Quandt, Emil - Die Wanderungen des Menschensohnes. 1. Die Flucht nach Ägypten.
Ev. Matth. 2, 13. Flieh ins Ägyptenland und bleibe allda, bis ich dir sage.
Als sich in unser armes Fleisch und Blut verkleidete das ew'ge Gut, da fand es keinen Raum in der Herberge. Als das Kind des Vaters Gott von Art noch nicht zwei Monde auf Erden verlebt hatte, da fand es schon keinen Raum mehr im Lande. Als Christus in sein Eigentum kam, nahmen ihn die Seinen nicht auf; als er in sein Eigentum gekommen war, stießen ihn die Seinen aus. „Nimm das Kind und seine Mutter zu dir,“ so sprach der große Gott und Vater im Himmel durch seines Engels Mund zu dem frommen und treuen Nährvater Joseph, „und fliehe in Ägyptenland und bleibe allda, bis ich dir sage; denn es ist vorhanden, dass Herodes das Kindlein suche, dasselbe umzubringen.“
So frühe musste des Menschen Sohn durch die schneidenden Kontraste des Lebens gehen. Eben noch hatten die Weisen aus dem Morgenlande ihn angebetet als den neugeborenen König Israels und ihm Gold und Weihrauch und Myrrhen als Spenden der Huldigung geopfert. Nun hatten sich die Weisen wieder auf den Weg begeben in ihr Land, und der neugeborene König musste sich auch auf den Weg begeben ins Ausland, als ein armer Flüchtling. Und wer weiß? das Gold und der Weihrauch und die Myrrhen sind vielleicht die irdischen Mittel gewesen, durch welche die Kosten der Reise bestritten werden konnten. Irdisches und Himmlisches geht in dem Leben des Menschensohnes und auch in dem Leben der Menschenkinder, die an ihn glauben, sehr wundersam Hand in Hand.
Landflüchtig wurde der Heilige Christ schon im Morgenrot seines Lebens im Fleische. Denken wir zuerst der Veranlassung seiner Flucht mit gesammelten Sinnen nach.
Es war vorhanden, dass Herodes das Kindlein suchte, dasselbe umzubringen. Herodes, ein Edomskind, hatte sich im vierzigsten Jahre vor Christi Geburt durch List und Gewalt auf den königlichen Thron Davids geschwungen, trotzdem in der Bibel stand 5. Mose 17, 15: „Israel, du sollst aus deinen Brüdern einen zum König über dich setzen; du kannst nicht irgendeinen Fremden, der nicht dein Bruder ist, über dich setzen.“ Durch seine Thronbesteigung „war das Zepter von Juda entwendet,“ und daher steigerte sich die Erwartung der Gläubigen, dass nun der Held kommen werde, dem die Völker anhangen 1. Mose 49, 10. Und der Held kam; im vierzigsten Jahre der Regierung des Herodes wurde der Immanuel geboren zu Bethlehem Ephrata, wie Micha geschrieben. Die Kunde von der Geburt Jesu Christi drang nicht durch das Getümmel des Hoflebens; für die Könige dieser Erde ist es oft sehr schwer, die Botschaft des Heils zu hören. Erst als die Weisen aus dem Morgenlande, ihrem Sterne folgend, nach Jerusalem kamen und auf ihre Frage: Wo ist der neue König Israels geboren? von den Schriftgelehrten nach Bethlehem gewiesen wurden, ward Herodes mit dem Namen Christi bekannt. Sofort bat er aber auch die Weisen, falls sie das heilige Kind, das sie suchten, in Bethlehem finden sollten, zu ihm nach Jerusalem zurückzukehren und ihm sicheren Bescheid zu geben. Er wollte, wie seine Lippen sagten, auch kommen und das Kind anbeten; er wollte, wie sein tückisches Herz es meinte, zwar auch kommen, aber nicht um das Kind anzubeten, sondern um es umzubringen. O; Herodes hat auch schon die satanische Idee gehegt, dass dem Menschen die Sprache gegeben sei, um seine Gedanken zu verbergen. Aber Gott kannte seine Gedanken, so sehr er sie auch durch seine Sprache verbarg; und von Gott bedeutet, vermieden die Weisen aus dem Morgenlande, nachdem sie den heiligen Christ gefunden und angebetet hatten, eine zweite Begegnung mit Herodes und zogen auf einem andern Wege in ihr Land. Herodes nannte diesen Gottesgehorsam der Weisen „Betrug“ und zürnte darüber; o die Kinder dieser Welt wollen niemals mit dem Maß gemessen sein, mit dem sie selber messen; sie lügen ohne Gewissensbisse, aber empfinden es sehr unangenehm, wenn sie belogen werden; sie betrügen, dass es nur so seine Art hat, aber sie vermerken es sehr übel, wenn sie nicht einmal betrogen, sondern nur erkannt und entlarvt werden.
Als die Weisen nicht wieder kamen, sprühte Herodes Feuer und Flamme und ließ alle Kinder in Bethlehem, die zweijährig und darunter waren, um so sicher zu sein, dass unter der Masse der ermordeten Säuglinge auch das heilige Kind sich verblutet habe. Aber das heilige Kind war längst geborgen. Was Gott will erquicken, kann Niemand ersticken. Die Mordabsichten des Königs Herodes waren eben die Veranlassung geworden, dass Gott zu Joseph sprach: Nimm das Kind und fliehe nach Ägyptenland!
Aber was in aller Welt hatte das heilige Kind von Bethlehem dem Wüterich getan, dass er mit so fürchterlichem Grimme demselben nach dem Leben trachtete? Ei, es hatte ihm schlechterdings nichts getan. Was hätte auch so ein unschuldiges, junges Kind, das sich noch dazu ferne von der Residenz in einem abgelegenen Landstädtchen befand, einem mächtigen, durch Ross und Reisige gedeckten König tun können! Aber warum hegte Herodes denn einen so tödlichen Hass gegen das Christkind, dass er, um es zu vertilgen, seine Hände förmlich in Blut badete? Schon als die Weisen bei ihm Nachfrage hielten in Betreff des neugeborenen Königs der Juden, erschrak er. Er erschrak, weil dem Tyrannen der Gedanke furchtbar war, dass neben ihm noch ein andrer König in Israel auftreten könnte, mit dem er etwa die Herrschaft teilen, an den er etwa gar seine Alleinherrschaft abtreten müsste. Er erschrak, weil die Ahnung ihm entsetzlich war, dass der König geboren sein könnte, auf den die alten heiligen Bücher Israels so rätselhaft deuteten, dessen Kommen sie durch die Reihe der Jahrhunderte hin so geheimnisvoll angekündigt hatten. Aus diesem Erschrecken ist der Hass geboren, von dem sein Herz wider das Christkind aufflammte. Und aus diesem Hasse entwickelt sich das wilde Toben und Morden, da er in Bethlehem ein Blutbad unter Kindern anrichtet, das zum Himmel schreit, lauter als die Sünden Sodoms und Gomorrhas. Aber dies Toben und Morden, es hat wohl Hunderte von Unschuldigen zu Märtyrern gemacht, doch hat es dem Christkind nicht ein einiges Haar krümmen können; es wurde für das heilige Kind eben nur die Veranlassung zur Flucht nach Ägypten.
Wär' Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in uns, wir wären ewiglich verloren. Wenn aber Christus durch Gottes reiche Barmherzigkeit auch in uns geboren ist, dass wir nun gesichert sind vor dem ewigen Verlorengehen und im Glauben an sein heiliges Verdienst das ewige Leben haben; dürfen wir dann meinen, dass es heutzutage keine Herodesse mehr gebe, die dem Christkinde nach dem Leben stehen? O wer da meint, mit dem Schatz aller Schätze im Herzen unbehelligt und unangefochten seine Straße ziehen zu können, der irrt sich schwer; noch ehe der Christus in ihm zwei Monate alt ist, wird er's erfahren haben, dass es auch dermalen noch in allen Landen Herodesse gibt, die Jesum hassen, wie der Tod das Leben hasst. Es ist eine ganz unwahre und verkehrte Anschauung vom Christentum, wie man sie leider oft in sogenannten christlichen Novellen vertreten findet, die für ihre Bekehrung zu Christo lauter gute Tage in der Welt beansprucht. Die guten Tage werden uns im Himmel aufbewahrt; mein Kind, sagt der weise Sirach, willst du Gottes Diener sein, dann schicke dich zur Anfechtung. Es ist eine Erfahrung, die alle wahrhaft Gläubigen machen, dass, sobald es ruchbar wird, dass ein Mensch an den heiligen Christ gläubig geworden ist, die Welt erschrickt, hasst und tobt. Zunächst erschrickt die Welt; sie hat eine schreckliche Angst vor dem Frommwerden. Hin und wieder einmal ein Kirchgang, bei schweren Trauerfällen wohl auch die Bibel in der Hand - das will die Welt zugeben; etwas Religion, so sagt sie, muss sein und gehört mit zum Anstand. Aber dass ein Mensch fromm werde, allen Ernstes sich bekehre, in ein lebendiges, persönliches Verhältnis zu dem Sohne Gottes trete - das ist der Welt fürchterlich; so oft ein Weltkind, vom Vater zum Sohne gezogen, seiner Missetaten sich schuldig gibt, den Heiland umfasst und unter Tränen der göttlichen Traurigkeit spricht: „Ah, dass ich Dich so spät erkannte, Du hochgelobte Liebe Du; dass ich nicht eher mein Dich nannte, Du höchstes Gut und einz'ge Ruh'!“ da kommt ein Schrecken über die Welt, die Welt erschrickt. Aus ihrem Schrecken aber wird ihr Hass geboren. Sie versucht es für den Anfang noch mit allerlei Heuchelworten: „Zerplagt euch euer Leben doch nicht mit so mystischen Gedanken! Ihr lebt doch einmal in der Welt, da müsst ihr der Welt Mode mitmachen; besser ein Narr in der Mode, als außer der Mode! Der Pietismus verträgt sich mit eurer Bildung nicht, mit eurem Fortkommen nicht, mit den gesellschaftlichen Umgangsformen nicht!“ Redensarten, lauter Redensarten einer erheuchelten Teilnahme; die Welt führt damit gar nichts Anderes im Schilde, als dass sie uns den Christus wieder nehmen will, der in uns geboren ist, dass sie das zarte Leben des neuen Menschen im Keime ersticken will. Wir sagen das der Welt frei heraus, wir zeigen ihr, dass wir die feindlichen Gedanken verstehen, die sie hinter ihrer freundschaftlichen Sprache verbirgt; wir bleiben durch Gottes Gnade fest im Glauben und sagen: Jesus, Jesus, nichts als Jesus soll mein Wunsch sein und mein Ziel! Da bricht denn nun auch die Welt mit ihrem Hass ganz offen hervor und fängt an zu toben und zu wüten. Christus darf nicht herrschen, das ist einmal ein Dogma der Welt; alle Waffen sind recht, um Christum auszurotten, das ist auch ein Dogma der Welt; o, die Welt hat eine grauenvolle Dogmatik. Da witzelt sie so geistreich, da spottet sie so derb, da verlästert und verleumdet sie und setzt Alles daran, um so ein Menschenkind, das eben erst die Wonnen der Seligkeit in Jesu Christo kennen gelernt hat und darüber noch wie träumend hingeht, tot zu machen, früherhin auch äußerlich-leiblich - und das kann wieder kommen, jetzt wenigstens gesellschaftlich und bürgerlich. Aber unverzagt und ohne Grauen soll der Christ, wo er ist, stets sich lassen schauen. Einem Menschenkinde, das den heiligen Christ in seine Seele aufgenommen hat, kann die Welt viel zu wider tun, aber Christum kann sie ihm nimmer töten. Vielleicht wird derselbige Mensch mit dem heiligen Christkinde fliehen müssen, entweichen aus gewohnten und lieb gewordenen Verhältnissen, wie Joseph, doch auch nur dann, sicherlich nur dann, wenn der Mensch einen klaren göttlichen Befehl dazu hat, wie Joseph ihn hatte. Der ganze Lärm der Welt -er kann für uns die Veranlassung zur Flucht, zum Rückzuge in die Verborgenheit werden, aber mehr auch nicht. Christus selber wird und muss uns bleiben, wenn wir anders ihn nur festhalten mit den Händen des Glaubens.
Landflüchtig wurde der Heilige Christ bei jungen Tagen; denken wir zum Zweiten dem Ziele seiner Flucht andächtig nach.
„Fliehe nach Ägyptenland!“ so spricht Gott der Herr durch seines Engels Mund zu Joseph. Alsobald stand Joseph auf und nahm das Kindlein und seine Mutter zu sich in der Nacht und entwich nach Ägyptenland und blieb allda bis nach dem Tode des Herodes, auf dass, so fügt die evangelische Erzählung tiefsinnig ihrem Berichte der Tatsachen hinzu, erfüllt werde, das der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.
Wie die Steinklüfte in den Bergen den natürlichen Zufluchtsort bilden für die Taube, die der Habicht jagt, so war Ägyptenland die natürliche Bergestätte der heiligen, aus Bethlehem aufgescheuchten Familie. Einmal war Ägypten ein Nachbarland, nur durch eine Wüste von Kanaan getrennt, und bekannte Reisewege führten von dem einen Lande zum andern; sodann lag es in gerade entgegengesetzter Richtung von Jerusalem, dem Horste des königlichen Raubvogels; und endlich ob es auch ein Heidenland war, so wohnte doch dort eine große Schar von Juden, die unter einem wohlwollenden Regimente dort ein stilles und ruhiges Leben führen konnten in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. So hat der große Gott, dem Himmel und Erde gehören, zu allen Zeiten und auch heute noch rettende Asyle für seine gejagten Heiligen. Wo ein Kind Gottes jemals klagen muss: „hätte ich Flügel wie die Tauben, dass ich flöge und etwa bliebe; siehe, so wollte ich mich ferne weg machen. und in der Wüste bleiben; ich wollte eilen, dass ich entrönne vor dem Sturmwinde und Wetter!“ (Psalm 55, 7-9); wird es, wenn die Stunden sich gefunden, doch auch immer wieder jubeln können: „Gott deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit; er verbirgt mich heimlich in seinem Gezelt und erhöht mich auf einen Felsen! (Psalm 27, 5).“ Denn Weg hat Gott aller Wegen, und an Mitteln fehlt es dem Allmächtigen nicht; er hat die Schlüssel zu allen Türen, und kein Pfahl und Grenzstein hält ihn auf. Müssen seine Kinder sein wie eine Hindin, die frühe gejagt wird, so dürfen und können sie doch alle ihre Sorgen auf ihn werfen, er sorgt für sie.
Verjagt man sie aus Kanaan, so bereitet der Herr ihnen in Ägyptenland Herberge. Als Lot aus Sodom flüchten muss, bietet sich ihm Zoar, die kleine Stadt, zum Asyl.
Als die junge Christengemeinde in Jerusalem nicht mehr sicher ist, entweicht sie nach Pella, da ist sie geborgen. Als später die christlichen Bekenner vor den heidnischen Verfolgungen nicht mehr auf der Erde ihrem Gotte und Heiland feiern können, flüchten sie mit ihren Gottesdiensten in die Erde, in die Katakomben. Als Dr. Martin Luther, der große Wiederentdecker des goldenen Schatzes der Rechtfertigung aus Gnaden durch den Glauben allein, von Kaiser und Kirche, um seines evangelischen Zeugnisses willen, in Acht und Bann getan und für vogelfrei erklärt wird, findet er auf der Wartburg beides, eine Burg und eine Warte. Befeindet man uns in Schlössern und Palästen und verfolgt uns dort, nicht um Übeltat willen, sondern weil wir glauben an Jesum Christum, der uns arme verlorene und verdammte Menschen erlöst hat, erworben und gewonnen mit seinem Leiden und Sterben; so finden wir noch in den Hütten der Stillen im Lande freundliche Aufnahme. Und wenn die ganze Erde uns ausstößt, nun Gott hat noch andere Welten, als diesen einen kleinen Stern im großen Sternenheer, dann tut uns Gott seine Himmel auf, wie einst dem Stephanus. Nehmen sie uns den Leib, Gut, Ehre, Kind und Weib, lass fahren dahin, sie haben's kein'n Gewinn; das Reich muss uns wohl bleiben!
Nach Ägypten zog das Christkind, da es landflüchtig wurde. Wie wunderbar webt doch der ewige Gott die Fäden der Weltgeschichte ineinander; das Wüten des Herodes muss dazu dienen, alter Vorbilder und Weissagungen tiefem Sinne zur Erfüllung zu verhelfen. Ägypten war schon von Alters her durch die Jahrtausende hindurch zu einer Bergestätte Jesu Christi von Gott bestimmt und bereitet. Dahin war einst Abraham, der Vater der Gläubigen, geflohen, als ihn teure Zeit bedrängte. Dahin war Joseph, Jakobs Sohn, verkauft und zum Retter und Versorger seines Geschlechtes geworden, Joseph, der in seiner Erniedrigung und Erhöhung den heiligen Christ so wundersam abschattet. Hier hatte das ganze Volk einst ein Gosen gefunden. Und in Beziehung auf dies Ägyptenland nun hatte Gott der Herr achthundert Jahre vor Christi Geburt durch den Mund des Propheten Hosea gesagt: „Da Israel jung war, hatte ich ihn lieb, und rief ihn, meinen Sohn, aus Ägypten (Hosea 11, 1).“ Wahrlich, der Herr hatte ja diesen Ausspruch vorlängst damit erfüllt, dass er das jugendliche Volk Israel, das er in großer und gnadenvoller Herablassung seinen Sohn zu nennen sich nicht schämte, mit ausgerecktem Arm und mächtiger Hand aus dem zum Diensthause gewordenen Ägypten erlöste. Aber Gottes unerforschliche Weisheit hatte es mit diesem Worte des Hosea noch viel buchstäblicher im Sinne. Jesus Christus, das ist Gottes rechter eingeborner Sohn; und dadurch, dass er Jesum Christum nach und aus Ägypten führte, wollte Gott vor aller Welt für Alle, die da Augen haben um zu sehen, beweisen, dass das junge, arme, verfolgte, verjagte Kind der Jungfrau wahrhaftig sein eigen Kind, Gott von Gott in Ewigkeit geboren sei. So gehört die Flucht nach Ägypten zu den gewissen, göttlich gegebenen Merkmalen, dass Jesus ist der Christ. So erwächst dem heiligen Christ schon in frühester Kindheit aus Verfolgung und Leiden reiche Verherrlichung. So muss unter Gottes wunderbarem Leiten selbst ein wütender Herodes dazu dienen, das Diadem des neugeborenen Königs um ein glänzendes Juwel zu bereichern. So dient noch heute bei Allen, die den Herrn Jesum im Herzen tragen, das Böse, was ihnen Menschen antun, unter Gottes gnädigem Regiment dazu, dass die Schrift erfüllt werde, die da sagt: Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen. Schmähungen, Zurücksetzungen, Verfolgungen, die uns um des Evangeliums willen treffen, befestigen uns im Glauben, verhüten, dass wir die Fremde hienieden jemals für unsere Heimat halten, nähren den Pilgersinn, machen uns gebeugt und stille, helfen, dass wir uns zusammenschließen mit andern Kindern Gottes, sind in Summa gar nicht hoch genug anzuschlagende Heiligungsmittel. Freilich das Fleisch hat mancherlei dawider einzuwenden; aber geht es der Natur entgegen, dann, das ist ein alter, bewährter Satz, geht es gerade und fein. Auch das Bitterste und Schwerste dient zu deiner Seligkeit; sicher bist du nicht der Erste, der sein Kreuz einst benedeit.
Nach Ägypten ging die erste große Reise des Kindes von Bethlehem, und dieses Kind war der Mittler des neuen Bundes. Die Berührung, in die der Mittler des neuen Testamentes mit Ägypten tritt, lässt sie uns nicht unwillkürlich des Verhältnisses gedenken, in welchem Moses, der alttestamentliche Mittler, zu Ägypten stand? Moses entweicht aus Ägypten nach dem Lande Kanaan; Christus entweicht aus dem gelobten Lande nach Ägypten. Dieser auswendige Gegensatz ist Zeichen und Gleichnis für einen tiefen innerlichen Kontrast. Moses, der nur ein Vorläufer und Wegbereiter und Zuchtmeister auf Christum ist, wird von den Heiden verworfen, von Israel angenommen; Christus, der erfüllt hat, was Moses vorbildete und weissagte, wird von Israel verworfen, von den Heiden angenommen. Die Juden eifern für Moses und kreuzigen Christum; die Heiden, wiewohl sie Mosis Gesetz nicht haben, werden gläubig an Christum. Noch heute rühmen sich die Juden ihres Mose und verfangen sich in seinem Scheine, obwohl er doch das Licht nicht war, sondern nur zeugte von dem Licht, und wollen nichts wissen von dem Morgenglanz der Ewigkeit in Jesu Christo, dem Licht von unerschöpftem Lichte; aber in der Welt der Heiden hat Christus ein Asyl gefunden, und Millionen und aber Millionen, die weiland Finsternis waren, sonnen sich in seinem Glanze. Durch diesen Gegensatz erhält die Flucht Christi nach Ägypten, dem Heidenlande, eine großartige, ganz einzigarte Bedeutung. Die Flucht Christi nach Ägypten zieht sich durch die ganze christliche Weltgeschichte bis auf diesen Tag. Es sind bis heute aus dem jüdischen Volke immer nur ein paar Joseph- und Maria-Seelen, die das Christkind annehmen und hegen und pflegen; die Gesamtheit der Juden als solche stößt das Christkind noch heute aus und will von Weihnachten nichts hören und sehen. Es ist bis auf den heutigen Tag noch immer Ägyptenland, noch immer die nichtjüdische Welt, in der Christus und das Christentum sein Asyl hat. Aus Israels Abfall widerfährt den Heiden das Heil. O welch' eine Tiefe des Reichtums beide der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!
Landflüchtig wurde der Heilige Christ zu einer Zeit, wo andre Menschenkinder in weicher Wiege ihr Schlummerleben führen; denken wir zum Letzten dem Ende seiner Flucht anbetend nach.
Der Aufenthalt des heiligen Kindes in Ägypten erreichte sein Ende mit dem Tode des Herodes. Sobald Herodes gestorben war, erhielt Joseph, der Nähr- und Ehrenvater des Menschensohnes, durch des Engels Mund die göttliche Meldung: „Stehe auf, nimm das Kindlein und seine Mutter zu dir und ziehe in das Land Israel; sie sind gestorben, die dem Kinde nach dem Leben standen.“ Joseph zögerte keinen Augenblick, dem Befehle Gottes nachzukommen; er zog nach Kanaan zurück, doch nicht wieder nach Bethlehem, wo des grausamen Königs grausamer Sohn regierte, sondern nach Nazareth in Galiläa, wo er schon früher gewohnt hatte, so dass sich nun auch der Prophetenspruch erfüllte: Christus soll ein Nazarener heißen.
Herodes war ein sehr mächtiger König gewesen, so mächtig, dass der allmächtige Gott seinen Sohn vor seiner drohenden Gewalt flüchtete. Aber Herodis Regiment nahm bald ein Ende, und darum nahm auch die Flucht Christi bald ein Ende. Herodes starb gar nicht lange nach dem bethlehemitischen Kindermord eines ganz entsetzlichen Todes, unter Plänen der Rache und Ausbrüchen der Verzweiflung. Fürsten sind Menschen, vom Staube geboren, und kehren um zu ihrem Staub; ihre Anschläge sind auch verloren, wenn nun das Grab nimmt seinen Raub. Herodis Ende kam, als das Maß seiner Sünden voll war; da tat ihn Gott bei Seite, und er fuhr dahin an seinen Ort. Sein Ende aber machte auch der Flucht Christi ein Ende; das Leben des Menschensohnes, das für die Erfindung der ewigen Erlösung gespart und bewahrt bleiben musste, war nicht mehr bedroht; so kehrte er wieder heim nach Kanaan.
Wir lernen daraus: Alles Ding hat seine Zeit, Gottes Lieb' in Ewigkeit. Alles Ding hat seine Zeit, die Macht eines Tyrannen, die Wut einer christusfeindlichen Welt, die Mühsale beschwerlicher Lebenswege, Kreuz, Leid und Jammer - es hat Alles seine Zeit; es kann schon vor Abend anders werden, als es am frühen Morgen war. Wie auch immer die Wasserwellen im Menschenleben brausen mögen, endlich spricht Gott der Herr doch sein gewaltiges Endwort: Bis hierher und nicht weiter! Wie auch immer die Regenwolken den Himmel verdüstern mögen, endlich muss doch der goldene Sonnenschein die Oberhand haben, und der siebenfarbige Bogen leuchtet am Firmament. Wie auch immer der Winter toben möge, es muss doch Frühling werden! Es sind ja das ganz ungeheuer einfache Wahrheiten, aber man muss sie sich und Andern öfters wiederholen; denn das Menschenherz ist ein sehr wunderliches Ding, das in seiner Drangsalshitze nur gar zu bald sich von Gott verlassen und aufgegeben wähnt. Aber wahrlich, wir dürfen niemals meinen, der Herr werde allewege schweigen. nein, er wird zu seiner Zeit hervorbrechen wie die schöne Morgenröte; alle Menschen müssen sterben, Gott aber lebt in Ewigkeit und gibt allen seinen Kindern, nach Kampf und Flucht und Leid, Sieg und Heimat und Freude.
Wir lernen aus dem durch Herodis Ende ermöglichten Ende der Flucht Christi weiter, dass es eine Rückkehr Christi gibt in Länder, die ihn ausgestoßen hatten. Kanaan hatte während der Herodeszeit den heiligen Christ verjagt und verstoßen, aber als Herodes und seine Genossen ausgesündigt, ausgeheuchelt, ausgetobt, ausgelebt hatten, da trat ein großer Wendepunkt ein, Christus kam wieder. Die Kirche Jesu Christi machte im Mittelalter auch eine Herodiszeit durch; die Kirche selbst im Großen und Ganzen stieß Christum hinaus; vor all den verdienstvollen Heiligen und werkgerechten Sündern blieb gar kein Plätzlein mehr für Christum übrig; Christus entwich zu den Waldensern, den böhmischen Brüdern u. s. f. Aber als sich das Mittelalter ausgelebt und ausgesündigt hatte, kam Christus in der Reformation wieder, und wenigstens in einem großen Teile der Kirche wurden alle andern Nothelfer von ihren angemaßten Thronen gestoßen und Christus allein wieder auf den Thron gesetzt. Unser liebes evangelisches Deutschland, es hat vor hundert Jahren auch angefangen eine Herodiszeit durchzumachen; der Abfall vom Glauben der Väter war Lawinenartig; gebildete Leute schämten sich, die Bibel in die Hand zu nehmen, der Sohn Gottes wurde verbannt und vergessen: Christus entwich zu den Einfältigen im Lande, zu der Brüdergemeinde, zu ungelehrten Konventikelleuten. Aber zur Zeit der Freiheitskriege ist der Herr Christus in Gnaden wiedergekommen; aus den Kreisen der Stillen im Lande ergoss sich eine Segensflut des Glaubens weit über das liebe deutsche Land. Ob auch Viele heutzutage düster sehn und trauern, dass es so wenige Gläubige gibt; wir wollen das Ding getrost einmal umkehren und uns freuen, dass es noch so viele Gläubige gibt; jedermanns Sache wird der Glaube überhaupt niemals sein. Wir müssen doch sagen, so groß auch die Sünden unsers Volkes sind, Gottes Gnade ist noch viel größer; Christus ist wieder bei uns im deutschen Lande; auf tausend Kanzeln wird wieder verkündigt: Ohne Buße kein Glaube! Ohne Glauben keine Gemeinschaft mit Jesus! Ohne Jesus keine Seligkeit!
Sie sind gestorben, die dem Kinde nach dem Leben trachten; wir entnehmen aus dieser göttlichen Meldung noch ein Drittes und Letztes: Christus überlebt alle seine Feinde. Welch' eine Schar von Feinden Immanuels, von Widersachern des Evangeliums ist doch schon aufgetreten und abgetreten! Wo sind die Hohenpriester und Schriftgelehrte, die mit Drohen und Morden gegen Christum schnaubten? Wo sind die mächtigen römischen Cäsaren, die mit Blut und Feuer die Macht des Galiläers ersticken wollten? Wo sind die noch mächtigeren römischen Päpste, die mit Inquisitionen und Ketzerkriegen gegen das Evangelium tobten? Wo sind die Voltaires und die andern Helden des Witzes und Spottes wider Christum? Sie sind gestorben, alle gestorben und begraben und nicht wieder auferstanden; Jesus Christus aber, der Gekreuzigte und Auferstandene, lebt, hat sie alle überlebt, und Millionen beugen täglich ihre Knie vor ihm und seufzen ihm ihr Hosianna. Und wenn in diesen unsern Tagen aufs Neue mächtige Feinde ihr Haupt wider den Herrn und seinen Gesalbten erheben; nun, es ist das eben Alles schon dagewesen; der im Himmel wohnt, lacht ihrer, der Herr spottet ihrer; auch die modernen Ritter vom Geiste werden sterben, sterben, Christus aber wird leben, leben; Er sitzt zur Rechten des Vaters in der Höhe, und alle seine Feinde sollen zum Schemel seiner Füße gelegt werden. Christus überlebt alle seine Feinde: das tröste uns und mache uns stark und halte uns aufrecht, wenn je vor dem lauten Wort der Feinde Immanuels unser Herz bangen möchte. Der starke Gottessohn hoch auf des Vaters Thron, bleibt unser Schutz und Hort; vor seinem Geist und Wort flieh‘n alle Höllenmächte.
Landflüchtig wurde der Heilige Christ schon in den Morgenstunden seines Lebens im Fleisch. Wir aber beten an über seiner Flucht und bekennen in gläubigem Aufblick zu ihm: Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Wer mit Jesu lebt, bleibt auch mit Jesu bewahrt -: verdrängt, verjagt, besiegt und ausgefegt und doch ein Held, der ew'ge Palmen trägt! Amen.