sogar die Tempel und Altäre der Religion entheiligt und umgestürzt werden. Und woher diese grauenvolle Erschütterung? Woher diese Verwirrung, die sich nach allen Richtungen hin immer weiter verbreitet? Es ist die Zwietracht, meine Brüder, die Zwietracht, die ihr das Dasein gegeben, die sie genährt und unterhalten, die ihr überall den Zugang geöffnet hat. Denn hat man über den Endzweck der bürgerlichen Vereinigung jemals mehr vernünftelt und gestritten als jetzt? Hat man unter dem Vorwand, allen Mitgliedern des Staates gleiche Rechte zu geben, jemals mehr Unrecht getan, als in unsern Tagen? Hat diese falsch verstandene Gleichheit jemals mehr Eifersucht und Erbitterung zwischen Armen und Reichen, zwischen Niedrigen und Hohen, zwischen Untertanen und Regenten hervorgebracht, als in unsern Tagen? Hat aber irgendetwas den Frieden ruhiger Nationen mehr gestört, ihre Kräfte mehr gelähmt und sie jedem Angriff von außen mehr Preis gegeben, als diese innere Gärung, als dieses misshellige Streben nach verschiedenen, zum Teil falschen Zwecken des bürgerlichen Vertrags? Ist euch also eure Ruhe und Wohlfahrt teuer, meine Brüder, schlägt euer Herz mit wahrer Zärtlichkeit gegen eure Familien; wollt ihr verhüten, dass die Stürme des Aufruhrs und innerer Unordnungen, die um euch her toben, nicht auch euch ergreifen und verschlingen; ist noch Liebe zum Vaterland, noch Achtung gegen Pflicht und Eid, noch Ehrfurcht gegen die Religion in eurer Seele, so kann es euch nicht zweifelhaft sein, was euch obliegt, wodurch ihr euch gegen die Gefahren des Zeitalters verwahren müsst. Die Eintracht allein kann euch retten, nur unter ihrem Schilde könnet ihr sicher sein. Wenn Keiner etwas Anders sucht und will, als dass ihm nach den Gesetzen der Natur und des Vaterlandes sein Recht widerfahre; wenn Jeder an seinem Orte dazu beiträgt, alle Regungen des Misstrauens, der Eifersucht und eigennütziger Leidenschaften bei Zeiten zu unterdrücken; wenn wir uns mit deutscher Redlichkeit und Treue, oder, was noch weit mehr ist als dies, wenn wir uns mit der Gewissenhaftigkeit wahrer Christen das Wort geben, uns bei unsern Rechten einander zu schützen, und für den Fürsten, der das Oberhaupt unsers Bundes ist, für die Ordnung, die uns vereinigt, für das Vaterland, das uns umfasst, mit einem Geist und Sinn zu leben, zu wirken, zu kämpfen, zu sterben, sobald es nötig ist: was haben wir dann zu fürchten, meine Brüder, einig mit uns selbst, gerecht gegen alle Völker um uns her, erklärte Freunde des Friedens und der Ruhe; aber mit Heldenmut und dem Schwerte der Verteidigung gegen Jeden gewaffnet, der uns unterdrücken und misshandeln will, werden wir da nicht selbst Feinden Achtung und Beifall abnötigen, werden wir nicht mitten in den Unordnungen des Zeitalters sicher und unüberwindlich sein?

Wem geziemt es endlich mehr, den Völkern der Erde das rührende Schauspiel bürgerlicher Eintracht darzustellen, als euch, meine Mitbürger, als euch, ihr edlen Sachsen? Einen seltenen Vorzug habt ihr bisher behauptet, ihr habt euch einen Ruhm. errungen, den nur wenig Völker mit euch teilen. Ihr seid friedsam und doch tapfer, ihr seid menschlich und doch heldenmütig, ihr seid kriegerisch gewesen und habt doch stets der Eintracht gehuldigt. Die ganze Geschichte des Vaterlandes sichert euch den schönen Ruhm, von welchem ich spreche. Nie seid ihr euren rechtmäßigen Regenten untreu geworden, habt nie den Eid gebrochen, der euch mit ihnen verband, die Anhänglichkeit und Liebe, die Zärtlichkeit dankbarer Kinder habt ihr ihnen vielmehr gewidmet. Der Mut, welcher euer Volk stets beseelte, hat nie Gefallen am Geräusch des Kriegs und an Blutvergießen gefunden; aber durch lebendige Regsamkeit, durch erfinderischen Fleiß, durch gemeinnützige Unternehmungen hat er sich ausgezeichnet; Wissenschaften und Künste, diese Töchter des Friedens und der Eintracht hat er mit ausdauerndem Eifer gepflegt und euch dadurch zu einem ehrenvollen Rang unter den gebildeten Völkern Europas erhoben. Und was ich hätte zuerst sagen sollen, was unserm Volke zu unsterblichem Ruhme gereicht, es hat nie einen Bürgerkrieg geführt, es ist rein vom Blute seiner erschlagenen Kinder, kein Blatt seiner Jahrbücher ist mit den Gräueln innerer Unruhen befleckt, welche die Geschichte so manches andern Volks mit unauslöschlicher Schande bezeichnen. O bewahre ihn, erhalte ihn grünend und unverwelkt, diesen Ölzweig des inneren Friedens, edles Volk der Sachsen, der bisher deine schönste Zierde gewesen ist. Und wer will ihn dir entreißen, wenn du beseelt vom Geiste des Evangelii, wenn du mit Redlichkeit und Treue fortfährst, der Eintracht zu huldigen, auf deren heiligem Altar er blüht.

Und nun, ehrwürdige Stände des Vaterlandes, erlauben Sie dem Mann, der heute mit dem Ernst eines christlichen Lehrers und mit dem patriotischen Eifer eines freimütigen Mitbürgers zu Ihnen sprechen darf, dass er von dem, was er jetzt im Allgemeinen gesagt hat, noch eine Anwendung auf Sie. mache, dass er die Pflicht der bürgerlichen Eintracht Ihnen noch besonders an das Herz lege. Es liegt in der Natur der Verhandlungen, welchen Sie jetzt entgegen gehen, dass sie manchen Stoff zu Zwistigkeiten darbieten, und Gelegenheit zum Misstrauen und zu einer schädlichen Entfernung der Gemüter geben können. Aber möchten Sie bei Ihren Beratschlagungen stets des edlen Fürsten, der Sie ruft, des Vaterlandes, das Sie sendet, und der Religion, die Sie bekennen eingedenk sein! Leicht wird es Ihnen dann werden, Ihre wichtigen Geschäfte mit der glücklichen Eintracht zu vollenden, die zum Gelingen derselben unentbehrlich ist.

Nicht umsonst bitte ich Sie, bei Ihren Verhandlungen stets auf den edlen Fürsten zu sehen, der Sie ruft. Denn darf Jemand verwegen, darf Jemand undankbar genug sein, dem Endzweck der bürgerlichen Vereinigung, dass Jedem sein Recht widerfahre, vor den Augen Friedrich Augusts entgegenzuhandeln? Darf Jemand unverschämt genug sein, das einhellige Streben nach diesem Endzweck in der Nähe eines Fürsten zu unterbrechen, der die möglichst vollkommene Erreichung desselben zum heiligen Ziel seiner ganzen wohltätigen Wirksamkeit gemacht hat? Denn so ist's, verehrte Mitbürger, so ist's. Gerechtigkeit, Gerechtigkeit ist unter allen Tugenden unsers Regenten die erhabenste und glänzendste. Dass er das geheiligte Oberhaupt eines Bundes ist, durch welchen Jedem, der Teil daran hat, widerfahren soll, was ihm gebührt; dass seine treuen Sachsen das Teuerste, was sie auf Erden besitzen, ihre Rechte, seinen Händen übergeben haben und die Erhaltung derselben von ihm erwarten; dass auch der Niedrigste im Volk bei dem, was er von Rechts wegen fordern kann, ebenso sicher sein muss, als der Vornehmste und Höchste; dass ihm der erhabene Beruf geworden ist, für die Nation, die er beherrscht, das Bild und der Stellvertreter dessen zu sein, bei dem kein Ansehen der Person gilt: dies, dies sind die Gedanken und Grundsätze, die seiner edlen Seele vorschweben, die in alle seine Handlungen übergehen, und alle seine Schritte leiten, durch die er sich nicht bloß unsre Herzen erworben, sondern sich auch die Achtung und das Vertrauen von ganz Europa verschafft hat. Vor dem Thron eines Fürsten erscheinen Sie also jetzt, ehrwürdige Männer, der nie sein Wort gebrochen, der nie nach bloßer Willkür entschieden, der nie wissentlich die Rechte eines Menschen gekränkt, der nie anders gehandelt hat, als nach dem Ausspruch eines zarten, immer regen Gewissens; vor dem Thron eines Regenten, der seine Macht nie zu einer Bedrückung gebraucht, der selbst das Schwert des Kriegs nie anders gezogen hat, als nach dem Gebote der Pflicht. Wer von Ihnen dürfte demnach fürchten, dass er mit seinen Forderungen nicht durchdringen werde, wenn sie gerecht sind, wenn sie mit den Grundsätzen des natürlichen Rechts und der Verfassung des Vaterlandes übereinstimmen? Wer von Ihnen dürfte hoffen, dass es ihm gelingen werde Anmaßungen durchzusehen, welche mit den Aussprüchen der Gerechtigkeit nicht bestehen können? Friedrich August der Gerechte (denn warum sollte ich den ehrenvollen Beinamen nicht jetzt schon brauchen, mit welchem die Geschichte ihn einst in den Jahrbüchern des Vaterlandes auszeichnen wird), Friedrich August der Gerechte hat Sie zu seinem Throne gerufen! Werden Sie anders als einmütig handeln können, wenn Sie so wie er sich nichts Anders zum Ziele setzen, als dass Jedem sein Recht widerfahre.

Eine solche Eintracht ist auch der Wille des Vaterlandes, das Sie sendet. Die Rechte derer sollen Sie wahrnehmen, deren Bevollmächtigte und Abgeordnete Sie sind; Sie sollen die vorhandenen Gebrechen in Erwägung ziehen, auf die Abstellung derselben Bedacht nehmen und zu jeder nötigen Verbesserung durch Rat und Tat mitwirken: dies ist's, was Ihnen das Vaterland im Allgemeinen aufgetragen hat. Es geziemt mir nicht, über die bestimmten Gegenstände dieses Auftrags und Ihrer Beratschlagungen auch nur das Mindeste zu sagen. Aber das darf, das soll ich Ihnen im Namen des Vaterlandes zu Gemüte führen, dass es nicht bloß warmen Eifer für das gemeine Wohl bei Ihnen voraussetzt, sondern auch die Kaltblütigkeit erfahrener Geschäftsmänner, die Unparteilichkeit echter Patrioten und das gegenseitige Vertrauen guter Bürger von Ihnen erwartet; dass es hofft, der Geist der Eintracht werde in Ihren Versammlungen herrschen, und aller Erbitterung, allen schädlichen Trennungen vorbeugen. Ach, das Vaterland sieht es an dem Beispiel andrer Völker mit Schrecken, welches Unheil aus den stürmischen Beratschlagungen und aus den leidenschaftlichen Kämpfen derer entspringt, die über die Angelegenheiten ganzer Völker entscheiden sollen. Die Seinigen hat es Ihren Händen anvertraut, edle Abgeordnete, weil es Männer in Ihnen verehrt, die ihr Alter über die Übereilungen einer allzu hitzigen Jugend, ihre Weisheit über die Träumereien unerfahrener Schwärmer, und ihre Rechtschaffenheit über den Einfluss eigennütziger Leidenschaften weit erhebt. Dieses Vertrauen des Vaterlandes werden Sie rechtfertigen. Überzeugt, dass die Augen der ganzen Nation auf Sie gerichtet sind, dass Sie auch andern Völkern das Beispiel treuer und doch wirksamer Stände zu geben haben, werden Sie mit patriotischer Eintracht untersuchen, prüfen, beschließen, verbessern und das Wohl des Vaterlandes befestigen und erhöhen.

Und wie leicht wird Ihnen dies werden, wenn Sie endlich auch der Religion eingedenk bleiben, die Sie bekennen. Nicht absondern von Ihren Verhandlungen, wie dies in unsern Tagen so oft geschieht, wollen Sie die Religion; nein, Sie würden nicht an diesem Ort erschienen sein; Sie würden Ihr Ohr der Stimme der Religion nicht so willig geöffnet haben, wenn Ihr Herz derselben nicht huldigte, wenn Sie es nicht für Pflicht hielten, als die Abgeordneten eines christlichen Volks, auch den Character wahrer Christen bei Ihren Arbeiten zu äußern und beizubehalten. Ist es aber Ehrfurcht vor Gott, ist es Liebe zu Jesu, unserm Herrn, ist es der fromme, treue, brüderliche Sinn, den das Evangelium- weckt und nährt, was Sie überall beseelt: welche Redlichkeit wird dann in Ihren Erklärungen herrschen; welche menschenfreundliche Güte wird dann die Verschiedenheit Ihrer Meinungen unschädlich machen; welcher Edelmut wird Sie dann zu den Opfern begeistern, die das Wohl des Vaterlandes fordert; welch ein Tempel der Eintracht, welch ein Schauplatz rührender Bürgertugend wird dann der ehrwürdige Palast werden, der zu Ihren Versammlungen bestimmt ist!

Und so nehmen wir denn heute dich, Allwissender, Gerechter, der du jede Tiefe unsers Herzens kennest und Rechenschaft von allen unsern Handlungen forderst, wir nehmen dich hiermit feierlich zum Zeugen unsrer Gedanken, unsrer Gesinnungen, unsrer Ratschläge, zum Zeugen und Richter alles dessen, was bei dieser Gelegenheit von uns geschehen wird. Wir fühlen es, es sind heilige Bande, wodurch du uns miteinander verknüpft hast; Bande der Natur, der Wahl und des Glaubens an dich und deinen Sohn; wir sollen Alle eins sein, wie du, o Vater, im Sohne bist und er in dir. Beseelt vom Geiste dieser frommen Eintracht, flehen wir also zu dir, erhalte, beschirme, segne den heiligen Bund, der unser Volk miteinander verknüpft. Zärtlichkeit und Rührung bitten wir insonderheit für das geheiligte Oberhaupt dieses Bundes, für den edlen Fürsten, den du uns zum Bürgen unsrer Vereinigung, zum Beschützer unsrer Rechte, zum Wohltäter und Vater gegeben hast. Ein Vorbild christlicher Eintracht, ein Muster herzlicher Teilnehmung und inniger Liebe, ist er mit seinem ganzen Haus in unsrer Mitte; es ist das rührende Beispiel einer fest verknüpften glücklichen Familie, was du deinem Volk in diesem Hause zeigest. So lass ihm denn, wie bisher, im Schoße desselben, lass ihm an der Seite der Kurfürstin, dieser treuen Gefährtin seines Lebens, Alles zu Teil werden, was die eheliche Zärtlichkeit Seliges, was die elterliche Liebe Süßes, was die brüderliche Zuneigung Stärkendes, was die schwesterliche Anhänglichkeit Erquickendes hat; unter dem Einfluss deiner beschirmenden und segnenden Huld lass ihn jede der teuren Personen erblicken, mit welchen Natur und Wohlwollen ihn so innig verknüpfen. Die Kinder aber, Vater über Alles, was Kinder heißt, die teuren lang erflehten Kinder, welche die Stützen seines Hauses, die Wonne ihrer Eltern und die Hoffnung des ganzen Vaterlandes sind, lass glückliche Pfleglinge deiner Güte bleiben, und erfülle sie mit dem Geiste des Churfürsten, mit seiner Tugend, mit seiner Liebe zum Vaterland. Auch die ausgezeichneten Männer, welche den Thron desselben umgeben und die Vertrauten seiner Sorgen und Ratschläge sind, nennt unser Herz vor dir, o Gott, mit dankbarer Rührung. In ihren Händen sind die Banden der bürgerlichen Eintracht, die Zügel des Staats und die Erhaltungsmittel der öffentlichen Ordnung. Lass sie einmütig, lass sie mit starkem Arm und mit festem Mut Alles zusammenfassen und leiten, und in dem Frieden, in der Wohlfahrt des Ganzen ihre Ehre, ihre Freude, ihre Belohnung finden. Und dazu mitwirken lass auch alle Landescollegia. Dass der Geist der Eintracht in ihren Versammlungen wehe, dass in allen Verhältnissen, bei allen Angelegenheiten und Bedürfnissen des Vaterlandes durch sie geschehe, was recht, was gut, was wohlgefällig vor dir ist, dazu gib ihnen Kraft, Erfolg und Alles durchdringenden Einfluss. Und die Stände unsers Volks segnen wir vor deinem Angesicht mit freudigem Vertrauen, mit brüderlicher Zärtlichkeit, mit dem Gruße der Eintracht und des Friedens. Sie gehen nun hin, allmächtiger Vater, sie gehen hin, für uns Alle, für das ganze Vaterland zu denken, zu beratschlagen, zu wählen! O sei mit ihnen; o vereinige ihre Herzen zur innigsten Eintracht; o lass den Frieden, das Wohl, die Glückseligkeit Aller die Frucht ihrer Bemühungen sein. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/r/reinhard/reinhard_-_eintracht.txt · Zuletzt geändert:
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain