Redenbacher, Wilhelm - 1. Advent. Vom Anbruch des Lichts im Menschenherzen
Herr, dreieiniger Gott! wandle mit uns im neuen Kirchenjahre! Lass uns dein Antlitz leuchten! Lass unsre Seele vor dir leben und gedeihen! Erhalte uns dein reines Wort und die unversehrten Sakramente, und gieß durch dieselben die Gaben und Kräfte deines Heiligen Geistes in vollen Strömen über uns aus. Errege in uns eine heilige Begierde, dich zu erkennen, und fördere uns in deiner Erkenntnis zum ewigen Leben. Amen.
Text: Psalm 50, 2.
Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes.
Geliebte Christen! Wir feiern Advent, zu Deutsch: Ankunft des Herrn. Wir versetzen uns im Geist in jene Zeit und Begebenheit, wo Jesus Christus in diese Welt hereingeboren ist, und davon sagt Assaph so recht: Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes.
Denn woher kommt Christus? Er spricht: „Ich bin von Oben herab“ Joh. 8, 23. „Ich bin vom Vater ausgegangen“ Joh. 16, 28. – also aus Zion, aus dem himmlischen, kommt er; und aus dem irdischen Zion, aus dem Volk Israel, tritt er als Menschensohn hervor: „Er kommt her aus den (israelitischen) Vätern nach dem Fleisch“ Röm. 9, 5. Von daher geht auch das Evangelium, die Freudenbotschaft von ihm, in alle Welt aus, wie es schon heißt Jes. 2, 3: „Von Zion wird das Gesetz (des Neuen Bundes) ausgehen, und des Herrn Wort von Jerusalem.“ Und ist er nicht ein schöner Glanz Gottes? Hebr. 1, 3: „Er ist der Glanz von Gottes Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens;“ - Psalm 45, 3: „Er ist der Schönste unter den Menschenkindern, holdselig sind seine Lippen“; - ja der voll kommen schöne Glanz Gottes, die vollkommene Offenbarung des göttlichen Wesens, insonderheit die Offenbarung der ewigen, unaussprechlichen Liebe und Gnade Gottes; das wahrhaftige Licht der Welt, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen, und alle herrlich erleuchtet, die an dieses Licht kommen, sie hell und frisch und stark und selig macht.
Jetzt aber, werte Zuhörer! können wir noch in dem besonderen Sinne sagen: „Er bricht an,“ der dem Wort im Deutschen beiwohnt: Er fängt an aufzugehen; denn Advent ist ja erst Anbrechen, Christfest dann der volle Aufgang.
Die Kirche, unsere liebe Mutter, hält aber ihren Kindern die Adventszeit, damit das Licht, das in die Welt gekommen ist, auch in unsere Herzen scheine. Ohne dies hälfe es uns nichts, wäre alles, was Christus getan und gelitten, sein ganzes Erlösungswerk, an uns verloren. Wenn der schöne Glanz Gottes auch in unsern Herzen aufgeht, dann ist uns geholfen, dann sind wir selig hier und dort.
Es geht aber innerlich im Herzen, wie äußerlich im Kirchenjahr: erst ist es Advent, ehe es Christtag wird. Es geht innerlich, wie äußerlich in der Natur: nicht plötzlich nach finsterer Nacht steht die Sonne da, sie sendet einen Schein vorher, und ehe Christus, die Seelensonne völlig im Herzen strahlt, läuft ein Dämmerschein voraus, der aber auch schon von ihm kommt. Lasst uns jetzt ein Weniges handeln
Vom Anbruch des Lichts im Menschenherzen.
Liebe Christen! Es kann Jemand in menschlichen Wissenschaften sehr geschickt, er kann da ein großer Gelehrter, und doch in der Hauptsache sehr unwissend sein. Es kann Einer sogar eine große Kenntnis der Schrift besitzen, eine Menge Sprüche gelernt haben, und über die Religion viel zu reden wissen, und doch darin sehr finster sein. Es gibt ein höheres Licht, als irdische Kenntnisse sind, und wir reden vom Licht im Herzen, das nicht ein totes Wissen, sondern ein lebendiges Wesen ist, ein Licht, das Leben schafft, und sich im Leben erst recht erkennbar macht, wie auch steht Joh. 1. 4: „Das Leben war das Licht der Menschen.“ Wie bricht dieses an?
Was sind die ersten Zeichen, dass eine Seele von der Finsternis zum Licht, vom Tod zum Leben dringt? Lasst uns einige der hauptsächlichsten angeben.
Ein erster Schein ist die Erkenntnis, dass das Sichtbare nicht das Wahre sei. Die Kinder dieser Welt halten das Sichtbare für das Beste. Geld und Gut erhaschen, in Pracht und Prangen einhergehen, ihren Bauch füllen, ihre fleischlichen Wollüste befriedigen, das ist ihre Sache. Sie sind eben Menschen dieser Welt; diese Welt ist ihre Heimat, ihre Lust, ihr Ziel. Aber es erwacht auch im Herzen eine Stimme: „Das Sichtbare ist doch das Wahre nicht; o wie ist es so eitel in seinem innersten Wesen! Ich hänge nun so manches Jahr daran, ich sauge meine Freuden heraus, und es hat mich noch nicht glückselig gemacht; das tiefe Sehnen meiner Seele hat es noch nicht gestillt. Seele, edler Gotteshauch, ins Unsichtbare wende dich hinein, da hinein wirf deinen Anker! Zum Ewigen richte dich hinauf, da suche deine Heimat, deine sichere, ruheselige Wohnung. Ich muss ins Unsichtbare, ins Ewige bauen, ob ich Äcker, Wiesen, Haus und Gut besitze, darauf kommt's nicht an; beschert mir's Gott, will ich ihm dafür danken und zusehen, dass ich's zu seiner Ehre brauche; aber Häuser, Äcker, Silber und Gold und diese ganze Welt mit all' ihrer Lust kann mich nicht glücklich machen, das kann nur eine höhere Welt.“ Seht, Geliebte! wo solch eine Stimme im Innern redet, solch eine Erkenntnis im Herzen entsteht, da schimmert ja ein Glanz von Zion nieder ins Herz, da bricht das Licht an.
Ein andrer Morgenschein im Menschenherzen ist die Empfindung, dass es schön sei, Gottes Willen zu tun. So verkehrt ist der Weltmensch geworden, dass er es gar für schön halten kann, des Satans Willen zu tun, einen hoffärtigen Toren zu spielen, schmutzige Späße zu treiben und dergleichen, wie es, nicht wahr, werte Christen! leider nicht selten für schön gehalten wird. Es kehrt sich aber auch wohl um, dass man denkt und es lebhaft empfindet: Es ist doch schön, Gottes Willen zu tun! Es ist schöner, still und ehrbar leben, als in der wilden Lust der Welt hintaumeln; schöner, wahrhaftig und gerecht sein, als lügen und betrügen; schöner, lieben und wohltun, als kalt und karg sein; schöner, Sanftmut und Geduld üben, als Hass und Hader nähren usw. Wo das nun der Fall ist, wir sagen nicht, wo man schon den neuen himmlischen Wandel führt, denn dies vermag man erst in der Gemeinschaft Christi, aber wo man es einstweilen innig empfindet, wie schön ein Leben nach Gottes Willen sein müsse, wo man danach verlanget und seufzt: ach, das mein Leben deine Rechte mit ganzem Ernst hielte! wo man so gerne Gottes Bild an sich trüge, nach dem der Mensch ursprünglich geschaffen ist, da leuchtet doch schon etwas von dem schönen Glanz und Ebenbild Gottes her, da bricht das Licht an.
Wieder ein Morgenstrahl, ein stärkeres Lichtwallen, ist das Ahnen und Merken, dass man einen Helfer aus Zion braucht. Das Bedürfnis eines solchen hat Jeder; es ist kein Menschenherz, in dem nicht mit mächtigen, ja mit blutigen Zügen eingeschrieben wäre: du brauchst einen Erlöser! Aber der Hochmut, der sich nicht arm und elend geben will, und die Betäubung der irdischen und fleischlichen Lüste machen bei Unzähligen, dass sie dieses Bedürfnis nicht wahrnehmen. Es kommt aber doch auch zum Bewusstsein; es fühlt dieser und jener, und spürt es je mehr und mehr: „Mir fehlt etwas; Frieden, Frieden fehlt mir da drinnen, Freudigkeit zu Gott, Todesmut und Himmelshoffnung; ein Mittler fehlt mir, einen Erlöser muss ich haben.“ Wir reden hier noch nicht von einer völligen Erkenntnis der menschlichen Sündhaftigkeit und Verlorenheit, diese wird auch erst im Weitern aufgehen; wo aber nur einmal der Seele um Trost bange wird, wo nur so ein Wort in ihr sich hören lässt: ach dass die Hilfe aus Zion käme und Gott sein gefangenes Volk erlöste! siehe, da tritt er schon näher der Seele, der schöne Glanz Gottes, die Sonne der Gerechtigkeit, da bricht das Licht an.
Sollen wir euch noch einen lieblichen Morgenschimmer nennen? Es ist eine herzliche Neigung zu Gottes Wort und Gebet. Dem natürlichen Menschen ist ein Komödienbuch lieber als die Heilige Schrift, und Spiel und Tanz viel lieber als Beten. Er liest wohl einmal in der Bibel, aber weil er eben nichts anderes zu treiben hat, oder um sich mit seinem Wissen blähen zu können, oder aus noch schlechterer Absicht; er legt wohl noch die Hände zusammen, aber in gedankenloser Gewohnheit rc. Wenn aber eine herzliche Neigung zu Gottes Wort und Gebet sich regt, wenn man dazu hingezogen wird als zu etwas Heiligschönem und Gutem, wenn man darin Wahrheit, Leben, Frieden sucht, wenn man mit Ernst das von Jerusalem ausgegangene Wort erforscht, mit Inbrunst hintritt und anklopft an die Pforte des Himmels, - ach, da ist es so nahe dem Herzen das Licht, das von Zion aufleuchtet, da bricht der Tag an.
Das ist so ein erster Schein vom Licht des Lebens im Menschenherzen: Erkenntnis, dass das Sichtbare nicht das Wahre sei, Empfindung, dass es schön sei, Gottes Willen zu tun, Ahnen und Merken, dass man einen Erlöser brauche, herzliche Neigung zu Gottes Wort und Gebet. Wo das sich wirklich findet, da ist ein guter Anfang. Wer wirkt es? Der Herrliche, der für das Herz noch hinter dem Berge der Ewigkeit steht, der es aber grüßt mit seinen Boten, der seine Gnade, seinen Geist vorlaufen lässt.
Prüft euch nun danach, werte Zuhörer! Wollte Gott, dass recht viele wenigstens in dieser Prüfung bestehen könnten, dass sie sich doch das sagen könnten, dass das Licht bei ihnen im Anbruch sei. Aber bei vielen war es schon dahin gekommen, und es ging wieder zurück. Lasst euch ermahnen, Geliebte! Pflegt das erste Licht, dass es wachse, dass es immer heller in euren Herzen werde, bis euch die Herrlichkeit des Herrn erscheint, bis ihr euren Heiland findet und fasst und in ihm selig seid. O wohl dem, der ihn gefunden hat, dem die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen ist und Heil unter ihren Flügeln! O danach trachtet! Danach trachtet, dass man zu euch sagen könne: Ihr seid allzumal Kinder des Lichts und Kinder des Tages.
Und ihr, deren Verstand noch verfinstert ist, und seid entfremdet von dem Leben, dass aus Gott ist, durch die Unwissenheit, die in euch ist, und durch die Blindheit eures Herzens; ihr, die ihr ruchlos seid, und ergebt euch der Unzucht, und treibt allerlei Unreinigkeit samt dem Geiz, ihr - dennoch Kinder der Finsternis - o möchtet ihr auch noch erleuchtet werden mit Gottes Lichte! Siehe, wir feiern Advent, bald Christtag wieder; siehe, aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes. verschließt euch nicht vor ihm, lasst ihn hineinleuchten in euer finsteres Herz, dass ihr nicht im Tod entschlaft!
Ihr Lieben aber, die ihr nicht mehr in Finsternis, auch nicht wehr im Dämmerschein seid, die ihr schon weiter geführt seid durch Gottes Erbarmen, die ihr euch ganz erkennt in eurem eigenen Elend, und Jesum Christum, das einzige Heil der Sünder, mit Glaubensarmen umfasset, und euch ihm geweiht habt auf ewig, teure Seelen, hütet euch vor Rückfall! Je mehr ihr schon geschmeckt habt, dass das Licht süß ist und den Augen lieblich, die Sonne zu sehen, desto sorgfältiger fliehet die Finsternis, desto ernstlicher strebt vorwärts im Licht. Wandelt wie die Kinder des Lichts; die Frucht des Geistes ist allerlei Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit. So werdet ihr dem ewigen Tag entgegenwandeln, dessen Klarheit alle Klarheit in dieser Zeit unendlich übertrifft, und hinter dem finstern Todestale wird auch in wunderbarer Weise aus Zion der schöne Glanz Gottes anbrechen. Amen.